Das 85. Capitel.
Wen einem die Ohren klingen / wird man belogen.

[135] Mancher / der mit allerhand verdrüßlichen Haupt-Flüssen beschweret ist, dürffte offt wohl wünschen, daß das Ohren-Klingen nur von Belügen herkäme, so hätte er Hoffnung, daß es bald würde wieder nachlassen / denn es heist: Hüt dich für der That, der Lügen wird wohl Rath; und würde gerne seine Flüsse mit einer angedachten Lüge vertauschen, wenn es angieng. Das ist zwar wahr, daß einem nichts unangenehmers kan in die Ohren klingen, als wenn man höret, daß man fälschlich belogen wird. Wie aber das soll zugehen / daß einem sollen die Ohren klingen /wenn man abwesend belogen wird, kan ich nicht begreiffen. Denn es kan durch keine Sympathie geschehen / weil zwischen dem Verleumbder und Verleumbdeten vielmehr eine Antipathie zu vermuthen ist. Auch wolle man nur bedencken, ob auch wohl viel Leute solten gefunden werden,[135] welche wohl in Jahr und Tag nicht einmahl solten belogen werden? Nun aber finden sich derer hingegen genug, denen in Jahr und Tag die Ohren nicht geklungen. Wenn nun das Belügen solte bas Ohren-Klingen verursachen, so müste folgen, daß gesunde Leute / denen die Ohren wohl in etlichen Jahren nicht klingen, auch so lange nicht belogen würden, welches doch mit der Erfahrung nicht überein kömmt. Mancher Mensch hingegen (sonderlich ein grosser Herr) wird täglich belogen, und klingen ihm dennoch niemahls die Ohren: Und der, welcher wohl am wenigsten in der Leute Mäuler kömmt, hat vom Ohren-Klingen die gröste Beschwerung.

Quelle:
Schmidt, Johann Georg: Die gestriegelte Rocken- Philosophie. 2 Bände, Chemnitz 1718 (Bd. 1), 1722 (Bd. 2), [Nachdruck Weinheim; Deerfield Beach, Florida 1987]., S. 135-136.
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