Die Freudige

[205] Die Träume verschwinden, Aurora erscheint.

Es lebte und strebte verschlossen im Dunkel

Die Kraft meiner Liebe wie Licht des Karfunkel,

Bis da ich umarmte dich, ewigen Freund.

Zu dir hab' ich frühe die Tränen geweint,

Noch eh' ich die Sonne des Lebens erkannte,

Noch eh' ich im Feuer der Freude entbrannte,

Im Herzen des Herzens dich immer gemeint.


Nun darf ich der Freude Musik nicht entfliehen;

Es sind ja die Schmerzen in Wohllaut verschwunden.

Kühn heb' ich die Stirne von Kränzen umwunden,

Zu singen mit dir der Lust Harmonien.

Ja wollte hinunter der Abgrund uns ziehen,

Und wäre zum Tode die Braut nur erwacht;

Wo du mir zugegen, da leuchtet die Nacht,

Und möchte am Himmel die Sonne verblühen.


Ich schaue vom Felsen den Teppich der Fluren,

Als hätt' ich sie nie zuvor noch gesehen,

Die Wasser, die Bäume, so Kühlung uns wehen,

Das freudige Spiel der jungen Naturen;

An Sternen, in Blumen die heiligen Spuren,

Ich kann es nicht sagen, doch fühl' ich die Tiefe,

Als ob aus der Ferne Aurora mich riefe,

Ein leuchtender Wink aus dunkeln Azuren.


Wie dürstet mich ach! nach den himmlischen Quellen.

Das Dunkel ist klar, und offen die Pforte,

Ich höre der Mutter erzeugende Worte,

Ich sehe der Liebe das Leben entquellen.

Ich kann nicht entsteigen den lieblichen Wellen,

So dringen zur Seele die süßesten Gluten;

Die Erde begrüßt mich, in Frühlinges Fluten,

Ich fühle die Sehnsucht den Busen mir schwellen.


Quelle:
Friedrich von Schlegel: Dichtungen, München u.a. 1962, S. 205.
Lizenz:
Kategorien: