Trostschreiben von Calvus an Canus bei Anlegung einer Perücke

[176] To wear a wig or not, that in the question.

Whether 't is nobler in the mind, to suffer

The naked baldness of a wrinkled forehead,

Or to take arms against decaying age,

And, by a wig, conceal it. –

Shakspeare.


Mitbruder im Perückenthum!

Du linderst meine Schmerzen

Um der verlornen Locken Ruhm:

Willkommen mir von Herzen!


Oft ward mein Haar, so seidenweich,

Durchwühlt von schönen Händen;

Ich konnt' es, unermeßlich reich,

Zu Ring und Armband spenden.


Der Liebe Lust, der Liebe Schmerz

Erfuhr ich hin und wieder,

Und gleichermaßen schlug mein Herz

Vor Schnürbrust oder Mieder.[177]

Und daß man alt're, glaubt' ich kaum;

Ich hatt' es nicht erfahren.

Allmälich schwand der Wonnetraum

Mit meinen blonden Haaren.


Des Lebens Mittag folgte nun

Auf jenen frischen Morgen;

Der Ehrgeiz rief zu anderm Thun,

Die Welt zu Kampf und Sorgen.


Mein Kopf war innen vollbepackt

Mit hochgelahrtem Wesen:

Ach! aber außen kahl und nackt

Wie ein verbrauchter Besen.


Vergebens kräuselt' ich noch viel

An diesen Stoppelfeldern;

Die Winde hatten freies Spiel,

Wie in entlaubten Wäldern.


Da schalt ich dich, du Räuberin,

O Zeit! voll falscher Tücke.

Ich warf im Zorn den Spiegel hin,

Und griff nach der Perücke.


Zwar solch ein Ding, so leicht gewandt, –

Konnt' ich zum Trost mir sagen, –

Wer hätt' es wohl dafür erkannt

In unsrer Väter Tagen?


Entfremdet jener Unnatur,

Die damals man bewundert,

Bracht' edlen Stil in die Frisur

Dieß schaffende Jahrhundert.
[178]

Im Puderreif, Pomadenthau

An Pfeifen, Knoten, Zipfeln,

Glich des Toupee's gethürmter Bau

Beschneiter Alpen Gipfeln.


Die spitze Schneppe trat herein

Hoch über beiden Brauen;

Die Ecken ließen, glatt und rein,

Rasierte Stirnen schauen.


Und Lovelace spielte, so geschmückt,

Des Herzensdiebes Rolle,

Wie Englands Kanzler, steif perückt,

Auf seinem Sack von Wolle.


Jetzt weiß die Kunst den Wurf und Schwung

Der Locken nachzuahmen,

Und aus der Fern' erscheinen jung

Viel alte Herrn und Damen.


Dein krauses Haar, sonst schön gebräunt,

War scheckig jüngst geworden:

Da faßest du dich männlich, Freund,

Und trittst in unsern Orden.


Wer uns Perückenhänse heißt,

Weil wir Perücken tragen,

Der wiße: stets verjüngt der Geist,

Der Muth, das kühne Wagen.


Die Trägen werden zeitig alt,

Zum Spotte gar die Thoren;

Und blieb eu'r Herz dem Schönen kalt,

So war't ihr alt geboren.
[179]

Gelbschnäbel! flattert nur herum

Mit eurem bischen Jugend.

Euch bleibt der Mund des Ruhmes stumm,

Euch kränzet nie die Tugend.


Zwar wird wohl kein Perückenhans

Ein eitles Weib gewinnen;

Doch das Verdienst des reifen Manns

Find't weise Kennerinnen.

Quelle:
August Wilhelm von Schlegel: Sämtliche Werke, Band 2, Leipzig 1846, S. 176-180.
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