Des Drechßlers herrliche Lebens-Geschicht

[401] zu erzehlen, und zwar folgender massen:

Ich bin fieng er an, im Jahr 1693. in einem kleinen Städtgen, von armen Eltern erzeuget worden, denn mein Vater ernehrete sich, meine Mutter und mich, als sein eintziges Kind, mit Handlangen und Botschafft lauffen, brachte aber doch damit immer so viel vor sich, daß wir nicht allein satt zu essen, sondern auch nothdürfftige Kleider anzuziehen hatten, so bald aber ich kaum mein zehendtes Jahr erreicht, spannete mich mein Vater schon zu allerhand Arbeit an, hergegen wurde an gar kein Schulgehen gedacht, sondern mein Vater war vollkommen zufrieden, daß mir die Mutter das Vater Unser, den christlichen Glauben, die Tisch-und etliche andere Gebete nach der Larve herbeten gelernet, meynete auch, mit den übrigen Glaubens-Articuln hätte es schon noch Zeit, biß das Jahr herzu käme, da dergleichen Jungens zum Abendmahle gehen müsten, denn seine Eltern waren mit ihm auf gleiche Weise verfahren,[401] und hatten ihm weder schreiben noch lesen lernen lassen.

Mittlerweile fügte sichs: daß mein Vater, bey einem vornehmen Manne, der ein neues Hauß bauen ließ, ein gut Stück Arbeit bekam, woran meine Mutter und ich mit Hand anlegen musten, weil nun dessen Kinder, wenn ihr Informator dieselben in das neue Hauß spatzieren führete, sich öffters mit mir ins Gespräch einliessen, so bat ich einsmahls den jüngsten, mir ein fein groß Buch zu schencken, denn ich hätte gute Lust das Lesen zu erlernen. Der Knabe fragte mich, ob ich denn in die Schule gienge, und wer mir das Lesen lernen solte? Ich aber gab zur Antwort: zum Schulgehen hätten wir kein Geld, dem aber ohngeacht, wolte ich das Lesen doch wohl lernen, wenn ich zusähe wie es andere Leute machten. Er fieng an zu lachen, und erzehlete mein Gespräche seinen zweyen andern Brüdern, welche mir ein schön groß Buch zu schencken versprachen, wann ich auff den Abend vor ihre Thür kommen, und selbiges abholen wolte. Ich war nicht faul, sondern gieng zu bestimmter Zeit hin, empfieng auch, von ihnen einen sehr grossen Folianten von zusammen gebundenen Leichen-Predigten, und versteckte selbigen, aus Furcht vor meinem Vater, zu Hause unter die Treppe.

So bald mein Vater früh Morgens um die gehörige Zeit an die Arbeit gegangen, mir und meiner Mutter nachzukommen befohlen, nahm ich mein Buch unter den Arm, gieng nach der Stadt-Schule zu, und erkundigte mich, in welcher Stube der oberste Schulmeister Schule hielte. Indem mich nun[402] ein jedweder, und zwar nicht ohne trifftige Ursachen, vor einen einfältigen, ja sehr dummen Jungen hielt, und vermeynete, ich hätte das grosse Buch etwa an den Rector zu bringen, so wiese man mich in Prima, allwo ich nach zweymahligen Anklopffen, die Thüre selbst eröffnete, mit baarfussen Beinen und abgenommener Mütze hinein trat, dem Rector aber gantz dreuste und ohne alle Weitläufftigkeit, mit diesen Worten anredete: Guten Tag Herr! die Leute haben mir gesagt, daß ihr der oberste Schulmeister seyd, und den Jungens mehr lernet als die andern kleinen Schulmeisters, darum wolte ich euch bitten, ihr soltet mich vor Geld und gute Worte lesen lernen, denn ich habe mir 5. Groschen weniger einen Dreyer Geld gesammlet, das will ich doch dran wagen, wenn es fein bald geschehen kan, weil ich nicht viel Zeit drauff wenden kan, denn mein Vater braucht mich alle Tage nothwendig, daß ich ihm muß helffen Steine auslesen, und in den Schubkarn schmeissen. Die in der Classe sitzenden grossen Kerls, fiengen über meine kauderwelsche Rede, gräulich zu lachen an, jedoch nachdem ihnen der Rector mit einer ernsthafften Gebärde das Stillschweigen auferlegt, fragte er mich sehr freundlich: Mein Sohn, wer hat dich hergeschickt? Es hat mich niemand hergeschickt gab ich zur Antwort, sondern ich bin von mir selbst gekommen, weil ich Lust habe vor Geld und gute Worte in diesem Buche lesen zu lernen. Es ist gut, mein Sohn, versetzte der Rector, allein gehe hin und bringe erstlichen ein kleines A.B.C. Buch her, so will ich vor dich sorgen,[403] daß du lesen lernest. Nein! sprach ich, das ist mir ungelegen, ich mag mich mit keinem kleinen Buche herum hudeln, sondern ich will gleich aus diesem grossen Buche lesen lernen, und zwar vor mein gut Geld, welches ich euch den Augenblick geben will, so bald ich nur erstlich so gut, als die grossen Bengels, lesen kan, die dort herum sitzen. Die Schüler fiengen aufs neue zu lachen an, und der Rector selbst wurde ein wenig zum lächeln bewogen, welches mich dermassen verdroß, daß ich mit zornigen Geberden sprach: Ich habe gedacht an einen klugen Ort zu kommen, und treffe doch alberne Leute an, wollet ihr mich nicht lesen lernen, so laßt es bleiben, und lachet über euch Narren selbst, so lange ihr könnet. Hiermit setzt ich meine Mütze auf unn wolte wieder fort gehen, allein der Rector nahm mich beym Arme und sagte: Mein Sohn, werde nicht böse, sondern setze dich hier auf diese kleine Banck, ich will dich das Lesen umsonst lehren, und dir noch Geld darzu geben. Ich sahe ihn starr in die Augen, um zu erforschen ob es sein Ernst sey, ließ mich aber endlich bereden ihm zu gehorsamen, da er denn alsobald den Folianten selbst auffschlug, mir zuerst 4. Buchstaben zeigte und befahl, dieselben wohl zu mercken, noch mehr dergleichen in dem grossen Buche zu suchen, und ihm nachhero dieselben zu weisen. In einer Viertheils-Stunde hatte ich nicht nur alle wohl ins Gedächtnis gefasset, sondern auch auf allen Seiten des Buchs, noch viele dergleichen mit den Nägeln gezeichnet, weßwegen mir der Rector vier neue, und bald hernach abermahls 4. neue kennen lernete, so daß ich binnen einer Stunde schon das halbe A.B.C. inne[404] hatte. Mittlerweile setzte er seine Lection bey den grossen Schülern immer fort, und nachdem die Stunde verflossen, gab er ihnen die ernstliche Vermahnung mich nicht auszuhönen, weil er seine besondern Absichten auf mein besonderes Naturell hätte; ich aber hatte auch meine besondern Gedancken und merckte wohl, daß dieses kein Lesen hiesse, konte also nicht umhin, ihm ins Gesichte zu sagen: Er möchte mich mit vielen Weitläufftigkeiten verschonen, denn ich hätte keine Zeit zu verliehren, sondern wolten fein bald fertig seyn, damit mich mein Vater bey seiner Hand-Arbeit brauchen könte. Hierauff führete er mich bey der Hand in sein Hauß, erkundigte sich nach meinen Eltern, und ließ in der Mittags-Stunde meinen Vater und Mutter zu sich kommen. Was er mit ihnen gesprochen, habe ich nicht angehöret, denn ich muste unterdessen mit seinen zwey, 8. biß 10. jährigen Kindern, essen, nachhero aber sagte mein Vater und Mutter: Ich solte hinfüro nicht mehr Handlangen helffen, sondern bey dem Herrn Rector bleiben, und ihm in allen gehorsam seyn, so lange biß ich vollkommen lesen könte. Wer war froher und vergnügter als ich, zumahlen da mir der gute Rector ein abgelegtes Kleid von seinem ältesten Sohne zurechte machen ließ, und mich also vom Haupte biß auf die Füsse recht reputirlich bekleidete. Ein grosser Schüler, der des Rectors Kinder täglich ein paar Stunden informirte, muste auch allen Fleiß an mich wenden, welches denn so viel verursachte, daß ich binnen wenig Wochen nicht allein vollkommen lesen, sondern auch etwas weniges schreiben lernete. Der gute Rector selbst sparrete[405] keinen Fleiß noch Kosten, mich zu fernern Studiren anzuhalten, in Meynung, daß hinter der grossen Lust welche ich zum lesen und schreiben bezeuget, vielleicht noch eine höhere verborgen stäcke; er fand sich aber betrogen. Denn so leichte mir biß daher alles angekommen war, so schwer fiel mir nachdem, das Latein in den Kopff zu bringen, ja ich konte mit Mühe und Noth kaum so viel fassen, endlich in meinem 15ten Jahre in Secunda zu kommen. Zu Hause rühreten meine Hände aus eigener Bewegung kein Buch an, hergegen war mein eintziges Vergnügen, ein und andere Stückgen Holtz auszusuchen, und recht verwunderens-würdige Narren-Possen daraus zu schnitzen.

Jedoch weil ich mich sonsten in des Rectors Hause jederzeit dienstfertig, gehorsam und getreue finden lassen, nahm mich derselbe eines Tages vor, und sagte: Mein lieber Junge! ich habe nunmehro wieder mein Vermuthen vollkommen angemerckt, daß aus dir schwerlich ein Gelehrter werden wird, denn du bist ein Holtz-Wurm, und hast mehr Lust zu schnitzeln und hacken, als zum Latein und andern gelehrten Ubungen, derowegen sage nur frey heraus, ob dir beliebig ist ein Zimmermann, Tischler, Drechßler, Bildhauer oder dergleichen zu werden, so will ich nebst andern guthertzigen Leuten Sorge tragen, daß du zu einem guten Meister, von dieser Professionen einer gethan wirst, und dieselbe Zunfftmäßig erlernest. Ich war vor Freuden gantz ausser mir selbst, da ich den Rector also reden hörete, bat derowegen mich entweder zu einem Drechsler oder Bildhauer zu bringen, weil sich zu diesen beyden Professionen[406] bey mir die meiste Lust fände, also wurde meinem eigenen Triebe gewillfahret, und ich bey einem Drechßler auffgedungen, weil der Bildhauer vors erste allzuviel Lehr-Geld forderte, vors andere aber zu verstehen gab, daß er, als ein betagter Mann, keine besondere Lust mehr hätte Jungens anzunehmen, indem er schwerlich glaubte, noch 5. Jahre, als so lange ich stehen solte, zu überleben. Zum Lehr-Gelde und Bette durfften meine Eltern nicht eines Hellers werth Beytrag thun, denn mein gutthätiger Rector, legte in aller Stille, unter einigen, so wohl einheimischen als auswärtigen guten Freunden, eine kleine Lotterie zum Lust-Spiele an, worbey die Einlage 3. Ggr. der beste Gewinst aber 12. Thlr. war, und von diesem Spiele tröpffelte also so viel ab, jedoch mit vorbewust aller Interessenten, denen die richtige Eintheilung vorgelegt wurde, daß mein völliges Lehr-Geld heraus kam. Ich gewann mit 2. Loosen selbst 2 Thl. 16. Ggr. darbey, bekam auch von einigen Wohlthätern so viel geschenckt, daß davon, in den ersten 2. Jahren, nothdürfftige Kleidung und Wäsche anschaffen konte.

Nachdem meine Lehr-Jahre verflossen, und ich noch etwas Zeit darüber, bey dem Lehr-Meister geblieben, anbey im Stande war, hinfüro meinen Lohn in der Frembde redlich zu verdienen, begab ich mich endlich auf Reisen, und war binnen 11. Jahren immer so glücklich bey den besten Meistern Arbeit zu bekommen, sonderlich aber die künstlichsten Sachen aus Helffenbein und Meßing drehen zu lernen, über alles dieses, hieng ich meiner ehemaligen Lust zur Bildhauerey annoch sehr nach, und machte bey[407] müßigen Stunden genaue Kundschafft mit einem alten beweibten Bildhauer Gesellen, der mir vor ein leichtes Geld, die Kunst zu zeichnen, nebst den besten Vortheilen in ihrer Arbeit lehrete, und weil ich, wie bereits gemeldet, nicht allein gute Lust, sondern auch ein natürliches Geschicke darzu hatte, so brachte es nachhero darinnen ziemlich weit. Endlich da ich mir binnen besagter Reise-Zeit ein Capital von fast anderthalb hundert Thalern gesammlet, kam mir die Lust, meine Vaters-Stadt zu sehen, wieder an. Meine Mutter war bereits vor etlichen Jahren gestorben, der Vater aber hatte sich seines Alters und Unvermögens wegen, vor alle sein erspaartes Gut ins Hospital eingekaufft, mein Wohlthäter der Rector aber lebte, ohngeacht seines hohen Alters, mit seiner Frauen annoch sehr vergnügt, und bezeugte eine besondere Freude, da er mich in so guten Stande wieder kommen sahe, welche Freude nicht um ein geringes vermehret wurde, da ich ihm unterschiedliche Raritäten nicht allein von künstlichen, sondern auch natürlichen Sachen mit brachte, indem mir bewust war: daß er selbst eine artige compendieuse Naturalien-Cammer besaß, und dergleichen Sachen wegen, mit den vornehmsten Leuten Correspondenz führete. Der ehrliche Mann gestunde mir etwa ein halbes Jahr hernach, daß er aus meinen Sachen bey nahe hundert Thaler gelöset, both mir derowegen die Helffte solches Geldes zu meinem Bürger- und Meister- Rechte in selbiger Stadt an, da ich aber durchaus nichts annehmen wolte, sondern zu erkennen gab, wie er nächst GOtt allein derjenige sey, welchem ich alles was ich im[408] Kopffe und im Leben hätte zu dancken schuldig, so versprach er dagegen meinen alten Vater, Wöchentlich 3. Tage von seinem Tische zu speisen, auch ihm, wie bißhero schon geschehen, alle Sonntage ein Nössel Wein zur Stärckung, und zwar auf Lebens-Zeit zu reichen. Allein mein lieber alter Vater starb etwa 8. Monat hernach, ich aber erhielt mit grosser Mühe die Erlaubniß, ihm auf dem Hospitals Kirch-Hofe eine Gedächtniß-Tafel, die ich mit eigener Hand so künstlich als mir möglich war verfertigte, auffzurichten. Selbige Tafel, war 2. Ellen hoch, fast eine Elle breit, und zeigete in einer ausgeschnitzten Devise das Bildniß Christi, vor welchem mein Vater, nach allen seinen Lineamenten abgebildet, auf den Knien lag, und mit den Händen 4. Gewicht-Stücken, auf deren jeden das Zeichen 1. Centn. bemerckt, an ihren Rincken hielt. Von seinem Munde an, waren in zweyen Zeilen folgende Worte ausgeschnitzt: HErr! du hast mir zween Centner gethan; siehe da, ich habe mit denselben zween andere gewonnen. Aus dem Munde des Welt-Heylandes aber, der in seiner rechten Hand einen Oehl-Zweig, und in der lincken einen Reichs-Apffel hielt, flossen diese Worte: Ey du frommer und getreuer Knecht, du bist über wenig getreu gewesen; ich will dich über viel setzen. Gehe ein zu deines HERRN Freude. Zu oberst hatte ich die himmlische Glorie, unten auf der Erden herum aber, meines Vaters Handwercks-Zeug, nehmlich einen Bothen-Spieß, Grabscheit, Schauffel, Hacke, Schubkarn und dergleichen, sehr sauber ausgeschnitzt, ferner einige Nachricht von seiner[409] Person, Geburths- und Sterbens-Zeit und endlich folgenden Biblischen Spruch gesetzt: 1. Cor. 1. »v. 26.–29. Nicht viel Weisen nach dem Fleisch, nicht viel Gewaltige, nicht viel Edele sind beruffen; Sondern was thöricht ist vor der Welt, das hat GOTT erwählet, daß er die Weisen zu schanden mache; und was schwach ist vor der Welt, das hat GOTT erwählet, daß er zu schanden mache was starck ist, und das Unedle vor der Welt, und das Verachtete hat GOTT erwählet, und das da nichts ist, daß er zunichte mache was etwas ist: Auf, daß sich vor ihm kein Fleisch rühme.«

Wie gesagt, es hielt gleich anfänglich sehr hart, ehe ich die Erlaubniß bekam, einem so schlechten Manne, wie mein Vater gewesen, dergleichen Ehren-Gedächtnis aus kindlicher Liebe zu setzen, nachdem ich aber dieserwegen 12. Thaler in die Hospitals-Kirche gezahlet, bekümmerte sich weiter niemand drum. So bald ich nun selbiges mit standhafften Farben zierlich ausgemahlet, die Schrifften mit feinem Golde vergüldet, und das gantze Stück Morgens in aller früh, durch einen Schlösser an die Mauer hefften lassen, gab es gleich, noch ehe es Mittag wurde, einen ziemlichen Lermen bey einigen Geistlichen, noch mehr aber bey den vornehmsten Personen in der Stadt; so daß mich gleich nach der Mahlzeit der Ober-Pfarrer zu sich ruffen ließ, und in Gegenwart des regierenden Burgemeisters, wie auch des Hospital-Vorstehers befragte: Wer mir die Erlaubniß gegeben vor meinen Vater, der zwar ein ehrlicher Mann, jedoch nur ein armer Tagelöhner gewesen, ein so prächtiges und kostbares Epitaphium[410] zu setzen? Ich gab hierauff zur Antwort, daß damit nicht der geringste Pracht, sondern nur eine Marque meiner kindlichen Liebe, und nechst diesen meiner wenigen erlangten Geschicklichkeit, gesucht würde, die Kostbarkeit wäre sehr geringe, indem ich nicht mehr als etwa 20. Ggr. vor Farben und Gold dran gewendet, die Arbeit aber vor gar nichts rechnete, über dieses, da mein Vater nach Aussage seines Beicht-Vaters, und zwar in Erwegung dessen, daß er kein Schrifftgelehrter gewesen, ein besonderes löbliches Ende genommen, als ein frommer Christ auf das Verdienst Christi gestorben, auch ihrem eigenen Zeugnisse nach als ein redlicher Mann gelebt, so sähe ich nicht, warum man ihm und mir dergleichen Ehren-Gedächtniß nicht gönnen wolle. Sie fertigten mich hierauff mit dem Bescheide ab: Die Sache käme ihnen etwas spitzig und verdächtig vor, erforderte also fernere Uberlegung und Untersuchung, ich solte inzwischen gehen und weiterer Verordnung gewärtig seyn. Wenig Tage hernach, schickte mir der Burgemeister einen schrifftlichen Befehl zu, des Innhalts: Ich solte ohne ferneres Einwenden, und zwar bey 10. Thlr. Strafe, binnen 24. Stunden, das Väterliche Epitaphium selbst herunter nehmen; alldieweilen selbiges, bey ein und andern Leuten, viele anzügliche Reden und Anmerckungen, nebst diesen noch andere Bedencklichkeiten verursachte: oder gewärtig seyn, daß solches auf den Verweigerungs-Fall, durch andere Personen abgeworffen würde. Ich konte mich gantz und gar nicht darein finden was die eigensinnigen Leute darunter suchten, zog derohalben nicht allein meinen[411] Pflege-Vater den Rector, sondern auch den untersten Stadt-Priester, als meinen Beichtvater, ingleichen einen klugen Advocaten zu Rathe, welche mich sämmtlich instigirten, deßfalls von dem Burgemeister nähere Erklärung zu fordern, immittelst aber allenfalls, wieder die Herabwerffung des Bildes solennissime zu protestiren, und mich auff den Ausspruch des Ober-Consistorii zu beruffen, worbey sich der Advocat sogleich erboth, meine Sache den Rechten nach auszuführen, und mir vor allen Schaden zu stehen. Demnach wurde ich ohnvermuthet in einen Process verwickelt, und zwar gegen sehr gewaltige Leute, jedoch ich gewann denselben, solchergestallt: daß nicht allein meines Vaters Epitaphium stehen bleiben, sondern auch mein Gegenpart mir alle verursachten Kosten ersetzen muste. Ich hätte damit zufrieden seyn, und fein geruhig leben können, zumahlen da die Leute der Stadt, ein gutes Concept von meiner wenigen Geschicklichkeit fasseten, und mir nach und nach viel Geld zuwendeten, allein eine heimliche Rachgier verleitete mich zu allerhand losen Streichen. Denn als mir hernachmahls ein und andere in die Stadt-Kirche bedürfftige Drechsler-Arbeit verhandelt worden, konte ich meinen Lohn nicht eher empfangen, biß mich, auf des Ober-Pfarrers und des Kirchen-Vorstehers ungestümes Zureden, endlich erklärete in den Kauff, noch ein ausgschnitztes Bild über den Beicht-Stuhl zu machen. Man gab mir dieserwegen einen Kupffer-Stich vom Pharisäer und Zöllner im Tempel, ich wandte vielen Fleiß dran, muß aber[412] selbst offenhertzig bekennen, daß unter dem Bilde des Pharisäers: unser Ober-Pfarrer, und dann unter dem Zöllner: der Kirchen-Vorsteher, beyde nach ihrer eigentlichen Physiognomie, dergestallt accurat getroffen waren, als ob sie leibeten und lebten. Es fehlete nicht viel, man hätte mir dieserwegen einen neuen Process an den Halß geworffen, denn der Burgemeister war mein abgesagter Feind geworden, jedoch es mochte ein gewisser kluger Mann ins Mittel getreten seyn, welcher durch einen andern Bildhauer und Mahler die Gesichter gantz und gar verändern lassen, so daß sich weiter niemand beschweren durffte. Bey herannahenden Weyhnachts-Feste, da meine Handwercks-Genossen gemeiniglich allerhand Spiel- und Possenwerck vor die Kinder zu machen pflegen, war ich auch nicht der letzte meine curieusen Inventionen, deutlicher aber zu sagen Schraubereyen, auf den Laden heraus zu setzen, ich will aber nur diejenigen beschreiben, welche mir den meisten Verdruß verursachten. Es præsentirte sich demnach die Gerechtigkeit auf einer Schaukel sitzend. An statt der Binde, welche sie sonsten um die Augen zu tragen pflegt, hatte ich ihr eine Brille ohne Gläser auf die Nase gesetzt. In der rechten Hand führete sie: ein in der Scheide steckendes Schwerdt, wenn aber die Scheide abgezogen wurde, kam ein ordentlicher Pflug-Reidel zum Vorscheine. Die lincke Hand hielt eine Wage, deren eine Schale, von dem darinnen liegenden Zehl-Brete, aufs tieffste niedergezogen war; da hingegen in der andern hoch hinauff gezogenen Schale, ein Buch mit der Auffschrifft Corpus Juris lag. Auff[413] beyden Seiten dieser in der Schwebe hängenden Gerechtigkeit stunden zwey kleine Knaben, welche, so offt man unten an der Machine ein Rädgen drehete, die Gerechtigkeit hinter und vorwärts schauckelten, der zur rechten hatte das Wort: Gunst, der zur lincken aber Ungunst an seiner Brust geschrieben stehen. Ferner hatte ich einen Mann in Priester-Habite, dessen Meß-Gewand von Schaafs-Felle gemacht, der Priester-Rock aber mit Wolffs-Peltze gefüttert war. An dem Buche, welches er unter dem Arme trug, hingen zwey recht naturell nachgemachte Fuchs-Schwäntze. Noch ferner hatte ich einen Ziegen-Bock nach dem Leben abgebildet, der darauff sitzende Ritter führete in der rechten Hand eine Schneider-Scheere, an der Seite statt des Degens, eine Elle, und hielt den Ziegen-Bock mit der lincken Hand im Kap-Zaume, der von einer wollenen Tuch-Schrote gemacht war, an statt der Steig-Bügel sahe man zwey Bügel-Eisen, u. wo die Sporn an Stiefeln stehen solten, befanden sich etliche, wunderlich durch einander gesteckte Neh-Nadeln. Die Hörner des Bocks waren verguldet, Sattel und Chaberaque von Bärenheuter-Zeuge, und mit Schellen behangen, in den Pistolen-Holfftern aber stacken 2. dergleichen Pfrimen, womit die Schnür-Löcher ausgebohret werden, ja ich weiß mich fast selbst nicht mehr zu entsinnen, was ich sonsten an diesem Ziegen-Bocke, so wohl auch noch an verschiedenen andern dergleichen thörichten Inventionen vor Gauckeleyen ausgeübt habe. Nun ist leicht zu erachten daß dieserwegen gar bald Lerm in der Stadt worden, es stund dermassen viel Volck um meinen[414] Laden herum, als ob ein armer Sünder abgethan werden solte, meine Sachen giengen alle reissend weg, jedoch an die verdächtigen Stücken wolte sich niemand wagen, weil sie vorerst ziemlich theuer gebothen wurden, vors andere dem Käuffer, ein nicht unbilliges Bedencken verursachten. Endlich meldeten sich unverhofft etliche Mit-Glieder der löblichen Schneider-Zunfft, und machten nicht unebene Minen, meinen Laden zu stürmen, jedoch da ich ein paar Pistolen und eine Flinte zurechte legte, im übrigen aber einem jeden nach Würden höflich und freundlich begegnete, vergieng ihnen die Lust mich zu attaquiren. Bald hernach kam fast die gantze Schneider-Zunfft mit den Handgreifflichen Anwalden angestochen, welche letztern oberwehnte anzügliche Stücke, auf Befehl des Bürgermeisters von mir abfordern wolten. Allein es war nur wenig Augenblicke zuvor, mein guter Advocat, der meinen ersten Process gewonnen, in den Laden getreten, um vor seine Kinder etwas auszulesen, dieser merckte sogleich was die Ankommenden suchen würden, warff mir also 4. gantze Gulden auf den Tisch und sprach: Meister Drechsler! also sind wir richtig, und ich bekomme nur noch 8. Ggr. zurück. Hierbey konte ich, aus seinem Augen-wincken, sogleich mercken, was die Glocke geschlagen hätte, nahm derowegen sein Geld und Sachen hinnein in die Stube. So bald nun die Raths-Diener den Burgemeisterlichen Befehl angebracht hatten, schlug sich mein Advocat ins Mittel und sagte: Mein Freund! vermeldet dem Herrn Burgemeister nebst meinem Grusse, daß die verlangten Sachen, kein Kauffmanns-Gut[415] mehr wären, sondern ich hätte dieselben bereits vor meine Kinder zum Spiele erhandelt und bezahlt, wie ihr denn sehet, daß mir der Meister hier auf 4. Gulden, 8. Ggr. zurücke giebt, mir aber ist dergleichen vor keine 10. Thlr. feil, ich weiß auch, daß sich der Herr Burgemeister hüten wird, solche mir mit Gewalt abzunehmen. Sie schwiegen hierzu stille, fragten aber mich: warum ich Pistolen und Flinten im Laden liegen hätte? Sie sind, gab ich zur Antwort, zu verkauffen, denn es sind kostbare Stücke, die ich mit aus der Frembde gebracht habe. Hierauff zog die sämmtliche Procession mit der langen Nase zurücke, gleich nach den Feyertagen aber gieng ein dreyfacher Process wider mich an, den jedoch mein Advocat dergestallt geschicklich durchführete, daß ich nicht viel über 5. Thlr. dabey verlohr. Hergegen gereichte mir zu desto grösserer Lust und Ehre, daß mein Advocat, die beruffenen Stücke, listiger weise, so wie sie von mir gemacht waren, an das allerhöchste Ober-Haupt des Landes zu spielen wuste, welches ein besonderes Vergnügen darüber bezeigt, und alles zur Rarität in Dero berühmte Kunst- und Naturalien-Cammer zu setzen befohlen hat.

Mein Advocat hat ohnfehlbar den besten Zug hierbey gethan, allein ich gönnete ihm selbigen von Hertzen gern, zumahlen da er mir dann und wann einen schönen Verdienst zuwiese. Es durffte sich nun zwar auch in der Stadt niemand öffentlich an mir reiben, allein es ist doch leicht zu erachten: daß ein junger Bürger, der das freye, aus der Frembde mitgebrachte Wesen noch nicht aus dem Sinne[416] schlagen kan, und der den Rath so wohl als die oberste Geistlichkeit gegen sich erbittert gemacht hat, ungemein behutsam gehen muß, wenn er heutiges Tages in Teutschland, allwo ohnedem in vielen Städten das Kirchen- und Regierungs-Schiff, von lauter Affects-Winden hin und her getrieben wird, sichern und geruhigen Auffenthalt finden will. Ich will mich zwar eben nicht so gar weiß und unschuldig brennen, sondern viellieber gestehen, daß ich mich starck vergangen gehabt, denn es war ein schlechter Verstand, auf solche spitzige Art, denenjenigen Ursach zu hadern zu geben, die da höher waren als ich. Und ausserdem, was hatten mir die armen Schneider gethan, daß ich sie mit dem Ziegen-Bocke ärgerte? Wahrhafftig, ich wuste nichts anders auf sie zu bringen, als daß der Burgermeister eines Schneiders Sohn, und mit vielen andern Schneidern beschwägert war, sonsten muste ich sie so wohl damahls, als wie annoch biß auf diese Stunde, in ihrem Handwercke, vor rechtschaffene, ehrliche und brave Leute erkennen. Aber was nimmt ein junger Toll-Kopff, der die Hörner noch nicht völlig abgelauffen, zuweilen nicht vor thörichte Händel vor?

Kurtz von der Sache zu reden, ohngeacht ich, jedoch mit der ausdrücklichen Weisung: hinfüro alle spitzfündigen Streiche zu vermeiden, in höhern Schutz genommen war, so muste doch von Zeit zu Zeit allerhand Verdruß erdulden, unter welchen mich aber nichts mehr kränckte, als daß mir meine Liebste, die eines reichen Bürgers Tochter, und sonsten ein Mägdgen von feiner Gestalt und herrlichen[417] Tugenden war, abspenstig gemacht, und an einen andern verheyrathet wurde. Ich war schon gewisser massen mit derselben würcklich versprochen, that derowegen einen Einspruch, konte aber nichts erhalten, weil sich die Eltern aufs Läugnen legten, und die Tochter, welche es doch im Hertzen treulich mit mir meynen mochte, ebenfalls zum Lügen verführeten. Da nun vollends bey der letztern vermerckte, daß sie ihren Bräutigam gezwungener weise annehmen müsse, trieb mich die Eyffersucht so weit, daß ich denselben Nachts vor der Hochzeit erstechen wolte, allein, GOtt verhütete dieses Unglück, solchergestalt, daß ich ihn nur durch das dicke Bein stach, mich nachhero auf die Flucht begab, und vieles von meinem Handwercks-Geräthe zurück ließ. Jedoch hatte die Vorsicht gebraucht, alles mein Geld zu mir zu nehmen, und die besten Sachen, bey meinem Advocaten in Verwahrung zu geben, denn der Rector, mein Pflege-Vater, war nur vor wenig Wochen im hohen Alter verstorben. Der Advocat war dennoch so ehrlich, mir die Sachen auf der Post biß Braunschweig nachzuschicken, nebst einer schrifftlichen Erinnerung: daß ich in GOttes Nahmen, mein Glück in einer andern Stadt suchen möchte, weil es im Vaterlande nicht zu blühen, sondern wegen der letztern Affaire vollends gäntzlich verdorret zu seyn, schiene. Ich gieng nachhero auf Bremen zu, allwo ich bey dem Meister, der mir vor etlichen Jahren sehr gewogen gewesen, eine junge, schöne und reiche Tochter wuste, die ich ihm abzuverdienen gedachte. Der schlaue Fuchs merckte[418] mein Absehen wohl, stellete sich auch, so lange er mich nothwendig brauchte, sehr gefällig an, allein, ehe ich mich dessen versahe, wurde mir die Rahel entzogen, und einem andern gegeben, ich aber solte auf die Lea warten, welches mir solchen Verdruß verursachte, daß ich gleich noch selbigen Tages Abschied nahm, und nach Holland reisete, allwo ich kurtz darauf so glücklich war, von dem Herrn Capitain Wolffgang zur Reise auf diese glückseelige Insul beredet und angenommen zu werden. Wie vergnügt sich hieselbst mein Hertze, nicht allein wegen einer wohlgetroffenen Heyrath, sondern auch sonsten in allen andern Stücken befindet, ist leichtlich aus meiner gantzen Lebens-Art abzunehmen. GOtt erhalte uns allerseits nur beständig in dergleichen Vergnügen, und gebe, daß auch ich mit meiner erlernten Pofession nützliche Dienste leisten kan, damit sie, meine Herrn, mich ihrer fernern werthen Freundschafft würdig schätzen.

Also endigte unser lieber Freund, der Drechßler Herrlich, die Erzehlung seiner Lebens-Geschicht, unter welcher, der sonsten gar ernsthaffte Alt-Vater, selbst etliche mahl zum Lachen bewogen worden, und begab sich mit untergehender Sonne auf den Weg nach seiner Behausung.

Um selbige Jahrs-Zeit waren die meisten eingebohrnen Insulaner beschäfftiget, die bereits völlig reiffen Geträyde-Früchte einzusammlen, worbey zu bemercken, daß diese Erndte um die Helffte reicher als die im vorigen Jahre gewesen, ohngeacht eben dasselbe Maaß ausgesäet worden. Wir wünschten wohl tausend mahl, unsern Uberfluß unter[419] bedürfftige Leute vertheilen zu können, allein, solche Wünsche waren unter die vergeblichen zu zählen. Demnach that Mons. Litzberg den Vorschlag, auf dem Albertus-Hügel, hinter der Burg, mit der Zeit, und so bald die andern nöthigsten Gebäude und Werckstätten fertig wären, ein etwas grosses Magazin aufzubauen, um daselbst das überflüßige alte Geträyde zu verwahren, weil man doch nicht wissen könne, ob GOtt nach so vielen fettenetwa etliche magere Jahre schicken möchte. Solcher Rathschlag gefiel dem Alt-Vater sehr wohl, es wurde auch würcklich, jedoch fast zwey Jahr hernach, und kurtz vorhero, ehe ich Eberhard Julius die Rückreise nach Europa antrat, der Grund zu besagten grossen Korn Hause gelegt.

Nachdem aber mit Ablauff des Monaths Januarii die Geträyde-Erndte vorbey, und mittlerweile unser Müller Krätzer die neuerbaute Mehl-Mühle gäntzlich zum Stande gebracht, wurde am 3. Febr. 1727. in Gegenwart fast aller erwachsenen Insulaner, die Probe auf allen beyden Gängen, mit 2. Maaß Rocken, ge macht, welches ohngefähr so viel als einen Dreßdner Scheffel betrug. Es ist unmöglich zu beschreiben, was die sämmtlichen Insulaner vor eine gantz besondere Freude über diese, von ihnen noch nie gesehene Machine, bezeugten. Da sie wohl erwogen, was es ihnen bißhero vor grausame Mühe und Arbeit gekostet, dieses fast unentbehrliche Nahrungs-Mittel zu gute zu bringen, derowegen gaben sich bey dem ehrlichen Meister Krätzer, fast zehnmahl mehr Lehrlinge an, als er zu unterweisen Zeit und Gelegenheit[420] hatte; jedoch suchte er sich voritzo 4. der stärcksten und geschicktesten Pursche aus, und versprach dieselben aufs treulichste in seiner Profession zu unterrichten, daferne ihm aber GOtt das Leben gönnete, in wenig Jahren, noch eine dergleichen Mühle, jenseit des Canals, vor die, über dem Nord-Flusse gelegenen Einwohner zu erbauen. Immittelst sey nicht zu zweiffeln, daß er mit dieser Mühle allen sä tlichen Insulanern, Jahr aus Jahr ein, gnungsames Mehl verschaffen wolle, wie denn dieselbe von erwehnten Tage an, ausser denen Sonn- und Fest-Tagen, selten stille stund, so, daß auch der Alt-Vater, vor sich und seine Haußhaltung, in wenig Wochen von allen Stämmen sein Deputat überhaupt wohl zubereitet empfieng.

Wenige Zeit nach der reichen Geträyde-Erndte, trat die ergötzliche Weinlese ein, welche nicht geringer war als voriges Jahrs. Unser Böttcher Garbe, hatte biß anhero seine Hände nicht in Schooß gelegt, um bey dieser Zeit, mit seiner Arbeit Ehre zu erwerben, schaffte derowegen in alle Weinberge, nicht nur viel alte ausgebesserte, sondern auch gantz neue Wein-Fässer, welche letztern er, als ein guter Wein-verständiger Küffer, bereits ausgelöhrt und zugerichtet hatte. Wie nun um diese Zeit alle diejenigen Insulaner, welche in ihren eigenen Fluren keinen besondern Weinwachs hatten, denen Nachbaren zusprachen, den reichen Seegen einsammlen halffen, und zuletzt ihren beschiedenen, ja überflüßigen Theil davon bekamen, so brachte ich bey der Gelegenheit die meisten Tage in Roberts-Raum bey meiner Liebsten Cordula und Monsieur Harckerten[421] zu, der, zu meiner grösten Verwunderung in aller Stille, selbsten zwey Stühle verfertiget hatte, auf welchen er seiner Frauen und meiner Liebste, das Bänder- und Bortenwürcken lehrete. Ich sahe mit besondern Vergnügen zu, wie geschickt sich meine artig Cordula hierbey zeigte, allein Harckert gab mir zu vernehmen: daß es bey dieser Arbeit nicht bleiben solte, sondern er wolle ehestens mit Hülffe anderer guten Freunde viel grössere Stühle verfertigen, auf welchen er dem Frauenzimmer weit schönere Zeuge zu würcken, Anweisung zu geben gesonnen, denn so viel nöthiges Bandwerck, als man auf dieser Insul jährlich brauchte; könten zwey Personen fast in 2. Monathen allein verfertigen, die Staats-Bänderey aber, als eine zur Hoffarth und Thorheit reitzende Sache, nicht rathsam einzuführen, also wäre er in zukunfft bereit, an statt solcher, in Europa sehr beliebter Dinge, seine Profession weiter auszudehnen, und allerhand zur Reinlichkeit und Beqvemlichkeit dienliche Zeuge, aus Baum-Wollen und Flächsen-Garne zu machen, und die Seyde, als eine Sache, die wir ohnedem hiesiges Orts sehr sparsam hätten, zu vermeyden.

Ich konte Mons. Harckerts Gedancken nicht anders als sehr vernünfftig und klug erachten, denn was war uns in diesem ohnedem mehr warm als kalten Lande wohl nützlicher, als das saubere Baum-Wollen- und Leinen-Geräthe, welches er auf Zwillich-Barchent-Eannefas- und andere Arten zuwege zu bringen vermeynte. Es hatte zwar der Alt-Vater Albertus so wohl als Herr Wolffgang,[422] noch einen ziemlichen Vorrath von kostbarn seydenen Zeuge, allein, es war schon verabredet, dergleichen Waaren, sonderlich, den zur Tändeley geneigten Frauenzimmer, also vorzubilden, als ob die bundten Farben nur vor kleine Kinder, die schwartzen und dunckeln aber vor alte Leute gehöreten, den Jungfrauen hingegen stünde die weisse Farbe als ein Zeichen ihrer Keuschheit, und denn denen Weibern andere modeste Zeuge am besten, welche ein jedes aus dem Sode von unterschiedenen Baum-Rinden, Blättern und Kräutern mit leichter Mühe selbst färben konte. Von Spitzen, Bändern, vielen Kräuseleyen, Fontangen, Armbändern, Ohren-Gehencken und dergleichen unzähligen Staate, welchen das Europäische Frauenzimmer sich anzuschaffen pflegt, wurde ihnen selten etwas vorgeschwatzt, und da solches ja dann und wann geschahe, wenn ein oder ander Frauenzimmer zugegen war, so wusten wir doch unsere eigenen Europäischen Lands-Leute, aus vernünfftigen Ursachen, in diesem Stücke als leibliche Schwestern oder Töchter der Frau Thorheit abzumahlen.

Jedoch ich werde von unserer Kleider-Ordnung weitern Bericht zu erstatten ohnfehlbar bessere Gelegenheit finden, derowegen will vorjetzo, um keine Verwirrung in meinem Gedächtnisse anzurichten, vermelden: daß annoch währender Weinlese-Zeit, eines Tages der Alt-Vater und Herr Magist. Schmeltzer nebst seiner Liebste, mir zu gefallen mit nach Roberts-Raum reiseten, um Monsieur Harckerten in seinem Hause zu besuchen. Unterwegs sprachen wir bey Herrn Wolffgangen und Mons.[423] Litzbergen an, um dieselben nebst ihren Weibern ebenfalls mitzunehmen, der erste ließ sich gleich bereden, Mons. Litzberg aber, der den Tischler Lademann bey sich hatte, und vorgab, daß ihm derselbe etwas bequemes in seine Wohnung zu machen versprochen, gelobte doch an, nebst seiner Frauen und diesem guten Freunde etwa in ein paar Stunden nachzukommen. Allein, nachdem wir uns fast den gantzen Tag über, biß etwa 2. Stunden vor Untergang der Sonnen, im Weinberge aufgehalten hatten, Mons. Litzberg aber noch nicht angekommen war, nahmen wir die von meiner Liebsten und Mons. Harckerts Frau zubereitete Abend-Mahlzeit ein, und höreten darauf zum noch übrigen Zeitvertreibe

Quelle:
Johann Gottfried Schnabel: Wunderliche Fata einiger Seefahrer absonderlich Alberti Julii, [...], Vier Theile, Teil 2, Nordhausen 1732, S. 401-424.
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