Das 77. Capitel.
Wenn ein Kind das Aelterlein hat / soll man es lassen in Backofen schieben.

[123] Wie offt die armen unschuldigen Kinder derer alten Zauber-Huren ihre Probir-Steine seyn müssen, wenn sie, durch des Teufels Eingeben, erlernete Künste versuchen wollen, ist nicht genug zu beschreiben. Wenn manch armes schwach- und krafftloses Kind lange satt unter den Foltern der Nase-weisen Vetteln, mit Räuchern, Seegensprechen, Baden und dergleichen ist gemartert worden / unter dem Vorwand, ob sey es beschryen, und will doch gleich wohl nicht besser werden; alsdenn studiret des Teufels Gelichter auf etwas anders, welches aber eben auf vorige Mode kömmt, nehmlich, sie sagen alsdenn: Das Kind sey nicht beschryen / sondern es habe das Aelterlein. Was aber dieses vor ein Wunder-Thier sey, das wissen sie so wenig, als wenn sie sagen sollen, was das Jüdel sey, und vermeynen die Sache gar wohl beantwortet zu haben, wenn sie sagen: Es heist das Aelterle; die Kinder aber / welchen das so genannte Aelterlein angedichtet wird,[123] sind solche, die vom Fleisch und allen Kräfften gekommen, und einem Todten-Gerippe ähnlicher sehen, als einem lebendigen Menschen. Und ob sie gleich viel essen und trincken, so gedeyet ihnen solches doch nicht zur Nahrung, sondern weil in dem Magen eine hefftige Säure und Schärffe ist, welche stets einen Wolffs-Hunger erreget, und die eingenommene Speise stracks in eine schädliche materie verwandelt, daß hernach nichts anders davon ins Geblüt gehet, als eine scharffe verzehrende Feuchtigkeit, so verdorren alsdenn solche arme Kinder, und schrumpelt ihnen die Haut endlich zusammen, als wie bey sehr alten Leuten. Ob nun zwar wohl solchen armen kleinen Patienten / nach und nach, durch dienliche Artzney-Mittel könte wieder geholffen werden, so wird doch leider! mehrentheils solche nöthige Hülffe unterbrochen, wenn sich nehmlich allerhand nichts-werthe alte Zauber-Huren aufwerffen, und ihre verfluchte Hülffe anbieten / da sie doch nicht sagen können, woher solche Beschwerung komme. Auf daß sie aber gleichwohl nicht möchten vor unerfahren geachtet werden, geben sie der Kranckheit närrische und nachdenckliche Nahmen, und bedienen sich auch eben dergleichen toller Hülffs-Mittel, die aber eher verdienten Hencker-Foltern, als Hülffs-Mittel genennet zu werden. Denn erst sagen sie, das Kind hätte die Mitesser; wenn aber die darwider gebrauchte Mittel nicht anschlagen / so geben sie für, es sey beschryen und martern es auf eine andere Art mit Baden und Räuchern; will es noch nichts helffen[124] muß es das Aelterlein heissen, und nehmen diesen Nahmen und Benennung her von der Gestalt der kleinen Patienten, weil sie wie alte Leute aussehn; die Weiber wollen es aber recht klug geben, weil es gantz junge Kinder sind, und die Kranckheit nicht das Alter nennen, sondern richten sich nach dem Patienten, und gebrauchen das Wort in Diminutivo, und sagen, es hiesse das Aelterle. An statt aber eines heilsamen ordentlichen Hülffs-Mittels haben sie ein verzweifeltes Mord-Mittel ersonnen, nehmlich: Sie binden die Arme dem ohnedem schmachtenden Kinde auf eine Kuchen-Scheibe / und schieben solche, nach ausgenommenen Brodte, etliche mahl in einen Back-Ofen, daß es nicht Wunder wäre /das Kind erstickte in der Hitze, oder bekäme die schwere Noth, hierzu murmeln sie sachte etwas, welches ich aber nicht erfahren kan, was es für Worte seyn mögen; zweifelsfrey aber wird es wider das andere Gebot lauffen. Und also wolle ein Mensch erwegen, ob Eltern mit guten Gewissen ihre krancken Kinder solchen Hencker-mäßigen Teufels-Vetteln in ihre Cur geben können?

Quelle:
Schmidt, Johann Georg: Die gestriegelte Rocken- Philosophie. 2 Bände, Chemnitz 1718 (Bd. 1), 1722 (Bd. 2), [Nachdruck Weinheim; Deerfield Beach, Florida 1987]., S. 123-125.
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