Das 59. Capitel.
Es ist nicht gut / wenn man des Morgens ausgehet /und begegnet einem ein altes Weib.

[98] Das Alter soll billich geehret werden, so wohl an Manns- als Weibs-Personen, denn diese sind so wohl Menschen, als jene; ein ieglicher Mensch will gern ein ehrlich hohes Alter erreichen, er mag männ- oder weibliches Geschlechts seyn. Das aber ist gewiß, und eine bekannte, aber auch unchristliche Sache, daß fast kein Mensch verächtlicher ist, als ein altes Weib, was aber dessen Ursach sey, kan ich eigentlich nicht wissen; ich glaube aber, daß die schröcklichen Laster, welche von manchen alten Vetteln verübet werden, hierzu Anlaß geben, daher auch das bekannte Sprichwort entstanden: Wo der Teufel nicht hinkommen kan, da schicket er ein alt Weib hin. Unrecht ist es aber, daß die Feindschafft gegen die alten Weiber so general worden ist, und man fast keinen Unterschied machet, unter alten erbaren Christlichen Matronen, und unter alten Ehrvergessenen Gauckel-Huren; denn, was kan eine alte erbare Frau dafür, daß eine andere eine alte Koppel Hure ist? was kan eine ehrliche /christliche und andächtige alte Mutter davor, daß eine andere mit Seegensprechen, Aberglauben und Zaubern sich beschmitzt? dahero billig ein Unterschied zu machen ist, wiewohl man keiner ins Hertz sehen kan, und dahero es mit der bösen Beschuldigung ein gefährlich Werck ist, wo nicht die bösen Thaten[99] offenbahr sind. Das scheinet zwar nicht unwahr zu seyn, daß mehrentheils die alten Weiber unter der Canaille, nicht viel ehrliche Adern in ihren Leibern tragen. Denn, woher kommen wohl mehrentheils die schönen Aberglauben welche ich ietzt widerlege, als eben von solchen alten Wettermacherinnen, und haben sie diesen ietzt vorhabenden Glaubens-Punct zu ihrer eigenen Schande ersonnen. Wie ich denn selbst offt von dergleichen alten Weibern gehöret habe, daß sie ihre eigene Schande nicht haben verschweigen können, sondern, weß das Hertz voll gewesen, davon ist der Mund übergangen; mag ich demnach solchen gottlosen alten Weibern das Wort nicht reden, sondern lasse diesen vorhabenden Punct mit der Condition stehen, daß, soferne man früh ausgienge oder ritte, und begegnete einem eine alte Zauberin, welche durch ihre Hexerey und Vergifftung einem Schaden zuzufügen trachtete, so ists gewiß nicht gut; ist aber das alte Weib ehrlich und Christlich gesinnet, so wird es so wenig, ja viel weniger schaden, als wenn einem eine junge Hure oder ein junger Dieb begegnete.

Quelle:
Schmidt, Johann Georg: Die gestriegelte Rocken- Philosophie. 2 Bände, Chemnitz 1718 (Bd. 1), 1722 (Bd. 2), [Nachdruck Weinheim; Deerfield Beach, Florida 1987]., S. 98-100.
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