Das 92. Capitel.
Wenn man stillschweigend Wasser holet / muß es aus einem Flusse von oben hinabwarts geschöpffet werden.

[142] Das Ding ist überaus klug ausgesonnen. Denn wenn das Wasser dem Strohme entgegen geschöpfft würde, so ist zu vermuthen, daß durch solch widerwärtiges Schöpffen das Wasser auch eine widerwärtige Natur an sich nehmen werde. Hierbey fällt mir ein, was von einem Westphälischen Bauer erzehlet wird, dessen Weib ins Wasser gefallen, oder wie einige erzehlen, selbst hinein gesprungen war, sich zu ersäuffen. Da dieses dem Manne angesagt, und dabey die Gegend gewiesen wurde, wo sie hinein gefallen wäre, lieff er spornstreichs an dem Strom hinauf, und schrye nach seiner Frauen; wie ihm aber die Nachtbarn zurieffen, er müste hinabwarts gehen, antwortete er: Er wüste seiner Frauen ihre Natur am besten, sie hätte allezeit die Art gehabt, daß sie wider den Strom gestrebet hätte, also würde sie nicht ietzt diesen Augenblick ihre Natur geändert haben. Hätte der ehrliche[142] Mann sich auf das stillschweigende Wasser-Holen verstanden, so hätte er seine im still-schweigenden Wasser ersoffene Frau vielleicht nicht dem Fluß entgegen gesucht. Zum andern ist auch bewust, daß, wenn man dem Strome entgegen schöpffet, so gehet es nicht so stille zu, als wie bey dem Hinab-schöpffen, sondern es giebt ein grösser Geräusch. Ist dahero kein Wunder, daß das stillschweigende Wasser muß hinabwarts geschöpffet werden, und wenn es gebraucht ist, wozu es hat gesolt, so muß es auch wieder ins fliessende Wasser getragen, und dem Flusse nachgegossen werden, so kan es nicht fehlen, der Fluß nimmt alles mit hinweg. Diesem allen aber ungeachtet kömmt mir doch das stillschweigende Wasser, und dessen Krafft, sehr verdächtig vor. Alles Wasser ist ja stillschweigend Wasser, denn ich habe mein Lebtage kein redend Wasser gesehen. Wenn es aber daher also genennet wird, weil diejenige Person, die es holet, stille schweiget, und nichts redet, biß sie es an Ort und Stelle bringet (wiewohl / als ich einsmahls einer Magd mit einem Topffe begegnete, und sie fragte, was sie trüge? gab sie mir zur Antwort, sie hätte stillschweigend Wasser im Topffe;) so fragt sichs: Wie denn dem Wasser durch Stillschweigen eine Krafft könne einverleibet werden? Es ist denen Christen bekannt, daß das Gnaden-reiche Wasser des Lebens, nehmlich das Tauff-Wasser, seine Krafft vom Worte GOttes hat; Wie aber die abergläubischen Christen die Krafft ihres stillschweigenden Wassers erweisen wollen, will ich gerne[143] hören. Aber ich bilde mir ein, sie werden es wohl stillschweigend beantworten.

Quelle:
Schmidt, Johann Georg: Die gestriegelte Rocken- Philosophie. 2 Bände, Chemnitz 1718 (Bd. 1), 1722 (Bd. 2), [Nachdruck Weinheim; Deerfield Beach, Florida 1987]., S. 142-144.
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