Die Weltalter

[285] Bruchstück


Anfangs lebte der Mensch mit sich selber in heiliger Eintracht;

Denn es umwehete noch ihn der Anhauch himmlischen Geistes.

Liebend besangen und dankbar die Kinder den ewigen Vater;

Blumen da brachte die Erde, und fromme Gebete die Menschen,

Jegliches brachte selber sich dar in Vertrauen und Demut.

Segen entquoll der heiligen Sonn' auf des Orients Fluren,

Wo des Erleuchteten freudiger Gruß zuerst sie bewillkommt.

Willig gewährte und folgsam der Boden die heiligen Früchte,

Und dann teilten das ländliche Mahl mit dem Gotte die Menschen.

Da war golden das Leben, in goldenen Träumen beseligt,

Schwebte sinnend das kindliche Herz, und gedachte des Glanzes,

Wo den König des Himmels noch hellere Strahlen umscheinen.

Denn oft stiegen hernieder zum erdegeborenen Menschen,

Lieblich in lieber Gestalt noch, die seligen Kinder des Lichtes;

So auch gingen die Menschen noch, leicht entschlummert zur Heimat,

Blieben dort immer vereinigt wie gern wohl im heitersten Frieden,

Kehrten doch willig verwandelt auch wieder zum Garten der Unschuld,[285]

Wo die grünende Erde so schön dem Geliebten sich schmückte.

Aufwärts stieg die Flamme des Lebens aus sehnenden Herzen,

Welche der Treue Geheimnis, noch Göttliches deutend, vereinigt;

Selber der Tod verband ja nur inniger noch die Umarmten.

Ganz in Liebe verschlungen verwebten sich alle Gedanken;

Auch noch waren die Zeiten vereint des Jahrs und des Tages.

Abendkühlung umhauchte die Stirn, und es leuchtete Morgen,

Glühender Hoffnung Rose gesellt mit der Blume des Friedens;

Ja, auch des Tages strahlende Kraft und der dunkelen Fülle

Nächtliches Segens Geheimnis, sie waren noch herrlich verbunden.

Ewiger Frühling umschlang den Blumengürtel der Erde,

Und es alterten niemals der seligen Menschen Geschlechter.


Quelle:
Friedrich von Schlegel: Dichtungen, München u.a. 1962, S. 285-286.
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