Das 93. Capitel.
Den Abend vor Walburge soll man drey Creutze an die Thüren schreiben / sonst können einem die Hexen Schaden thun.

[144] Was ist doch ein blosses ohne gute Gedancken geschriebenes Creutz besser, als ein gemahlter Galgen? Ich achte, daß eines so viel nutzet als das andere, und wird der Teufel nichts nach allen Creutzen fragen, wenn gleich ein Mensch ein Kleid anhätte, welches aus lauter Creutzen bestünde. Wie denn auch ohne dem alles, was wir um und neben uns haben, aus lauter Creutzen bestehet, und trägt ein ieglicher ohne Unterlaß viel 1000. Creutze an sich; denn alle Leinwand, woraus unsere Hembden gemacht, alles Tuch und Zeige, woraus unsere Kleider bestehen, ist alles Creutz-weiß über einander gewircket, ingleichen alle Thüren bestehen aus Creutzen, über welche sowohl die Leisten qver über oder Creutz-weiß gehen, als auch die eisern Bänder, woran sie gehenckt sind, formiren Creutze, ja alles, wormit man umgehet, bestehet aus Creutzen. Wie viel Handwercker müssen Hämmer gebrauchen? Was ist aber ein Hammer anders, als ein Creutz? Ein Nagelbohrer ist ein Creutz. Wenn ein Holtzhauer ein Stück Holtz von einander schneidet, machet er mit der Säge und Holtz ein Creutz,[144] und so fort. Wie solte denn nun der Teufel und sein Anhang sich vor drey elenden mit Kreiden, Röthel oder Kohlen geschriebenen Creutzen fürchten? Das müst in Wahrheit ein elender Teufel seyn, der auch eben zu einer solchen Thüre hinein ins Gemach gehen müste, wo die Creutze angeschrieben. Was die Hexen anlanget, so ist noch lange nicht zur Gnüge erwiesen, daß solche in der Walburgis Nacht auf den Brockersberg reuten; und gesetzt, es sey wahrhafftig wahr, so lasset sie ins Geyers Nahmen reiten, ihre passage wird nicht eben durch unsere Häuser und Kammern gehen / und wenn sie auch ja dadurch ritten, so würden die Creutze an denen Thüren doch nichts helffen, denn die Hexen formiren ja selbst mit ihrer Reuterey ein Creutz, wenn sie über der Ofen-Gabel, dem Besen, oder gar dem Bocke sitzen. Bedenckts doch demnach ihr Thoren, ob ihr nicht lauter lacherliche Narren Possen biß anhero geglaubet habt /welche mehrentheils aus dem abergläubischen abgöttischen Pabstthum entsprungen sind? Nicht dem Creutz, sondern dem Gecreutzigten gebt die Ehre. Wolt ihr aber gute Gedancken über das Creutz Christi haben, so habt sie folgender massen:


1.

O Grobes Holtz!

Bist du so stoltz?

Wilst du dem zarten GOttes-Lamm den Rücken

Unschuldig gar zerqvetschen und zerdrücken?

Muß JEsus denn, durch ungebähnte Treppen,

Nach Golgatha das schwere Creutz selbst schleppen?


[145] 2.

Verdammtes Holtz!

Steh nicht so stoltz,

Daß GOttes Sohn an dir wird aufgehencket,

Mit Lästerungen liederlich gekräncket.

Ist diß der Danck, daß er dich hat erschaffen?

Und du kanst ihn so von der Erden raffen.


3.

Elendes Holtz!

Sey ja nicht stoltz,

Daß du den König aller Herren trägest,

Und dich bey seiner Marter nicht bewegest.

Siehst du die Erde nicht vor Angst erbeben,

Sich feste Felsen von einander geben?


4.

Verfinstert Holtz!

Sey nur nicht stoltz,

Dieweil das Licht der Welt an dir erbleichet-

Ist auf der Erden nichts, das dich erweichet?

Das gantze Land hat eine finstre Sonne,

Mehr schwartz, als eine Bech-beschmitzte Tonne.


5.

Ehrgeitzig Holtz!

Laß deinen Stoltz.

Die Uberschrifft des Königes der Jüden

Wird schwerlich dich zu seinem Scepter sieden.

Sein Königreich ist nicht von dieser Erden,

Und muß ein König doch geschrieben werden.


6.

Hoffärtig Holtz!

Sey doch nicht stoltz.

Kan JEsu Demuth allen Hohn verschmertzen,

So magst du deinen Hochmuth wohl ausmertzen.

Und köntest du den höchsten Berg erlangen,

So bleibt an dir die Demuth doch nicht hangen.


7.

Erstorben Holtz!

Was soll dein Stoltz?[146]

Muß gleich der Fürst des Lebens an dir sterben,

So kan er doch im Tode nicht verderben.

Dich aber wird der Tod zum Tod verfluchen,

Und deine Stätte in der Aschen suchen.


8.

Verfluchtes Holtz!

Was macht dein Stoltz?

Vielleicht, dieweil das Heil hängt angenagelt,

Auf welches allen Fluch der Teufel hagelt

Ists denn wohl recht, daß du den Himmels-Seegen,

Läßt so verfluchten Schimpff und Spott anlegen?


9.

Erhaben Holtz!

So hat dein Stoltz

Sich mit der Höllen-Schlange so verglichen,

Zum Weibes-Saamen in die Höh zu kriechen,

Den Fersen Stich ihn listig anzubringen;

Doch muß der Schlangen es zum Tod gelingen.


10.

Betrogen Holtz!

Du bist wohl stoltz,

Daß du des Menschen Sohn so hoch gezogen;

Doch mit der Schlangen von dem Wort betrogen.

Denn GOtt und Mensch hat jener Kopff zertreten,

Und ander Holtz läßt sich vor dich anbeten.


11.

Du Abgott-Holtz!

Betreugest stoltz:

Ist etwas ja von dir noch überblieben;

Laß dich den Pabst und seinen Anhang lieben.

GOtt den Gecreutzigten will ich nur wissen,

Nicht dich; doch ihn und seine Wunden küssen.


12.

O fruchtbar Holtz!

Sey nimmer stoltz;

Du kanst von deiner Frucht mit Wahrheit sagen:

Daß nie kein Baum dergleichen hat getragen:

Die alleredelsten und besten Früchte

Sind die, die uns befreyen vom Gerichte.


[147] 13.

O Todten-Holtz!

Sey immer stoltz;

Denn die Drey-Einigkeit aus GOttes Reiche,

Gönnt in der Lufft dir eine reine Leiche.

GOtt hängt erwürgt, der Lebens-Fürst am Creutze,

Daß er die Todten zu dem Leben reitze.


14.

Du stummes Holtz!

Sey nur nicht stoltz!

Daß du dem Wort must eine Cantzel werden;

Es hat wohl eh gepredigt auf der Erden.

Mein ist der Trost, daß GOtt für mich GOtt bittet.

Wie seine Creutziger er selbst vertrittet.


15.

Holtz! du bist Holtz!

Und ich bin stoltz,

Denn JEsus, als der edle Baum des Lebens,

Nicht ungefehr verdammet und vergebens:

Vielmehr freywillig an dir wollen hangen,

Die Arme ausgespannt, mich zu umfangen.


Hr. Joh. Daniel Schneider / Dresd.

Quelle:
Schmidt, Johann Georg: Die gestriegelte Rocken- Philosophie. 2 Bände, Chemnitz 1718 (Bd. 1), 1722 (Bd. 2), [Nachdruck Weinheim; Deerfield Beach, Florida 1987]., S. 144-148.
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