Das 90. Capitel.
Ein Bräutigam soll seiner Liebsten / vor öffentlicher Verlöbniß / kein Messer oder Scheere kauffen / es wird sonst damit die Liebe zerschnitten.

[140] Da dencke man nur / was die Liebe vor ein zartes, weiches und gebrechliches Ding sey! stracks ist ein Loch hinein gestossen oder geschnitten, und nimmt mich Wunder, weil gleichwohl die Bräute sonst viel auf Scheeren halten, (denn[140] sie haben vor der Hochzeit viel zu nehen,) dennoch solch Unheil von denen Scheeren entstehen solle; und kan ich mir nicht einbilden, wie es zugehe, daß mit dem von dem Bräutigam gekaufften Messer oder Scheere stracks die Liebe soll zerschnitten werden? Denn weil doch die Braut ohne diß zum Essen ein Messer, und zum Nehen eine Scheere braucht, warum zerschneidet denn ihr eigen Messer und Scheere die Liebe nicht auch? da doch die Scheeren und Messer, die ein Bräutigam der Braut zu kauffen pfleget, gemeiniglich gar klein sind? Antwort: Eben darum, weil die Braut mehr vom Scheeren als kleinen Messergen hält, und lieber sähe, der Bräutigam versorgete sie mit einem rechten Schnitzer, (den sie in der Küche gebrauchen kan) als daß er ihr ein klein Messergen kaufft. Darüber wird freylich manche Jungfer Braut ungedultig, und sticht stracks mit solchen kleinen Messergen ein Loch in die Liebe, daß hernach der arme Bräutigam gnug wieder daran zu flicken hat. Dieses ist also meine Meynung über diesen Glaubens-Grund; wenn ein anderer eine bessere anzugeben weiß, so will ichs gern mit anhören.

Quelle:
Schmidt, Johann Georg: Die gestriegelte Rocken- Philosophie. 2 Bände, Chemnitz 1718 (Bd. 1), 1722 (Bd. 2), [Nachdruck Weinheim; Deerfield Beach, Florida 1987]., S. 140-141.
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