Des Müllers Krätzers Lebens-Geschicht

[362] zu vernehmen, als welcher dieselbe folgender massen her erzehlete:

Ich bin, meine Herrn, nunmehro ein Mann von 37. Jahren, mein Vater war ein Fluß-Müller an der Mulda, der in meinem 4ten Jahre, und zwar in seinen besten Jahren, im Flusse, da er dem Grund-Eise fort helffen wollen, das Leben eingebüsset, derowegen nahm meine Mutter einen andern Mann, ich aber nebst zwey ältern Geschwistern bekam an demselben einen sehr strengen Stief-Vater, der, weil er ein Reformirter, meine Mutter[362] aber, so wie ihr voriger Mann, Lutherisch, und uns 3. Kinder auch in solcher Religion auferziehen wolte, seinen deßfalls geschöpfften Verdruß nicht bergen konte, sondern bald nach der Hochzeit Mutter und Kinder wie die Hunde tractirete, so lange, biß sich dieselbe endlich beqvemete, ihm nach zu geben, und uns Kinder in dem Reformirten Glauben aufzuziehen. Sie hatte solchergestalt so wohl als wir, eine Zeit lang Friede im Hause, jedoch nicht gar lange, denn weil mein Stieff-Vater den verzweiffelten Brandtewein allzu sehr liebte, wurde derselbe, wenn er sich zuweilen darinnen übernommen, fast gantz rasend, so, daß sich keins von den Seinigen im Hause durffte sehen lassen. Meine Mutter war also, und zwar mit ihrem mercklichen Schaden, zu spät innen worden: daß sie das Abrathen guter Leute, wegen der Heyrath mit diesem Menschen, verlacht hatte; Allein, nunmehro halff nichts als die liebe Gedult. Den ältesten Bruder hatte dieser böse Mann gantz zu Schande geschlagen, so, daß er wegen Gebrechlichkeit zu keiner starcken Arbeit etwas nutzte, sondern das Schneider-Handwerck lernen muste. Mit mir wäre er ohnfehlbar auf gleiche Weise verfahren, allein, ich lieff mit heimlicher Bewilligung meiner Mutter, im zwölfften Jahre darvon, wurde von meines Vaters Bruder, der ebenfalls ein Müller, und zwar an der Saale, von guten Mitteln war, aufgenommen, und nicht allein zum Handwercke angeführet, sondern auch zur Lutherischen Schule gehalten, so, daß ich bald hernach zum heiligen Abendmahle gehen konte.[363]

Es schien, als ob ich zum Müller gebohren wäre, denn das Handwerck kam mir gantz und gar nicht sauer zu lernen an, noch weniger aber die Kunst mit dem Zirckel und andern Bau-Instrumenten umzugehen. Hierbey hatte mich die Natur mit einer ausserordentlichen Stärcke begabt, so, daß ich schon in meinem 16ten Jahre, fast mehr heben und tragen konte, als zwey andere Kerls. Einsmahls machte sich ein grosser Baum-starcker Mühl-Pursche breit darmit, daß er in jeder Hand ein anderthalb Centner-Stücke auf einmahl in die Höhe heben konte, ich aber that ihm nicht allein dieses gleich auf der Stelle nach, sondern hub noch zugleich das dritte mit den Zähnen auf, nachdem ich nur ein wenig Leinewand um den Rincken gewickelt hatte; welches aber der Baum-starcke Kerl unterweges lassen muste. Andere dergleichen Proben will ich nicht erwehnen, denn es ist aus diesem eintzigen schon zu mercken, daß ich eine ziemliche Force, und zwar in so jungen Jahren, gehabt haben müsse, welche sich nachhero, da ich etwas mehr Geschicke kriegte, und hinter ein und andere Vortheile kam, dergestalt vermehrete, daß ich in selbiger Gegend ziemlich berühmt wurde. Nachdem aber mein neunzehendes Jahr verstrichen war, ließ ich mich nicht länger aufhalten, dem Wasser nachzulauffen, nahm also von meinem Vetter, wie auch von der Mutter und dem murrischen Stief-Vater abschied, und reisete nebst zwey andern Mühl-Purschen fort. Weil ein jeder unter uns mehr als 12. Thlr. Geld im Schubsacke hatte, war unsere Meynung, nicht so gleich Arbeit zu suchen,[364] sondern wir liessen uns die freye Zehrung, so wir jedes Orts fanden, anreitzen, vorhero die Welt ein wenig zu besehen, waren aber eben noch nicht allzuweit gelauffen, da uns eines Abends in einer Dorff-Schencke, 6. oder 8. Soldaten überfielen, und mit Gewalt hinweg nehmen wolten, jedoch ich und meine zwey Hand-festen Cameraden lachten die guten Leute nur aus, und bathen sie, uns mit dergleichen Zumuthungen zu verschonen, oder wir würden, jeder, einen von ihnen beym Kragen anfassen, und die andern damit zur Thüre hinnaus stossen. Diese Worte gaben so gleich Feuer, die Soldaten zohen vom Leder, wir aber ergriffen unsere Mühl-Aexte, und stäuberten sie ohne besondere Mühe zum Hause hinnaus, setzten uns darauf hin, und fiengen erstlich an recht lustig zu sauffen. Jedoch mit einbrechender Nacht wurden wir aufs neue durch 12. oder mehr andere Soldaten beunruhiget, welche sich anfänglich zwar stelleten, als wüsten sie von den, bey Tage vorgegangenen Händeln, gar nichts, es zeigte sich aber bald, daß sie ebenfalls aus keiner andern Ursache angekommen wären, als uns hinweg zu holen, denn nachdem einer von meinen Cameraden, welches ein ziemlich langer und wohlgewachsener Kerl war, das, ihm in die Mütze gesteckte Hand-Geld, unter den Tisch schüttete, und selbiges mit den Füssen fort stieß, kam es augenblicklich zum Streichen, die Soldaten hieben mit ihren Degens auf uns, wir aber mit unsern Mühl-Axten auf sie, dergestalt verzweiffelt loß, daß es auf jener Seite ziemlich Blut setzte, indem wir uns aber sehr vortheilhafftig gestellet, und im [365] Auspariren alle drey sehr fix waren, lieffen die Sachen noch ziemlich gut, biß endlich 3. Soldaten zu Boden suncken, etliche zur Thür hinaus gefeget wurden, die 4. tapffersten aber annoch Stand hielten. Einem von diesen wurde sein Degen aus der Hand geschmissen, derowegen bekam ich Lust etwas von den Klopfechter-Künsten an ihm zu versuchen, welche mir ein alter weit und breit gereifeter Mühl-Pursche, der sich gemeiniglich nur Pumphat nennen ließ, gelernet hatte, ergriff derowegen den Soldaten vortheilhafft beym rechten Arme, und brach ihm denselben ohne besondere Mühe entzwey. Da dieses so leichtlich angegangen war, trieb mich der Grimm auch dahin, selbiges Kunst Stück an seinem lincken Arme zu versuchen, und solches gelunge mit solcher Hefftigkeit, daß die eine Arm-Röhre durch das Camisol hindurch stach. Der Kerl fieng vor Schmertzen überlaut an zu schreyen, und ich bekam mittlerweile von einem andern, einen geringen Streiff-Hieb über den Kopff, weil mir der Hut abgefallen war. Hierdurch entbrannte meine Wuth vollends dergestallt, daß ich meinen Beleydiger die Klinge unterlieff, ihn dermassen hefftig in die Arme fassete, und an meine Brust drückte, daß ihm augenblicklich der Athem stehen blieb, und er als ein Wasch-Lappen zu Boden fiel, da nun indessen meine zwey Cameraden reine Arbeit gemacht hatten, mein letzter Beleidiger aber sich in etwas wieder erholet, brach ich ihm, zum Andencken, auf der Erde noch ein Bein entzwey, und nachdem ein jeder von uns dem Wirthe einen Gulden vor die Zeche zugeworffen, nahmen wir unsere Sachen, und [366] marchirten bey Nacht und Nebel unserer Wege.

Dieser Streich war also mein Eintrit in eine solche Lebens-Art, worüber der Teuffel in der Hölle seine eintzige Freude haben mag, allein, weil mich meine Cameraden, der bezeigten Tapfferkeit wegen, fast auf den Händen trugen, und überall ein grosses Wesen davon machten, so, daß die Handwerks-Genossen selbst fast Maul und Nase über mich aufsperreten, bedünckte mir alles mein Thun sehr löblich und wohlgethan zu seyn, ja in die Länge wurde ich dermassen stoltz und barbarisch, daß mich niemand krumm ansehen durffte, wenn er nicht von Arm-Bein- und Halß-Brechen hören wolte.


Nach langen Herumschwermen zwang uns endlich der Geld-Mangel Arbeit zu suchen, ich fand dieselbe bald in der grossen Mühle einer Welt-berühmten Stadt, wuste mich auch so wohl mit dem Meister als den Mahl-Gästen dermassen wohl zu vertragen, daß sich sonderlich die letztern um meine Arbeit drängeten, denn es bekam von meinen Kund-Leuten ein jeder mehrentheils etwas mehr Mehl, als er mit Recht verlangen konte, allein, hieran war meine Redlichkeit am wenigsten Ursache, denn weil der Mit-Gesellen noch etliche waren, so wuste ich ihnen von dem Geträyde ihrer Kund-Leute, auch wohl zuweilen aus des Meisters Sacke selbst, immer so viel hinweg zu parthieren, daß ich nicht allein solchergestalt Ruhm und Ehre, sondern auch gute Trinck-Gelder erwarb.

Weil aber doch alle mein Verdienst nicht hinlänglich[367] war, ein solches herrliches Leben auszuführen, dergleichen mir im Kopffe schwebete, so suchte ich andere Gelegenheiten, mir gnugsames Geld in den Beutel zu schaffen. Das Würffel- und Karten-Spiel fiel mir als die aller reputirlichste Art in die Gedancken, derowegen besuchte zum öfftern die Spiel-Gelacke, jedoch mehrentheils mit dem allergrösten Schaden, weil gemeiniglich alles Geld, was die gantze Woche zusammen gesparet war, des Sonntags Abends auf einmahl drauf zu gehen pflegte. Jedoch durch folgende Gelegenheit, bekam mein Spielen bald ein gantz anderes Ansehen: Es hatten nehmlich etliche Degen tragende Handwercks-Pursche, eines Abends einen starcken Verlust auf dem Spiele erlitten, gaben derowegen dem Schilderer oder Spielhalter ein und andern Betrug Schuld. Dieses war sonst ein Kerl, der sich nicht leichtlich auf der Nasen trommelen ließ, allein voritzo waren ausser mir 9. Kerls gegenwärtig, von welchen allen er sich nichts, oder wenigstens nicht viel Guts zu versehen hatte. Es daurete mich, daß der Kerl, von diesen Purschen, worunter einige waren, denen noch der Milch-Brey am Munde klebte, so viele Schnupff-Fliegen einfressen muste, ohngeacht ich ihm sonst ebenfalls nicht allzugünstig war, dero wegen legte ich mich darzwischen und sagte: Ihr Herren, haltet das Spiel nicht auf, gefällt jemanden aber nicht mehr zu spielen, der halte sein naseweise Maul, oder ich werde mir die Mühe nehmen, ihm zum Fenster hinaus auf die Strasse zu werffen. Es war, wo[368] mir recht ist, ein Stück von einem Apothecker-Gesellen darbey, der vielleicht mir wenig Courage zutrauen mochte, oder wenigstens ein gut Theil mehr als ich zu haben vermeynete, dieser führete das Wort, und gab mit verächtlichen Geberden zu vernehmen, daß ich keine Ehre zu reden hätte. Monsieur sprach ich, den Augenblick marchirt zur Thüre hinaus, oder es soll mich sehr jammern, wenn ich euch in den Stand setzte, wenigstens in 4. Wochen keine Büchse zu binden zu können. Der Eisenfresser zog vom Leder, ich ließ ihn zweymahl auf mein Spanisch Rohr hauen, hierauf konte er sich nicht so geschwind umsehen, als sein rechter Arm schon morsch entzwey gebrochen war. Demnach entblößeten die andern 8. alle ihre Degen gegen mich, der Spiel-Halter wolte mir zu Hülffe kommen, allein ich stieß ihn zurück, und prügelte, binnen einer Zeit von weniger als 5. Minuten, mit meinem Spanischen Rohre alle zur Stube hinaus, biß auf den letzten, welchen, um mein Wort zu halten, seines naseweisen Mauls wegen zum Fenster hinaus auf die Strasse steckte. Dieser Streich brachte mir bey allen Kunst- und Handwercks-Gesellen, eine grosse Ehrfurcht, und dann, welches der beste Vortheil zu seyn schien, des ermeldten Spiel Halters vollkommene Freundschafft zu wege, so daß er mir alle seine subtilen Griffe, sich und diejenigen, welche es mit ihm hielten, zu bereichern, der Länge nach heraus beichtete, und mich solchergestalt zu seinen allervertrautesten Dutz-Bruder machte. Demnach gieng keine Woche hin, daß ich nicht auf dem Spiel-Tische, 10. 20. biß 30. Thaler gewonnen[369] hätte, wovon mein Dutz-Bruder wenigstens den 3ten Theil haben muste. Hergegen, weil er ein guter Fecht-Meister war, erlernete ich von ihm bey täglicher Ubung, das Fechten mit dem Degen und Pallasch nach der Kunst, weßwegen ich mich ein vollkommen geschickter Kerl zu seyn bedüncken ließ. Er wolte mich zwar auch das zierliche Tantzen lehren, allein, weil ich ein gantz besonderer Feind vom Weibs-Volcke, und mit ihnen umzugehen, fast wieder meine Natur war, so gereichte mir auch das Tantzen zum Eckel, hergegen war spielen, sauffen und schlagen mein einziges Vergnügen, als welche drey S. mehr als zu starck sind, einen jungen Menschen um das 4te gedoppelte S. nehmlich der Seelen-Seeligkeit zu bringen.

Allein dazumahl gedachte ich nicht einmahl daran, daß eine Seele in meinem Cörper stäcke, geschweige denn, daß ich mich bemühen müste: durch Gebet und Christlichen Wandel, derselben nach dem Tode ein gutes Quartier zu bereiten, ja es war schon dahin mit mir gekommen, daß ich weder an den Morgen noch Abend-Seegen gedachte, die Tisch-Gebethe mit grösten Verdruß anhörete, ausser diesem, bereits seit zwey Jahren oder etwas länger, in keine Kirche, vielweniger zum heil. Abendmahle gegangen war.

Ein schönes Leben vor einen Menschen, der in seinen besten Jünglings-Jahren stund. Wäre es auch zu bewundern gewesen, wenn GOtt mich dieserwegen in der besten Blüthe meines Lebens, aufs schändlichste verdorren lassen, jedoch seine Langmuth erstreckte sich noch weiter. Denn so bald ich[370] ein ansehnliches Stücke Geld auf solche subtile Diebes-Art, nehmlich durch lauter betrügliches Spielen zusammen gescharret hatte, ließ ich mir ein paar Edelmanns Kleider machen, kauffte Peruquen, Tressen Hüte, einen silbernen Degen, ja alles ein, was zur Ausstafierung eines jungen Edelmanns gehörete, packte die Sachen in einen Coffré, reisete etliche 30. Meilen weiter in die Welt, blieb endlich in einer Stadt bekleben, wo sich viel dergleichen Leute zeigten, als ich vor mir zu haben wünschte.

Ich gab mich daselbst vor einen Menschen von Sächsischen guten Geschlechts aus, der sich unter verdeckten Nahmen, so lange an frembden Orten aufzuhalten gezwungen sähe, biß er eine gewisse verdrüßliche Affaire, die er mit einem Cavalier gehabt, durch seine Anverwandten und guten Freunde ausmachen lassen. In der That aber, war ich mit Wahrheit und ohne Ruhm zu melden, damahls ein subtiler Spitz-Bube. Und gewißlich es solte wenig gefehlet haben, mich in die völlige Diebs- und Spitz-Buben Zunfft zu ziehen, als worzu sich sehr sonderbare Gelegenheit-Macher anmeldeten, wenn ich nicht in meiner Jugend eine besondere Aversion vor dergleichen Leuten bekommen hätte, und zwar bey der Gelegenheit: da ich etliche solche Galgen-Vögel erstlich erbärmlich martern, und hernachmahls theils rädern, theils aufhencken sahe. Wiewohl ich will selbst nicht Bürge davor seyn, daß dergleichen Eckel, durch das fernere Zureden solcher saubern Gesellen endlich nicht hätte können vertrieben werden, wenn die [371] subtilen Säyten auf der Geige meines liederlichen und GOttes vergessenen Lebens nicht mehr hätten klingen wollen. So aber konte zu damahliger Zeit mit dem aller listigsten Kunst-Griffen beym Würffel, Basset- und andern kostbaren Karten-Spielen, mein annoch beständiges gutes Conto finden, wie ich denn eines Abends bey einer Assambleé so glücklich war, von einem gewissen Major 1000. Thlr. baar Geld zu gewinnen. So viel Geld getrauete ich mich unmöglich alleine durchzubringen. Derowegen verschrieb meinen zurückgelassenen Kunst-Lehr- und Fecht-Meister zu mir, übersandte ihm 200. Thlr. von dem gewonnenen Gelde, mit dem Unterricht: daß er sich bey seiner Ankunfft, vor allen Dingen einen adelichen Nahmen geben müsse, vor unsern Staat zu führen, solte er hingegen, mich alleine sorgen lassen.

Er säumete nicht sich unter einem vornehmen Adelichen Geschlechts-Nahmen der Eustachius von S** lautete, einzustellen, gleichwohl muste er das Ansehen bey allen andern haben, als ob wir beyde einander niemahls mit Augen gesehen hätten, jedoch in wenig Tagen, errichteten wir die allervertrauteste Freundschafft, und bezogen zusammen ein Logis. Es ist mir unmöglich alle Arten der List und Boßheit auszuführen, durch welche wir binnen wenig Monaten ein Capital von mehr als 2000. Thlr. zusammen brachten, jedoch der Krug gieng so lange zu Wasser, biß endlich der Henckel abbrach; denn mein Compagnon wurde eines Abends, von einem Cavalier, auf frischer That des falsch Spielens, ertappt, und bekam von demselbigen eine tüchtige Maulschelle.[372]

Dieser Schimpff konte nun mit nichts anders, als Blute abgewaschen werden, derowegen ließ mein Camerad Stax, dem Cavalier folgenden Morgen durch mich vor die Spitze fordern, selbiger war keine feige Memme, sondern erschien mit seinem Secundanten auf dem bestimmten Platze, hatte aber das Unglück, von meinem Cameraden auf der Stelle erstochen zu werden. Wir hatten uns vorigen Abend auf dergleichen Streich schon gefast gemacht, derohalben unsere besten Sachen vor angebrochenen Tage mit der Post fort, und in eine Französische Gräntz-Stadt geschafft, mithin wurde nicht lange gesäumet, biß dahin nachzueilen, wir kamen auch, ohngeacht uns ein Commando Reuter nachgeschickt worden, um eine halbe Stunde eher, als dieselben, glücklich über die Teutsche Gräntze. Die Reise gieng ohne fernere Sorge auf Paris zu, in welcher reichen Stadt wir unsere Streiche am allerbesten fortzuführen gedachten, allein zu gröster Verwunderung fanden sich daselbst unzehlig viele solche Leute, die unter dem Cavaliers-Habite dergleichen Künste, wo nicht besser, doch wenigstens so gut als wir, verstunden. Derowegen musten wir ungemein behutsam, nur und an solche Orte gehen, wo etwas geringere Personen über den Tölpel zu werffen waren.

Mittlerweile erwarben wir dennoch von Zeit zu Zeit so viel, daß es nicht nöthig war die mitgebrachten Gold-Beursen anzugreiffen, wiewohl mein Stax mehr als ich verthat, indem er beständig den Huren nachlieff, und sich gegen selbige sehr spendable erzeigte, da im Gegentheil ich mich auf die[373] Französische Sprache befliß; auch was weniges von dasiger Baukunst begriff, um zum wenigsten doch etwas löbliches in Frankreich vorzunehmen. Bey solcher Gelegenheit gerieth ich in die Bekandschafft zweyer Mecklenburgischer junger Edelleute, die von einem Hofmeister geführet wurden; Weil nun der letztere sich durch meine redliche Stellung betrügen ließ, so erlaubte er mir zum öfftern diese beyden jungen Herrn spaziren zu führen, zumahl, wenn er Lust haben mochte seinen eigenen Streichen nach zu gehen. Sie führeten starcke Gelder bey sich, welches mir eine höchst vergnügliche Sache war, sie derowegen in solche Compagnien führete, wo sich vor dergleichen junge Lecker allerhand Ergötzlichkeiten fanden, hergegen stellete ich mich an als ob das Spielen mir eine wiederwärtige Sache sey, zumahl, da leicht zu mercken, daß sie beyderseits starcke Liebhaber davon wären. Mein Camerad Stax muste endlich auch in ihre Bekandschafft kommen, dieser ließ einen stärckern Appetit zum Spiele blicken, jedoch bey dem ersten, andern und dritten Umgange, die jungen Herrn so wohl als ihren Hoffmeister mehr als zwey oder drittehalb hundert Frantz Gulden gewinnen. Ich bekam davor, daß ich sie an einen so profitablen Ort geführet, von dem ältesten eine kostbare Englische silberne Uhr, von dem jüngsten aber einen silbernen Degen geschenckt, wurde auch gebethen: sie ferner in andere dergleichen Compagnien zu führen, und auf ihre Schantze so treulich wie bißhero Achtung zu geben. Dieses geschahe einsmahls, und zwar da der Hofmeister wegen einiger Kopff-Schmertzen[374] im Logis zu bleiben gesonnen war, allein die beyden guten Herrn wurden von meinem Stax nicht allein um 200. fl. bey sich habende Silber-Müntze, sondern über dieses noch um 300. halbe Louis d'or geschneutzet, ich selbst, der aber mit dem Stax unter einem Hütgen spielete, hatte zum Scheine auch 50. Louis d'or nebst 100. Frantz-Gulden mit verlohren, hörete aber auf zu spielen, weil, wie ich sagte, heute kein Glück vor mich vorhanden wäre, allein die jungen Herrn spieleten mit dem ernsthafften und sehr raisonable scheinenden Stax, auf Conto weiter fort. Ich hielt nicht vor rathsam diese melckenden Kühe auf einmahl zu ruiniren, schlich mich derowegen heimlich zu ihrem Hoffmeister, erzehlete demselben mit verstellter Treuhertzigkeit, daß die beyden jungen Herrn heute sehr unglücklich gewesen, und dem ohngeacht durchaus nicht nachlassen wolten, bath ihn derowegen um Gottes Willen, seine Autorität zu gebrauchen, und sie darvon abzuziehen, weil heute doch weder Glück noch Stern vor sie sey. Der gute Pursche merckte nunmehro zu spät, daß er seinen Untergebenen allzuviel Willen, und was das gröste Versehen war, den Schlüssel zum Geld, Chatoul überlassen hatte, derowegen warff er in grösten Aengsten seine Kleider über sich, erfuhr aber zu seinem allergrösten Schrecken, daß seine Untergebenen Zeit meines Abwesens noch 200. Louis d'or verspielet hatten, weßwegen Stax, bey ein und andern empfindlichen Reden des Hoffmeisters, das rauche heraus zu kehren begunte, und entweder auf der Stelle sein Geld oder wenigstens einen tüchtigen Bürgen verlangte.[375] Indem er nun gantz allein im Stande war, dem Hoffmeister und seinen beyden jungen Herrn, Angst und Schrecken einzujagen, musten sich diese auf gute Worte befleissigen, um mit der Helffte davon zu kommen, allein er war nicht zu erweichen, biß ich mich ins Mittel schlug, und so viel auswürckte, daß er endlich mit 100 Louis d'or zufrieden war, welche der Hoffmeister alsofort aus dem Logis langen und ihm bezahlen muste. Die guten Herrn stelleten sich zwar nach der Zeit noch ziemlich gefällig, allein ich weiß nicht, ob der Hoffmeister einigen Verdacht auf mich legen mochte, weil er sich sehr kaltsinnig stellete, auch bey meiner Ankunfft, seine Untergebenen entweder verleugnete, oder ihnen doch im geringsten nicht erlauben wolte, ferner mit mir aus zu spaziren.

Demnach that es mir von Hertzen leyd: daß ich sie nicht noch besser berupfft, sondern so gnädig durchgelassen hatte, jedoch es passirten in nachfolgenden 3. Jahren, so lange nehmlich mein Stax und ich uns noch in den vornehmsten Französischen Städten umsahen, unzählige dergleichen Streiche, welche alle haarklein zu erzehlen, ich wenigstens eine gantze Woche Zeit haben müste. Endlich zerfiel ich mit diesem meinen bißherigen Hertzens-Freunde, um einer sehr geringen Sache willen, worinnen er sich, in Beyseyn vieler andern Leute, einer sonderbaren Autorität über mich anmassen wolte, allein weil ich etwas zu viel Wein getruncken hatte, blieb ich ihm an allerhand empfindlichen Redens-Arten nichts schuldig, dahero er endlich auf die Thorheit gerieth: mit Kreide eine[376] Mühl-Axt auf den Tisch und ein NB. darüber zu mahlen. Es wuste zwar kein Mensch, was dieses eigentlich bedeuten solte, mich aber verdroß dieser Streich dergestalt, daß ich ihn augenblicklich forciren wolte: mir mit seinem Degen gegen den meinigen, eine vollkommene Auslegung zu thun, allein wir wurden, von etlichen sich darzwischen Legenden Cavaliers, abgehalten und ermahnet, dergleichen Vornehmen biß auf den morgenden Tag zu versparen.

Stax gieng in seiner Maitresse Logis den Rausch auszuschlaffen, und vermeynte vielleicht, wenn ich dergleichen gethan, würde sich der gestrige Eiffer wohl gelegt haben, allein die Galle gieng mir dergestalt im Eingeweyde herum, daß ich kaum den Morgen erwarten konte. So bald derselbe angebrochen war, kauffte ich mir von einem Pferde-Händler ein gut Pferd mit schönen Sattel und Zeuge, schickte den nunmehrigen ärgsten Feinde ein Cartell zu, Nachmittags um zwey Uhr eine Meile vor der Stadt auf einem bewusten Tummel-Platze zu erscheinen. Weil mir aber sogleich ein Unglück ahndete, kauffte ich noch einen leichten Klöpper vor einen deutschen Laqueyen, den ich, weil er von seinen Herrn verlassen worden, nur vor wenig Tage in meine Dienste genommen hatte, ließ meine besten Kleider und Sachen in zweyen Mantel-Säcken darauf packen, befahl dem Kerl auf etliche 100. Schritt voraus zu reiten, und zu erwarten, wie mein vorhabendes Duell ablieffe, ich aber setzte mich gleichfalls zu Pferde, und gelangte bald auf den Platz, allwo sich mein Gegner zu bestimmter Zeit[377] einstellete. Nehmet euch in Acht! rieff er mir zu, so bald wir einandar das Weisse im Auge sehen konten, denn die Meisters behalten gemeiniglich die beste Finte vor sich. Es ist gut, gab ich gantz gelassen zur Antwort, in kurtzen wird sich zeigen, wer des andern Meister ist. Hiermit giengen wir nach abgeworffenen Kleidern aufeinander loß, und mein Gegner wurde im zweyten Gange ein wenig in den Arm verwundet, da er aber dieserhalb nur desto hitziger wurde; und seinen Hohn in der Geschwindigkeit zu rächen vermeynte, auch vor der mir selbst gezeigten Finte sich nicht versahe, lieff er sich meinen Degen dermassen gewaltsam unter dem Arme in die Brust hinnein, daß er, vermuthlich wegen einer Hertz-Wunde augenblicklich umfiel, und nach wenigen Zucken die Seele ausbließ. Ich sprach zu den beyden Anwesenden Secundanten: Messieurs nehmet euch so viel, als es seyn kan, dieses entleibten Deutschen an, denn ich weiß, daß der Gürtel, den er auf seinem blossen Leibe trägt, die Mühe belohnen wird. Hiermit bekümmerte mich weiter um nichts, sondern gab meinem Pferde die Sporn, und jagte nebst meinem Diener so hurtig als möglich nach den Gräntzen der Österreichischen Niederlande zu. Selbige erreichten wir ohne eintzigen Anstoß, da doch sonsten ohne Pass hindurch zu kommen eine ziemliche Kunst war.

Ich hätte die gröste Ursache und schönste Gelegenheit gehabt, dasiger Orten die bißherige schändliche Lebens-Art zu quittiren, und hergegen eine honorable Kriegs-Charge anzunehmen; allein die gebundene Lebens-Art schien mir ein Eckel zu[378] seyn. Jedoch, weil ich über 3000. Thaler an Golde und Jubelen bey mir führete, gefiel mir endlich: Bald bey diesen, bald jenen Käyserlichen Regimente Curassirer, als Volontair herum zu schwermen, worbey meine Profession, nehmlich das verfluchte Spielen zu exerciren, sich tägliche Gelegenheit fand.

Endlich nachdem ich von dem vielen Gelde nicht mehr als 200. spec. Ducaten an meinen Vetter und Lehrmeister übermacht, stieß mir ohnweit Luxemburg die abermahlige Fatalitæt zu, einen Officier, des beym Spiele entstandenen Streits wegen, zu erstechen, also nahm ich die Flucht aufs neue nach Franckreich, streiffte erstlich in vielen andern Städten herum, und kam endlich im Winter des 1720ten Jahres wieder nach Paris, alwo damahliger Zeiten, lauter Lermen, wegen der so frewlen Spitzbuben war. Um nun nicht etwa in dergleichen Verdacht zu kommen miethete ich mich bey einem deutschen Zucker-Becker ein, und führete wieder meine Gewohnheit ein ziemlich ordentliches Leben, ließ mich aufs neue in ein und andern, zur Mathesi gehörigen und mir beliebigen Künsten unterrichten, da aber das Spielen nicht unterlassen konte, so spielete jedennoch fast gezwungen, ziemlich ehrlich, war auch darbey zuweilen ungemein glücklich. Mein Wirth war, ohngeacht dessen, daß er die Protestantische mit der Catholischen Religion verwechselt hatte, in allen seinen äuserlichen Wesen ein grund redlicher Mann, und erzeigte mir gegen billige Bezahlung alle Gefälligkeit, ich bedaurete selbst zum öfftern, wenn sich ein klein Füncklein[379] recht gesunde Vernunfft bey mir spüren ließ, daß ich mich nicht entschliessen könte nach Hause zu reisen, und eine ordentliche Lebens-Art anzufangen, denn das Hertze wolte mir zum voraus sagen, daß dergleichen Aufführung endlich ein beklecktes Ende nehmen würde. Allein solche gute Gedancken wurden fast augenblicklich als von einem Sturmwinde zerstreuet, hergegen kam mir die eingewohnte Weise immer süsser vor, so lange biß ich eines Abends, ebenfalls des Spiels wegen, in einer Rencontre, mit zweyen Degens zugleich durchstochen, sonsten am Leibe auch sehr übel zerhauen wurde.

Man schaffte mich vermittelst einer Sänffte andern Tages in mein Logis, allwo ich die Ehre hatte, von vielen deutschen Clavaliers besucht zu werden, weil ein jeder glaubte, ich sey derjenige, vor welchen ich mich ausgab, und weil keine sonderlichen Schrifften unter meinen Sachen angetroffen wurden, so konte deßfalls um so viel weniger verrathen werden. Es waren ein Medicus und 2. Chirurgi über mir, welche aber wieder die gewöhnliche Art der Franzosen schlechten Trost gaben, derowegen begunte mein Gewissen auf einmal aufzuwachen, so daß ich vor Angst in gäntzliche Verzweiffelung gefallen wäre, wenn nicht ein gewisser Cavalier meine Hertzens-Bangigkeit gemerckt, und mir dieser wegen den Prediger eines gewissen Lutherischen Abgesandtens zugebracht hätte. Selbiges war ein ungemeiner Mann, der mein Gewissen solchergestalt zu rühren wuste, daß ich ihm endlich, wie fast alle Zeichen meines heran nahenden Todes vorhanden waren, ein offenhertziges Bekäntniß meiner[380] bißherigen Lebens-Art, und darbey den grossen Zweiffel zu vernehmen gab: Ob ein solcher Mensch wie ich, annoch Vergebung und Gnade bey GOtt erlangen könne? Demnach war er fast eine gantze Nacht hindurch bemühet, mich aus der Verzweiffelung zu reissen, und auf die rechte Strasse zu bringen, da ich nun gegen Morgen, eine ernstliche Reue, Buße und Glauben durch Worte und Gebärden zeigte, absolvirte er mich, und reichte mir nachhero in aller Stille das Hochwürdige Abendmahl, worauf ich ungemeine Linderung, so wohl an den Leibes- als Gewissens-Wunden fühlete, und ein Gelübde that, welches so viel in sich hielt: Daß, wenn mich GOtt diesesmahl beym Leben erhalten würde, ich so gleich nach wieder erlangter Gesundheit, alles mein Geld und Gut unter die Armen theilen, und nichts mehr davon übrig behalten wolte: als was ich zur Reise in mein Vaterland höchst vonnöthen hätte, daselbst wolte ich denn auch, die, meinem Vetter über machten 200. spec. Ducaten und den Werth von den übrigen übel erworbenen Reste, an Kirchen, Schulen, und arme Leute verwenden. Bald nach diesem gethanen Gelübde, ließ sichs mit meinen Schäden zu schleuniger Besserung an, die Aertzte fiengen an besser zu trösten, sagten aber frey heraus, daß wenn ich vollkommen curiret seyn wolte, sie, um den Eyter aus der Brust-Höle zu zapffen, über den kurtzen Rippen eine Oeffnung machen müsten.

Ich gab meinen Willen drein, stund die höchst schmertzliche Cur aus, und wurde also nach wenig Wochen vollkommen gesund. Allein wer solte es[381] wohl glauben? daß, so bald sich die verlohrnen Kräffte wieder eingestellet, ich nicht allein mein gethanes Gelübde vergessen, sondern mir auch nicht das geringste Gewissen gemacht hätte, die vorige Lebens- Art wiederum zu ergreiffen.

Unter andern gerieth ich mit einem sehr artigen Frantzosen in Bekandtschafft, der sich La Rosée nennete, und wie ich merckte, die Spiel-Künste ungemein wohl verstund, derowegen hütete mich ihm keinen Verdruß, mir aber keinen Schaden zu zu ziehen, nicht zwar aus einiger Furcht, sondern weil ich diesem Menschen, unwissend, warum, gewogen seyn muste. Er im Gegentheil vermerckte bey mir gnugsame Hertzhafftigkeit, zugleich auch, daß ich seine künstlichen Streiche guten Theils abgemerckt, dem ohngeacht die Gefälligkeit vor ihm gehabt, und stille geschwiegen hatte. Derowegen suchte er mir bey andern Gelegenheiten allerhand Vergnügen zu machen, tractirte mich öffters in seinem Logis mit den herrlichsten delicatessen, und ich bewirthete ihn gleichfalls öffters in meinem Hause, worbey er mir zu vernehmen gab: Wie er die stärckste Anwartung auf einen Officiers-Dienst in einer benachtbarten Guarnison hätte, und mich zugleich bereden wolte, ebenfalls Dienste unter der Miliz zu suchen, allein ich zuckte die Achseln hierzu und sagte: daß, wenn mir mein freyer und ungebundener Stand nicht lieber gewesen, ich schon vorlängst unter den Kayserl: Trouppen eine Compagnie haben können. Hierauf sprach er: ja Monsieur, es wäre mir zwar auch also zu Muthe, allein, wo wollen die Mittel allezeit herkommen: [382] Monsieur, versetzte ich, dergleichen Künste als ihr im Spielen gezeiget habt, müssen ihren Mann niemahls fallen lassen. Ach! sprach er, es ist zwar etwas, jedoch nicht hinlänglich, denn in Paris ja in gantz Franckreich werden die Reichen immer klüger, die Armen aber immer ärmer, und ich glaube, ehe ein Jahr verstreicht, wird fast niemand mehr spielen wollen, derowegen muß man sich auf andere Künste legen. Unter diesem Gespräche fiel mir ein eiserner etwa 2. Ellen langer Guardinen Stab, vom Fenster herunter auf den Kopff, jedoch ohne besondern Schaden, dem ohngeacht brach ich denselben aus Boßheit, als einen Tobacks-Pfeiffen-Stiel in mehr als zwantzig Stücke. La Rosée sperrete darüber Maul und Nase auf, vermeynete auch, daß ich vielleicht ein Hexen-Meister sey, allein ich bezeugte ihm mit vielen mir gar nicht schwer ankommenden Eydschwüren, daß dieses meine angebohrne Stärcke also mit sich brächte, zerbrach auch vor seinen Augen einen mehr als 6. mahl dickern Fenster-Stab in etliche Stücken, worüber La Rosée in noch stärckere Verwunderung gerieth, und mich zu einem seiner besten Freude mit zu gehen bat, welchem er heute eine Visite zu geben versprechen müssen. Ich ließ mich leicht bereden, zumahlen da selbigen Abend sonsten keine tüchtige Compagnie wuste. Demnach führete er mich in die Vorstadt St. Marcel und zwar in ein nicht allzu ansynliches Haß, allwo in der Unter-Stube des hinter- Gebäudes, zwey ansehnliche Cavaliers im Brete mit einander spieleten, jedoch bey des Le Rosée und meinem Eintritt alsobald aufsprungen, und uns aufs höfflichste bewillkommeten.[383]

Sie liessen so gleich den köstlichsten Wein, nebst andern Delicatessen auftragen, und weil noch ein ansehnlicher feiner Herr darzu kam, sassen wir da, liessen die Gläser tapffer flanquiren und raisonnirten von lauter Etaats-Affairen, so daß ich diese Herrn vor vollkommene Etaats-Leute gehalten, wenn mir la Rosée nicht gesagt hätte, daß sie Officiers von demjenigen Regiment wären, worunter er sich halb engagirt hätte. Der Wein hatte wegen seines gantz besonders trefflichen Geschmacks, mir allbereits einen halben Tummel zu gezogen, als plötzlich ein scheinbarer Officier mit 6. Mann in die Stube trat, und mit brüllender Stimme sprach: Messieurs gebt euch auf Befehl des Königs in Arrest! Ich vor meine Person, der dieses Tags wegen ein ziemlich gutes Gewissen hatte, wuste nicht, was es bedeuten solte, sahe derowegen meine Zech-Gesellen an, und fragte in aller Stille: Ob wir diesen Kerlen nicht die Hälse brechen wolten? La Rosée sprach: Allerdings, sonst sind wir verlohren.

Auf dieses Wort, sprunge ich als eine Furie hervor, riß den Officier plötzlich zu Boden, stieß einen andern mit dem Kopffe wieder die Wand, daß er ohnmächtig wurde, den dritten aber mit einem ausgezogenen Stillet auf der Stelle todt. Meine Zechbrüder brachten die übrigen 4. zwar glücklich zur Thür hinaus, ersahen aber, daß noch mehr als 12. Mann im Hofe parat stunden, uns zu attaquiren. Jedoch zu allem Glücke war die Stuben-Thür inwendig mit starcken eisernen Bändern und Riegeln versehen, derowegen wurde dieselbe, aufs beste verwahret, hergegen schien meinen Compagnons[384] das Durchwischen unmöglich, weil die 3. Fenster mit eisernen Stäben allzu fest besetzt waren. Allein hierzu wurde bald Rath, denn ich riß einen nach dem andern aus der Mauer, und also sprungen wir auch einer nach dem andern zum Fenstern heraus. Diese waren nun zwar auch mit einer geringen Manschafft besetzt, allein ich schlug mich glücklich durch, und kam ohnbeschädigt in meinem Logis an.

Folgenden morgen besuchte mich einer von den gestrigen Zechbrüdern, der sich, le Pressoir nennete, und brichtete: daß la Rosée nebst noch einem andern dennoch von der Wacht attrapirt und ins Chastelet geführet worden, über dieses wäre auch der Kerl, welchen ich mit dem Kopffe so hart an die Mauer gestossen, crepiret, derowegen der beste Rath, wenn ich mein Quartier veränderte, weil man mich hier leicht ausforschen und zu dem la Rosée setzen könte. Demnach ließ ich mich von diesem Schein-Freund bereden, mit in sein eigenes Logis zu ziehen, allwo ich schöne Gelegenheit, aber fast täglich solche Personen um mich hatte, welche den Krams-Vögeln gar nicht, den Galgen-Vögeln aber desto ähnlicher sahen. Le Pressoir brach endlich beym Truncke, und zwar, da wir gantz allein beysammen waren, mit dem gantzen Geheimnisse heraus, daß nehmlich er und seine Gefährten Cartouchianer, auf deutsch Mitgesellen der aller berühmtesten Spitz-Buben-Bande unter allen wären, die dermahlen auf der gantzen Welt florirten.

Ich erschrack hierüber von Hertzen, und zwar dermassen, daß mir der kalte Schweiß austrat, denn[385] im Augenblicke stelleten sich alle Gehenckten, Geräderten, Geviertheilten, Gebrandmarckten, Gestäupten und dergleichen vor mein Gesichte, die ich nicht nur von eben dieser Bande in Paris, sondern auch von Jugend auf an andern Orten Mord und Diebstahls wegen executiren sehen. Le Pressoir merckte einige Bestürtzung an mir, sagte derowegen: Schämet, euch Monsieur! bey so vortrefflichen Leibes-Gaben ein solch feiges Gemüthe zu haben. Bedencket doch wer heute bey Tage sein Glück auf festen Fuß setzen will, muß wahrhafftig viel Geld haben, die Art, wo mit wir selbiges zu erwerben suchen, scheinet zwar etwas desperat und schimpflich, allein das letztere zumahl, ist eine leere Einbildung, weil einige von den grösten Monarchen das Gewerbe, sich mit Gewalt zu bereichern, öffentlich, wie armen Schlucker aber dasselbe nur heimlich treiben. Ach! sprach er noch, es sind viele von unserer Bande hinweg geschlichen, die mit ihrem darbey erworbenen Gute, theils in Deutschland, Engelland, Holland und andern Ländern, sich auf Lebens-Zeit vergnügte Ruhe-Städte zubereitet haben.

Solche Gespräche führeten wir biß in die Mitter-Nacht, ich versprach dem le Pressoir die Sache zu beschlaffen, und deßfals Morgen mit dem frühesten den Schluß zu fassen, ob ich mich ihrem Obristen wolte præsentiren lassen. Allein mein Sünden-Maaß lieff ohnedem schon über, und weil die Göttliche Barmhertzigkeit vielleicht noch viele Grausamkeiten zu verhüten, mich aber zu einiger Erkäntniß zu bringen gesonnen, fügte es dieselbe dergestallt, daß le Pressoir diese Nacht ausgekundschafft, nebst mir[386] im ersten Schlaffe überfallen, gebunden und ebenfalls ins Chastelet geführet wurde.

Hieselbst wurden mir alle meine Kleider biß auf die Hosen und Hembde abgezogen, ingleichen der Barchent Gürtel, worin mein Gold und Kleynodien vernehet waren, und den ich jederzeit auf dem blossen Leibe trug, abgerissen, so daß von allen übelerworbenen Gute nichts in meiner Gewalt blieb, als ein kleiner Diamant-Ring etwa 15. thaler werth und dann 6. gehenckelte Gold-Stücke, die in einer verborgenen Hosen-Ficken stacken, und etwa 30. thaler austrugen. Man warff mir zwar an statt meiner schönen Kleider etliche andere Stücke zu, welche ohnfehlbar etwa ein gehenckter oder geräderter Dieb zurück gelassen hatte, allein ich wolte selbige nicht eher anziehen, biß mir endlich des Nachts die grimmige Kälte allen Eckel vertrieb, denn es war gar ein verzweiffelt kaltes, stinckendes und niedriges Gewölbe im untern Stockwercke, worinnen man mich an entsetzlich starcken Ketten gefangen hielt.

Wenig Tage hernach wurde ich ins Verhör gebracht, allwo ich mich zwar, was die Cartouchianer anbetraff, aufs beste zu verantworten suchte, allein um so viel desto schlechter Gehör fande, ja die Sache wurde dergestallt eiffrig getrieben, daß ich zu meinem Trost, ein vor allemahl den Bescheid bekam, entweder binnen dreyen Tagen reinen Wein einzuschencken oder der allerentsetzlichsten Tortur gewärtig zu seyn, zu desto grösseren Schrecken aber muste dabey seyn, da ein anderer, mir unbekanter Cartouchianer von zweyen Henckern aufs allerentsetzlichste gefoltert wurde, welches mir eine dermassen[387] hefftige Empfindlichkeit verursachte, daß ich auf der Stelle hätte verzweiffeln mögen.

Nunmehro, so bald ich wieder in mein dunckeles Gefängniß geführet worden, hielt mir erstlich der Satan die Kuh-Haut, ja ich möchte sagen eine Elephanten-Haut vor, worauf alle meine von Jugend auf begangenen Sünden, mit den aller kläresten aber desto nachdrücklichsten Schrifften angezeichnet waren. Daß Eisen-Geschmeide an meinen Händen, Füssen und gantzen Leibe zu zerbrechen, war mir eine gantz leichte Sache, ja ich trug dasselbe deutlich zu sagen meinen Verwahrern nur zum Spotte. Alleine durch die Mauer zu brechen schien desto unmöglicher, derowegen bewegte mich die ausserordentliche Gewissens-Angst zur völligen Verzweiffelung, so daß ich gäntzlich beschloß, mich in folgender Nacht ohne ferneres Bedencken selbst ums Leben zu bringen, es geschehe auch auf was vor Art als es wolle. Denn, ohngeacht ich in meinen Gewissen der Cartouchianer wegen ziemlich reine war, so propheceyete mir doch die Tortur, und dann das gemeine Sprichtwort: Mit gefangen mit gehangen, ein klägliches Ende. Demnach erwartete ich mit Schmertzen, biß der Kercker-Meister Nachts, um etwa 10. Uhr, zum letztenmahle nach mir gesehen hatte, wandte hierauf mittelmäßige Kräffte an, und zerbrach binnen einer halben Stundte, nicht allein alles an mir habende Eisenwerck, sondern drehete auch die Schlösser und gelencke von den Hand-und Bein-Schellen glücklich ab, so daß ich mich hiervon völlig befreyet befand. Hierauf tappte mit den Händen nach einem Haacken herum, woran ich mich[388] mich vermittelst meiner Strumpff Bänder zu hängen suchte, indem aber warff der Mond seine Strahlen durch ein Viertheil-Elen breites Lufft-Loch, welches jedennach mit einem starcken eisernen Stabe verwahret war. Selbigen Stab riß ich mit äuserster Mühe aus den Steinen heraus, weltzte einen grossen Klotz an das Lufft-Loch und bemerckte: daß selbiges nicht über 6. oder 8. Elen hoch von der Erde sey, derowegen setzte die Henckers-Gedancken etwas bey seite und versuchte, ob das Loch nicht etwa binnen etlichen Stunden dergestallt auszubrechen und zu erweitern wäre, daß ich hindurch wischen könte; die Steine waren ziemlich mürbe, also fing ich mit Hülffe des eisernen Stabes, die Arbeit dermassen hitzig an; daß endlich binnen 2 oder drey Stunden das Loch durch die Mauer so groß als nöthig wurde.

Nunmehro hielt ich freylich das fernere Uberlegen vor einen unnützen Zeit-Verlust, warff derowegen den eisernen Stab, als ein höchstnöthiges Faust-Gewehr voraus, und schlupffte hinter drein. Der Sprung war höher herunter geschehen, als ich mir dem Augenmasse nach eingebildet hatte, demnach prasselten alle Rippen in meinem Leibe, weil ich sehr unsanffte auf das Stein-Pflaster gefallen war. Jedoch die weit grössere Angst erstickte endlich diese etwas kleinere und stärckte mich dermassen, daß ich nicht allein, noch eine 6. Elen hohe Mauer überklettern, sondern auch vor anbrechenden Tage, im freyen Felde, einen Erdfall erreichen konte, in dessen nicht allzu wohl verwahrte Höle ich meinen zerstauchten Cörper schmiegte und denselben fast über[389] und über mit Erde bedeckte. Nachdem die Sonne bereits etliche Stunden geschienen, und ich mich ziemlich weit ausser denen ordentlichen Strassen zu liegen vermerckte, das kalte Lager aber fast nicht mehr ertragen konte, zerriß ich meinen ohndem genung zerfleischten Bettlers-Kittel noch mehr, und brachte alles in eine dermassen unordentliche Ordnung, daß mich ein jeder nicht nur vor den allerärmsten Bettler, sondern so gar vor einen rasenden Menschen ansehen muste. Wer mir begegnet, lieff entweder aus dem Wege, oder warff beyzeiten ein Stück Geld, Brod oder andere Victualien entgegen, nur damit ich ihm vom Halse bleiben solte, und solchergestallt practicirte mich glücklich über die Französischen Gräntzen, biß an den Rheinstrom, allwo mir, von dem annoch bey mir habenden Gelde, nunmehro erstlich wieder ein Mühl-Purschen Kleid, Axt, nebst allem andern, was zu solchen Stande gehörete, anschaffte.

Es liessen sich zwar immittelst in allen meinen Gliedern die Zeichen einer bevorstehenden Kranckheit mercken, allein weil ich durchaus keine Lust hatte an Catholischen Orten stille zu liegen, so setzte dennoch meine Reise biß in die Wetterau fort, und fand daselbst bey einem gutthätigen Müller, Gelegenheit, etwas Artzeney zu gebrauchen, welche auch in so weit anschlug, daß ich nachhero die Reise biß in meine Heymath mit ziemlichen Kräfften überstehen konte.

Mein ernstlicher Vorsatz war: von nun an meine Sünden zu bereuen, und so bald ich mich zu Hause mit einem frommen Seelsorger bekandt gemacht,[390] ein christliches und GOtt wohlgefälliges Leben anzufangen, jedoch weil dieser Vorsatz dem Teuffel ohnfehlbar hefftig verdroß, warff er mir eine abermahlige Verhinderung darzwischen. Denn so bald ich in meiner Mutter Hauß eintrat, machte der nunmehro ziemlich alte und desto schlimmere Stief-Vater scheele Augen, und gab unter seinen brummenden Worten so viel zu verstehen: daß ich bey demjenigen, welchen ich vor etlichen Jahren das gute Geld geschickt, nunmehro auch die Bären-Haut suchen, und darauf liegen könte, so lange als ich wolte. Denn er könte leichtlich mercken daß ich mehr Ungeziefer als Ducaten mit brächte, welches doch würcklich erlogen war. Jedoch meine sehr alte unvermögliche Mutter empfing mich desto freundlicher, und sagte: ich solte mich nichts anfechten lassen, denn der böse Mann, welcher sie seit so vielen Jahren her als einen Hund tractiret hätte, wäre nur darum so rasend, daß sie mit ihm kein Kind gezeuget, vor weniger Zeit aber ein Testament gemacht, ihm nur, 100 fl. mir und meinen Geschwistern hingegen nicht allein die Mühle, sondern auch alle beweglichen und unbeweglichen Güter vermacht hätte. Ich ließ also des Stief-Vaters verdrüßliche Reden zu einem Ohre ein, und zum andern wieder heraus gehen, begegnete ihm auch mit möglichster Höfflichkeit, allein da ich eines Tages darzu kam, und sahe: wie er meine arme alte Mutter aufs aller erbärmlichste tractirte, so, daß ihr das klare Bluth über das Gesichte lieff und demnach des erbärmlichen Schlagens kein Ende werden wolte; fassete ich den Mörder beym Arme und stieß ihn zur Tühr hinaus, meine[391] Mutter aber hatte ich kaum ins Bette getragen und einigermassen von Bluthe gereiniget, da der erboste Stief-Vater zurück kam und mich mit einem grossen Prügel dermassen über den Rücken schlug, daß ich fast verzweiffeln mögen, jedoch ehe er noch dergleichen Schlag wiederholen konte, stieß ich ihn zur Thür hinaus, so daß er rücklings eine kleine Treppe herunter stürtzte und ohnmächtig liegen blieb.

Es waren etliche Mahl-Gäste gegenwärtig, welche, das mir und meiner Mutter zugefügte Unrecht mit angesehen hatten, also meinen Jachzorn um so viel desto weniger mißbilligen, dem ohngeacht meinen Stief-Vater mit Eßig und andern starcken Sachen wieder erquicken wolten, allein ob derselbige gleich die Augen auf zuthun und sich in etwas zu regen begunte, so wolte doch kein Verstand wieder kommen, wir schickten nach dem Bader des Dorffs, der ihm eine Ader öffnen und sonsten mit Artzeneyen zu Hülffe kommen solte, allein ehe die Mitternachts Stunde ein brach, starb er unverhofft und plötzlich, weil, wie ich nachhero erfahren, ihm das Rückgrad entzwey gebrochen war. Solchergestallt muste ich mich auf Zureden meiner Mutter und anderer guten Freunde eiligst aus dem Staube machen, und weil mir die erstere einen guten Zehr-Pfennig auf die Reise gab, zugleich ein gut Pferd aus dem Stalle mit zu nehmen erlaubte, erreichte ich gar bald einen sichern Ort, allwo biß zu Ausmachung dieser Sache in Sicherheit leben könte.

Allein mein Gewissen fand sich von so häuffigen Blut-Schulden und andern nicht viel geringern,[392] dermassen bedrängt, daß ich erstlich in eine grosse Tieffsinnigkeit, und bald hernach auch in ein gefährliches hitziges Fieber verfiel, und binnen 14. Tagen, da solches an allerhefftigsten gewütet, nicht gewust, wie mir zu Muthe gewesen. Ich habe mittlerweile nicht nur phantasiret, sondern dergestallt hefftig geraset, daß öffters 8. biß zehen der stärcksten Manns-Personen mich kaum bändigen und vor dem Selbst-Morde bewahren können. Endlich sehen sich die guten Leute gezwungen, mich mit starcken Stricken und Seilen im Bette anzubinden, die ich aber nicht anders als vermodert Garn zerrissen habe. Ein gleiches ist nachhero auch unterschiedliche mahl mit denen angelegten Ketten und Banden geschehen, jedoch endlich hat ein Schmid die stärcksten eisernen Bande verfertiget, auch die Mühe auf sich genommen, nebst seinen Gesellen bey mir zu wachen, und meine Hände, so offt sie sich an dem Eisenwercke vergreiffen wollen, mit Brenn-Nesseln so lange zu peitschen, biß mir die Lust zum Zerbrechen nach und nach verschwunden.

Hätte mich GOtt in diesem Zustande dahin sterben lassen, so wäre mein Leib und Seele gantz gewiß ewig verdammt und verlohren gewesen, allein seine Barmhertzigkeit, die auch die allergrösten Sünder, auf allerhand Arten zur Busse zu reitzen suchet, hat sich auch bey mir auf eine gantz besondere Art offenbaret, und zwar unaussprechlich mehr als ich verdienet gehabt. Da ich also einst in der Nacht, meinen völligen Verstand wieder bekam, und mich dergestallt gefesselt und verwahret befand, anbey nicht anders glaubete; die Gerichten hätten wegen des[393] meinem Stief-Vater verursachten Todes, diese Sorgfalt, mich fest zu halten, angewendet, fing ich aufs erbärmlichste zu seuffzen und zu klagen an und bat die Anwesenden mit Thränen, mir die Hände und Füsse nur auf eine eintzige Stunde frey zu lassen, damit ich so lange Zeit ein wenig auf der Seite liegen könte, denn mein Rücken war fast lauter roh Fleisch, und brennete dermassen schmertzlich, als ob lauter glüende Kohlen unter mir gelegen hätten. Allein man trauete mir nicht, sondern ich muste die Marter noch so lange erdulden biß, des Morgens früh noch etliche starcke Leute ankamen, um meiner Gewalt auf den Noth-Fall desto besser zu wiederstehen. Aber die guten Leute hätten dergleichen Furcht nicht nöthig gehabt, denn ich war nunmehro weit unkräfftiger als eine Fliege, und gab die vernünfftigsten und besten Worte, erfuhr immittelst zu einiger Beruhigung, daß ich keines Verbrechens, sondern nur meiner Raserey wegen geschlossen worden. Man legte mich auf die Seite, weßwegen ich in etwas Ruhe und Linderung empfand, bald darauf aber folgende Gedancken bekam: Du gerechter GOtt! wie lang und grausam schmertzlich ist mir nicht die vergangene halbe Nacht vorgekommen, da ich mich doch nur auf den Rücken etwas durchgelegen habe? was ist dieses kurtze Stück der Zeit gegen die unendliche Ewigkeit, und was sind diese Schmertzen gegen die unaussprechliche Pein zu rechnen, die allen Gottlosen, ja allen solchen, die noch wohl 1000 mahl weniger Sünde als ich begangen haben, bereitet ist. Nun fiel mir auf einmahl wieder ein, was ich in meiner Jugend von dem jüngsten Gerichte,[394] von der ewigen Höllen-Quaal und Straffe der Gottlosen, predigen, singen und sagen hören, ingleichen præsentirten sich vor meinen Augen alle diejenigen Personen, die ich im Zorn ums Leben gebracht, verwundet, bevortheilet, oder sonsten beschädiget hatte, welches alles in meinem Gemüthe einen dermassen hefftigen Auflauff verursachte, daß mir der Angst-Schweiß ausbrach, und ich mich vor Schrecken, Furcht und Elende nicht zu lassen wuste, ja weil ich erwog wie schändlich ich das, bey ehemahliger Kranckheit gethane Gelübte gebrochen, so zweiffelte fast, daß GOtt mein ferneres Gebeth anhören, vielmehr mich, als einen unnützen Knecht, der sich niemahls ein rechtes Gewissen gemacht GOtt, seine Diener und Nächsten zu betrügen, dem Teuffel in die Klauen und in den ewig brennenden Höllen-Pfuhl übergeben und verstossen würde.

Meine verpfleger vermeyneten vielleicht, es rühre dieser Zufall von dem, aufs neue ausbrechenden Fieber her, liessen derowegen den Artzt ruffen, welcher, da ich mich gantz und gar nicht begreiffen konte, mir mit Gewalt einige starcke Artzeneyen eingoß, jedoch da sich meine Sinnen nur ein klein wenig erholet, verlangete ich nach einem Priester, so bald derselbe kam, muste man mich mit ihm alleine lassen, und nach dem ich ihm ein offenhertziges Bekändtniß meiner Gewissens-Marter abgelegt, wie nehmlich dieselbe mich weit hefftiger quälete als die leiblichen Schmertzen, wandte dieser erleuchtete Mann das äuserste an mir, die Verzweiffelung aus dem Sinne, hergegen neue Busse, neuen Glauben und neue jedoch ernstliche Lebens-Besserung einzu predigen.[395] Es hat GOtt sey tausendmahl Danck, ihm und mir gelungen, denn nachdem er alle Zeichen eines verbesserten Gemüths wahrgenommen, reichte er mir das heil. Abendmahl, besuchte mich auch so lange, biß die Kranckheit gäntzlich vorüber war, und ich wiederum in die freye Lufft gehen konte. Nunmehro war die Haupt-Sache zwar gehoben, jedoch erregte der Satan fast täglich noch einen zweiffel in meiner Seelen, an der vollkommenen Begnadigung GOttes und Vergebung meiner Sünden, derowegen besuchte ich den Frommen Priester fast täglich ein oder ein paar Stunden, unn bekam von ihm die allerkräfftigsten Tröstungen, ausser diesen schenckte er mir eine kleine Hand-Bibel, ein Gesang Buch, worinnen er mir die kräfftigsten Buß- und Trost-Lieder ordentlich bezeichnete, Joh. Arends Paradieß-Gärtlein, dann noch das vortreffl. Buch: Mayers verlohrnes und wieder gefundenes Kind GOttes, recommendirte mir auch über diese noch einige andere erbauliche Bücher, die er schrifftl. aufsetzte. Ich folgte seinen gegebenen Rath aufs allergenauste und habe nach der Zeit fast keinen Tag versäumet, in dergleichen Büchern sehr fleißig zu lesen und meinen Lebens-Wandel darnach einzurichten, wie ich denn auch alle dieselben mit auf diese Insul gebracht habe, und sie vor meinen allerbesten Schatz halte.

Der vortreffliche Geistliche wolte durchaus keine Belohnung vor seine mit mir gehabte Mühe von mir annehmen, ich habe ihm aber dennoch, nachdem ich albereit mit thränenden Augen Abschied von ihm genommen, 20 harte Thaler von demjenigen[396] Gelde, welches mir meine Mutter mit auf die Reise gegeben, durch die Post übersendet, und hertzlich gebethen, sich zu meinem Angedencken andere geistl. Bücher darvor zu kauffen. Die andern ehrlichen Leute, die mich in meiner Kranckheit so wohl besorgt, habe ich auch von dem Gelde, welches ich vor mein verkaufftes Pferd eingenommen, erkäntlich bezahlet, also nicht mehr als noch etwa 30 Thl. übrig behalten. Dieses wenige, aber mit guten Gewissen besitzende Vermögen, beschloß ich zurahte zu halten, mich vor allen Gottlosen liederlichen Leben, sonderlich vor dem verdamten Spielen und Sauffen, Zeit Lebens zu hüten, hergegen mein Brod, auf dem, von Jugend auf ehrlich erlernten Handwercke, zu gewinnen, und zu erwarten, ob mir GOtt etwa hier oder dar in einem frembden jedoch Lutherischen Lande, etwa eine beständige Ruhe-Städte verschaffen wolle: damit ich nicht Ursach hätte selbige in meinem Vaterlande, als welches mir nicht allein der letzten verdrüßlichen, sondern auch anderer ärgerlichen Begebenheiten wegen, eckel war, zu suchen. Unter solchen Absichten schrieb ich meinem Vetter, das an ihm übersandte Capital halb an eine arme Kirche und die andere Helffte an ein gewisses übel besorgtes Hospital zu wenden. Meine Mutter bath ich gleichfalls dasjenige, was sie mir an Erbtheile zugedacht, an geistliche Stifftungen zu legen, indem ich entweder gar nicht, oder doch nur deßwegen wieder eine Reise in meine Heymath vornehmen würde: zu vernehmen ob man in diesem Stücke meinem Willen nachgelebt hätte; denn die Sache wegen meines Stief-Vaters, war[397] schon mit 120. Thl. baaren Gelde vor den Gerichten völlig ausgemacht worden, weiln mehr als 7. Zeugen vorhanden gewesen, die mit Wahrheit bekräfftigen können: daß ich weder muthwillige Händel an ihm gesucht, noch ihm freventlicher hergegen recht abgenöhtigter weise und recht wieder meinen Willen, zum Tode befördert hätte.

Demnach hielt ich mich bey nahe noch anderthalb Jahr in einer berühmten Fluß-Mühle auf, legte bey deren neuer Erbauung nich allein viel Ehre ein, sondern bekam auch von dem Eigenthums Herrn ein ansehnliches Stücke Geld. Indem mich aber ein junger Norwegischer reicher Mühl-Pursche inständig bat: mit in sein Vater-Land zu reisen und seine Erb-Mühle, die noch weit mehrere Einkünffte als erwehnte hätte, auf eben die Art einrichten zu helffen. Ließ ich mich bereden mit ihm nach Norwegen zu reisen. Allein der gütige GOtt, den ich von weniger Zeit her täglich inbrünstig anbetete, führete mich unterweges zu dem Herrn Capitain Wolffgang, dessen unvergleiche Beredsamkeit mein Vorhaben verrückte, und mir die Reise zur See, als das allerangenehmste Pflaster zur Heilung, meiner in Europa selbst verursachten alten Schäden, darlegte. Derowegen nahm mir kein Bedencken, meinem Gefährten die Zusage aufzukündigen, und diesem vollkommen redlich scheinenden Manne zu folgen, der mich auch in der gemachten Hoffnung keines Wegs betrogen, sondern noch vielmehr gehalten, als er versprochen hat.

Zu ihnen, meine Herrn! sagte nunmehro unser guter Müller, habe ich aber hierbey das vollkommene[398] Vetrauen, daß sie mich wegen meines aufrichtigerstatteten Berichts, der meine Person bey manchen Europæer vielleicht verächtlich machen würde, um so viel desto besser achten werden, denn ein Mensch, der vorhero ein Schelm gewesen und nachhero fromm worden ist, nach dem Winckel-Masse der Vernunfft vor besser zuhalten, als 1000 andere, die sich zwar fromm und ehrlich stellen und doch Schelme in der Haut bleiben. Es hat mich niemand gezwungen ihnen die wahrhafften Umstände meiner begangenen Boßheiten zu erzehlen, ich habe auch dieserwegen hiesiges Orts keine Zeugen, als den einigen GOtt, und mein Gewissen über mich zu fürchten gehabt. Sie aber sollen hinfüro allerseits Zeugen, meines, nach menschlicher Möglichkeit zu führenden, christlichen Wandels seyn; weiln ich von der ersten Minute an, da mein Fuß diese glückselige Insul beschritten: allererst eine vollkommene Gemüths-Beruhigung gefunden und nunmehro auch dieselbe durch eine glückliche Heyrath, leiblicher weise, im höchsten Grad erreicht habe. GOtt segne meiner Hände Werck allhier, zu ihrer aller und meinem fernern Vergnügen, dergestallt, daß ich der mir erzeigten Freundschafft und Güte immer würdiger werde, denn nichts als der Todt soll mich ungeschick machen, ihnen meine beständige Ergebenheit spüren zu lassen. Indessen will ich ihnen doch den Gedenck-Spruch, den mir mein lieber Beicht-Vater nach der letzten kranckheit eingeprägt, zum beschluß meiner Erzehlung melden, er lautet also:
[399]

Sprich, Teuffel, was du wilst, ich falle GOtt zu Fusse

Das Böse nicht mehr thun ist doch die beste Busse

Hinfüro tugendhafft, dem Nechsten nützlich seyn

Tilgt alte Schulden aus und macht mich Engel rein.


Der Alt-Vater nahm hierauf unsern Philipp Krätzer bey der Hand und sagte: Mein lieber Sohn! Unser Heyland thut uns in der heil. Schrifft klärlich zu wissen, was vor Freude im Himmel sey über einen Sünder der Busse thut; derowegen müste derjenige ein Gottesvergessener ruchloser Mensch seyn, welcher euch als einen solchen Menschen, an dem GOtt seine heilsame Gnade gantz sonderbar offenbahret hat, geringer als andere Menschen achten wolte. Wenn wir ingesammt unser Gewissen fragen und nach dem Gesetze prüfen, so wird sich wohl kein einziger finden, der sich eines besondern Vorzugs vor andern sündhafften Menschen rühmen kan. Ach ich befürchte leyder, daß Manasse, Paulus und andere dergleichen Heilige, an jenem Tage zwar genung Sünden- aber nicht so viel Buß- Genossen antreffen werden.

Unter solcherley Gesprächen rückten endlich die düstern Abend-Stunden herbey, weßwegen alle Auswärtigen von den werthen Stephans-Raumer Freunden, vor alles genossene Vergnügen, danckbarlicheu Abschied nahmen, und sich auf den Weg zu ihren eigenen Wohnungen begaben. Dergestallt[400] erreichte nun auch der Altvater nebst seinen Hauß-Genossen seine Beqvemlichkeit auf der Alberts-Burg, indem wir uns ingesammt bald darauff zur Ruhe begaben. Einige Tage hernach, da der Drechsler Herrlich, mir einen wohlgemachten Bauer vor meinen schönen Vogel überbrachte, und zur Danckbarkeit von dem Altvater mit dem allerbesten Weine tractiret wurde, ließ sich derselbe von mir bereden, dem Altvater zum Zeitvertreibe seine, nehmlich

Quelle:
Johann Gottfried Schnabel: Wunderliche Fata einiger Seefahrer absonderlich Alberti Julii, [...], Vier Theile, Teil 2, Nordhausen 1732, S. 362-401.
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