Der philosophische Egoist

Hast du den Säugling gesehn, der, unbewußt noch der Liebe,

Die ihn wärmet und wiegt, schlafend von Arme zu Arm

Wandert, bis bei der Leidenschaft Ruf der Jüngling erwachet

Und des Bewußtseins Blitz dämmernd die Welt ihm erhellt?

Hast du die Mutter gesehn, wenn sie süßen Schlummer dem Liebling

Kauft mit dem eigenen Schlaf und für das Träumende sorgt,

Mit dem eigenen Leben ernährt die zitternde Flamme

Und mit der Sorge selbst sich für die Sorge belohnt?

Und du lästerst die große Natur, die, bald Kind und bald Mutter,

Jetzt empfänget, jetzt gibt, nur durch Bedürfnis besteht?

Selbstgenügsam willst du dem schönen Ring dich entziehen,

Der Geschöpf an Geschöpf reiht in vertraulichem Bund,

Willst, du Armer, stehen allein und allein durch dich selber,

Wenn durch der Kräfte Tausch selbst das Unendliche steht?


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 1, München 31962, S. 226-227,245.
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