Das 29. Capitel.
Wenn ein Kind soll 100. Jahr alt werden / muß man aus drey Kirch-Spielen die Gevattern darzu bitten.

[60] Ich stehe gäntzlich in den Gedancken, es gehet hierbey ein Error bey denen super-klugen Weibern vor, und soll irgend an statt 3. Kirch-Spiele, 3. Theile der Welt heissen, weil darzu eine seine lange Zeit erfordert würde, ehe die Gevattern zusammen zu bringen wären. Denn, was können 3. Kirch-Spiele hierbey thun, und kan solches in denen meisten grossen Städten gar mit leichter Mühe ins Werck gesetzet werden; denn wo 3. Kirchen in einer Stadt sind, ist es bald gethan, alleine ich glaube, daß es / wie gedacht, ein Irrthum sey; ist es aber keiner, sondern Ernst, so ist es ja eine rechte offenbare Narrheit, denn wie vielmahl trägt sichs in Städten zu, daß aus 3. Kirchspielen die Gevattern ersucht werden, aber wo sind denn die hundert-jährigen Leute? Solten sich demnach die abergläubischen Weiber[60] ins Hertze hinein schämen, daß sie so unbedachtsam eine Sache vorgeben, und einfältige Leute mit solchen alt-vettelischen und abgöttischen Lügen bereden mögen. Aber, ohnerachtet der Betrug am hellen Tage lieget, so giebts doch noch hier und da albere Narren, die solchen Lügen glauben, und diese Kunst an ihren Kindern mit allem Fleiß versuchen, und noch wohl so thöricht seyn, und sagen, wenn es ohngefehr geschähe, so thäte der Glaube das beste dabey. O du schöner Glaube du, daß du mir nicht irgend wegkömmst.

Quelle:
Schmidt, Johann Georg: Die gestriegelte Rocken- Philosophie. 2 Bände, Chemnitz 1718 (Bd. 1), 1722 (Bd. 2), [Nachdruck Weinheim; Deerfield Beach, Florida 1987]., S. 60-61.
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