Der heilige Lucas

[214] Legende.


Sanct Lucas sah ein Traumgesicht:

Geh! mach dich auf und zögre nicht,

Das schönste Bild zu mahlen.

Von deinen Händen aufgestellt,

Soll einst der ganzen Christenwelt

Die Mutter Gottes strahlen.


Er fährt vom Morgenschlaf empor,

Noch tönt die Stimm' in seinem Ohr;

Er rafft sich aus dem Bette,

Nimmt seinen Mantel um und geht,

Mit Farbenkasten und Geräth

Und Pinsel und Palette.


So wandert er mit stillem Tritt,

Nun sieht er schon Mariens Hütt'

Und klopfet an die Pforte.

Er grüßt im Namen unsers Herrn,

Sie öffnet und empfängt ihn gern

Mit manchem holden Worte.
[215]

»O Jungfrau, wende deine Gunst

Auf mein bescheidnes Theil der Kunst,

Die Gott mich üben laßen!

Wie hoch gesegnet wär' sie nicht,

Wenn ich dein heil'ges Angesicht

Im Bildniß dürfte faßen!« –


Sie sprach darauf demüthiglich:

Ja, deine Hand erquickte mich

Mit meines Sohnes Bilde.

Er lächelt mir noch immer zu,

Obschon erhöht zur Wonn' und Ruh

Der himmlischen Gefilde.


Ich aber bin in Magdgestalt,

Die Erdenhülle sinkt nun bald,

Die ich auch jung verachtet.

Das Auge, welches alles sieht,

Weiß, daß ich nie, um Schmuck bemüht,

Im Spiegel mich betrachtet. –


»Die Blüthe, die dem Herrn gefiel,

Ward nicht der flücht'gen Jahre Spiel,

Holdseligste der Frauen!

Du siehst allein der Schönheit Licht

Auf deinem reinen Antlitz nicht:

Doch laß es Andre schauen.


Bedenke nur der Gläub'gen Trost,

Wenn du der Erde lang entflohst,

Vor deinem Bild zu beten.[216]

Einst tönt dir aller Zungen Preis,

Dir lallt das Kind, dir fleht der Greis,

Sie droben zu vertreten.«


Wie ziemte mir so hoher Lohn?

Vermocht' ich doch den theuren Sohn

Vom Kreuz nicht zu entladen.

Ich beuge selber spät und früh

In brünstigem Gebet die Knie

Dem Vater aller Gnaden. –


»O Jungfrau! weigre länger nicht,

Er sandte mir ein Traumgesicht,

Und hieß mir, dich zu mahlen.

Von diesen Händen aufgestellt,

Soll vor der weiten Christenwelt

Die Mutter Gottes strahlen.« –


Wohlan denn! sieh bereit mich hier.

Doch kannst du, so erneue mir

Die Freuden, die ich fühlte,

So rufe jene Zeit zurück,

Als einst das Kind, mein süßes Glück,

Im Schooß der Mutter spielte. –


Sanct Lucas legt an's Werk die Hand;

Vor seiner Tafel unverwandt,

Lauscht er nach allen Zügen.

Die Kammer füllt ein klarer Schein,

Da gaukeln Engel aus und ein,

In wunderbaren Flügen.
[217]

Ihm dient die junge Himmelsschaar,

Der reicht' ihm sorgsam Pinsel dar,

Der rieb die zarten Farben.

Marien lieh zum zweiten Mal

Ein Jesuskind des Mahlers Wahl,

Um die sie alle warben.


Er hatte den Entwurf vollbracht,

Nun hemmte seinen Fleiß die Nacht,

Er legt den Pinsel nieder.

»Zu der Vollendung brauch' ich Frist,

Bis alles wohl getrocknet ist,

Dann, spricht er, kehr' ich wieder.«


Nur wenig Tage sind entflohn;

Da klopft von neuem Lucas schon

An ihre Hüttenpforte;

Doch statt der Stimme, die so süß

Ihn jüngst noch dort willkommen hieß,

Vernimmt er fremde Worte.


Entschlummert war die Gottesbraut

Wie Blumen, wann der Abend thaut;

Sie wollten sie begraben,

Da ward sie in verklärtem Licht

Vor der Apostel Angesicht

Gen Himmel aufgehaben.


Erstaunt und froh schaut er umher

Die Blick' erreichen sie nicht mehr,

Die er nach droben sendet.[218]

Obschon im Geist von ihr erfüllt,

Wagt er die Hand nicht an ihr Bild:

So blieb es unvollendet.


Und war auch so der Frommen Lust,

Und regt' auch so in jeder Brust

Ein heiliges Beginnen.

Es kamen Pilger fern und nah,

Und wer die Demuthsvolle sah,

Ward hoher Segnung innen.


Vieltausendfältig konterfeit

Erschien sie aller Christenheit

Mit eben diesen Zügen.

Es mußte manch Jahrhundert lang

Der Andacht und dem Liebesdrang

Ein schwacher Umriß gnügen.


Doch endlich kam Sanct Raphael,

In seinen Augen glänzten hell

Die himmlischen Gestalten.

Herabgesandt von sel'gen Höh'n,

Hatt' er die Hehre selbst gesehn

An Gottes Throne walten.


Der stellt' ihr Bildniß, groß und klar,

Mit seinem keuschen Pinsel dar,

Vollendet, ohne Mängel.

Zufrieden, als er das gethan,

Schwang er sich wieder himmelan,

Ein jugendlicher Engel.

Quelle:
August Wilhelm von Schlegel: Sämtliche Werke Band 1, Leipzig 1846, S. 214-219.
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