Das 58. Capitel.
Wer zu Gevattern stehen soll / und hat sich schon angezogen / zur Kirchen zu gehen / der soll nicht erst s.v. das Wasser abschlagen / sonst thut das Pathgen dergleichen ins Bett.

[97] Wenn ich aber das Gegentheil statuirte, und spräche: Wenn die Pathen nicht erst ihr Wasser abschlagen, ehe sie in die Kirche zur Heil. Tauffe gehen, so thut das Kind dergleichen ins Bette; wie woltet ihr Abergläubischen mir wohl mit Grund widersprechen, und eure Meynung dargegen richtig behaupten und erweisen? Es dürffte versichert so schwer zugehen, daß ihr mir eher würdet gewonnen geben. Es sind alle Kinder in der gantzen Welt / ehe sie ein Jahr erlebet, auch offt wohl länger, mit dergleichen Fehler und Schwachheit behafftet; Was sie nun über Jahr und Tag gewohnet sind, das continuiren sie gemeinig ich so lange, biß sie entweder durch Beschämen, Schelten, oder auch Schläge, davon entwöhnet werden. Zum Exempel, fast alle Kinder pflegen erst auf ein Jahr an der Mutter Brust zu trincken, und nach einem Jahre entwöhnet zu[97] werden, also, daß nach zweyen Jahren ein solch Kind nicht viel nähme, und sich wieder an der Mutter Brust legte. Aber wenn sich eine Mutter vorsetzte, sie wolte ihr Kind unter 4. biß 5. Jahren nicht entwöhnen, ließ es auch würcklich ohne Beschämung oder Schelten so lange trincken, so setz ich meine Ehre zum Pfande, ein solch Kind wird sich noch im fünfften Jahre ohne Schaam an der Mutter Brust machen, und trincken; und hieran ist nicht das Kind schuld, vielweniger etwas anders, sondern die Mutter, die solche Albertät so lange gestattet, und ihr Kind nicht anders gewöhnet hat. Gleicher Gestalt ist es auch mit der biß in das dritte und vierdte Jahr continuirenden und heßlichen Benetzung der Betten beschaffen; es kömmt alleine auf euch Mütter und eure gute Zucht an / keines weges aber auf vorgegebene Verwahrlosung des Pathen. Denn, wenn euer Kind lange das Bette also verunehret, woher wollet ihr denn wissen, daß sein Pathe habe das Wasser abgeschlagen, ehe er zur Kirchen gangen ist, denn ihr habts nicht gesehen. Ich setze aber den Fall, ihr hättet es selbst gesehen, so könnet ihr doch nicht erweisen, daß dieses die Ursach sey, daß euer Kind dergleichen Fehler begehet; sonst würde man unzählich viel dergleichen auf die Bahn bringen können. Zum Exempel, wenn ein Pathe in der Kirchen hustet, und das Kind bekäme einmahl auch den Husten und ihr woltet davor halten daß es durch des Pathen Husten in der Kirche sey verwahrloset worden. Wie nun dieses nicht wahr ist, so ist jenes nicht besser; glaubet mir.

Quelle:
Schmidt, Johann Georg: Die gestriegelte Rocken- Philosophie. 2 Bände, Chemnitz 1718 (Bd. 1), 1722 (Bd. 2), [Nachdruck Weinheim; Deerfield Beach, Florida 1987]., S. 97-98.
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