|
[186] Die Erste
Sieh, es steigt zum dunkeln Throne
Schon die Nacht im blauen Mantel;
Und so ströme volle Wogen
Liebeslust in heißer Klage.
Die Zweite
Was die Worte nimmer sagten,
Was in tiefem Herzen wohnet;
Das ertöne im Gesange,
Das verschöne sich im Chore!
Die Erste
Lange war die Brust verschlossen,
Und mir fremd die süßen Gaben.
Was ich wußte, war nur Hoffen,
Bis der Liebe Ruf mir schallte.
Die Zweite
Wenn der Liebe Ruf uns fasset,
Blüht ein Sternengürtel oben;
Wenn die Kindheit uns verlassen,
Wird es plötzlich lichter Morgen.
Die Erste
Selig war ich ganz geworden,
Kühl gelindert das Verlangen,
Als inmitten solcher Wonne
Neu die alten Schmerzen kamen.
Die Zweite
Nur die Ew'gen dort im Glanze
Sind befreit vom dunkeln Lose,
Daß wo Freuden sich entfalten,
Neue Trauer mitgekommen.
[187] Die Erste
In der Trauer blühen Rosen.
Seit die Brust im Schmerz gebadet,
Der aus hoher Lust geflossen,
Kann ich in Gesängen klagen.
Die Zweite
Süße Weihung treuen Gatten,
Wenn sie gleichen Schmerz gesogen!
Was kein Irdischer erraten,
Finden sie im gleichen Tode.
Beide
Es verschönet sich im Chore
Liebesglut in heißer Klage;
Was die Sonne nimmer sagte,
Klagt die Nacht auf dunklem Throne.
Buchempfehlung
Der junge Chevalier des Grieux schlägt die vom Vater eingefädelte Karriere als Malteserritter aus und flüchtet mit Manon Lescaut, deren Eltern sie in ein Kloster verbannt hatten, kurzerhand nach Paris. Das junge Paar lebt von Luft und Liebe bis Manon Gefallen an einem anderen findet. Grieux kehrt reumütig in die Obhut seiner Eltern zurück und nimmt das Studium der Theologie auf. Bis er Manon wiedertrifft, ihr verzeiht, und erneut mit ihr durchbrennt. Geldsorgen und Manons Lebenswandel lassen Grieux zum Falschspieler werden, er wird verhaftet, Manon wieder untreu. Schließlich landen beide in Amerika und bauen sich ein neues Leben auf. Bis Manon... »Liebe! Liebe! wirst du es denn nie lernen, mit der Vernunft zusammenzugehen?« schüttelt der Polizist den Kopf, als er Grieux festnimmt und beschreibt damit das zentrale Motiv des berühmten Romans von Antoine François Prévost d'Exiles.
142 Seiten, 8.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.
390 Seiten, 19.80 Euro