Das 48. Capitel.
Wer Pfropff-Reisser bricht, soll sie nicht lassen auf die Erde fallen / sonst fallen hernach die Früchte desselben Baumes alle vor der Zeit ab.

[96] Diesen albern Wahn hegte ohnlängst ein gar feiner Mann / weil es ihm ein alter kluger Gärtner gelehrt hatte. Ich antwortete aber: wenn dieser kluge Gärtner gleich 100. Jahr alt gewesen / so wär er doch ein alter Narr gewesen. Denn / wer hat wohl iemahls einen tragenden Obstbaum gesehen / an welchem nicht auch Früchte zu ihrer vollen Reiffe gekommen. Daß aber an allen Bäumen auch einige Früchte vor der Zeit abfallen / wenn nehmlich ein Mehl-Thau / oder schädlicher Regen drauf fällt / ist bekannt / das Pfropf-Reiß sey gleich zu seiner Zeit noch so wohl in acht genommen worden / daß es nicht auf die Erde gefallen ist. Und was soll denn auch das Fallen des Pfropffreisses zum Abfallen künfftiger Früchte contribuiren können / da ja nichts schadet / wenn man gantze Hände voll dergleichen Reiser mit Fleiß nieder auf die Erde legt. Solte sich demnach ein vernünfftiger Mann lieber ins Hertz hinein schämen / ehe er solch unvernünfftig Ding / andern Thoren zugefallen /[97] glaubte. Aber / dem Satan glaubt man leider! immer lieber / als dem / was GOtt in seinem Heil. Worte zu glauben befiehlet.

Quelle:
Schmidt, Johann Georg: Die gestriegelte Rocken- Philosophie. Band 2, Chemnitz 1722 [Nachdruck Weinheim; Deerfield Beach, Florida 1987]., S. 96-98.
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