Das 2. Capitel.
Wenn man gewiß will wissen / ob ein Kind beschryen sey / oder nicht / so muß es die Mutter an der Stirne lecken; ist das Kind beschryen / so schmeckt die Stirn gesaltzen.

[14] Dieses ist aller super-klugen Weiber ihre gäntzliche Meynung. Ich kan es aber nach meinem wenigen Verstande nicht begreiffen / wie durch das Beschreyen solte Saltz an des Kindes Stirn kommen; ja, ich halte vielmehr das Beschreyen gar für nichts, sondern achte davor / es sey eine Erfindung des Teufels; denn wenn denen armen kleinen Kindern offt ein und andere Kranckheit anhänget, die durch ordentliche Artzney-Mittel am besten zu heben wäre, giebt der Teufel[14] denen abergläubischen Vetteln ein, ob sey das Kind beschryen / da werden die ordentliche Mittel verachtet, hingegen das Kind wird mit allerhand abergläubischen Teufels-Possen, zum Exempel: Kehrich aus 4. Winckeln, Abgeschabts von 4. Tisch Ecken neunerley Holtz und dergleichen geschmäuchet und geräuchert daß offtmahls gar das Fresel oder schwere Noth darzu schlägt / darüber das Kind gar stirbt, alsdenn sagen die alten Vetteln, es sey auf den Todt beschryen gewesen. Hierüber hat denn der Teufel seine absonderliche Freude, weil er nicht alleine bey denen Müttern einen Aberglauben erwecket, sondern auch, als ein abgesagter Feind des gantzen menschlichen Geschlechts, an unschuldigen Kindern, durch dero unbesonnene Eltern, eine Hencker mäßige Ritterthat ausgewürcket hat. Daß ich aber auch noch erweise, daß der gesaltzene Geschmack an der Kinder Stirne nicht vom Beschreyen herkomme, so bitte ich, es wollen die Mütter an denen gantz gesunden Kindern, welche nicht kürtzlich gebadet oder gewaschen sind, die Stirnen lecken, so wette ich / daß sie mehrentheils einen saltzigen Geschmack empfinden werden. Und kömmt solcher Geschmack her von dem Schweiß, der an der Stirn (weil solche mehrentheils frey ist, und mit denen Tüchern nicht, wie andere Theile des Leibes, abgewischet wird,) vertrocknet. Und wie bekannt, daß aller Schweiß von Natur saltzig schmeckt, so kan er demnach an der Stirn auch nicht anders schmecken. Wenn nun die Kinder kranck sind, werden sie gemeiniglich[15] nicht gebadet, und weil zu solcher Zeit der durch die bey sich habende Hitze häufig ausbrechende Schweiß auch destomehr vertrocknet, so schmecket die Stirn desto saltziger; und ist demnach gar eine elende Probe und ungegründeter Beweiß, daß ein solch Kind beschryen sey, und ist das so genannte Beschreyen nichts, als ein närrischer Weiber-Traum; ein non-ens, oder Unding, wie mit mehrern in folgenden zu ersehen seyn wird.

Quelle:
Schmidt, Johann Georg: Die gestriegelte Rocken- Philosophie. 2 Bände, Chemnitz 1718 (Bd. 1), 1722 (Bd. 2), [Nachdruck Weinheim; Deerfield Beach, Florida 1987]., S. 14-16.
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