Das 98. Capitel.
Wenn eine Magd zu einem neuen Herrn ziehet, soll sie stracks bey dem Anzuge ins Ofen-Loch gucken.

[152] Ich fragte einsmahls eine bey mir anziehende Magd, was es zu bedeuten hätte, daß sie stracks ins Ofen Loch guckete? Die gab mir zur Antwort: Sie wüste es nicht; und gleichwohl lieff sie stracks, da sie ins Hauß kam, nach den Ofen-Loche, und verbracht also die herrliche Mägde-Gewohnheit, ob sie gleich nicht wuste warum. Andere aber haben gesagt, es geschehe darum, auf daß sie bald gewohnten. Auf was Art nun das Ofen-Gucken verhelffen mag, daß die Magd eher als sonst eingewohnet, ist mir unwissend. Hingegen erinnere ich mich dessen wohl, daß eine Magd, welche gar bedachtsam ins Ofen-Loch gegucket hatte, dennoch 14. Tage nach ihren Anzuge wieder entlieff; woraus ja zur Gnüge erhellet, wie richtig dieser Glaubens-Punct sey. Zwar kan sichs wohl einmahl begeben haben, daß eine Magd beym Anzuge in Ofen gesehen, und einen praven Topff mit Fleisch am Feuer stehen gefunden welches ihr stracks einen Appetit erwecket, in solcher fetten Küchen bey denen Fleisch-Töpffen zu verbleiben, zumahl wenn sie irgend vorhero bey einem kargen oder hungerigen Herrn gedienet hat. Aber damit ists noch lange nicht ausgemacht, daß das Ofen-Gucken zur Einwohnung denen Mägden universal seyn müsse.

Quelle:
Schmidt, Johann Georg: Die gestriegelte Rocken- Philosophie. 2 Bände, Chemnitz 1718 (Bd. 1), 1722 (Bd. 2), [Nachdruck Weinheim; Deerfield Beach, Florida 1987]., S. 152.
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