Das 89. Capitel.
Wer auf einem Marckte etwas feil hat / soll den ersten Käuffer nicht gehen lassen / solte man auch gleich die Waare wohlfeiler hingeben / als sonst.

[139] Hinter diesen und vorigen Punct stecket eine rechte List und Tockmäuserey derer betrüglichen Krämer und Verkäuffer. Und obgleich dieser Punct dem vorigen entgegen zu lauffen scheinet, so wissen doch die listigen Krämer mit beyden gar wohl zu rechte zu kommen, und um ihres Interesse willen, einem ieden Gnüge zu thun, wenn sie den Kauffer bereden, weil er der erste Kauffer sey, möchten sie ihn nicht gern gehen lassen; und damit[139] sie ihm gleichwohl aber auch den ersten Handkauff nicht verborgeten, so möchte er (woferne er nicht Geld hat zu baarer Zahlung) nur indessen einen Dreyer oder Groschen drauff bezahlen. Da denckt nun der betrogene Kauffer / es habe ihn ein Haase geleckt / und habe um des ersten Handkauffs willen, die Waare gar wohlfeil erhandelt, da er sie doch am theuersten angenommen hat. Es begiebt sich zwar auch wohl / daß zuweilen ein in Aberglauben ersoffener Kramer die erste Waare gutes Kauffs giebet, aber es gereicht dennoch zu seinem Nutzen. Denn wenn der Kauffer andern meldet, wie gutes Kauffs er seine Waare bey dem und dem erhalten hätte, so fällt alles daselbst zu, und vermeynet wohl zu kauffen; aber der Kramer weiß seine Sache schon zu machen, daß die übrigen betrogen werden. Dieses ist also die Ursach, warum mancher so steiff über diesen und vorigen Glaubens-Punct hält, da doch nichts als Betrug darunter stecket.

Quelle:
Schmidt, Johann Georg: Die gestriegelte Rocken- Philosophie. 2 Bände, Chemnitz 1718 (Bd. 1), 1722 (Bd. 2), [Nachdruck Weinheim; Deerfield Beach, Florida 1987]., S. 139-140.
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