Das 79. Capitel.
Die neugebohrnen Kinder soll man die ersten 3. Sonntage fein anputzen / so stehen ihnen ins künfftige die Kleider schön.

[126] Dieses ist eine solche albere abgeschmackte Thorheit, daß man sich schämen solte / solche unter Christen verspüret zu haben. Vor ohngefehr einem Jahre kam ich in eine Stube, allwo eine Wöchnerin lag, und in der neben dem Wochen-Bette stehenden Wiege lag ein auf vorbeschriebene Art geschleyertes Aeffgen, und hatte eine dermassen grosse Fontange auf dem Köpffgen, daß das gantze Kind hätte können damit bedeckt werden; über welche Gestalt ich mich des Lachens nicht enthalten kunte, und fragte: Wo denn das Bild aus der Offenbahrung Johannis, 12. Cap. sey in die Wiege kommen? dieses wolte die Wöchnerin verschnuppen, und sagte: Es sey noch um einen Tag zu thun / so müsten doch die Leute aufhören zu reden. Als ich aber der Wöchnerin ihre Schwester nach der Bedeutung dieser Rede fragte, (denn ich verstund es nicht) bekam ich zur Antwort: Weil über acht Tage der dritte Sonntag wäre, an welchen sie das Kind anputzten, damit ihm ins künfftige die Kleider fein stehen möchten, so meynete ihre Schwester, die Wöchnerin / den dritten oder letzten Tag, alsdenn würde das Kind nicht wieder also angeputzt. Hieraus kan ich schliessen, daß manche Eltern mehr besorgt sind, wie ihre Kinder in Hoffart fein möchten aufwachsen / als in guten Christlichen Tugenden[127] erzogen werden. Wiewohl die närrische Ceremonien keinesweges den geringsten effect haben können, einen Menschen geschickt und wohl gewachsen zu machen / daß ihm ins künfftige die Kleider solten wohl anstehen. Wohlgewachsenen Leuten stehen wohlgemachte Kleider allzeit fein an; hingegen mache man ein Kleid so geschickt als man will, und ziehe es einem Krüpel an, ob es ihm werde wohl anstehen, wenn er auch gleich die ersten 3. Sonntage in einem güldenen Stück gelegen hätte. Oder soll vielleicht das drey Sonntägige Anputzen die Kinder behüten, daß sie ins künfftige keinen Schaden nehmen können, wodurch sonst einer lahm oder ein Krüpel wird, das wäre gewiß noch mehr eine straffbare Meynung und Abgötterey; ist demnach eine offenbare Thorheit, daß man mit denen kleinen unschuldigen Kindern solche unchristliche Dinge fürnimmt, welches GOtt gewiß an denen Eltern, wo nicht an solchen Kindern, die in der Eltern Fußstapffen treten, ernstlich straffen wird.

Quelle:
Schmidt, Johann Georg: Die gestriegelte Rocken- Philosophie. 2 Bände, Chemnitz 1718 (Bd. 1), 1722 (Bd. 2), [Nachdruck Weinheim; Deerfield Beach, Florida 1987]., S. 126-128.
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