Prolog zu Lessings Nathan

[286] Die Dichtkunst


Unzählig sind die frohen Kinder meiner Lust,

Die ich aus dunkelm Schoß erzeugend aufgebracht,

Daß sie nun Himmel atmend lichte Sterne schaun. –

Was auf des Frühlings grünem Teppich munter spielt,

Mit mutigen Gesellen jugendlich vereint,

Und frei sich seines Lebens freut in raschem Kampf,

Im Spiel der heißen Triebe; oder was auch still

Verborgen, leise Schönheit duftet in dem Grün,

Aus offnem Kelche dann dem Licht sein eigen Bild,

Ein kleiner Farbenhimmel, kindlich wiedergibt,

In einen Blick und Freudenblitz den Geist verhaucht;

Ja, was nur atmet, grünet, lebet und sich sehnt;

In allem atmet, schlägt und regt, sehnt sich und treibt

Die eine alldurchdringend nie durchdrungne Kraft,

Der treuen Mutter ewig liebeschaffend Herz.

Doch wenn die Sommerlust entflohn, die Pracht verblüht,

Von Schmuck entblößt, ganz traurend nur ich schein' und kalt,

Dann denkt das Herz in stiller Tiefe andres aus;

Ein sinnreich künstlich Bilden schafft der kühne Fleiß,[286]

Vielfach verschlungen webend, was er schlau erdacht.

Oft wenn die Laune eigenwillig es befiehlt,

Ein scherzend Spiel nur, denn die wildeste Gestalt,

Die sonderbarste ist's, die sich der Witz erwählt.

Der Worte rätselvoll verworr'n sinnbildend Spiel

Wird hier erdacht; und was den Menschen wohl bewegt

Zu staunen über seines Gleichen, daß der Mensch –

Dies wundervoll Gewächse, gottverwandte Tier,

Des Lebens Blume, helles Aug' und Freudenlicht,

Der Mutter höchste Lust und lieblichstes Geschöpf –

So wundervoll gebildet und gebaut sein kann;

So seltsamlich gemischt in seinem Hirn der Ernst

Und Laun' und Spott, sinnreicher Witz und Lieb' und Zorn,

Allmächtiger Gedanken schaffendes Geheiß,

Und wieder tiefes Sehnen, leiser Wünsche Hauch

In stiller Brust und sanfte Demut, zarte Scheu;

So eigen jeder, eine kleine Welt für sich.

Denn mir mißfällt von Herzensgrunde was nur gleich

Sich selbst einförmig wiederholend immer bleibt.

Was ich mit Lieb' und Lust erschaff', ist mannichfalt,

Und frei und kühn, und mutig bahnt sich's neuen Weg.

So schuf ich einst in stiller heitrer Winternacht

Da jeder Stern am Himmel freundlich niederschien,

Ein reichbegabtes lichtanstrebendes Gemüt.

Ein Künstler, sann ich, soll es werden mir zur Lust,

Mit schlauen Sinnen reich versehn und heiterm Geist,

Voll tiefer Absicht, allbeginnend, fein gewebt;

Und wie ich nun so sinnend bilde die Gestalt,

In sie vertieft, trifft mich, ich weiß nicht wie, ein Zorn,

Indem ich an das Schlechte denke in der Welt,

Das Ungeziefer, das den schönen Garten mir

Geschändet, wüster Zeiten Unkraut und Gewächs,

Das schlechte Machwerk, das zum Spott nur Leben äfft.

Und wie ich nun den Sohn betracht' und seine Not,

Die er in buntverwirrter Welt wohl bald erlebt,

Schulmeister, Anverwandte, Publikum, Geschwätz,

Die Menge Bücher, Handel und Betriebsamkeit,

Den Rat der Narren, Obrigkeit und tolles Zeug;

Wie heiß ich war von Zorne, lacht' ich dennoch laut.

So ging durch eigne Unvorsichtigkeit mir gleich

Die schönste Bildung fast zerstückt! Da ward mir's leid;[287]

Ich nahm den jungen Geist und taucht' ihn ein in Stahl,

Auf daß er eisenkräftig würde, Pöbels Tun

Und Schrei'n nicht allzu zart empfänd'; ich haucht' ihn an,

Und Feuer regt sich glühend in der Adern Schlag.

Da blickt er zu mir auf voll Dank; ich lächl' ihn an,

Und von dem Lächeln leuchtet noch sein Falkenblick,

Und heitres Licht wohnt auf des Sehers heller Stirn.

So warf ich an des Lebens kalten Strand ihn aus;

Er immer rege, forschend, wandelnd, stets bemüht,

Umfragend, ward des rechten Weges bald gewahr;

Den andern deutend bahnt er selber kräft'ge Spur;

Und trat ihm Dummheit, platter Pöbel in den Weg,

Da sprüht er hellen Witzes Funken weit umher,

Und manchen traf der tödlich schneidend scharfe Schlag.

So blieb der Teure stets mein lieber teurer Sohn,

Sein Angedenken mir im Herzen fest und wert;

Und tret' heraufgestiegen, Göttin, kühnlich auf

Zu dieser seiner Namensfeier, das Gedicht,

Wo sich sein Geist am reinsten selber ausgedrückt,

Zu loben, deuten, anzukünden. Ein Gedicht,

Wo all den Trotz ihr find't, Mutwill' und spröde Kraft,

Die gute Laune, was ihr sonst an ihm verehrt,

Und wahrlich auch das grade Herz, den lichten Ernst.

Drum laßt es euch nicht irren, wenn nicht alles gleich

Vortrefflich ausgebildet und gefeilt hier ist,

Und nur wie man im Zimmer, auf dem Markte spricht,

Die Prosa hier gesprochen wird, die Menschen auch

Nicht alle gleichbedeutend immer geistvoll sind.

Das lautre Gold ist dennoch gut, wer es auch bringt;

Der Wahrheit Gold in schlichte Fabel eingewürkt.

Und wenn der König hie und da nicht edel spricht,

So ist der Bettler dafür königlich gesinnt.


Quelle:
Friedrich von Schlegel: Dichtungen, München u.a. 1962, S. 286-288.
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