Leonardo da Vinci

[219] Romanze.


Florentiner! Florentiner!

Was muß euren Sinn verkehren,

Daß ihr eure großen Männer

Fremden überlaßt zu ehren?


Dante, welcher göttlich heißet,

Klagt, daß ihn sein Land verstoße;

Sein verbannter Leib ruht ferne

Von der harten Mutter Schooße.


Und der alte Leonardo,

Weilte bei euch, halb vergeßen,

Der an euren Kriegesthaten

Jung des Pinsels Kraft gemeßen.


Zwar ein Stern, der hoch und herrlich

An der Künste Himmel funkelt,

Michel Angel Buonaroti,

Hatte seinen Ruhm verdunkelt.


Dieser strebt in wildem Trotze

Die Natur zu unterjochen;

Jener bildet, sinnig forschend,

Was sie leis' ihm ausgesprochen.
[220]

Nicht den Stolzen duldend muß er

Noch zu fremdem Volk und andern

Menschen, aus Florenz, der schönen,

Ein bejahrter Pilger wandern.


Ritter Franz, der edle König,

Rief den weisesten der Mahler,

Gab ihm Raum nach Lust zu schaffen,

Hoch zu ehren ihn befahl er.


Zur Vollbringung der Entwürfe

Scheint ihn neuer Muth zu stärken;

Aber bald hört man ihn klagen

Ueber angefangnen Werken:


Sieh, mein Leben ist am Ziele,

Und die Kunst noch kaum begonnen,

Haben gleich mir gute Parcen

Lang den Faden ausgesponnen.


Weit in unentdeckte Fernen

Breiten Klarheit die Gedanken,

Doch das Nächste zu vollenden,

Fühl' ich meine Hand erkranken.


Und er mußte wider Willen

Hin sich strecken auf das Lager;

Würdig schön in siechem Alter,

Weiß von Bart und still und hager.


Als der König das vernommen,

Füllt es ihn mit bangen Schmerzen,

Denn er hielt ihn wie ein Kleinod

Seinem Reich und seinem Herzen.
[221]

Eilig wie zu einem Vater,

Tritt er in des Kranken Zimmer,

Kommen sieht ihn Leonardo

Mit des Augs erloschnem Schimmer.


Und er will empor sich richten,

Seinen jungen Freund zu segnen,

Dessen Arme, dessen Hände

Liebreich stützend ihm begegnen.


Heiter lächelt noch sein Antlitz,

Schon erblaßt wie einem Todten:

Aber halb im Mund erstorben

Ist der Gruß sein letzter Othem.


Lange harrt der König schweigend,

Ob er nicht erwachen werde. –

»Ruh der kunstbegabten Seele!

Und dem Leib sei leicht die Erde!


Keine Weisheit, keine Tugend

Kann das herbe Schicksal wenden.

Was der Tod ihm störte, wird es

Je ein geist'ger Sohn vollenden?


Darum, weil dies Leben dauert,

Laßt den Heldentrieb entbrennen.

Wie dein ernster Spruch mich lehrte:

Was ich soll, das will ich können!«

Quelle:
August Wilhelm von Schlegel: Sämtliche Werke Band 1, Leipzig 1846, S. 219-222.
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