Das 99. Capitel.
Wer Lein säen lässet / soll dem Sämann ein Trinckgeld geben, sonst verdirbt der Flachs.

[152] Es müste einer gar eine dicke Nase haben, und hefftig mit dem Schnupffen beladen seyn, der nicht riechen wolle, wornach diese Meynung stincke, oder woher sie entstanden wäre. Denn es wird sich schwerlich ein vernünfftiger Mensch[152] einbilden können, daß eine elende Verehrung oder Trinckgeld die Krafft haben solle, daß der Flachs besser wachsen müsse. Jedoch mag vielleicht die Sache folgender massen zu verstehen seyn: Wenn der Sämann ein gut Trinckgeld bekömmt, so wendet er bessern Fleiß drauf, daß der Lein nicht zu dicke noch zu dünne geworffen werde, und fein gleich wachsen könne. Wenn er aber nichts bekömmt, so ist er darob verdrüßlich, und streuet den Saamen entweder zu dicke, daß der Flachs nicht recht wachsen kan, oder zu dünne, so wird der Flachs grobhärig. Und solcher gestalt mag wohl der gethanen Verehrung etwas zugeschrieben werden, aber sonst auf keinerley Weise.

Quelle:
Schmidt, Johann Georg: Die gestriegelte Rocken- Philosophie. 2 Bände, Chemnitz 1718 (Bd. 1), 1722 (Bd. 2), [Nachdruck Weinheim; Deerfield Beach, Florida 1987]., S. 152-153.
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