Das 25. Capitel.
Mit einem kleinen Kinde soll man unter einem Jahre nicht in Keller gehen / es wird sonst furchtsam.

[51] Daß es im Keller finster ist, das ist bekannt, und wo es finster ist, da ists auch furchtsam, ergo, ein Kind, das unter einem Jahre in einen Keller getragen wird /das muß ja solchergestalt furchtsam werden. Ey du unvergleichlich-schöne Erfindung! komme einer, und tadele nun etwas dran. Victoria! die Weiber haben recht behalten, biß hinter die Keller-Thür, daher verdrüßt mich es nicht wenig, daß ich ihnen soll Recht geben / muß mich demnach vor ihnen in Keller verkrichen; aber da ich ietzt gleich die Treppe hinunter schleiche, erinnere ich mich noch eines Streiches, der mich wieder behertzt macht mit ihnen noch ein klein Treffen zu wagen. Ich erinnere mich, daß, da ich mich ungefehr vor 18. Jahren in einer bekannten Stadt aufhielte, und selbige[51] fast gäntzlich durch eine unverhoffte Feuers-Brunst in die Asche geleget wurde, sich es zutrug, daß nach dem Brande unterschiedliche Leute, wegen ermangelnder Herberge, in denen auf ihren Brandstellen befindlichen Kellern wohneten, welches auch einen feinen Bürger betraff, dessen Weib hoch schwanger war / also, daß sie in dem Keller ihre Geburt verrichten, und auch darinnen die Wochen aushalten muste, zu mir aber hatten die Eltern das Christliche Vertrauen, daß ich ihres Kindes Pathe seyn muste. Wie ich nun vor zweyen Jahren ohngefehr meinem Gevatter begegnete, und bey solcher Gelegenheit ihn fragte, ob mein Pathe noch am Leben sey, und ob er auch was rechtschaffnes lernte? So bekam ich die Antwort, daß er bald so groß sey, wie der Vater, und wäre ietzt bey einem vornehmen Herrn, der ihn die Jägerey lernen ließ, er hätte auch sonsten zu nichts anders Lust, und lachte ihm sein Hertz im Leibe, wenn er nur Tag und Nacht im Walde seyn solte. Hier sagen mir nun die super-klugen Weiber ihre Meynung, wo bey diesem Knaben / der nicht nur unter einem Jahre in Keller getragen, sondern auch gar darinnen gebohren worden ist, die Furcht hinkommen sey? Denn das ist in aller Welt offenbar, daß keine behertztere Leute sind, als die Jäger. Demnach behaupte ich abermahl in derer Weiber Glaubens-Puncten das Gegentheil, und sage: Die Kinder, die unter einem Jahre in Keller getragen werden / die werden nicht furchtsam; und gebe ich dieses zur Ursach an, weil hierdurch die Kinder alsobald[52] gewöhnet werden, weder finstere Winckel, noch andere düstere Oerter zu fürchten, denn ein Kind, deme man bey Zeiten hat entdecket, wer der Ruppert sey, das fürchtet sich bey weiten nicht so sehr vor denselben, als ein anders, das noch nicht weiß, wer er ist / ob es gleich noch eins so alt wäre, als jenes. Demnach tragen die albern Weiber abermahl nicht viel Ehre mit ihrer eingebildeten Victoria davon.

Quelle:
Schmidt, Johann Georg: Die gestriegelte Rocken- Philosophie. 2 Bände, Chemnitz 1718 (Bd. 1), 1722 (Bd. 2), [Nachdruck Weinheim; Deerfield Beach, Florida 1987]., S. 51-53.
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