Die Reform der Ballette

[152] In Hosen steckst du deine Tänzerinnen?

O! welch ein puritanisches Beginnen!

Cythere zeigt sich nackt, warm athmend noch im Stein,

Und weckt Begierden nur in pöbelhaften Sinnen.

Die Kunst und die Decenz, sie haben nichts gemein.

Den üpp'gen Gliederbau, die biegsamen Gestalten

In jeder Wendung darf Terpsichore entfalten,

Und im Tricot zugleich nackt und bekleidet sein.


Die Hosen sollen wohl die Mädchen sittsam machen;

Doch werden sie gewiß nur dieser Vorsicht lachen.

Zwar bleibt es wahr: ohn' allen Schein

Der Sittsamkeit kann nie die Wollust reizen.

Drum laß sie nicht so frech sich auseinander spreizen,

Wenn sie, wie Kreißel, auf den steifen Zeh'n

Das andre Bein, gestreckt, nach allen Winden dreh'n.

Die Sünden des Geschmacks mißbilligt auch die Tugend

Sonst ist sie tolerant für Schönheit, Reiz und Jugend.

Quelle:
August Wilhelm von Schlegel: Sämtliche Werke Band 1, Leipzig 1846, S. 152-153.
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