Zwei Nachtigallen

[186] Die Erste


Sieh, es steigt zum dunkeln Throne

Schon die Nacht im blauen Mantel;

Und so ströme volle Wogen

Liebeslust in heißer Klage.


Die Zweite


Was die Worte nimmer sagten,

Was in tiefem Herzen wohnet;

Das ertöne im Gesange,

Das verschöne sich im Chore!


Die Erste


Lange war die Brust verschlossen,

Und mir fremd die süßen Gaben.

Was ich wußte, war nur Hoffen,

Bis der Liebe Ruf mir schallte.


Die Zweite


Wenn der Liebe Ruf uns fasset,

Blüht ein Sternengürtel oben;

Wenn die Kindheit uns verlassen,

Wird es plötzlich lichter Morgen.


Die Erste


Selig war ich ganz geworden,

Kühl gelindert das Verlangen,

Als inmitten solcher Wonne

Neu die alten Schmerzen kamen.


Die Zweite


Nur die Ew'gen dort im Glanze

Sind befreit vom dunkeln Lose,

Daß wo Freuden sich entfalten,

Neue Trauer mitgekommen.


[187] Die Erste


In der Trauer blühen Rosen.

Seit die Brust im Schmerz gebadet,

Der aus hoher Lust geflossen,

Kann ich in Gesängen klagen.


Die Zweite


Süße Weihung treuen Gatten,

Wenn sie gleichen Schmerz gesogen!

Was kein Irdischer erraten,

Finden sie im gleichen Tode.


Beide


Es verschönet sich im Chore

Liebesglut in heißer Klage;

Was die Sonne nimmer sagte,

Klagt die Nacht auf dunklem Throne.


Quelle:
Friedrich von Schlegel: Dichtungen, München u.a. 1962, S. 186-188.
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