Das 30. Capitel.
Wenn die Kinder in der Tauffe schreyen / sterben sie bald / und werden nicht alt.

[61] Weil die bösen Weiber, ohne einige Condition, absolute auf der Meynung bleiben, daß die Kinder, so in der Tauffe schreyen, bald stürben, so wird es billig als ein straffbarer Aberglaube gehalten. Denn obgleich ein Kind, das in der Tauffe schreyet, die Vermuthung und den Verdacht machet, ob habe es Reissen im Leibgen, oder andere Schmertzen, davon leicht noch mehr Unfälle bey einem solchen schwachen Kinde entstehen können, die es hernach gar zum Tode befördern; so ist dennoch bey weiten kein gewiß Argument draus zu machen, und könte ohne Mühe hierwieder das Contrarium behauptet werden. Z.E. Ich sage, die Kinder / die in der Tauffe nicht schreyen, die werden schwerlich alt werden, weil sie so matt sind, daß sie nicht schreyen können. Oder, wenn die[61] Kinder brav schreyen in der Tauffe / so sage ich, das Kind wird alt werden, denn es war so fein munter, und kunte so wacker schreyen in der Tauffe, es hatte noch gute Kräffte, und s.f.a. Wer will uns nun in diesem Streit entscheiden? In Wahrheit / der bloß gefaßte albere Aberglaube kan es nickt thun. Und weil ich täglich sehe, daß Kinder sterben, die nicht in der Tauffe geschryen haben, so achte ich diesen Glaubens-Artickel vor eine teuffliche Erfindung, dergleichen Beschaffenheit es mit allen Aberglauben hat.

Quelle:
Schmidt, Johann Georg: Die gestriegelte Rocken- Philosophie. 2 Bände, Chemnitz 1718 (Bd. 1), 1722 (Bd. 2), [Nachdruck Weinheim; Deerfield Beach, Florida 1987]., S. 61-62.
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