[82] Mons Litzbergs Lebens-Geschicht,

aus dieses werthen Freundes eigenen Munde dermassen anzuhören:

Ich bin, fieng er an, im Jahr 1694. am 17. Octobr. in der Käyserlichen Residentz-Stadt Wien, einem Evangelisch-Lutherischen Vater und einer Römisch-Catholischen Mutter, zu verwuthlich nicht geringen Vergnügen, als die erste Frucht ihrer ehelichen Liebe, zur Welt gekommen. Mein Vater war ein guter Ingenieur und dabey Stück-Lieutenant bey der Käyserlichen Artollerie, da sich aber der Rußische Czaar im Jahr 1698. kurtze Zeit in Wien aufhält, lässet er sich auf zureden desselben gelüsten, seine Dimission zu fordern, und dem Czaar[82] mit Weib und zweyen Kindern nach Moscau zu folgen. Nun hatte sich zwar mein Vater nicht allein wegen der höhern Charge, sondern auch wegen der Gage um ein wichtiges verbessert, allein es wäre vielleicht besser vor ihn und uns gewesen, wenn er die Käyserlichen Dienste nicht quittiret hätte. Denn als wir uns mit ihm in der Belagerung Narva befanden, und der König in Schweden diese Vestung im Novembr. Ao 1700. mit 8000. Mann entsetzte, und das gantze Rußische Lager, nebst aller Artollerie eroberte, wurde mein guter Vater, von den Schweden, in der ersten Hitze so wohl als andere darnieder gehauen. Wo meine Mutter nebst der kleinen 4. jährigen Schwester hingekommen, habe nach der Zeit niemahls erfahren können, wie groß auch deßfalls meine Bemühung gewesen. Ich vor meine Person aber, der ich unter währenden grausamen Blutvergiessen aus dem Lager gelauffen, und meine Sicherheit in einem hohlen Graben gesucht hatte, wurde, nachdem ich die gantze Nacht darinnen gelegen, Hunger und Durst gelitten, auch fast gäntzlich erfroren war, von zweyen Schwedischen Musquetiern aufgehoben, zum Feuer geführet, und mit gnungsamer Speise und Geträncke erquickt. Hierauf wurde ich ihrem Obristen vorgestellet, welcher einem Marquetener Befehl gab, mich zu sich zu nehmen, und so gut, ja noch besser als seine eigenen Kinder zu halten, weiln er, der Obrister, davor bezahlen wolte. Ich konte, ohngeacht meiner Jugend, diesem Obristen dennoch hinlängliche Nachricht von meinen Eltern, und von meines Vaters Charge geben, derowegen ließ er unter allen gefangenen[83] Russen, fleißig nach meinen Eltern forschen, allein, dadurch erfuhr ich eben die jämmerliche Zeitung, daß mein Vater unter den Todten gelegen, von der Mutter aber konte niemand von allen gegenwärtigen das geringste berichten. Mittlerweile da wir selbigen Winter wenig Wochen in Quartieren stunden, ließ mir der Obriste ein sauberes Schwedisches Soldaten-Kleid nach mei nen, kleinen Cörper machen, nahm mich in sein eigen Quartier, allwo ich aufs beste verpflegt wurde, und weil mich gern um sich leiden konte, durffte mir kein Mensch eine scheele Mine machen. Der Obriste verstund und redete zwar sehr gut Deutsch, sonsten aber waren sehr wenige unter seinen Leuten anzutreffen, die meine Sprache verstehen konten, vor mich aber war es desto elender, daß ich die ihrige gleichfalls nicht verstund. Nun hätte sich dieses zwar wohl mit der Zeit gelernet, allein der vortreffliche Obriste, war so gnädig, nicht allein zu Beförderung dessen, sondern auch wegen meiner anderweitigen Information einen feinen Menschen von einer andern Compagnie zu sich zu nehmen. Es war selbiger, wo ich nicht irre, von Geburth ein Holsteiner, und hatte einige Jahre auf deutschen Universitäten zugebracht, ich glaube aber, nachdem ich seinem gantzen Wesen etwas weiter nachgedacht, daß er vielleicht jemanden erstochen, oder eine andere sonderbare Fatalität gehabt, weßwegen er seine Sicherheit unter der Schwedischen Armee in Pohlen gesucht, wie ich denn auch zweiffele, daß der Nahme Schwedeke, sein rechter Zunahme hergegen vielmehr ein selbst angenommener Nahme gewesen.[84]

Jedoch es ist nicht nöthig, dieserwegen eine genaue Untersuchung anzustellen, genung, weiln dieser Mensch gut Schwedisch, Deutsch, Lateinisch und Französisch verstund, nahm ihn der Obriste zu seinem Secretario und zu meinem Informatori an. Ich konte (es meinem seel. Vater nicht zur Schande nachzureden) zur selben Zeit, wenig mehr beten als das Vater Unser, und etliche Reim-Gebetlein, im A.B.C.-Buche aber war mir noch kein eintziger Buchstabe bekandt, vielweniger andere Sachen, worinnen sonst andere 6. biß 7. jährige Knaben schon ziemlich geübt sind. Allein, weil Mons. Schwedeke die gelegene Zeiten und Stunden vortrefflich wohl in acht zu nehmen und zu nutzen wuste, ich auch eine grosse Begierde zeigte, lernete ich binnen einem Jahr vollkommen Deutsch, Lateinisch und Schwedisch lesen, auch in allen drey Sprachen ziemlich schreiben, welches letztere aber in folgenden Jahre sich weit verbesserte. Derowegen muste nunmehro auch anfangen die Lateinische Sprache fundamentaliter zu erlernen, worinnen ich denn meinen Fleiß nicht im geringsten sparete, ohngeacht die starcken Märsche und andere Fatiguen, wie auch die blutigen Schlachten in Pohlen, viele Verhinderungen darein brachten. Ich blieb zwar mit meinem Informatore beständig bey der Bagage, jedoch weil die Schweden mehrentheils siegten, hatten wir nicht selten Gelegenheit, den allererschrecklichsten und jämmerlichsten Zustand auf den Wahlstädten zu betrachten. Zeit Lebens aber werde ich an den grausamen Anblick des Wahlplatzes, bey einem Groß-Pohl nischen Städtgen, Fraustadt genannt, gedencken,[85] allwo die guten Sachsen eine erbärmliche Niederlage erlitten hatten. Meine Haut schaudert sich noch, wenn ich daran gedencke. Ich wolte meine Augen immer davon abwenden, jedoch wohin? denn überall zeigte sich Blut und Mord. Die erschlagenen Russen und Sachsen jammerten mich weit mehr, als die Leichen der Schweden, und zwar aus keiner andern Ursache: als weil die letztern meinen seel. Vater ermordet hatten, und in Erwegung dessen konte nicht umhin, auf diesem Wahl-Platze häuffige Thränen zu vergiessen.

Jedoch ich will die gräßlichen Umstände dieser kläglichen Schlacht zu anderer Zeit erzehlen, und voritzo nur melden, daß ich in meinem 12ten Jahre, nehmlich Ao. 1706. unter denen Schweden gleichfalls mit in Sachsen kam.

Mein Obrister bezoge sein Quartier auf einem vortrefflichen Adel. Ritter-Gute, ohnweit Torgau, hieselbst bekam ich nun zwar ein neues, starck mit Gold bordirtes Kleid, wie auch eine etwas schlechtere Wochen-Livreé, allein dieses war mir in meiner Seele ungemein empfindlich, daß er zuweilen frembden Leuten gantz negligent erzehlete, wie mein Vater vor Narva massacriret, meine Mutter entlauffen, und ich solchergestalt sein Leib- eigner Knecht worden wäre. Jedoch fand sich schon so viel Verstand bey mir, daß ich meine deßfalls aufsteigenden Affecten bestmöglichst zu verbergen suchte. Mons. Schwedeke nahm mittlerweile dasiges Orts die Gelegenheit in acht, mich aufs eiffrigste zur Latinität, Geographie, Historie, Schreib- und Rechen-Kunst anzuhalten, weil ich mich nun mit Lust zu allem[86] dem, was er mir vorlegte, beqvemete, auch seiner übrigen Zucht gehorsamste Folge leistete, kan ich mich nicht erinnern, von ihm mehr als ein eintzig paar Ohrfeigen bekommen zu haben, und zwar darum: daß ich aus Frevel eine überladene Musquetier-Flinte abgeschossen hatte, die gar leichtlich springen, und mir den Kopff zerschmettern können. Mein Herr, der Obrister, hatte gleichfalls noch niemahls Ursach gehabt, mich etwa über eine Boßheit, welche sonsten gemeiniglich den Knaben in Hertzen steckt, straffen zu lassen, doch endlich wachte bey ihm unverhofft eine grausame Tyranney wider mich auf, und zwar durch folgende Gelegenheit: Ich war eines Tages bey den sämtlichen Adelichen Kindern dasiges Orts, spielete erstlich, und speisete hernach mit ihnen. Hierbey bat mich die Edel-Frau, ihnen meine Avanturen, von der Zeit an, als ich in meine Kindheit zurück dencken könte, nebst dem, was ich in meinem jungen Soldaten-Leben seltsames gesehen, zu erzehlen. Indem nun kein Bedencken mag, dieser, mir sehr gewogen scheinenden Dame Gehorsam zu leisten, war ich dabey so unbedachtsam, folgende Reden auszustossen: Wolte GOtt, es wären an statt der lieben Sachsen lauter Schweden erschlagen worden; denn diese bösen Leute haben mir meinen lieben Vater ermordet, und ich erinnere mich noch, wiewohl als im Traume, etliche mahl von ihm gehört zu haben, daß er auch ein gebohrner Sachse gewesen, ich weiß aber nicht, aus welcher Stadt. Ja! rieff ich in meinen kindischen Eyffer noch darzu aus: Wolte GOtt, ich könte erfahren, wer ihn getödtet hätte, ich wagte mein Leben an dem[87] Mörder, meines Vaters jämmerlichen Todt zu rachen, und wenn es auch des Obristen selbst eigne Person betreffen solte.

Nun hatten zwar verständige Leute ein grosses Mitleyden wegen meines Unglücks, gaben sich auch die Mühe, meinen ohnmächtigen Eiffer mit den Vorstellungen zu bezähmen: daß es im Kriege nicht anders her zu gehen pflegte, und daselbst kein Ansehen der Person gelte; letztlich wurde auch gewarnet, sonderlich wegen meines Obristen, nicht also frey zu sprechen, allermassen mich sonsten gar leichtlich in Ungnade und bösen Verdacht bey ihm stürtzen könte, hergegen solte erwegen, daß derselbe doch voritzo meines Vaters Stelle verträte. Diese Reden überzeugten mich nicht wenig meines Unverstandes, nahm mir derowegen vor, in zukunfft klüger zu sprechen, aber vor einmahl war es schon zu späte, denn ein verzweiffeltes Cammer-Kätzgen bey dieser Adelichen Dame, hatte alle meine Reden noch selbigen Tages, einem von unsers Obristen Laquayen, mit welchem sie vielleicht in heimlicher Liebe lebte, gantz im Vertrauen wieder gesagt. Dieser Kerl war wegen seines liederlichen Lebens sehr übel beym Obristen angeschrieben, und stunde es damahls eben darauf, daß er die Musquete auf dem Buckel nehmen solte, derowegen suchte er sich zu meinem Unglücke, aufs neue einzuschmeicheln, und unter dem Schein der Treue und des Rechts, dem Obristen die gantze Sache nebst vielen beygefügten Lügen, dergestalt plausibel vorzustellen; daß derselbe würcklich auf die Gedancken verfiel: wie er vielleicht an mir eine Schlange in[88] seinem Busen erzöge, welche ihn mit der Zeit menchelmörderischer weise schaden, oder wohl gar den Tod anthun könte. Ich wurde demnach, gleich darauf folgenden Morgen in aller frühe, von Herr Schwedken und des Obristen Cammer-Diener, wegen meiner geführten Reden examinirt, da aber diese beyden aus Liebe ziemlich gelinde verfuhren, trat der Obriste, der in einem Neben-Zimmer alles mit angehöret hatte, selbst hinein, und zwar mit dermassen ergrimmten Gesichte, daß ich vor Schrecken in die Erde zu sincken vermeynte, solchergestalt sahe ich mich gezwungen, auf sein zorniges Befragen alles zu gestehen, was ich gestriges Tages unbedachtsamer weise heraus geplaudert hatte. Die zugesetzten Lügen aber ebenfalls ein zu gestehen: Konte mich kein Mensch bewegen, wie ich denn deßfalls immer auf meine Adelichen Zuhörer provocirte, allein es halff dieses so viel als nichts, hergegen wurde ich eine Stunde hernach, von des Obristen Knechten, im Pferde-Stalle mutternackend ausgezogen, mit grossen Ruthen biß aufs Blut gepeitscht, und in den ältesten zerlumpten Kleidern fortgejagt. Ich konte vor grossen Schmertzen nicht weiter kommen, als biß in eines Bauern Garten, woselbst mich in das Gepüsche verkroch, und den gantzen Tag über, ohne Speise und Tranck, sehr unruhig, darinnen ruhete, da aber gegen die Nacht ein grausames Donner-Wetter und schrecklicher Platz-Regen einfiel, gieng ich sehr matt und furchtsam, ja mit zitterenden Gliedern in das Bauer-Hauß hinein, allwo zu meinen Glücke die zwey darinnen liegenden Schweden nicht zu Hause, sondern auf etliche Tage auscommandiret[89] waren. Die guten Bauers-Leute hatten von meinem gehabten Unglücke bereits ziemliche Nachricht, und zwar aus der Edel-Frauen eigenen Munde, bey welcher die Bäurin ohnlängst als Magd in Diensten gewesen, beklagten derowegen zwar mein unschuldig erlittenes Elend, wusten sich aber nicht zu resolviren, ob sie es aus Furcht vor den Obristen wagen dürfften, mir ein Nacht-Lager im Hause zu verstatten. Endlich überwog doch die Barmhertzigkeit alle Furcht, so, daß ich nicht allein Speise und Tranck, sondern auch Erlaubniß von ihnen erhielt: diese Nacht, ja so lange in ihren Hause zu bleiben, biß sie vernommen, ob etwa die Edel-Frau vor mich sorgen wolte. Dieses zu erfahren, gieng die Bäurin, noch ehe es völlig Nacht wurde, zur Edel-Frau, kam aber bald zurück, und brachte diese gnädige Dame selbsten zu mir geführet, welche, so bald sie mich dergestalt jämmerlich in einem Winckel sitzen sahe, augenblicklich helle Thränen zu vergiessen anfieng. Ich weinete ebenfalls, hörete aber, daß sie folgende Worte zu mir sprach: Ach mein Kind! verzeyhet! ja verzeyhet mir, ich bin schuld an eurem Unglücke, denn hätte ich euch nicht zur Erzehlung eurer Geschichte beredet, so hättet ihr nicht dergleichen kindische unbedachtsame Reden fliegen lassen, ich wünsche hertzlich, zu erfahren, wer euch verrathen hat, denn es muß ohnfehlbar einer von unsern Bedienten dieses Schelmenstücke verübet haben. Der Himmel lindere eure Schmertzen, vertrauet auf GOtt und meine möglichste Beyhülffe, denn ich will euch morgende Nacht an einen Ort bringen lassen, wo es euch wohl gehen soll, so bald[90] uns aber GOtt von den Schweden befreyet, will ich euch in mein Hauß als ein Kind aufnehmen. Hiermit klopffte sie mich sanfft auf den Backen, ich aber küssete und benetzte ihre Hand mit meinen Thränen, weßwegen sie mir desto mehr Trost zusprach, und sich nichts abhalten ließ, meinen jämmerlich-verwundeten Leib selbst zu besichtigen. Ach! schrye sie, ist dieses eine Marque der Schwedischen Frömmigkeit und GOttes-Furcht? O ihr Tyrannen! o ihr Türcken! ist es zu verantworten, einen unmündigen Knaben, um eines unbesonnen Worts willen, welches ihm der Jammer wegen des Angedenckens seines entleibten Vaters ausgetrieben, dergestalt zu tractiren? Ach! wo ist hier die Proportion zwischen der Straffe und dem Verbrechen zu finden? Ach! das arme Kind hätte sich, wenn es recht unterrichtet und zu Verstande gebracht worden, wohl 1000. mahl anders bedacht, und die einfältige Hitze seiner Jugend hernachmahls selbst gemißbilliget. Solche und dergleichen Reden führete sie noch einige Zeit, nahm endlich Abschied von mir, die Bäurin aber mit sich auf ihren Hof, von wannen dieselbe vor mich ein weisses Hembde, nebst etlichen köstlichen Confituren und einer Flasche Wein mitbrachte, anbey Befehl erhalten hatte: selbigen zu wärmen, und meinen gantzen Leib damit abzuwaschen, welches zwar anfänglich sehr schmertzhafft, jedoch nachhero ungemein schmertz-stillend war, und da ich nachhero auch ein paar Gläser Wein darauf getruncken, verschlieff ich in folgender Nacht den grösten Theil meiner Plagen und Sorgen.

So bald sich gegen Mittag meine Augen wieder[91] eröffneten, verrichtete ich mein Morgen-Gebet, und danckte, ohngeacht meiner aufwachenden Schmertzen, dem Allmächtigen, daß er mich, von denen, mir niemahls anständigen Kriegs-Gurgeln, erlöset, hergegen Hoffnung zu einer ruhigern Lebens-Art verliehen hatte. Nachdem die Bäurin aber meine Verpflegung den gantzen Tag hindurch aufs beste besorgt, kam die guthertzige Edel-Frau, die pro forma ihre Ländereyen zu Fusse besucht hatte, gegen Abend durch den Garten zu uns, ließ durch die Bäurin, aus ihrem Hofe, einen Korb abholen, in welchem sich ein schönes Kleid, nebst vieler Wäsche, Büchern und andern Bedürfnissen befande. Mit diesen Sachen beschenckte sie mich, und sagte, wie sie gesonnen: mich künfftige Nacht, durch meinen Wirth von hier hinweg, und zu einem ihrer Befreundten, der seine Hofhaltung in Chur-Brandenburgischen Landen hätte, fahren zu lassen, bey diesem solte ich mich nur fein stille und fromm verhalten, fleißig beten und lernen, so würde ich keine Noth leyden, vielmehr alles Vergnügen finden. Immittelst möchte ich öffters, so gut als ich könte, an sie schreiben und versichert leben: daß ich so gleich nach dem Abmarch der Schweden, würde zurück geholet, um nebst ihren eigenen Kindern behörig auferzogen, und in allen nöthigen Wissenschafften unterrichtet zu werden.

Wie hätte eine leibliche Mutter vor ihr eintziges Kind bessere Sorge tragen und klügere Anstalten machen können? Ist dieses nicht als ein Exempel der göttlichen Vorsorge vor arme, sonst von aller Welt verlassene Wäysen zu erkennen und zu admiriren?[92] Jedoch weil ich gesonnen bin, mich in meiner Lebens-Lauffs Erzehlung möglichster Kürtze zu befleißigen, will nur berichten, daß nach genommenen zärtlichen Abschiede von dieser Liebes-vollen Pflege-Mutter, der Bauer als mein Wirth gegen Mitternacht seinen Wagen anspannete, mich wohl verdeckt darauf packte, und mit möglichster Behutsamkeit darvon fuhr, ohne von einem oder dem andern Schwedischen Soldaten befragt oder angehalten zu werden. Wir säumeten uns an keinem Orte über die dringende Noth, gelangeten also dritten Tages gegen Abend bey demjenigen Edelmanne im Brandenburgischen an, der unserer Edel-Frauen Schwester zur Ehe hatte, welcher mich denn auch so wohl als seine, nicht weniger guthertzige Gemahlin, nach Verlesung der mitgebrachten Briefe sehr liebreich auf- und annahm, den Uberbringer aber folgenden Tages mit behörigen Antworts-Schreiben wiederum zurück fertigte. Ich wurde in Wahrheit nicht als ein armer verlauffener Junge, sondern so gut als ein Adeliches Kind gehalten, ein jeder, so meine erlittenen Fatalitäten anhörete, warff eine, mit vielen Mitleyden vermischte Liebe auf mich, und weil das ausgestandene Creutz mir eine gantz besonders sittsame und submisse Lebens-Art hinterlassen, wurde ich bey jederman nach und nach immer mehr beliebt. Es hatte dieser Edelmann 3. Söhne, von welchen der älteste 16, der jüngste aber wie ich, in seinem 12ten Jahre war, hiernächst 2. Töchter, davon die älteste ins 10te und die jüngste ins 8te Jahr ging. Ausserdem waren noch zwey Vater- und Mutter- lose Adeliche Kinder bey ihnen, nemlich ein[93] Juncker von 13. und ein Fräulein von 11. Jahren, welche letztere den Nahmen Charlotte führete. Ein ungemein wohl-qualificirter Informator hatte also seine volle Arbeit uns 8. Kinder in stetigem Fleisse und guter Zucht zu erhalten, doch weil er ein sehr aufgeweckter Kopff war, der seinen Untergebenen alles spielende beyzubringen, über dieses die rechten Mittel zu gebrauchen wuste, uns in beständiger Furcht und Liebe zu erhalten, hatten unsere Studia auf allen Seiten einen recht erwünschten Fortgang, weßwegen sich der Adel. Principal nebst seiner Gemahlin so wohl über die Aufführung des Lehrers, als der Lernenden recht ungemein vergnügt bezeigten.

Wenige Wochen aber nach dem Abzuge der Schweden aus Sachsen, kam meine vorherige Wohlthäterin mit ihrem Ehe-Herrn dahin gereiset, um ihren Befreundten eine Visite zu geben, und zugleich mich, mit Sack u. Pack zurück zunehmē, allein meine itzigen Versorger, sonderlich aber das umständige Anhalten meiner Schul- und Spiel-Gesellschafft, und dann die starcke Vorbitte, des mir sehr gewogenen Informatoris, brachten es endlich so weit, daß ich noch auf eine Zeitlang Erlaubnis erhielt, zu bleiben wo ich war, worbey zugleich von der Gütigkeit meiner ersten Gönner 20. Thlr. zu Kleidung, Wäsche und Büchern erhielt, ohngeacht mein itziger, Patron sich erkläret, alles benöthigte selbst herzugeben, und solches nur darum, weil seine beyden jüngsten Söhne durch mein Exempel angefrischet wurden, dem ältesten Bruder, der ungemeine Lust zum Studiren erwiese, auf dem Fusse nachzufolgen.[94]

Beyläuffig muß ich mit erwehnen, daß selbigesmahl die Nachricht erhielt: wie mein Obrister, wenig Tage nach meinem Hinwegseyn, und nachdem er meine Erzehlung von seinem Hospite, und dessen Gemahlin, aufrichtiger und wahrhaffter vernommen, sich des mir zugefügten übeln Tractaments habe gereuen und verlauten lassen: er wolle demjenigen 10. spec. Ducaten geben, welcher Nachricht von mir bringen und mich ihm wieder schaffen könne, allein die redlichen von Adel, hatten dennoch dem Land-Frieden nicht trauen wollen, sondern alle. Vorsicht gebraucht, meinen Auffenthalt verschwiegen zu halten, da auch kurtz hernach die Rede gegangen, es sey jenseit des Elb-Stroms ein ersoffener Knabe gefunden worden, hat man ihn bey den Gedancken gelassen, daß ich ohnfehlbar zufälliger weise in solches Unglück gerathen, welches sich denn der Obrister sehr zu Gemüthe gezogen, seinen Zorn aber endlich an dem lügenhafften und verrätherischen Laqueyen ausgelassen, allermassen er demselben 200. Hiebe mit dünnen Spieß-Ruthen, und hernachmahls die Musquete auf dem Buckel geben lassen. Das verhurte und klatsch-haffte Cammer-Mädgen hatte gleichfalls ihren Lohn bekommen, denn nachdem sie den Schwedischen Trouppen etliche Tage-Reisen als eine liederliche Hure nachgefolget, war sie endlich biß aufs Hembde ausgezogen und zurück gepeitschet worden.

Mein Fleiß, wurde durch die unverdienten Wolthaten solcher vornehmen Gönner, dergestalt encouragiret,[95] daß ich so gar Abends und früh Mürgens meinem Schlaffe abbrach, um nur dem ältesten Juncker nachzukommen, denn der Patron hatte mir versprochen, daferne meine Aufführung in bißherigen guten Stande bliebe, mich so dann nebst und bey seinen Söhnen etliche Jahr auf der Universität frey zu halten, und zwar nicht als einen Bedienten, sondern als einen guten Compagnon.

Meine erste Wohlthäterin, starb zu Ende des 1709ten Jahres, und zwar zu meinem grösten Leydwesen, hatte mir aber mit Genehmhaltung ihres Gemahls 200. Thlr. vermacht, die ich auch 3. Jahre hernach cum Interesse richtig erhalten habe. Immittelst ruckte, unter allen täglichen Vergnügen, die Zeit heran, da der Patron seine 3. Söhne, nebst seinem jungen verwäyseten Vetter und mir, unter der Aufsicht des Informatoris, der nunmehro den Character als Hof-Meister bekam, auf die Universität nach Halle sendete. Es geschahe solches um Michaelis des 1711ten Jahres, wir bekamen, in einem Hause 3. Zimmer zu unserer Bequemlichkeit, die zwey ältesten Junckers legten sich hauptsächlich auf die Jurisprudenz, haben es darinnen auch so weit gebracht, daß sie nachhero alle beyde sehr honorable Königliche Bedienungen erhalten, der jüngste nebst dem Vater- und Mutter- losen August aber, deren Sinn von Jugend an auf das Soldaten-Leben gerichtet war, wolten sich nur zu den galanten Studiis, als Historie, Geographie, Genealogie, Mathesi-Tantzen, Reuten Voltoisiren,[96] Fechten und dergleichen bequemen, ich hielt es mit den letztern, am allermeisten aber legte ich mich auf die Mathesin, besuchte deßfalls eines berühmten Professoris Collegia mit allergrösten Vergnügen, und wandte über dieses einem Extraordinario den meisten Theil meiner Spiel-Gelder zu, um privatim desto hurtiger in dieser Wissenschafft, und was derselben anhängig, zu avanciren. Hiernächst hatte nun zwar auch Gelegenheit genung, mir, auf Kosten meiner Compagnons, ein und andere vergnügte Veränderung, so wohl in der Stadt, als auswärtig zu machen, allein es war dennoch mein allergröstes Plaisir, auf der Stube in meiner Einsamkeit zu sitzen, und mit den mathematischen Instrumenten zu arbeiten, wiewohl ich auch die Stunden auf der Reit-Bahn, Tantz- und Fechtboden selten versäumte, mithin in dergleichen Exercitiis vor andern einigen Vortheil erlangete. Kurtz ich studirte immer auf einen General-Lieutenant loß, weil es mir an Courage, mein Glück unter der Soldatesque zu suchen, gar nicht fehlete, über dieses ein und andere falsche Vor-Urtheile in meinem Gehirne schwermeten; daß ich mich weit geschwinder mit dem Degen in der Faust, als Feder hinter dem Ohre zu Ehren schwingen könte, zumahln wenn ich etwas rechts in der Architectura militari gethan hätte. Mittlerweile lieffen 3. Universitäts-Jahre geschwinder hin als ich vermuthet. Binnen selbiger Zeit war ich mit meinen Junckers nur ein eintziges mahl zu Hause gewesen. Ich sage mit allem Fleiß, zu Hause, weil mich meine Wohlthäter noch biß auf denselben Tag, als ein leibliches Kind hielten. Um Michaelis[97] 1714. giengen wir abermahls dahin, die angenehme Herbst-Zeit daselbst zu passiren und weil die galanten Fräuleins meines Principals, ingleichen die ungemein wohlgebildete Charlotte, eine ziemliche Anzahl junger Cavalier dahin zogen, war antäglich vergnügten Veränderungen und Lustbarkeiten nicht der allergeringste Mangel zu spüren. Jedoch nachdem ich überlegt, daß es meine Schuldigkeit sey, den verwittbeten Gemahl meiner ersten Wohlthäterin, die gehorsamste Aufwartung zu machen, bat ich mir dieserwegen bey dem itzigen Versorger ein Pferd aus, und ritte zum ersten mahle die Strasse zurück, auf welcher mich vor etlichen Jahren ein Bauer-Wagen in schmerzlichen Zustande, meinem Glücke entgegen geführet hatte: Der alte rechtschaffene von Adel empfieng mich so wohl, als der eine zu Hause lebende Herr Sohn ungemein freundlich und complaisant, man tractirte mich unverdienter weise würcklich als einen Cavalier, und wolte mir glaubend machen: ich hätte ein solches gutes Ansehen und Geschicklichkeit erworben, daß ich nunmehro im Stande sey, in zukunfft ohne andere Recommendation mein Glücke selbst zu befördern, und allen Wiederwärtigkeiten Trotz zu biethen. Nachdem ich aber dem jüngern Herrn etliche wohlgemachte Zeichnungen von Landschafften, Städten, Fortificationen und dergleichen gezeiget, und bey vermerckung seiner Begierde, selbige mir abzuhandeln, ihm ein angenehmes Præsent damit gemacht hatte, überkam ich nicht allein sofort die von seiner verstorbenen Mutter, mir vermachten 200. Thlr. baar bezahlt, sondern von ihm 2. vortreffliche, fast[98] noch gantz neue Kleider, wovon das eine starck mit Golde bordirt war. Der alte von Adel aber beschenckte mich, vor das ihm gemachte Præsent, welches in allerhand Arten geschliffener vergrösserungs Gläser, curiösen Sonnen-Uhren und dergleichen Plunder bestund mit 50. spec. Ducaten, also konte nach etlichen Tagen in einer, seiner Carossen, sehr vergnügt wiederum zu meinen Compagnons reisen.

Diesen zeigte ich mich nun, wenig Tage hernach, in meinen wohl aptirten neuen Staats-Kleidern, und bekräfftigte dadurch das alte Sprichwort: Kleider machen Leute. Hiernächst inspirirte mir meine Gold-Bourse einen solchen unverzagten Muth, daß ich fest glaubte, es könne einem mit so vielen Glücks-Gütern überhäufften Avanturieur unmöglich etwas in der Welt fehl schlagen. Allein bey wir traff solchergestallt auch ein, was geschrieben siehet: Des Menschen Feinde sind seine eigene Haußgenossen, worunter ohnfehlbar die thörichten Affecten eines Menschen zu verstehen sind. Denn ich hatte zwar bißhero, ohngeacht der, um diese Jahre sonst meistentheils schwermenden Jugend, meine Affecten ziemlicher massen moderiren können, doch unverhofft fieng sich ein gantz besonderer Affect an zu regen, und mich plötzlich dergestallt zu übermeistern, daß ich denselben, weder mit dem Zaume der Klugheit, noch mit dem Gebisse der Renommeé, zu regieren vermögend war. Kurtz zu sagen: Ich wurde verliebt gemacht, und zwar von dem ausbündig schönen Fräulein Charlotte, wiewohl nicht vorsetzlicher und freventlicher weise, sondern vermittelst[99] folgender Umstände: Wir wurden fast täglich von einem benachbarten Land-Juncker besucht, welcher Charlottens Gewogenheit zu erwerben, sich die gröste Mühe gab. Dieser war sonsten ein Mensch von ziemlich guten Ansehen und Eigenschafften, hatte auch zu seinem Stande hinlängliche Einkünffte, jedoch schon verschiedene mahl das Malheur gehabt: seine Ausgeberinnen, Köchinnen, und so gar die Vieh-Mägde, in den Stand der Ammen zu versetzen, wie ihm denn nur noch vor weniger Zeit eine Vieh-Magd, die er ohngeacht ihres starck geschwollenen Leibs, von sich geprügelt, zur Revange auf einmahl ein paar Zwillinge vor der Thür præsentiret hatte. Nun waren zwar nachhero alle diese Händel mit Gelde geschlichtet und abgethan, dem ohngeacht machten ihm selbige aller Orten, wo dieser Herr Ferdinand von H. ** seinen Haaken ehelicher Liebe einzuschlagen suchte, die allergröste Verhinderung. Bey Charlotten hergegen vermeynete er doch am allerersten anzukommen, weil selbige ein zwar schönes, darbey aber sehr armes Fräulein ware, die wohl kaum 500. Thlr. im Vermögen hatte.

Eines Tages wurde er so treuhertzig gegen mich, mir sein gantzes Geheimniß, bey Gelegenheit eines einsamen Spatzier-Ganges zu offenbaren, und meine Person also unverschuldeter Weise zu seinem Liebes-Vertrauten zu machen, auch sich meinen Vorspruch bey Charlotten auszubitten; indem er glaubte, daß ich nicht allein bey derselben, sondern auch des Principals Herrn von V**. Fräulein Töchtern in sehr guten Credite stünde, und zwar darum[100] weil wir vor der Zeit mit einander in die Schule gegangen wären. Anfänglich machte mir zwar ein starckes Bedencken den Character eines Copulations-Raths anzunehmen, jedoch da er mir eine silberne Englische Uhr præsentirete, und vor dißmahl weiter nichts verlangte, als daß ich Charlottens Bruder Augustum, welcher bißhero sehr wiederwärtig geschienen, dahin bringen möchte, in zukunfft bessere Freundschafft zu pflegen, ließ ich mich endlich bereden, und machte den Anfang ein Liebes-Garn zu spinnen, worein sich mein Hertz in wenig Tagen selbst verstrickte. Mons. August ließ sich, weil wir jederzeit sehr gute Freunde gewesen waren, endlich behandeln, mit Ferdinando ziemlich vertraulich scheinende Freundschafft einzugehen, allein was die Schwägerschafft anbelangete, merckte ich gar bald, daß August als ein ambitieuser, ja extraordinair capricieuser Kopff, schwerlich seinen Consens, darzu geben würde, jedoch es gieng mich nichts an, derowegen war nur froh, daß Ferdinand sich der ersten wohl ausgerichteten Commission wegen sehr vergnügt bezeugte, und zur überflüßigen Danckbarkeit, mich mit einem wohl proportionirten Reit-Kläpper nebst Sattel und Zeuge beschenckte, anbey bath: ich möchte mir die Mühe geben, in seinen Nahmen einen Liebes-Brieff, nebst beygelegten Versen, an Charlotten zu verfertigen. Auf die Verse solte ich auch eine feine Melodey componiren, damit er sie Abends unter Charlottens Fenster, welches in den Baum-Garten stieß, absingen könte, da ich denn seiner angenehmen Stimme mit meiner Laute accompagniren solte, um solchergestallt[101] stallt conjunctis viribus, Charlottens bißheriges Felsen hartes Hertze zu brechen. Ich machte abermahls unzählige Einwürffe, daß solches erstlich gar keine Art und Geschicke haben würde, andern theils könte ich vielen Verdruß darvon haben, auch wäre ich ein schlechter Lauteniste, uñ noch schlechterer Componiste, allein es halff da kein Einreden, der, von dem Liebes-Gotte vollkommen angeschossene, Ferdinand, wolte rasend werden, wenn ich ihm meine Hülffe versagte, um deren Beschleunigung er mir abermahls ein Præsent machte, welches in einer verguldeten silbernen Schnupff-Tobacks Dose bestund.

Demnach ergriff ich endlich das Schreibe-Zeug, und setzte an Charlotten einen Brieff auf, dessen Copie ich zwar annoch biß diese Stunde in meinem Brief-Couvert bey mir trage, allein es wird unnöthig seyn, dergleichen Thorheiten der Jugend, bey reiffern Verstande zu repetiren.

Hiermit wolte Mons. Litzberg in seiner Erzehlung einen Sprung machen, allein der Altvater sagte mit hertzlichen Lachen: Halt Mons. Litzberg! so haben wir nicht gewettet, es heisset: Narravere patres & nos narramus omnes. Ich habe das Vertrauen zu eurem, mir allzu redlich vorkommenden, Gemüthe, daß ihr keine ausserordentlichen ärgerlichen Streiche werdet vorgenommen haben, was aber die Thorheiten der Jugend anbelanget, daran wird sich von uns niemand ärgern, derowegen könet ihr dieselben zum erlaubten Schertze wohl erzehlen, zumahlen da ich in meiner eigenen Geschichts-Erzehlung die meinigen selbsten nicht verschwiegen[102] habe. Solchergestallt wurde Mons. Litzberg genöthiget seine Brieff-Tasche hervor zu langen, und uns aus selbiger das Concept eines Briefes folgendes Innhalts vorzulesen.


Allerschönstes Fräulein,


Mein äuserst verliebtes Hertze, hat zwar dem Munde und Augen unzehlige mahl Ordre gegeben, Ihnen die Beschaffenheit desjenigen Feuers, welches Dero unvergleichlichen Augen in dem innersten meiner Seelen angezündet haben, zu entdecken; allein wenn bey aller erwünschten Gelegenheit, der Mund zu blöde, so sind hingegen die Augen desto unglücklicher gewesen; weiln mein anbetens-würdiges Fräulein, deren Sprache niemahls verstehen wollen. Jetzo wagt es meine Hand, dem beklemmten Hertzen einige Linderung zu suchen, welches ohnfehlbar in weniger Zeit gäntzlich verzehret wird, daferne Sie, allerschönstes Fräulein, als die Uhrheberin solcher Glut, demselben nicht Dero unschätzbare Gegen-Gunst zur Erquickung gönnen wollen. Ich erwarte also zwischen Furcht und Hoffnung von Ihnen den Ausspruch: ob ich Liebe oder Haß, Leben oder Todt zu finden habe, und bin demnach bey allen


Meines allerwerthesten Fräuleins

biß ins Grab getreuer

Ferdinand von H**.
[103]

Anbey hatte meine übel exercirte poetische Feder folgende Aria ausfliessen lassen:


ARIA.

1.

Ists wahr, ihr allerschönsten Augen,

Daß ihr charmant und grausam seyd.

Nein! dieses schickt sich nicht zusammen,

Drum, stifftet ihr gleich Gluth und Flammen:

So laßt doch endlich mit der Zeit

Aus euren Blicken Kühlung saugen. Da Capo.


2.

Erwegt, daß meine treue Seele

Durch euren Strahl entzündet ist,

Betrachtet doch in meinem Hertzen

Den Einfluß aller Angst und Schmertzen,

Wo Gram und Furcht das Hertze frißt,

Seht an! Ach seht wie ich mich quäle! Da Capo.


3.

Drum laß ihr schönsten Augen-Sonnen

Euch endlich zur Erbarmung ziehn,

Vergöttert euch durch Huld und Güte,

So kömmt mein Hoffen bald zur Blüthe.

So muß der Schmertz von hinnen fliehn,

So hat mein treues Hertz gewoñen. Da Capo.


Kaum hatte der äuserst-verliebte Ferdinand das Concept von beyden sich vorlesen lassen, als er gleich decken-hoch auffsprunge, und mich unter den aller sensiblesten Umarmungen unzählige mahl küssete, weiln, wie er sagte, seine Gedancken dermassen darinnen ausgedrückt wären, als ob ich selbsten in das innerste seiner Seelen hinein geschauet hätte, wannenhero[104] ich ihm selbiges alsofort zur Abschreibung überlassen wolte; allein hier stack der Knoten, denn der gute Edelmann konte nebst seinen Nahmen, wenig mehr als die deutschen Ziefern mahlen, also muste ich nolens volens, mit etwas veränderter Hand, die Sache selbst in Ordnung bringen, und zu allem Uberflusse, auch den Brief, nach der Mittags Mahlzeit, an Charlotten übersenden.

Hiermit war aber dennoch lange nicht alles ausgerichtet, sondern nunmehro muste der gezwungene Versifex, sich erstlich par force zu einem Capell-Meister nothzüchtigen lassen, und gantz erbärmlich lautende Noten über den jämmerlichen Text setzen. So bald dieses geschehen, lieffen wir mit ein ander eine halbe Meilwegs fort ins Holtz, allwo ich dem lichter-loh brennenden Venus-Bruder, die Melodey etliche hundertmahl vorsingen muste, ehe er dieselbe auswendig lernen und sich getrauen konte, selbige en faveur der dunckeln Nacht, unter Charlottens Fenster abzusingen. Wir kamen Abends nicht zu Tische, sondern truncken uns in einer nah gelegenen Schencke erstlich einen halben Rausch, um desto mehrere Caurage zu kriegen, unsere Abend-Musique ohne Pudeley abzulegen. So bald es aber völlig Nacht worden, schlichen wir uns, ohne Licht, gantz sachte auf meine Stube, von dar ich meine, bey Tage schon zu recht gestimmte Laute abholete, und mich mit dem, von dem Cupido jämmerlich gepeitschten Gefährten, zwischen etliche, noch ziemlich belaubte Hasel-Nuß-Sträucher verfügte, die Charlottens Schlaf-Cammer gerade gegen über gewachsen waren. Ich hatte kaum angefangen[105] auf der Laute ein wenig zu præludiren, da dieselbe das Fenster hurtig eröffnete und sich in ihren Nacht-Habite persönlich præsentirte. Der erhitzte Wechselbalg der Liebe, Ferdinand, gab mir dergleichen vortrefflichen Aspect, als ein glückliches Omen, seines hoffentlichen Vergnügens, mit einem höchst empfindlichen Rippen-Stosse zur fernern Uberlegung. Da aber ich solchergestallt, um frischen Othem zu schöpffen, etwas inne halten muste, vermeynete er, es sey nunmehro Zeit den Text anzufangen, erhub also seine Hoch-Adeliche Stimme, auf eine dergestallt affectuese Art, daß es kein Wunder gewesen, wenn sich die gantze Esels-Zunfft, Europäischer Nation gratuliret hätte, ihn als einen Virtuosen in ihre Capelle auf- und anzunehmen. Ich konte seinen Thon auf keinerley Weise finden, und weil er so wohl den Text als die Melodey vergessen oder versoffen hatte, fingen wir die zwey ersten Zeilen der Arie wohl 6. mahl da Capo an, biß uns endlich Charlottens überlauts Gelächter, eine Pause von etlichen Tacten auferlegte. Allein hiermit entfiel dem sterblich verliebten Ferdinando, zusa t der Stimme, auf einmahl alle Courage; wolte aber ich nicht in der Schande stecken bleiben, so muste, nach einem abermahligen kurtzen Præludio die gantze Arie selbsten absingen, worauff Charlotte zum Zeichen ihres Vergnügens in die Hände klatschte, und in Frantzösischer Sprache, welche Ferdinand nicht verstund, folgende Worte sprach: Cela m'a donné à ce soir un double contentement. Dormez bien: auf Teutsch: Ich bin diesen Abend auf gedoppelte Art ergötzt worden, ruhet wohl![106]

Er fragte mich, so bald sie hierauff ihr Fenster zugeschlagen, was sie gesprochen? ich merckte aber den Braten einigermassen, und gab vor: Sie hätte sich bedanckt, und uns eine geruhige Nacht gewünscht. Demnach hieng sein Liebes-Himmel überall voller Geigen, er drückte mir auf der Stelle 2. spec. Ducaten in die Hand, und weiln seine Geschäffte durchaus nicht erlauben wolten, diese Nacht ausser seinem Hause zu schlaffen, ließ er sich in aller Stille sein Pferd bringen, und ritte darvon, mit dem Versprechen: über morgen Mittags, gantz gewiß wiederum bey uns zu seyn, da ich ihm denn die vermuthliche Antwort des Fräuleins einhändigen und erklären solte.

Ich versprach seine Liebes-Affairen bestens zu beobachten, legte mich hernach aufs Ohr, stund aber gewöhnlicher weise sehr früh auf, und divertirte mich auf dem, im Garten befindlichen Vogel Heerde, allwo mir durch eine, Charlotten sehr getreue Magd, nachfolgende Zeilen eingehändiget wurden, die ich also nothwendiger weise ebenfalls ablesen muß:


Monsieur


Verstellet eure Hand wie ihr wollet, seyd aber versichert, daß Charlotte dieselbe unter tausenden, dennoch erkennen wird. Allein saget mir, warum ihr so verrätherisch handeln, und auf die Seite meiner Feinde treten könnet: da doch ich von Jugend auf, meines Wissens, lauter Redlichkeit und unsträfliche Liebe gegen eure Person bezeuget habe, und wenn ich offenhertzig schreiben soll, biß dato,[107] noch mehrern Estim vor euch hege, als vor alle andere, mir zur Zeit bekandte Manns-Personen. Betrachtet demnach selbst, ob es mir nicht schmertzlich fällt, mich von einem eingebildeten auffrichtigen Freunde, unverschuldeter weise hintergangen zu sehen: Jedoch seyd ihr vielleicht verführet, und etwas unschuldiger als ich noch zur Zeit glauben kan, so ists vergönnet, euch gegen Abend im Lust-Garten bey ersehener Gelegenheit, und ohne Beyseyn anderer zu entschuldigen. Immittelst gebet dem abgeschmackten Ferdinand nur dieses zur Antwort: daß ich endlich noch die gantze Schrifft als einen angenehmen Schertz aufgenommen hätte, daferne nur an statt seines, mir biß in den Todt verhaßten Nahmens, die zwey Buchstaben F.L. gestanden hätten. Saget ihm nur franchement, daß mein fester Schluß sey: Ehe einen ehrbaren Bürger, als dergleichen Edelmann, wie er ist, zu heyrathen. Der Adeliche Stand ist mir ein Greuel, daferne derselbe nicht die Helm-Decken der Tugend und Geschicklichkeit im Wapen, und zugleich im gantzen Wesen auffzuzeigen hat, hergegen ist eine, mit diesen beyden Stücken gezierte Civil-Person, in meinen Augen des vortrefflichsten Adels würdig, ja noch weit höher geschätzt. Uberlegt selbst was ich hiemit gesagt haben will, er weiset mir hierauff die Gefälligkeit, diesen Brieff zu verbrennen, damit er sonsten nicht etwa in verdächtige[108] Hände falle, und glaubet, daß auch in zukunfft, ohne muthwillig gegebene Ursach, und zugefügte Beleydigung euch niemahls hassen wird


Charlotte R. von M.


Hierbey lagen folgende Verse:


Arie.

1.

Wen ich durchaus nicht lieben kan,

Der suche mich nur nicht zu quälen,

Es muß sich fein ein jederman

Das, was ihm gleicht, zur Lust erwehlen.

Mir ist die Geilheit ärgerlich,

Wer diese liebt

Und täglich übt:

Der packe sich.


2.

Ich soll und muß doch eben nicht

Des Standes wegen Eckel freyen,

Denn weil der Himmel selber spricht:

Man soll sich vor den Lastern scheuen;

So lieb ich nur was tugendhafft,

Und beuge vor,

Wenn sich ein Thor

In mich vergafft.


3.

Erlang ich nicht was mich charmirt,

So bleibt die Freyheit mein Vergnügen,

Wer keinen keuschen Wandel führt,

Wird nimmermehr mein Hertz besiegen,[109]

Und dennoch bleib ich immer froh.

Wer mich verdenckt

Sey ungekränckt,

Ich bin nun so.


Gleich unter Lesung dieser auffrichtigen Zeilen wurde mein Hertze dergestallt mit heisser Liebe erfüllet, daß ich vor Freuden ja recht innerlichen Vergnügen gleichsam in einer Entzückung sitzen blieb. Denn kurtz von der Sache zu reden, was konte wohl deutlicher seyn, als daß mir Charlotte den Schlüssel zu ihren Hertzen zeigte, und sich nach einem kühn gewagten Anfalle auf Discretion zu ergeben Mine machte. Läugnen kan ich zwar im geringsten nicht, daß ich dieses artige Fräulein noch als ein Kind, von dem ersten Tage unserer Bekandschafft an, vor andern recht hertzlich, doch heimlich geliebt, allein diese Liebe war, in Betrachtung meines Zustandes, mit so viel Respect und Hochachtung begleitet, daß mir niemahls in die Gedancken kam, von ihr einige Gegen-Liebe zu verlangen. Nunmehro aber wurde, besagter massen, dergestallt aus mir selbst, und in die Betrachtung aller ihrer Annehmlichkeiten versetzt, daß ich auch die Mittägige Speise-Glocke darüber verhörete, und erstlich abgerufft werden muste. Charlotte und ich konten, bey der Tafel, einander ohne merckliche Gemüths-Bewegungen, nicht lange ansehen, derowegen passireten lauter verstohlene Blicke: biß ich endlich die Gelegenheit beobachtete, gegen Abend im spatzieren gehen, das gantze Gehemniß von der mit Ferdinando gemachten Kundschafft zu offenbahren, dieserwegen um Verzeyhung zu bitten, ihr meinen künfftigen gehorsamsten Respect[110] zu versichern, und endlich mit diesen Worten zu schliessen: Es liegt mir aber, Gnädiges Fräulein, noch ein eintziger Punct auf dem Hertzen, den ich jedoch seiner Wichtigkeit wegen unmöglich offenbaren kan, so lange ich zu befürchten habe, daß uns etwa jemand von ferne observiren möchte, über dieses erfodert meine Blödigkeit eine bequemere Zeit und Gelegenheit des Orts: ein vor alle mahl etwas zu sagen, welches mein Gnädiges Fräulein vielleicht nicht errathen wird. Das muß was besonderes seyn, versetzte Charlotte hierauff, allein mein Freund! euer Wesen kömmt mir heute in allen Stücken, ohne dem gantz anders vor als sonsten, dero wegen wäre um so viel desto curieuser, solches Anbringen zu vernehmen, jedoch ich wüste mich auf keine euch beliebige Gelegenheit ohne Verletzung meiner Ehre, zu besinnen, seyd ihr in diesem Stücke ingenieuser als ich, so meldet es, aber, voraus gesagt, ohne Verdacht und Nachtheil meiner Renommée, sonsten will mir viellieber alle Curiositée auf einmahl vergehen lassen. Behüte der Himmel, gnädiges Fräulein, war meine Gegenrede, daß ich Ursache seyn solte nur den geringsten Schein des Verdachts wieder Dero unvergleichliche Tugend zu stiften, jedoch wo mir erlaubt ist, eine Gelegenheit vorzuschlagen, so wird sich eines von Dero Cammer-Fenstern, welches in den Baum-Garten stösset, am besten darzu schicke, es ist ja selbiges nicht gar hoch, mit festen eisernen Stäben verwahret, und in einem solchen Winckel befindlich, allwo ich auf einer kleinen Leiter biß dahin gelangen und aufs geheimste mit ihnen sprechen kan, daferne nur mein gnädiges[111] Fräulein eine gewisse Stunde bestimmen will, wenn ich die Freyheit nehmen darff, mich zu näheren.

Charlotte schüttelte den Kopff hierzu, besonn sich eine lange Zeit, endlich aber verwilligte sie: daß ich künfftige Nacht, wenn der weisse Vorhang heraus hienge, um 11. Uhr vor diesem Auditorio erscheinen dürffte, ausser diesem Zeichen aber durchaus nicht. So bald demnach andere Leute zu Bette waren, schlich ich mich gantz heimlich in den Garten, bauete mein Catheder auf, und fassete endlich das Hertze, Charlotten, so bald sie sich am auffgemachten Fenster præsentirte, durch die engen eisernen Stäbe meine Liebes-Declaration zu thun.

Es ist unnöthig den Innhalt derselben voritzo weitläufftig anzuführen, denn wer nur ein eintzig mahl verliebt gewesen, wird sich gar leichtlich einbilden können: was man bey dergleichen Zeiten und Gelegenheiten vor Fleiß anwendet, seinen Vortrag auf recht hertzbrechende Art einzurichten. Kurtz, Charlotte und ich, wurden des Handels binnen zwey Stunden vollkommen einig, verwechselten unsere Hertzen, schwuren einander ewige Treue, und verabredeten: daß ich erstlich nach Wien reisen, und aus kundschaffen solte, ob noch etwas von meinem Väterlichen oder Mütterlichen Erbtheile zu erhalten sey, da denn hernach etwas Geld an eine sichere Officiers-Charge spendiren, und meine Geliebte öffentlich zur Ehe begehren könte. Doch dieses war an uns beyden eben nicht zu loben: daß wir uns beredeten Ferdinanden so lange bey der Nase herum zu führen, biß ich von Wien glücklich wiederum zurück gekommen wäre.[112]

Ich hatte damahls zum allerersten mahle das Vergnügen diejenigen Süßigkeiten, sehr offt wiederholt zu kosten, welche sich eine Manns-Person von den recht purpur farbenen Lippen eines ungemein schönen Frauenzimmers würcklich zu geniessen, einbilden und wünschen kan; deñ die, zwar sehr engen eisernen Gitter, waren dennoch so raisonable beschaffen: mir diese Ergötzlichkeit auf den Lippen und zarten Händen meiner Geliebten, wiewohl sehr gezwungen zu erlauben. Nachdem aber alles, was uns bey dieser ersten geheimen Zusammenkunfft eingefallen, aufs genauste verabredet worden, war ich so höfflich Charlottens Nacht-Ruhe nicht gäntzlich zu verderben, sondern begab mich um 2. Uhr zurück in mein Apartement.

Folgendes Tages stellete sich Ferdinand versprochener massen sehr zeitig ein, erhielt von mir die tröstliche Nachricht, daß seine Sachen bey Charlotten ein ziemlich gutes Ansehen gewonnen, und ob sie gleich verredet hätte, zeit Lebens keine Liebes-Briefe an eine Manns-Person zu schreiben, so würde er doch in ihren Reden, Minen und fernern Umgange, solche Vortheile vor seine Liebe finden, daß er sich meines Vorspruchs bedient zu haben, nicht dürfte gereuen lassen. Allem Ansehen nach, fand er sich dieserwegen unbetrogen, denn Charlotte wuste ihm dergestallt politisch zu begegnen, daß er mit ihrer vermeintlich aufkäumenden verliebten Aufführung vollkommen zufrieden war. Sie muste recht gezwungener weise, ein kostbares Præsent von ihm annehmen, welches am Werthe bey nahe 100. Ducaten betraff, hergegen ließ sie sich durchaus nicht bereden,[113] den Vortrag eines baldigen Verlöbnisses, und kurtz darauff anzustellender Hochzeit anzunehmen, indem sie nebst andern erheblichen Ursachen, vornehmlich diese anführete: daß sie ihn wenigstens erstlich Jahr und Tag, wegen seiner Treue auf der Probe halten müsse. Ihren Bruder hatte er durch Geschencke und andere Gefälligkeiten, nach und nach dermassen eingenommen: daß es schiene, als ob sie ein Hertz und eine Seele wären, wie denn auch dieser August, mehr bey ihm als bey uns war, und ohnfehlbar sein natürliches Geschlechte, bey Ferdinands Köchinnen und Mägden vermehrete. Im Gegentheil wurde meine Copulations-Raths-Charge gäntzlich cassirt, weil Ferdinand seiner Meynung nach, keinen ferneren Vorsprecher mehr bedürffe, doch bekam ich zum höfflichen Abschiede noch 12. Stück spec. Ducaten, welche vielleicht das Æquivalent des gebräuchlichen Kuppel-Peltzes seyn solte.

Immittelst kamen Charlotte und ich, fast alle Nacht an dem vorerwehnten Orte zusammen, denn unsere brennende Liebes-Hitze, konte der damahligen kälte des Winters, noch ziemlichen widerstand thun, doch musten wir uns sehr genau in acht nehmen, daß die, durch offt wiederholtes Küssen befeuchte Lippen, nicht etwa ihr zartes Häutlein an den unbarmhertzigen eisernen Stäben hängen liessen, welches ich nur ein eintziges mahl mit ziemlicher Empfindlichkeit gewahr wurde, allein die hefftige Liebe verschmertzte alles, in Betrachtung daß man vor dergleichen Delicasse auch etwas ausstehen müsse.

Ich wuste inzwischen nicht zu begreiffen, warum[114] der Herr von V** seine Söhne so lange von der Universität zurücke hielt, da doch selbige selbst täglich wiederum nach Halle zu kommen wünschten. Ich, der ich mich täglich in der Mathematique mit ihnen exercirte, wurde biß dato noch von allen lieb und werth gehalten, doch an allerliebsten von meiner englischen Charlotte; Inzwischen giengen wir beyde vor andern Leuten dermassen unpassionirt mit einander um, daß auch die Allerklügsten nichts weniger, als eine würckliche Liebes-Verbindung von uns præsumiren konten, ohngeacht Charlotte den von mir empfangenen Diamantenen Verlöbniß-Ring, täglich an ihren Finger trug, worgegen sie mir einen kostbaren Perschafft-Ring verfertigen, und verblümter weise den mehresten Theil von ihren Stamm-Wapen, wiewohl nach eigener Invention etwas verändert, hinein setzen lassen.

Solcher gestallt verfloß die Helffte des strengen Winters, derowegen hielt ich mit meiner Geliebten geheimbden Rath, worinnen endlich das, auf beyden Seiten schmertzlich fallende Urtheil gesprochen wurde: daß ich um Fast-Nachten, meine Reise nach Wien antreten, und dieser wegen von meinen Patrons beglaubte Attestate, Reise-Pæsse und Recommendations-Schreiben auswürcken solte. Ich observirte also eines Tages die gute Gelegenheit, meinem Principalen vorzustellen: Wie nunmehro, da ich durch seine unverdiente gnädige Hülffe in solchen Stand gesetzt worden: mein Brod in zukunfft selbst zu verdienen; es mir zur Sünde und Schande gereichen würde, wenn ich dessen Gnade ferner mißbrauchen, und nicht allein hier auf der[115] Bären-Haut liegen und die guten Tage zählen, sondern auch um mein ferneres Aus- und Einkommen unbekümmert seyn wolte. Weßwegen ich um gnädige Erlaubniß bäthe, in meinen eigenen Standes-und Etaats-Affairen eine Reise nach Wien anzutreten, worbey mir sonderlich durch dessen gnädige Vorschrifft und selbst eigene Recommendation ein sicheres Conto zu finden getrauete.

Der gute alte Herr wandte zwar viel darwieder ein, schlug mir auch vor: von Ostern an, noch ein Jahr oder wohl länger bey seinen Söhnen auf der Universität zu bleiben, mittlerweile er auf allerhand Mittel bedacht seyn wolle, mich nach meinen Meriten behörig zu versorgen; Allein die Liebe, ach die hefftige Liebe zu Fräulein Charlotten, stack mir einmahl im Kopffe, und machte mich dermassen beredsam, daß ich dadurch endlich meinen Zweck erreichte, und 2. Tage nach Faß-Nachten 1715. mit 100. Thlr. Geld und einem propren Kleide von ihm abgefertiget wurde.

Nichts auf der Welt kam meinem Hertzen empfindlicher vor, als das klägliche Scheiden, ich wandte alle meine Beredsamkeit und beweglichsten Caressen an mein Fräulein Charlotte, dahin zu bewegen: mir in der letzten Nacht einen geheimen Zutritt in ihren Schlaf-Gemache zu erlauben, betheurete auch bey allen dem was heilig gehalten wird, weder mit Worten, Gebärden oder Wercken nicht das geringste wieder ihre Ehre und Tugend zu tentiren, allein dieselbe war in diesem Stücke ein wenig allzu strenge, also muste nur vergnügt seyn, daß meine Abschieds-Küsse, in grimmiger Kälte,[116] durch das unbarmhertzige eiserne Gatter nehmen durffte.

Demnach nahm meinen Weg, nebst einen zu meiner Bedienung angenommenen Reit-Knechte, der meine Reise-Sachen hinter sich auf dem Pferde in zwey, starck angefüllten, Mantel-Säcken führete, erstlich noch einmahl auf Halle zu, allwo mein annoch daselbst befindliches Geräthe und Bücher, einem redlichen Freunde in Verwahrung, selbigen auch zu Unterhaltung meiner Correspondenz mit Charlotten, hinlängliche Instruction gab, nachhero meine Reise so hurtig als es meine zwey ziemlich tauerhafften Reit-Kläpper ausstehen konten, über Leipzig und Prag nach Wien fortsetzte. Selbige Weltberühmte Stadt erreichte ich endlich, gleich am Sonntage Judica, also 14. Tage vor dem Oster-Feste, hieselbst kostete es nun nicht wenig Mühe, das Geschlechte mei ner Mutter auszuforschen, jedoch nach vielen vergeblich angewandten Kosten, traff ich endlich meine Groß-Mutter mütterlicher Seite, bey einer ihrer Töchter an, die an einen Zeugwärter bey der Käyserl. Artollerie verheyrathet war, und mit selbigen 5. lebendige Kinder erzeuget hatte. So bald ich mich kund gegeben und alle ausgestandene Fatalitäten ausführlich erzehlet hatte: umarmete mich meine Großmutter aufs allerliebreichste, und erkandte mich aus allen Umständen, sonderlich aber an den Gesichts-Zügen, und dem Muttermahle, welches ich am Halse unter dem Halßtuche auffzuweisen habe, vor den leiblichen Sohn ihrer ältesten Tochter. Hergegen wurde ihr, und mein eigenes Betrübniß gantz sonderbar erneuert,[117] da keins von allen nur die geringste Nachricht zu geben wuste, wo meine Mutter mit der jüngsten Tochter müsse hingekommen seyn.

Meine Großmutter aber, hatte nebst dieser Tochter, bey welcher sie lebte añoch zwey andere an Käyserliche Officiers verheyrathete Töchter, und einen Sohn, der unter der Käyserl. Infanterie als Capitain in Ungarn stunde. Nun erkandten mich zwar anfänglich alle 3. Muhmen, vor den Sohn ihrer ältesten Schwester, nachdem sie aber die Sache mit ihren Männern etwas reifflicher überlegt, und sich leichtlich die Rechnung gemacht, daß ich mein Muttertheil prætendiren würde, spieleten sie das Lied aus einem gantz andern Thone, zuckten die Achseln und gaben zu vernehmen, wie sie dennoch verschiedene trifftige Ursachen hätten zu zweiffeln: ob ich derjenige Vetter sey, vor welchen ich mich ausgäbe, man hätte sehr viele Exempel, daß die Leute von dergleichen listigen Landstreichern hintergangen worden, derowegen müste ich mich erstlich besser legitimiren, vor allen dingen aber die Römisch-Catholische Religion annehmen, so dann solten mir nicht allein von jedweden, meiner Mutter Geschwister, 200. Käyser-Gulden baar Geld gezahlt, sondern auch über dieses vor mich gesorget werden, daß ich, durch Vorschub meines Vetters, in Ungarn etwa einen Ober-Officiers- oder Ingenieurs-Platz erhielte. Was war hierbey zu thun? mehrere Beweißthümer meines rechtmäßiger weise führenden Geschlechts-Nahmens beyzubringen, fiel mir unmöglich, der Evangelischen Religion abzuschweren, und die Römisch-Catholische, des zeitlichen schlechten Gewinsts wegen[118] anzunehmen, schien bey GOtt und Menschen unverantwortlich, einen Process aber gegen meine dasigen Bluts-Freunde zu formiren, war gantz und gar nicht rathsam, sondern in Betrachtung meiner wenigen Mittel, allzu gefährlich. Derowegen nahm ich meine einzige Zuflucht zur Groß-Mutter, und verhoffte: dieselbe solte durch ihre Autorität meine Sachen auf guten Fuß setzen, allein selbige stund selbst gar auf schwachen Füssen, denn die gute Alte war fast ein Spott ihrer bösen Kinder und Kindes Kinder, ihr Vermögen hatte sie biß auf wenige zurück behaltene Gold-Stücken und Jubelen, schon vor etlichen Jahren unter dieselben vertheilet, muste also meistentheils deren Gnade leben, über dieses war sie sehr eiffrig Catholisch, und sagte mir ausdrücklich: wie sie mich ebenfalls nicht mit rechten guten Gewissen vor ihren Enckel erkennen und sich meiner annehmen könte, so lange ich mich in meinen irrigen ketzerischen Glauben befände. Jedoch war sie endlich so mitleydig mir 30. Stück spec. Ducaten, nebst einem ziemlich kostbarn Diamant-Ringe und silbernen Degen zu verehren, meldete mir anbey denjenigen Fürstl. Sächsischen Hof, allwo meines Vaters leiblicher Vater, vor vielen Jahren in Diensten gestanden, rieth mir anbey dahin zu reisen und zu versuchen, ob noch etwas von meinem väterlichen Erbtheile zu erhalten sey, mittlerweile hätte auch Zeit und Gelegenheit zu überlegen, ob ich den Vorschlägen meiner mütterlichen Anverwandten Folge leisten, und mir ihr Anerbiethen zu Nutz machen wolte, solchergestallt ich denn mit ehesten zurück kommen und sie allerseits gedoppelt erfreuen könte.[119] Ich war von Hertzen, doch nicht halb so sehr über das empfangene Geschencke erfreuet, als da ich nunmehro die Geburths-Stadt meines Vaters ausgekundschafft hatte, versprach zwar alles wohl zu erwegen, reisete aber unter dem Vorsatze fort, mit Göttlichen Beystande mein anderweitiges Glück zu suchen, und dergleichen falsch-und halßstarrig gesinneten Bluts-Freunden nimmermehr wiederum vor die Augen zu kommen, noch vielweniger sie um einige Bey-Steuer anzusprechen, weil mich lieber zeitlicher weise von ihnen verlassen, als geistlicher weise ins Verderben gestürtzt wissen wolte.

Also trat ich in der angenehmsten Sommers-Zeit meine Rück-Reisen an, und erreichte wenig Tage nach Johannis-Feste, meines seel. Vaters Geburths-Stadt, jedoch in selbiger war mein Geschlechts-Nahme, vor wenig Jahren, mit dem Groß-Vater gäntzlich ausgestorben, ingleichen meines Vaters älteste Schwester nebst ihrem Ehe-Manne, mit hinterlassung dreyer Töchter verschieden, die andere aber lebte annoch mit einem Fürstlichen Secretario, in sehr vergnügter Ehe, und hatte zwey erwachsene Töchter, auch so viel Söhne, die etwa 12. biß 15. Jahr alt waren. Diese Leute konten sich zwar wohl ihrem Stande gemäß aufführen, hatten aber allem Ansehen, und ihrem eigenen Geständnisse nach, wenig übrig, wie sich denn auch vermuthlich dieser Ursachen wegen, keine anständige Freyer vor die sonst ziemlich fein aussehenden, und desto besser gezogenen Jungfern anfinden wolten. Zu bejammern war es, daß meine Groß-Eltern nicht in stärckern Mitteln gesessen, sondern im hohen Alter[120] vor ihrem Ende fast alles zugesetzt, so daß meines Vaters beyde Schwestern nach Abzug der Begräbniß-Kosten, kaum 100. Thlr. werth an Meublen ererbt hatten. Mein Vetter der Secretarius war so redlich, daß er ohne mein geringstes Suchen, augenblicklich vor billig erkandte, was massen der dritte Theil der Verlassenschafft mir zugehöre, derowegen erböthig, mir denselben, vor sich und seines Schwagers Töchter, über welche er Curator war, auszuliefern, allein solche Redlichkeit afficirte mich dermassen, daß ich nicht nur alles deprecirte, sondern über dieses, meine Vettern und Muhmen, mit ein und andern artigen Sachen beschenckte.

Es begab sich aber dieser mein Vetter, nachdem er vermerckt, wie meine Absichten zukünfftiger Lebens-Art eintzig und allein auf eine Militair-Bedienung gerichtet wären, alle Mühe, mich hiervon abzuziehen, und zu einem ruhigern Stande zu persuadiren, allein vors erste wuste er nicht, daß mich eine besondere Liebes-Intrigue darzu antriebe, und vors andere wurde alle seine Vorsorge, mich bey dem Fürstl. Hofe zu engagiren, durch einen Widersacher zernichtet. Selbiger war ein Mensch von erbärmlicher Conduite, seiner Einbildung nach aber, ein anderer Richelieu oder Mazarini. Er hatte etwas, wiewohl nichts sonderliches fundamentelles in der Mathesi gethan, konte jedoch ein und andere Risse aus diesem und jenen Kupfferstiche zusammen klauben, ziemlich sauber aufs Pappier bringen, und selbige hernach mit hochtrabenden Gebärden, vor seine eigene sonderbare Invention ausgeben. Er glaubte: daß er sonderlich glücklich sey, von allen Dingen,[121] die nur aufs Tapet kommen könten, ein ausserordentlich geschickliches Judicium zu fällen, und davon noch vortrefflichere Specimina abzulegen, es kamen aber selbige zuweilen nicht allein sehr unglücklich, sondern offtermahls gar absurd heraus. Jedoch hätte seine Theorie in ein und andern Stücken endlich noch so hingehen mögen, allein in der Praxi hatte er sich bereits zu verschiedenen mahlen verlachungs-würdige Prostitution zugezogen, so daß ein vornehmer und grund-gelehrter Mann, ein solches Judicium von ihm gefället: dieser Künstler versuchte auf des Fürsten Unkosten und mit dessen nicht geringen Schaden erstlich hinter die rechten Sprünge zu kommen; welches deñ in der That und Wahrheit mehr als zu gewiß eintreffen mochte. Nechst dem war dieser Mensch der Philautie oder Eigenliebe im höchsten Grad ergeben, indem nun aus selbiger gemeiniglich ein enormer Hochmuth, und aus diesen wiederum, nicht selten eine Charlatanerie zu entstehen pflegt, so konte man an diesem Subjecto eins wie das andere nur gar zu deutlich mercken, denn wie mein Vetter sagte, so wisse er mit seinen blonden Haaren nicht sattsam zu haseliren, bald trüge er die selben Krause, bald schlecht, bald steckte er alle mit einander in einen mit gläntzenden schmeltzbekleckten Sammet-Beutel, bald knüpffe er sie in 1. 2. oder 3. Knoten, bald ließ er sie auf lächerliche und wunderliche Art in Zöpffe flechten, bald trüge er gar eine kohl-pechschwartze Peruque, die er zuweilen sehr weiß, zu weilen auch in 4. Wochen gar nicht pouderte, endlich abermahls wechselte, selbige wegwürffe, und sein blondes Haar wiederum zum Vorscheine[122] kommen liesse. Anderer Grimacen, gezwungener Complimenten, affectirter Redens-Arten, Gebärden und Leibes-Stellungen nicht zu gedencken. Kurtz! dergleichen Wesen gab auch einem frembden annoch von ferne zu verstehen, daß eine starcke Sympathie zwischen ihm und denjenigen Creaturen sey, welche im Mertzen am meisten zu schertzen pflegen, ja man hat, ich glaube aber zum Schertz versichern wollen, daß er nicht nur beständig einen Zahn-Stocher von dergleichen Creatur, sondern so gar einen gantzen Laufft desselben im Schubsacke bey sich führete.

Diesem artigen Herrn nun mich adjungiren zu lassen: gab sich mein Vetter bey dem Fürsten die gröste Mühwaltung. Da man aber gewisser Ursachen wegen, gantz besondere consideration vor diesen allzuartigen Herrn bezeigte, und, damit er sich ja nicht etwa disjoustirt befinden möchte, erstlich Gelegenheit abwarten wolte, ihm solches mit einer Manier bey zu bringen, vermuthete ich, daß mir solchergestallt die Zeit etwas zu lang währen, auch da es endlich ja angehen solte, keine gar zu gute Seide mit diesem, meinem Temperamente durchaus contrairen Menschen spinnen würde, ließ mich also bereden, mit dem eintzigen Sohne eines vornehmen Ministers, noch einmahl nach Halle zu gehen, und folgenden Herbst und Winter über noch recht fleißig zu studiren.

Es war dieses keine unebene Sache vor mich, denn ausser dem, daß ich vor die Privat-Information des jungen Cavaliers in allen defrayrt wurde, und noch über dieses wöchentlich einen Thaler bekam,[123] getrauete ich mir den Winter über mit meinem Handwercks-Zeuge, und zwar nur zum Feyerabende, wenigstens 50. Thlr. zu verdienen, derowegen verkauffte meine zwey Pferde, den Bedienten aber weil er sehr getreu war, behielt ich bey mir, zumahl da ihm der junge Cavalier Logis und Kost ebenfalls frey gab, ich also nur dessen Liberey zu bezahlen hatte.

Mit meinem Fräulein Charlotte hatte ich indessen, so offt als es nur möglich gewesen, Briefe gewechselt, und von den ihrigen einen so starcken Vorrath in Händen, daß ich fast zwey Stunden Zeit nehmen muste, wenn ich mir das gröste Vergnügen mit Durchlesung derselben machen wolte. So bald mich aber nur etwas weniges aufs neue in Halle eingerichtet hatte, trieb mich die hefftige Begierde, selbige wiedrum einmahl zu sehen, dahin, dem Herrn von V** meine Aufwartung zu machen. Ich wurde seiner angebohrnen Gütigkeit nach, hertzlich wohl empfangen, stattete Rapport von meiner Reise und gehabten Verrichtungen ab, und hatte das Vergnügen meinen Engel an dem alten Orte außführlich zu sprechen und zu küssen. Sie erzehlete mir mit Lachen: daß Ferdinand abermahls eine Vieh-Magd, seiner Meynung nach in aller Stille mit 50. Thlr. abgefertiget hätte, dem ohngeacht, weil sie sich nichts darvon mercken liesse, begegnete er ihr noch immer mit den äusersten Liebkosungen, und dränge scharff darauff: daß ihre Vermählung noch vor Weyhnachten vor sich gehen möchte. Allein sie bliebe beständig darbey, daß es in ihren Hertzen vorlängst beschworen sey, vor Verlauf ihres 20sten Jahres[124] keinen Mann zu nehmen, also müsse er sich gezwungener weise, von einer Zeit zur andern, mit Gedult schmieren, woferne ihm nicht gelegen sey, bey ihr auf einmahl durch den Korb zu fallen.

Mir gab anbey mein liebstes Fräulein einen Verweiß, daß ich mich nicht emsiger um einen Officiers-Platz bemühete, ja sie durffte fast auf die Gedancken gerathen: als ob mir an ihrer, desto baldigen Besitzung, gar wenig, oder wohl gar nichts gelegen sey. Derowegen hatte genung zu thun, ihr solche Gedancken auszureden und zu erweisen, daß die itzigen Friedens-Zeiten, mich dermassen verwirrt machten, daß ich fast nicht wüste unter welche Trouppen ich mich wenden solte. Demnach schlug sie mir die Sächsische Soldatesque vor, welche damahls eben mit den Pohlnischen Confœderirten im Kriege verwickelt war, erboth sich auch mir so gleich mit 200. Thlr. an heimlich gesammleten Gelde und Geschmeide an die Hand zu gehen. Hieraus ware nun Dero gantz besonders treue Liebe sattsam zu spüren, derowegen versprach ich nur noch biß gegen den Frühling zu verweilen, nachhero so gleich meine Reise zu der Sächsischen in Pohlen stehenden Armée anzutreten.

Hierbey blieb es vor dieses mahl, doch hatte noch binnen zween Tagen, und des Nachts vor dem eisernen Gatter, die schönste Gelegenheit, derselben meine inbrünstige Liebe mit beweglichen Worten vorzustellen, welche denn von beyden Seiten mit unzähligen Küssen aufs neue befestiget und versiegelt wurde.

Des Herrn von V** Herrn Söhne, waren auf[125] die Universität Leipzig gezogen, derowegen konte mich Ehrenhalber nicht länger bey dem alten Herrn aufhalten, nahm also vor dißmahl Abschied, empfing abermahls eine Ritter-Zehrung von 6. Ducaten, und kehrete wieder zu meinem jungen Cavalier nach Halle. Selbiger brachte so wohl als ich seine Zeit, den gantzen Herbst und Winter über, sehr fleißig zu. Im Februario des 1716. Jahres aber, verkauffte ich alle meine unnöthigen Sachen mit guten Vortheil, erhandelte abermahls ein paar gute Klöpper, und wartete nur auf das Fräulein Charlotte, welche selbsten nach Halle zu kommen versprochen hatte. Sie stellete sich endlich im Mittel des Februarii ein, überlieferte mir 100. Thlr. baar Geld, und vor so viel Geld allerley Geschmeide, welches ich gar bequem bey mir führen konte, da aber meine Allerliebste vielerley zu verrichten hatte; und sich noch selbigen Tages auf die Rückreise begeben muste, wurde unser Abschied kürtzlich, jedoch dermassen zärtlich gemacht: daß wir beyderseits in Thränen zu zerfliessen vermeynten, doch da es nicht anders seyn wolte, schwuren wir einander nochmahls ewig feste Treue und schieden von einander.

Noch selbigen Abend setzte ich einen Brieff an den Herrn von V** auf, ihm mein Vorhaben zu eröffnen und zugleich schrifftl. Abschied zu nehmen, weil ich von dessen Güte dermassen überhäufft worden, daß mich schämen muste, wiederum vor seine Augen zu kommen, biß ich eine würckliche Ober-Officiers Bedienung erhalten. Von meinem jungen Cavalier nahm ich gleichfalls recht zärtlichen Abschied, empfieng von ihm über meinen versprochenen[126] Verdienst, noch ein schönes rothes Reise-Kleid, nebst 30. Lüneburgischen Gulden, reisete also mit meinen Bedienten, dem ich mittlerweile gut lesen, schreiben und rechnen lernen lassen, wohl gespickt und höchst vergnügt die Straffe nach Pohlen zu.

Durch Sachsen und Schlesien war gut reisen, allein so bald ich auf den Pohlnischen Boden kam, wurde in einer Stadt von etlichen Lutheranern gewarnet, wohl Achtung zu haben, weil es Kunst kosten würde: bey dermahligen Troublen mich biß in die Sächsische Armeé durch zu practiciren. Allein ich muste mehr Glücke als Verstand haben, denn medio Aprilis, gelangete ich ohne einige gehabte Verdrießlichkeit, glücklich bey der Sächsischen Infanterie an, engagirte mich anfänglich bey einem Regimente als Voluntair, bekam aber, ehe 2. Monat vergiengen, einen erledigten Fahndrichs Platz, und zwar ohne grosse Kosten, sondern mehrentheils aus besonderer Gnade eines genereulen Obristen, der noch darzu meinen Schwedischen tyrannischen Obristen sehr speciell gekennet hatte, welcher letztere, wie damahls erstlich erfuhr, bey Pultawa in der Schlacht von den Moscovitern massacriret worden.

Plus ultra, war von nun an mein ernstliches Symbolum, derowegen suchte meinem Character, durch möglichste accuratessè, in allen Stücken behörige Satisfaction zu geben. Immittelst war mir von Grund des Hertzens leyd, daß ich nicht ein oder anderthalb Jahr früher unter die Sachsen gegangen, denn die delicatesten Expeditiones waren mehrentheils vorbey, und passireten dermahlen nur allerhand[127] kleine Scharmützels, worbey sich dennoch einige Gelegenheit dargab meine Courage zu zeigen. Es würde hoffentlich die Erzehlung derselben nicht so verdrießlich als langweilig fallen, derowegen will diese Materie biß auf eine andere Zeit versparen, und voritzo nur berichten: daß, nachdem der Friede zwischen beyden streitenden Partheyen am 1. Febr. anno 1717. in Warschau ratificirt worden, ich unter den Königl. Trouppen ebenfalls mit zurück und mein Quartier in Sachsen beziehen muste. Selbiges war etwa 14. biß 16. Meilen von meiner liebsten Charlotte Auffenthalt entlegen, doch weilen so gleich keinen Uhrlaub bekommen konte, eine persönliche Visite bey ihr abzulegen; muste ich die Zuflucht zu meinem Correspondenten in Halle nehmen, und in dessen Brieff ein Schreiben an meinen Engel einlegen, allein 14. Tage darauff erhielt von ermeldten guten Freunde die sichere Nachricht, daß sich meine Schöne nicht mehr bey dem Herrn von V.** aufhielte, sondern an einem andern, ihm unwissenden Ort, geschafft wäre.

Mir war hierbey nicht bange, sondern ich vermeynete wenn ich nur einen Brieff an den alten Herrn von V.** ingleichen an dessen Söhne schriebe, mich um ihrer allerseits, und beyläuffig um Charlottens gutes Auffbefinden erkundigte, so würde doch wohl einer von ihnen, ohngefähr auf die Gedancken gerathen, mir Charlottens Auffenthalt zu vermelden, zumahlen da ich glaubte: daß sie nunmehro um so viel desto mehr Estim gegen meine Personalität bezeugen würden, weiln ihnen zugleich avisirte daß ich Hoffnung hätte: binnen wenig Wochen in die [128] Lieutenants Charge zu treten, aber weit gefehlt, denn in einigen Tagen lieff folgender verzweiffelt eckele Brieff bey mir ein:


Monsieur,

und Insonders Hochgeehrter Herr Fähndrich.


Derselbe nehme mir nicht übel, daß ich auf expressen Befehl meines gestrengen Herrn, des Wohlgebohrnen Herrn von V.** welcher das Jus Patronatus in unsern Dorffe hat, diese eigenhändige Zeilen an Denselben absenden thue. Sintemahl und demnach es nunmehro leyder schon vor etlichen Wochen ans Licht gekommen, daß Er die Wohlgebohrne Fräulein Charlotte verführen, und wie vermuthet wird, wohl gar um ihre Fräuleinschafft bringen wollen, doch sit ferbis fenia, wo ich mich irre, hat es nach dem Ausspruche des Terentius wohl recht geheissen: Tambus omnia padefacit, welches in Teutschen Reimen also klingen und lauten thut:


Es ist so kleine nichts gesponnen,

Das nicht käm mit der Zeit zur Sonnen.


Der wohlgebohrne Herr nebst seiner gantzen Hoch Adelichen Familie mänliches und weibliches Geschlechts ist grausam erbittert und im Zorne ergrimmet auf ihn, und so gar etliche Bauren selbst wollen das Ding gar nicht billigen, daß er als einer den der gestrenge Herr den Bettel Stabe entrissen, und ihn erstlich zum rechtschaffenen Kerl gemacht hat, ist so undanckbar gewesen, und hat aus dem[129] Staube seine Augen an den Hoch Adelichen Stern-Himmel gehoben, und mit einem solchen Venus-Sterne geliebäugelt. Aber Amor fincit omnia, das heist die Liebe ist blind. Ich habe solches wohl dem gestrengen Herrn auch vorgehalten, allein ich bekam ein zorniger Gesichte, als wenn ich seinen Retten-Hund mit einem Steine geworffen hätte. So wahr ihr ein ehrlicher Cantor bin, Herr Fähndrich Litzberg, der Juncker August und der Juncker Ferdinand haben euch alle beyde den Todt geschworen, ich rathe euch nicht, daß ihr ihnen auf den Felde begegnet, denn sie gehen mit unsern jüngsten Juncker alle Tage mit der Flinte spaziren herum. Cavete vos, Das heisset hütet euch. Aber doch will euch noch der gestrenge Herr, die Gnade erzeigen und thun, und euch euren Ruffert, den ihr hier stehen gelassen, hin schicken lassen, wo ihr ihn hin haben wollet, denn ich habe den Ruffert schon in meinem Hause unter meinem Bette stehen, da soll ihn leichtlich kein Dieb hervor langen, ich will nur wissen wo ich ihn hin schicken soll, auf der Post oder durch einen Bothen, welchen ihr aber bezahlen müsset, denn es heisset ein Arbeiter, also auch ein Bothe ist seines Lohnes wehrt. Ja ich hätte es bald vergessen, ich soll euch auch schreiben, daß ihr nur nicht gedencken sollet das Fräulein Charlotte wieder zu sehen, ehe sie einen Edelmann gekriegt hat. Denn eine solche schöne Fräulein soll[130] nun durchaus vor keinen andern Menschen als vor einen Edelmann gewachsen seyn, welches auch niemand verdencken wird, denn es heist simulus similus gautet auf Teutsch:


Gleich und gleich gesellt sich gern,

Ein' Qvetschk hat keinen Schleen-Kern.


Ich solte zwar auch was neues berichten, aber ich weiß nichts sonderliches, doch ja, vor 3. Vertel Jahren da ich Toffel Zaunsteckens Tochter Annen, welche mit Melcher Truthahns Sohne Tönnigesen in ein christlich Ehe-Gelöbniß getreten war, in die Braut-Messe läuten sollen, fuhr der Klöppel aus der Glocke zum Schall-Loche heraus, und hat Nachbar Erbs Micheln ein jung Schwein todt geschlagen, das war aber nur eins, mir aber sind diesen Winter 3. Ferckel auf einmahl erfroren, wodurch in sehr grosses Leydwesen gesetzt worden, doch was hilffts hodie michi cras tibe. Mein lieber Sohn ist von dem Hällischen Gymnastio wieder nach Hause gekommen, er hat zwar nur biß in quinda gesessen, kan aber mehr als der beste Primanner, die Leute sprechen nun, ich soll ihn auf die Unverstædt schicken, aber er hats nicht nöthig, ich will ihn lieber mir substiren lassen, denn ich werde doch alle Tage älter, bin ich in den Dienste nicht verhungert, wird er auch nicht verhungern. Ich schriebe gerne noch etwas mehr, habe aber gewiß und wahrhafftig kein Schnippelgen Pappier mehr im Hause, und in der Schencke sind sie schon zu Bette.[131] Wenn ich anfanges was geschrieben habe, daß euch etwa verdrießen thut, so rechnet es mir nicht zu, denn ich bin ein Mensch darzu der Obrigkeit unterthan, die hat mirs befohlen fein Teutsch raus zu schreiben. Tic cur hit pflegen wir Gelehrten an unsere Studier-Stuben zu schreiben, und also habe ich thun müssen, was mir der gestrenge Herr befohlen hat, wir bleiben deßwegen doch gute Freunde, ihr habt mir nichts zu Leyde gethan, und ich euch auch nicht, ein Schelm ders böse meynt. Fale amice ich verbleibe desselben.


Monsieur

und Insonders Hochgeehrter Herr Fähnrich

Dienstwilliger Freund

N.N.R.

Cantor und Ludimoder: in N.


Wer gläubts wohl nicht, (sprach hierauf Mons. Litzberg, nachdem er uns diesen Brieff nochmahls vorlesen und Zeit lassen müssen, die von Lachen gantz zerschüttelten Cörper wieder in Ordnung zu bringen,) daß ich über diese verzweiffelte Schreib-Art hätte halb toll und halb närrisch werden mögen, doch ich will mich mit Wiederholung meiner entsetzlich verwirrt-aufgestiegenen Affecten gantz und gar nicht aufhalten, sondern nur die listigen Anschläge entdecken, welche ich Tag und Nacht schmiedete, um den gewissen Auffenthalt des Fräuleins Charlottens zu erfahren. Der Schulmeister, den ich wegen seines schändlichen Briefes in der ersten Furie den Hals zerbrochen, jedoch wenn ich ihn nur erstlich bey mir gehabt hätte, wurde nach und nach in[132] meinen Augen und Gedancken eine vortrefflich nützliche Creatur, kurtz! ich war auf lauter Streiche bedacht, durch ihn zu erfahren, wohin man meine andere Seele geschafft hätte, setzte mich derowegen auf die Post, und richtete meine Reise also ein: daß ich accurat Freytags Abends in demjenigen Sächsischen Städtgen eintraff, welches nur eine kleine Meil wegs von des Herrn von V.** Guthe entlegen war. Ich hatte mich mit allen Dingen, welche ich zu Ausführung meines Vorhabens nöthig hielt, sehr wohl versehen, und weiln gewiß versichert war, daß sich der vertrackte Cantor gemeiniglich des Sonnabends, einen guten halben Tag, in dem Städtgen zu machen pflegte, wenn er nehmlich den Communicanten Wein von darselbst abholete, und sich den Rantzen bey solcher Gelegenheit recht voll gutes Stadt-Bier soff, so verfärbte mein Gesichte so schwartz-braun, als es sich schickte, zog einen braunen Rock an, setzte eine schwartz-braune liederliche Peruqve über meine zusammen gebundenen Haare, legte einen grossen Schwedischen Degen auf die Schulter, und einen grünen Qveer-Sack drüber, band auch einen mit etwas versilberten Meßing beschlagenen Streich-Riemen vorn an die Brust, machte also eine Figur, wie ein liederlicher Scheer-Knecht oder Barbier-Geselle, gieng Vormittags um 10. Uhr, des halben Wegs, auf diejenige Strasse, wo ich wuste, daß der Schulmeister von rechts wegen herkommen muste, legte mich hinter ein Gesträuche, und wartete mit Schmertzen auf dessen Ankunfft, war auch um 12. Uhr so glücklich, denselben zu erblicken, stund[133] derowegen auf, und gieng sachte vorher, weil mir seine Art bekandt, daß er sehr neugierig war, und jederman gern kennen und ausfragen mochte. Es schlug mir in diesem Stücke nichts fehl, denn er verdoppelte seine Schritte so lange, biß er mich einholte, auf Befragen: Wer ich sey, und wo ich hin wolte? Bekam er zur Antwort: Ich sey ein ehrlicher Barbiers-Geselle, eines Schulmeisters Sohn aus Westphalen, und suchte Condition, aber in keiner kleinen, sondern in einer grossen Stadt, weiln ich ohngeacht meiner liederlichen Kleidung etliche 20. Ducaten bey mir hätte, die ich ihm auch zeigte, und bath: mich in einen Gasthoff zu führen, wo ich eine Stube allein haben könte. Er erboth sich in allen zu meinen Diensten, zumahl da ich mich verlauten ließ, es müsse heute ein Ducaten in Wein und Biere versoffen werden, und wenn ich auch den Nacht-Wächter zum Sauff-Bruder herzu ruffen solte. Allein der Herr Schulmeister, den ich seit langen Jahren aus- und inwendig, er aber vor dißmahl mich nicht kannte, versicherte mich, daß es an Compagnons nicht fehlen würde, und solte er auch allenfalls selbst einen abgeben, derowegen eileten wir fort ins Quartier, allwo ich so gleich eine besondere Stube bekam, und zum Willkommen 6. Maaß Wein, so viel Bier, nebst andern Delicatessen, die in der Eil zu haben waren, herbey bringen ließ, die Stuben-Thür abschloß, und mich mit dem Herrn Schulmeister en deux rechtschaffen lustig machte. So bald ich einen halben Tummel bey ihm verspürete, rieb ich mein Gesicht mit einen besondern Pulver ab, ließ meine Haare, nach weggeworffener [134] Peruqve, herab fallen, weßwegen er mich augenbilcklich erkandte, und vor Angst nicht wuste, wie ihm geschahe. Allein ich machte ihm alle ersinnliche Caressen, neñete ihn meinen allerliebsten Freund und Vater, drückte einen spec. Ducaten in seine Hand, soff den Hansen brav aufs Leder, machte sein Hertze zur welcken Rübe, und erfuhr endlich, nicht nur meiner liebsten Charlotte wahrhafften Auffenthalt, sondern auch alles andere, was er von meinen und ihren Affairen vernommen hatte. Hierauf inponirte ich ihm altum silentium, versprach in zukunfft davor weit bessere Erkänntlichkeit zu erzeigen, und ließ ihn durch einen zugegebenen Bothen mit aufgehenden Monde, biß vor sein Hauß begleiten.

Noch selbige Nacht nahm ich eine Extra-Post, und reisete wiederum meinem Quartier zu, weiln nicht länger als auf 5. oder 6. Tage Uhrlaub genommen hatte, nunmehro aber, bath auf einen oder 2. Monath Uhrlaub aus, muste jedennoch 14. Tagen warten, ehe mir abzureisen erlaubt wurde, binnen dieser Zeit, schrieb ich einen abermahligen Brief an den Herrn von V.** excusirte das, mir so hoch aufgemutzte Verbrechen, schützte vor: daß es gar nichts unerhörtes sey, wenn ein Fräulein einen Officier heyrathete, der zumahlen die gröste Hoffnung hätte, durch seinen Degen, sich des Adelichen Standes vollkommen würdig zu machen, übrigens wolte vor dieses mahl dasjenige Touchement, so mir durch die thörichte Zuschrifft des einfältigen Schulmeisters zugefügt worden, en regard dessen, daß ich dem Herrn von V.** gantz desondern Respect[135] restire, durch Klugheit überwinden, mir aber dabey ausbitten: daß von jungen Edelleuten nicht mechant von mir gesprochen würde, wiedrigenfalls ich mich genöthiget sähe, einen oder den andern auf ein paar Pistolen zu Gaste zu bitten, oder den Injurianten dergestalt zu prostituiren, daß sich endlich zeigen müste, wer das beste Adeliche Hertze im Leibe hätte.

An meinen vielgeliebten Herrn Schulmeister schrieb ich aber einen gantz andern höchst-verbindlichen Brief, schickte ihm auch noch einen Ducaten, und bath durch den abgefertigten Expressen, mir nicht allein meinen Coffre zu senden, sondern über dieses auch noch sonsten schrifftlich zu berichten, was er etwa damahls vergessen hätte.

Der Herr von V.** war dennoch so eigensinnig, mir auch auf dieses Schreiben nicht zu antworten, hingegen schrieb mir der Herr Schulmeister desto hertzbrechendere Zeilen, jedoch weil nichts remarquables darinnen befindlich, will voritzo die Zeit menagiren, und selbigen Brief nicht einmahl hervor suchen, sondern nur sagen: daß ich endlich Erlaubniß zum Hinwegreisen erhielt. Ich hatte biß zu meines Fräuleins Auffenthalt 26. Meilen zurück zu legen, die ich ebenfalls auf der Post antrat, jedoch nicht weiter gehen wolte, biß in die letzte nächst gelegenste Stadt, ich kam hurtig genug daselbst an, und zwar eben an einem solennen Jahrmarckts-Tage. Allein wie erschrack ich nicht, da, indem ich von der Post abstieg, August und Ferdinand ohnfern vor mir vorbey giengen, jedoch zu guten Glück meiner nicht gewahr wurden. O Himmel![136] wie geschwind griff ich nach meiner Büchse, worinnen die vortreffliche Salbe verwahret war, wodurch man sich in der Geschwindigkeit zum halben Zigeuner machen konte. Ich folgete dem Postilion in den Stall, und beschmierete mich unvermerckt so viel als nöthig war an Gesicht und Händen, ließ geschwind meinen Coffre abpacken, zohe ein fahles Kleid an, setzte eine braune gute Peruqve auf, und gieng eiligst auf dem Marckte herum spaziren, allwo mir nach einer halben Stunde mein Fräulein Charlotte unter etlichen andern Adelichen Dames in die Augen fiel. Vor Freude und Bekümmerniß war ich fast halb todt, jedoch, da sie bald hernach in ein grosses Gast-Hauß giengen, vor welchen ihre Carossen unangespannet stunden, schlich ich mich gegen über in ein Wein-Hauß, forderte Feder und Tinte, hatte immer ein Auge aufs Fenster, das andere aber aufs Pappier gerichtet, und schrieb in der Geschwindigkeit ohngefähr folgende Zeilen:


Allerschönstes Fräulein.


Euer allergetreuster Verehrer F.L. ist allhier zugegen, und hat bereits das Glück gehabt, euch als seine Sonne unter andern blossen Sternen von ferne zu sehen. Lasset ihm wissen, ob er sich noch den Eurigen nennen darff, oder ob derjenige Sturm, welchen seine Seele, auch entfernet, ebenfalls empfunden, die Wurtzel der zu ihm getragenen Gunst aus Eurem Hertzen gerissen hat. Ich muß selbiges zwar nicht ohne Ursache befürchten, kan es aber fast unmöglich glauben,[137] weil Euer, sonst in allen billigen Sachen beständiges Gemüthe, mir jederzeit vor Augen schwebt. Verkürtzet derowegen meine Quaal und Marter, entdeckt mich entweder meinem anwesenden Mit-Buhler, der mir den Todt geschworen hat, oder zeiget mir Gelegenheit, wo, und wann das Vergnügen, Euch in Geheim zu sprechen, haben kan, der im Post-Hause in verstellter Kleidung auf Antwort wartende


bekümmert-Verliebte Litzberg


Geschrieben war der Brief, ich sahe auch mein Fräulein nebst andern Dames gegen über im Fenstern liegen, allein, wie ihr derselbe unvermerckt in die Hände zu spielen sey, wolte mir gar nicht einfallen. Endlich da sich ohngefähr ein mäßiger Pursche vor mir præsentirte, und allerhand Galanterie-Waaren zum Verkauffe anboth, merckte ich gleich an seinem gantzen Wesen, daß er ein durchtriebener Schalck seyn müsse, zohe ihn derowegen auf die Seite, kauffte vor einen Ducaten nöthige Waaren, zeigte ihm hernach das im Fenster liegende, sehr betrübt aussehende Fräulein, und versprach ihm einen spec. Thaler zu verehren, wenn er derselben, ohne daß es andere Leute merckten, diesen Brief einhändigen, und ihr heimlich zu verstehen geben könte: so bald es ihr gelegen, Antwort abzuholen, zu welchem Ende ich ihm denn eine kleine Schreib-Taffel nebst Bleystifft gab, die er ihr ebenfalls überreichen, zur Losung aber nur die beyden[138] Buchstaben F.L. schreiben oder reden könte, so würde sie alsofort mercken, was es zu bedeuten hätte.

Der lose Vogel war mehr als zu dreuste, schleicht sich also gantz leise in dasjenige Zimmer, wo die Adelichen Personen befindlich, zupfft das Fräulein gelinde beym Ermel, und da sie sich, ohne daß es die andern gewahr werden, umwendet, giebt er ihr alsofort den Brief so wohl als die Schreib-Taffel, mit verzweiffelten Gebärden und Augen-Wincken in die Hände, erhält so viel von ihr, daß sie es stillschweigend verbirget, nachhero legt er seine Waaren aus, da immittelst Charlotte einen Abtritt nimmt, endlich wieder zurück kömmt, ihm ein und anderes abkaufft, und die Schreib-Taffel gantz unvermerckt wiederum zustellet. Selbige brachte er zu meinem grösten Vergnügen eiligst zurück, denn ich war noch nicht wiederum ins Post-Hauß gegangen, sondern wolte nunmehro im Wein-Hause erstlich abwarten, was ferner passiren würde, fand demnach in der Schreib-Taffel folgende Antworts-Zeilen:


Mein Werthester!


Dieses ist versichert die erste vergnügte Stunde, so ich nach euren genommenen Abschiede in Halle, wiederum zu empfinden habe. Ihr bleibet, so lange ein Othem in mir ist, dennoch der Meinige und ich die Eurige, und wenn sich gleich die gantze Welt darwieder setzte. Seyd so gütig, und traget im Post-Hause noch in etwas Gedult, Morgen mit den allerfrühesten, wird mein Bruder mit seinem unflätigen Compagnon abreisen, gegen[139] Abend aber sollet ihr von meinem getreuen Mägdgen fernere mündliche und schrifftliche Nachricht empfangen, Lebet wohl mein Hertzens-Schatz, ich bin


eure getreue Charlotte.


Niemahls habe ich einenen spec. Thaler mit grössern Vergnügen ausgegeben, als denjenigen, welchen mein glücklicher Liebes-Courier, nehmlich der Galanterie-Händler, itzo von mir empfieng, so lange aber meiner Augen höchst ergötzliche Weyde, sich noch am Fenster blicken ließ, gieng ich nicht von der Stelle, sondern wartete so lange im Wein-Hause, biß sie sich endlich in den Wagen setzte, und davon fuhr, da ich denn wiederum zurück ins Post-Hauß gieng, und meine Zeit mit verliebter Sehnsucht so lange vertrieb: biß folgenden Tages fast gegen Abend Charlottens Getreue mir folgende Zeilen überbrachte:


Mein Liebster!


Folget der Uberbringerin dieses, meinem getreuen Mägdgen ohne Scheu an denjenigen Ort, wo sie euch hinführet, damit ich das Vergnügen habe, euch auf einige Stunden zu sprechen. Nehmet mir immittelst nicht ungütig, daß voritzo nicht weitläufftiger geschrieben, denn eine gute Freundin hat mich auch bey nächtlicher Weile, an dieser mir sonst höchst ergötzlichen Arbeit verhindert. Meine Peiniger sind fort. Adieu mon coeur.
[140]

Dieser angenehmen Ordre schuldige Folge zu leisten, begab ich mich mit herein brechender Abend-Demmerung, nebst meiner Führerin, auf den Weg, und wurde, nachdem wir eine starcke Stunde Wegs zurück gelegt, durch einen Bauern-Garten in ein dergleichen Hauß geführet, woselbst mich ein alter 70. jähriger Mann nebst einer, vielleicht um sehr wenig Jahre jüngern Bauer-Frau, nach ihrer Art sehr höflich und freundlich bewillkommeten. Mein englisches Fräulein stellete sich um die Mitternachts-Zeit auch daselbst ein, fuhr aber entsetzlich zusammen, da sie von mir, als einem Zigeuner ähnlichen, schwartz-braunen Peruqven-Hanse, empfangen wurde. Jedoch ich ließ sie nicht lange in dieser Verwirrung stecken, sondern, war bemühet durch die Krafft meines Pulvers, und etwas warmen Wassers, meine natürliche Gestalt herzustellen, welche nach abgelegter Peruqve, ein unzweiffelhafftes Attestat von meinen eigenen Haaren empfieng.

Wir belachten hierauf diesen Spaaß eine kurtze Zeit, liessen die alten Leute immerhin bey den Gedancken: daß ich mehr als Brod fressen könte, und fiengen hernach in ihrer Gegenwart unsern Discours in Frantzösischer Sprache an: Dergestalt erfuhr ich nun, daß unser geheimes Liebes-Verständniß, durch niemand anders als durch Charlottens eigenen Bruder entdeckt und ausgebreitet worden, denn dieser liederliche Wildfang, hatte einsmahls durch einen Ritz in Charlottens Stube geguckt, und observiret: daß dieselbe mit weinenden Augen, einige, aus ihrem Chattoull hervor gelangte Briefe gelesen,[141] hernachmahls selbige verschiedene mahl geküsset und wiederum aufs sorgfältigste verwahret hatte. Da nun Ferdinand gleichfalls ein Zeuge darvon gewesen, gehen sie mit einander zu rathe, und erbrechen nachhero einsmahls unter der Kirche Charlottens Stube und Chatoull, finden alle meine Briefe nebst den meisten Concepten ihrer Antwort, und zeigen dieselben, um Charlotten nur recht zu prostituiren, erstlich allen Leuten, und auf die letzte auch dem Herrn von V.**

Was die gute Charlotte dieserwegen vor Verdruß und Qvaal ausstehen müssen, und wie es über mich armen Schöps hergegangen, ist leichter zu vermuthen als zu erzehlen. Ferdinand, dessen Liebe dieserwegen dennoch nicht verschwindet, sondern um so viel desto mehr Nahrung empfängt, weil er nunmehro versichert ist, daß Charlotte gar wohl lieben kan, wenn sie nur will, vermeynet bey solchen Umständen im trüben zu fischen, und es dahin zu bringen: daß Charlottens Ausschweiffung, (wo es anders menschlicher weise also zu nennen) sich mit seinen groben Schand-Flecken compensiren soll. Allein diese fasset einen Helden-Muth, und saget franchement heraus: daß sie 1000. mahl eher einen gemeinen Musquetier von guter Conduite, als einen solchen Edelmann heyrathen wolle, der sich mit allen Vieh-Mägden auf dem Miste herum geweltzt, und so viel Hur-Kinder zu ernähren hätte, daß in zukunfft seine Korn- und Wäitzen-Erndte nicht einmahl hinlänglich seyn würde, selbigen die veraccordirten Mund-Portiones zu reichen.

Der Herr von V.** fasset sich dieses einiger massen[142] zu Hertzen, und weil er Charlotten, von Jugend auf nicht viel geringer als seine eigene Kinder geliebt, erlaubt er zwar, daß sich Ferdinand weiter um sie bemühen möchte, gibt aber anbey zu verstehen: daß er das Fräulein zu keiner Heyrath zwingen, jedennoch auch bey seinen Lebzeiten nicht erlauben wolte, daß sie mich, oder einen andern, der nicht Adeliches Herkommens sey, zum Manne bekommen solte.

Solcher gestalt wird die liebe Charlotte auf allen Seiten, und zwar von ihren leiblichen Bruder am meisten geplagt, biß endlich die Zeitung von dem Rück-March der Sächsischen Trouppen einläufft. Mein Avancement ist ihnen allerseits schon bekandt, derowegen befürchten sie nicht ohne Ursache, daß es Händel setzen möchte, schaffen also Charlotten bey Zeiten weiter fort, zu einer ihrer Anverwandten im Anhältischen. Allein die guten Leute hatten doch ihre Sachen nicht klug genug angestellet, weil ich, wie bereits gemeldet worden, gar bald alles auskundschaffte. Ferdinand und August die man vor ein paar veritable Krippen-Reuter und Schmarotzer halten konte, hatten einmahl patroulliren und erkundigen wollen, ob Charlotte etwas ferneres von mir vernommen, oder ob ich mich etwa um selbige Gegend gezeiget, ihr auch vorgeschwatzt, ich hätte Regiments-Gelder angegriffen, und wäre mir dieserwegen der Degen, vom Stecken-Knecht vor dem Knie zerbrochen, um die Ohren geschlagen, ich also als ein Schelm vom Regiment verjagt worden, allein sie kommen in allen Stücken blind, Litzberg aber hatte das Vergnügen,[143] damahls und nachhero seine Feinde öffentlich zu schanden zu machen, denn mein, von dem General eigenhändig unterschriebener Reise-Pass, konte dißmahl Charlotten, mein Degen und Pistolen aber weiterhin allen andern das Gegentheil zeigen.

Auf solche Art wurde die Zeit unserer ersten Wiederzusammenkunfft, mit lauter ernsthafften Gesprächen verbracht, doch weil ich meinen getreuen Engel umständig bat, mir wenigstens noch zweymahl an selbigen Orte eine Nacht Visite zu gönnen, um unsere fernern Anstalten zu überlegen, hatte ich dennoch die erwünschte Lust, auf ihren Rosen-Lippen die meinigen zu weyden, ausser diesen aber wurde von beyden Theilen die strengste Keuschheit observirt, denn Charlotte hatte in Wahrheit ein vollkommen Tugendhafftes Gemüthe, und ich hätte lieber sterben, als mich mit dem geringsten Zeichen der Geilheit bey ihr verdächtig machen wollen. Unsere Abrede war demnach diese: daß ich sehr fleissig an sie schreiben, jedoch den Titul des Briefs an ein gantz unbekandtes Fräulein machen, die Briefe auch ohne Scheu an den Post-Meister des nächstgelegenen Städtgens addressiren, ihm aber nichts darvon melden solte, weil sie bereit sey, um besserer Sicherheit willen, diesen Mann selbst auf ihre Seite zu ziehen, und ihm einzubilden: daß ihrer Baasen eine, ein Geheimes Liebes-Verständniß mit einem gewissen Cavallier hätte, worinnen Charlotte Unterhändlerin wäre. Mit dem veränderten Nahmen und Petschafften, nahmen wir auch indessen völlige Abrede, und nachdem sie mir abermahls 100. Thlr. baar Geld offerirt, ich aber[144] selbiges ohne dringende Noth nicht annehmen wolte, hingegen ihr eine, in Pohlen erbeutete goldene Uhr, nebst einem kostbaren Diamantenen Creutze einhändigte, wurde, um keinen besorglichen Verdacht zu erwecken, mit Endigung der dritten Nacht-Visite der Abschied gemacht. Die guten ehrlichen Bauers-Leute empfingen von mir, vor ihre gehabte Beschwerlichkeit, einen Ducaten, und also reisete ich per Posto wiederum in mein Stand-Quartier.

Ich mercke, verfolgete hierbey Mons. Litzberg seine Rede, daß ich meine Liebes-Händel ihnen, meine Herrn, vielleicht zum Verdruß etwas zu weit ausdehne, jedoch ich werde mich im Rest derselben desto mehr auf die Kürtze befleißigen, woferne dieselben sich bemühen wollen, mir noch ein halbes Stündgen zuzuhören. Der Alt-Vater Albertus versetzte hierauf: Mons. Litzberg! ihr macht mir diesen Abend eine besondere Ergötzlichkeit, ich gestehe, daß dergleichen Geschicht bey eurer so sehr stillen Gemüths-Art nicht gesucht hätte, nunmehro aber habt die Güte fortzufahren, denn mich gelüstet das Ende abzuwarten, solte ich auch einen Excess begehen, und vor anbrechenden Tage nicht schlaffen, denn ich bin heute ohnedem ausserordentlich munter. Ich werde, replicirte Mons. Litzberg, dennoch von nun an allen Excess zu verhüten suchen, jedoch in meinem Fortsatze nicht zu viel, auch nicht zu wenig thun. Demnach fuhr er also fort:

Das Glücke favorisirte mir in so weit, daß ich zu Ende des 1717 den Jahres den Lieutenants-Platz erhielt, wie ich denn auch durch meine wenige Wissen schafft[145] in der Mathesi allein, mir nicht nur einigt vornehme Gönner, sondern in kurtzen auf die 300. Thlr. erwarb, also um Ostern 1718. ein Capital von 800. Thlr. baar beysammen, und meine Eqvippage ohne diß, in vollkommen guten Stand gesetzt hatte. Mitlerweile ging die Correspondenz mit meinem liebsten Fräulein nach Wunsche von statten, da ich aber eben im Begriff war, eine frische Reise zu ihr vorzunehmen, lieff die ängstliche Nachricht von derselben ein, wasmassen der Herr von V.** einen Cavalier, Nahmens A.W.v.P.** als Bräutigam zu ihr gebracht, und weil sie selbigen zu verwerffen, keine erhebliche Ursachen vorbringen können, wäre sie gezwungen worden: sich mit ihm zu verloben, doch auf solche Art, daß ihr Vormund, ihre Hand mit Gewalt in des Cavaliers Hand gelegt, und da sie sich geweigert, das Ja-Wort zu geben, er an statt ihrer Ja gesagt hätte. Binnen 14. Tagen solte sie demnach wieder zurück auf des Herrn v.V.** Güter geholet werden, wolte ich also sie nicht auf ewig verliehren; müste ich eiligste Anstalten zu ihrer Entführung machen.

Bey solchen Umständen war nun nicht lange zu zaudern, derowegen setzte mich nebst meinem Bedienten noch selbigen Abends, ohne Uhrlaub und alles, zu Pferde, und jagte binnen drittehalb Tagen, ohne gewechselte Pferde, zu dem, Charlotten sehr getreuen Post-Meister. Darauf folgende Nacht, machte ich Anstalten: daß meine Charlotte von meiner Anwesenheit Nachricht bekam, wir sprachen einander in der andern Nacht, nahmen Abrede, wie wir unsere Sachen aufs klügste[146] einfädeln wolten; in der dritten Nacht aber die Flucht, weil ich ohnweit von dem Dorffe eine Extra-Post bestellet, und so wohl meine als ihre Sachen darauf geschafft harte. Es gieng alles, gebrauchter Vorsicht nach, glücklich von statten, und ich brachte vermittelst verschiedener Extra-Posten meine Geliebte glücklich zu meines Vaters Schwester-Manne dem oben-erwehnten Secretario, selbiger hatte die Beschaffenheit des gantzen Handels kaum uberlegt, da er uns nebst andern klugen Vorstellungen, den nicht unebenen Rath gab, eine Reise an einen sichern Ort zu thun, und uns daselbst von einem Römisch-Catholischen Priester copuliren zu lassen, weil, wegen des allzu scharffen Verboths kein Lutherischer solches wagen dürffte, mithin würde solcher gestalt der gröste Scrupel gehoben, und wegen des übrigen könte mit der Zeit schon ein Vergleich, zwischen den Hoch-Adelichen eigensinnigen Befreundten, getroffen werden.


Ach wolte GOtt! meine Charlotte hätte sich entschliessen können, diesem gegebenen Rathe zu folgen, allein sie war nicht zu erweichen, sondern schützte vor: Nunmehro da ich dem Herrn von V.** Trotz diethen, und seinen Conses mit Gewalt zu erlangen, mich getrösten könte, dörffte ich mich ja nur bemühen, ihn aus falschen Hertzen und verstellter Submission, zu meinem Willen zu disponiren. Solchergestalt verführen wir, ihrer Meynung nach, ordentlich, hätten vielleicht keine scrupulöse Copulation nöthig, konten auf dessen Verweigerung dennoch thun was wir wolten; zumahlen da sie sich[147] in stiller Sicherheit befände, und so zu sagen, unmöglich ausgeforscht werden könte.

Ich sahe mich gezwungen, meiner Gebietherin zu gehorsamen, reisete derowegen in das, ohnweit des Herrn von V.** gelegene Städtgen, suchte von daraus durch Briefe, und einen abgeschickten sehr klugen Advocaten, zu tractiren, jedoch es war in allen Stücken Hopffen und Maltz verlohren, an statt der Antwort ließ man mir die schändlichsten Injurien sagen, von welchen mich nichts ärger verdroß, als daß ich ein Bettler, barmhertziger Officier und Fräuleins-Räuber wäre, oder doch zum wenigsten den Spitz-Buben Geld gegeben hätte, das Fräulein Charlotte zu entführen. Ja Ferdinand hatte in Gegenwart des Cavaliers Herrn von P.** und verschiedener anderer von Adel dennoch behaupten wollen: Ich wäre cum infamia von dem Regiment verjagt worden. Nun war zwar P.** noch so klug gewesen, in diesem Stücke das Gegentheil zu erweisen, jedennoch desto unbesonnener mei nen Stand und Wesen aufs allerverächtlichste durchzuhecheln, und weiln mir solches gleich andern Tages von andern vernünfftigen Edelleuten, die sich ein Plaisir aus meinen Umgange machten, gesteckt wurde; setzte ich so gleich ein Cartell auf, welches ich mutatis mutandis eigenhändig schrieb und unterschriebe, einem jeden von diesen beyden, durch zwey junge Cavaliers überschickte, die sich selbst nicht allein zu Uberbringern, sondern auch zu meinen Secundanten erbothen:


Verwegene Massette,


So bald ich vernommen, daß deine canailleuse[148] Zunge, meine Renommeé aufs allerempfindlichste angetastet, hat meine Hand die Feder ergriffen, dir zu vermelden: wie ich die Auslegung deiner schelmischen Worte nicht anders als durch den raisonanz des Degens oder der Pistolen zu hören und zu sehen verlange. Hastu demnach nur etwa ein halbes Quentlein Adeliches Blut im Leibe, woran aber nicht ohne Ursache zu zweiffeln ist, so zeige dich Morgen frühe um 4. Uhr auf dem – – – Platze, allwo einen Cujon nach dem andern abzufertigen, oder aus Liebe zu der englischen Charlotte, sein Leben zu lassen, gesonnen ist


der Lieutenant Friedrich Litzberg.


Folgenden Morgen machte ich mich also nebst zweyen Secundanten und eben so viel Adelichen Zuschauern auf, traff an statt des von P.** welcher schon verreiset gewesen, Charlottens Bruder Augustum an, der sich zu seiner Lust den Degen erkiesete, Ferdinand hingegen bezeugte Appetit Kugeln zu wechseln. Es wurde demnach wenig Federlesens gemacht, sondern August, welcher sein Heyl am ersten versuchen wolte, wurde mit einem sehr gefährlichen Stiche in die Seite bezahlt, Ferdinand aber erstickte an meiner zweyten Pistolen-Kugel, weil ihm dieselbe accurat über der Brust die Lufft-Röhre abgerissen hatte. Diesem nach hielt ich nicht vor rathsam, länger in dieser Gegend zu verweilen, sondern beschleunigte meine Reise, um Charlotten[149] meine Begebenheiten selbsten mündlich zu hinterbringen, war aber 4. Tage hernach so unglücklich mit dem Pferde zu stürtzen, und die Rippen der lincken Seite dermassen anzuscheuern, daß ich vor grausamen Seitenstechen und Schmertzen auf keiner Stätte liegen bleiben, vielweniger das Reisen fortsetzen konte, hergegen 4. volle Wochen auf meine Cur wenden muste. Meine zwey Secundanten, welches ein paar junge hertzhaffte Sächsische Edelleute waren, verliessen mich nicht in dieser Noth, sondern blieben bey mir, biß ich mich völlig curiert, wiederum auf den Weg machen konte, reiseten auch mit biß zu meinem Vetter, allwo ich Charlotten ohnfehlbar noch anzutreffen vermeynete. Allein zu meiner allergrösten Bestürtzung muste erfahren: daß der Herr von V.** Charlottens Auffenthalt ausgekundschafft, dero Auslieferung von dem regierenden Landes-Herrn durch unterthänigste Vorstellungen erhalten, und endlich den Cavalier P.** abgeschickt hätte, seinen kostbarn Schatz abzuholen, und zu führen, wohin ihm beliebte. Dieser wäre nun auch allererst gestern Mittags, auf einen commoden Wagen, in aller Sicherheit davon gefahren, weiln er leichtlich muthmassen können, daß, da ich seiner Meynung nach Land-flüchtig werden müssen, ihm sonst niemand Verdruß machen würde. Zu meinem vermeinten grösten Glücke, fand sich jemand, der mir seine erwehlte Strasse mit Anführung glaubhaffter Umstände sehr klüglich bezeichnete, derowegen setzte mich, ohne den Rath meines Vettern anzuhören, nebst meinen beyden Compagnons, die so wohl als[150] ich junge Wagehälse waren, eiligst wiederum zu Pferde, ritten fort, nahmen, um Tag und Nacht hindurch desto besser nachzueilen, aller Orthen frische Pferde, und erreichten endlich am 5ten Tage, auf dem Heßischen Grunde und Boden, den Wagen, worinnen Charlotte bey dem von P.**, ihr Mägdgen aber rückwerts saß. Ich hieß dem Kutscher stille halten, und rieff: Heraus aus dem Wagen, Mons. von P.**, und überlasset mir meine Braut, mit welcher ich seit längerer Zeit verlobet bin, oder greifft zum wenigsten nach euren Pistolen. Nun ritten zwar drey Hand-feste Kerls hinter dem Wagen her, allein meine Compagnons und die Diener hatten ein scharffes Auge auf ihre Bewegung. Der von P.** aber sprach zu Charlotten: Mein Engel, kennen sie diesen Herrn? Warum nicht? antwortete Dieselbe, es ist ja würcklich mein Schatz, mein Lieutenant Litzberg. Hierauf sprung er aus dem Wagen, und sagte: Ha! ha! Monsieur, so ists doch wohl billig, daß wir um die Braut tantzen, stieg hiermit auf sein Reit-Pferd, welches ein Kerl an der Hand führete, ergriff seine Pistolen, und streiffte auf den ersten Schuß, meinen lincken Arm mit einer blutigen Wunde, ich hingegen traff ihn, indem sich sein Pferd etwas ungeschickt wendete, durch den hohlen Leib dermassen: daß er an seinen baldigen Tode zu zweiffeln, wenig Ursach haben mochte. Dem ohngeacht hatte der verzweiffelte Mensch noch die Macht, sein anderes Pistol zu spannen, womit er schändlicher weise auf Charlotten zielete, und diesen irrdischen Engel augenblicklich eine Kugel durch die rechte Brust[151] jagte, wovon sie sogleich ohnmächtig vor sich nieder auf ihr Mägdgen fiel. Der von P.**, indem er seinen Leuten zurieff: Schiesset zu! gebt Feuer! rächet meinen Todt! sanck ebenfalls vom Pferde herunter, jedoch von seinen Leuten unterstund sich kein eintziger, eine Hand aufzuheben, ihre Pistolen aber liessen sie ohne eintzige Widerrede von meinen Leuten ab- und in die Lufft schiessen, auch die Steine abschrauben, da ich mittlerweile die in jämmerlichen Zustande befindliche Charlotte, mit Beyhülffe ihres Mägdgens, wiederum dahin brachte, daß sie ihren Mund und Augen öffnete, und mich mit diesen kläglichen Worten anredete: Ich sterbe, mein Litzberg! und zwar durch Mörders Hand, GOtt hat nicht gewolt, daß unsere Leiber also wie die Gemüther sollen vereinigt werden, derowegen fasset euch mit Gedult. Habet Danck vor eure getreue Liebe, nehmet diese Stücke zurück, daß sie nicht in andere Hände kommen. Und hiermit zohe sie alle ihre Ringe von den Fingern, band das Diamant-Creutz vom Halse, langete die goldene Uhr, wie auch ihren Coffre-Schlüssel hervor, welchen letztern sie ihrem Mägdgen gab, mit dem Befehle, ihre rothe gestickte Sammet-Tasche aus dem Coffre zu langen, welches denn augenblicklich geschahe, und also überreichte mir das getreue Hertze nebst vorerwehnten Kostbarkeiten, auch diese Tasche, worinnen etliche Kleinodien nebst 56. spec. Ducaten stacken, mit folgender Ansprache: Kräncket mich nicht, mein Engel! mit Verschmähung dieser Kleinigkeiten, welche ich in keinen andern als euern Händen wissen will, zu meinem Begräbniß[152] und vor meine Getreue, wird sich noch hinlängliches Geld und Geldes werth in meinem Coffre finden. Lebet wohl und gedencket zuweilen an eure getreue Charlotte, die euch biß in den Todt vollkommen keusch geliebet hat. Ich vermeynte bey diesen letztern Worten gäntzlich in Verzweiffelung zu fallen, nahm auch Dinge vor, die man sonsten wohl bey rasenden Personen, aber an keinem Christen wahrzunehmen pfleget. Da nun hierauf Charlotte mich um GOttes, ihrer Seelen-Seligkeit und getreuer Liebe wegen bat, dieses unglückliche Verhängniß mit besserer Standhafftigkeit zu ertragen, ihre Schmertzen nicht zu vergrössern, sondern die noch wenigen Augenblicke über, so sie noch zu leben hätte, ihr einige Ruhe zu gönnen, damit sie sich in ihren Hertzen mit GOtt versöhnen und zum seeligen Sterben anschicken könte, wolte ich Anstalt machen, sie an den nächsten Ort führen zu lassen; allein sie verlangte: daß wir ihr aus dem Wagen, unter einen schattigen Baum verhelffen solten, allwo sie ein wenig ausgestreckt liegen könte, wie nun dieses geschehen, und ich ihr Haupt auf meinen Schooß gelegt, sie aber eine gute halbe Stunde in stillen und eiffrigen Gebeth zugebracht hatte, fieng sie aufs hefftigste an Blut auszubrechen, und gab bald darauf mit fest zusammen gefaltenen Händen ihren Tugendhafft Geist auf.

Biß hieher hatte sich Mons. Litzberg bey Erzehlung seines jämmerlichen Zufalls, ungemein standhafft erzeigt, nunmehro aber traten die Thränen auf einmahl plötzlich in seine Augen, so, daß er ziemlich lange inne halten, und unser aller Weichhertzigkeit[153] ebenfalls gewahr werden muste, ehe er sein Gespräch also fortsetzen konte.

Sie werden, meine Herrn, ohne schwer selbst begreiffen, wie mir elenden und alles Trosts unfähigen Menschen zu Muthe gewesen, derowegen will nichts davon gedencken. Der von P.** hatte sich einige Minuten eher als meine Charlotte verblutet, mithin zugleich die Bitterkeit des zeitlichen Todes überstanden, ob ihm vor seinem Ende diese verdammte Mordthat gereuet hat: weiß ich nicht, denn ich habe weiter kein Wort aus seinem Munde gehört, doch soll er zu seinem Diener, der ihm die Wunde zustopffen wollen, gesagt haben: Laß mich in Ruhe, es ist alles umsonst, ich muß sterben.

Ich vor meine Person, wolte durchaus den entseelten Cörper meiner hertzlich Geliebten in das nächste Dorff oder Stadt begleiten, und daselbst zur Erden bestatten lassen; Allein meine zwey Compagnons wandten allen Fleiß an, mich daran zu verhindern, vielmehr zur schleunigen Flucht zu bereden, selbst die Diener meines entleibten Mit-Buhlers sagten: Ach Monsieur! rettet in GOttes Nahmen euer Leben mit der Flucht, denn uns wird mit eurem Blute wenig gedienet seyn, bekommt man euch in hiesigen Landen einmahl in Arrest, so siehts um euren Kopff gefährlich aus. Endlich kam ich mit grosser Mühe zu einigen Verstande, zohe das Mägdgen meiner seeligen Liebste auf die Seite, und gab derselben ein und andere verwirrte Rathschläge, bath sie, wenn ihrer Gebietherin der letzte Liebes-Dienst geleistet worden,[154] bey meinem Vetter Rapport von ihren Verrichtungen abzustatten, küssete den erblasseten Mund und Hände meines liebsten Engels noch zu guter letzt unzählige mahl, setzte mich hernach auf inständiges Anhalten nebst meinen Compagnons zu Pferde, und suchte aufs eiligste über die Gräntzen dieses mir höchst fatalen Ländgens zu kommen.

Wir hielten uns ohne die äusserste Noth in keinem Quartiere sehr lange auf, biß endlich die berühmte Stadt Strassburg erreicht war. Von hier aus schrieb ich an meinen Vetter den Secretarium, berichtete demselben das mir zugestossene Unglück mit behörigen Umständen, und bat, so ferne meiner seeligen Fräulein Bediente bey ihm angelanget, mir ihren abgestatteten Rapport aufs eiligste zu überschreiben, weil ich an ermeldten Orte biß zu Einlauff seiner Antwort verziehen wolte. Vier Wochen hernach bekam ich also sein Antworts-Schreiben, und erfuhr, daß kein Mägdgen zu ihm gekommen, sondern dieselbe vermuthlich des nächsten Wegs nach ihrer Heymath gereiset wäre, immittelst hätte er so viel vernommen, daß so wohl mein seel. Fräulein als der Cörper des entleibten von P.** in eine kleine Dorff-Kirche, vor den Altar nahe beysammen begraben worden, welches Glück ich dem Stöhrer meines Vergnügens durchaus nicht gönnete, und solches dennoch leyden muste. Im übrigen hatte mein Vetter ausgekundschafft, daß meine Angelegenheiten beym Regiment auf sehr schlimmen Fusse stünden, fintemahl ich ohne Uhrlaub hinweg gereiset, und über dieses dergleichen blutige Tragoedien angestifftet[155] hätte. Demnach wäre sein getreuer Rath, daß ich die Sächsischen, Brandenburgischen, Anhältischen und angräntzende Länder gutwillig vermeiden, ja viel lieber mein Glück ausserhalb des Römischen Reichs suchen, und die zurück gelassenen Sachen nur immer vergessen möchte.

Dieser Rath war bey so gestalten Sachen wohl der beste, derowegen nahm von meinen beyden Compagnons, welche sich zurück in Käyserliche Guarnisons-Dienste begeben wolten, Abschied, und reisete mit meinem Diener nach Paris, allwo ich denselben bey einem vornehmen Teutschen Herrn als Laqvey anbrachte, mich auch selbsten in dessen Dienste en qualité eines Reise-Secretarii begab. Dieser mein neuer Herr war im Begriff, incognito frembde Länder zu besehen, wannenhero ich das Glück hatte, bey solcher Gelegenheit von seiner Curiositée zu profitiren, und sonsten wenig andere Arbeit zu haben, als seine Rechnungen über Einnahme und Ausgabe, ingleichen ein accurates Journal über alles dasjenige, was uns remarquable vorkam, zu führen. Wir besahen demnach erstlich Franckreich, hernach Italien, Spanien, Portugall, Engelland, und letztlich die Spanischen Niederlande. Es sind gewißlich in allen diesen Ländern, verschiedene theils angenehme, theils verdrüßliche Begebenheiten aufzuzeichnen vorgekommen, wie denn mein eigenes vor mich geführtes Journal solches mit mehrern besaget, jedoch ich werde in zukunfft bey Gelegenheit, solches Stückweise communiciren, und voritzo nur zum Schlusse meiner heutigen Erzehlen eilen.[156]

Diesemnach muß ich melden, wie mein vornehmer Principal, nach Besehung der besten Städte in Holland, Braband und Flandern, seine Retour antreten wolte, ich gantz unterthänigst um meine Dimission bath. Nun wuste er zwar wohl die Ursach, warum ich mich nicht wiederum nach Teutschland wagen wolte, versprach derowegen, seinen eignen Credit und Kosten anzuwenden, mir alle Sicherheit zu verschaffen, und die vielleicht ohnedem mehrentheils vergessenen Händel gäntzlich beyzulegen, allein der Teutsche, vor mich unglückseelige Boden, war mir ein vor allemahl höchst zum Eckel worden, und weil ich ausserdem, seit dem Absterben meiner Geliebten keine rechtschaffen fröliche Stunde gehabt, machte ich mir die Vorstellung, daß sich mein stilles Wesen endlich wohl gar in eine würckliche Melancholie verwandeln könte, wenn ich den Tummel-Platz meines widerwärtigen Glücks aufs neue beträte. Solcher gestalt bekam ich, nebst meinem honorablen Abschiede, eine Summe von 400. Thlr. theils verdienten, theils geschenckten Geldes, mit welchen ich mich auf die Reise machte, annoch die beyden Nordischen Cronen, nehmlich Dännemarck und Schweden zu sehen, und zu versuchen: ob ich unter deren Schatten etwa eine Kühlung, meiner annoch beständigen Schmertzen finden könte. Im Junio des 1722ten Jahres kam ich also in Coppenhagen an, allwo ich mich auf dem neuen Königs-Marckte einlogirte, doch in wenig Tagen bey einem berühmten Mathematico bekandt und in sein Hauß genommen wurde; dessen 15. jährigen Sohn in der Französischen[157] Sprache, wie nicht weniger in der künstlichen Zeichnung, privatim zu informiren. Weiln sich nun in kurtzen noch einige andere Scholairs darzu fanden, konte ich ohne die Kost und andere Bequemlichkeit, bloß durch das informiren jährlich fast mehr als 150. Thlr. verdienen. Uber dieses hatte noch Zeit genung übrig, auf dasiger Universität meine ziemlich verwelckten Studia in etwas wiederum zu erfrischen, und mir die vortreffliche publique Bibliothec, worinnen ich sonderlich des berühmten Mathematici Tychonis de Brahe und anderer Mathematicorum Bücher fleißig durchsuchte, gar sehr zu Nutze zu machen. Selbige ist in einem runden Thurme verwahret, auf welchen man von unten an biß oben aus, mit Wagen und Pferden fahren kan. Der Eingang in die Bibliothec aber ist wöchentlich zweymahl erlaubt. So lange ich frey und ungebunden leben konte, war mein Sinn noch ziemlicher massen vergnügt, ohne wenn ich dann und wann mit den Gedancken auf meine Hertzkränckende Avanturen verfiel, und mich nicht selten gantze Nächte, mit dergleichen melancholischen Grillen herum schlug. Allein, so bald mir einige nicht übelgesinnete Freunde, das Seil über die Hörner werffen, und mich durch die Heyrath mit einer von meines Patrons Töchtern in ein gar honorables und austrägliches Amt ziehen wolten; vergieng mir auf einmahl alle Lust, länger in Coppenhagen zu bleiben, nahm dannenhero plötzlich Abschied, und war gesinnet, nach Stockholm zu reisen, allein, wie ich nachhero erwogen, muste ich mich durch den Schluß des unergründlichen Verhängnisses,[158] zu meinen nachherigen grösten Vergnügen, von einem guten Freunde, ich weiß aber selbst nicht warum, gantz leicht bereden lassen: mit ihm über Lübeck, abermahls eine Reise nach Amsterdam anzutreten, welche schöne Stadt ich doch schon vor 3. Jahren gesehen hatte. Dieser gute Freund ist niemand anders als Mons. Plager gewesen, als mit welchem ich, wegen seiner besondern Geschicklichkeit in Verfertigung Mathemathischer Instrumente seit 2. Jahren her eine genaue Freund schafft errichtet hatte. Unterwegs, nehmlich in Lübeck, geriethen wir als Passagiers in einige Bekandtschafft mit dem Herrn Capitain Wolffgang, und setzten die weitere Reise in seiner vergnügenden Gesellschafft fort, nachdem er aber uns, ein und anderes von seinen curieusen Avanturen, und wir im gegentheil, ihm das meiste von unsern biß daherigen Lebens-Laüfften erzehlet, that er uns endlich mit guter Manier den Vortrag: daß, weil wir beyderseits wenig Vergnügen in Europa zu finden vermeyneten, würde kein besserer Rath seyn, als in seiner Gesellschafft die Reise in ein ander Welt-Theil vorzunehmen, kämen wir glücklich an denjegen Ort, wohin er gedächte, so möchten wir uns binnen 2. oder 3. Jahren entweder zum beständigen Dableiben, oder da solches nicht beliebig, zur Rück-Reise resolviren, und vollkommen versichert seyn, daß er einem jeden, vor jedes Jahr 1000. Thlr. baar Geld geben, und zwar ohne das, was wir selbst erwerben könten, auch die freye Rückreise befördern wolte.

Ich kan nicht läugnen, daß Mons. Plagern und[159] mir dergleichen profitable Promessen anfänglich etwas verdächtig vorkamen; wir bathen uns also Zeit zur Uberlegung aus, und endlich da Mons. Wolffgang unser Verständniß etwas besser öffnete, sein redliches Gesichte auch eine sattsame Caution gegen alles Mißtrauen stellete, wurde der Handel völlig geschlossen, ehe wir noch nach Amsterdam kamen.

Hieselbst legten Plager und ich ausser denen 1000. Ducaten, die uns Mons. Wolffgang zu Erkauffung allerley Kunst- und Handwercks-Zeuges auszahlete, unser meistes Vermögen an eben dergleichen, wie auch an nützliche Bücher und andere nothdürfftige Sachen, welche so wohl als unsere Personen auf dieser schönen Insul glücklich angekommen sind.

Nunmehro dancke ich dem Himmel, allen meinen gegenwärtigen Wohlthätern und guten Freunden aus treuem Hertzen und von Grunde meiner Seelen vor das bißhero und noch jetzo geniessende Vergnügen. Ich schwere, daß mein Hertz vollkommene Zufriedenheit empfunden, so bald ich dieses gesegnete Erdreich betreten habe, von welchen mich, ob GOtt will, weder zeitliche Ehre, Wollust, Reichthum, oder was nur angenehmes genennet werden kan, hinweg, und in ein ander Land reitzen soll. Ich habe nach dem kläglichen Abschiede von dem Cörper meiner seeligen Charlotte gantz ein ander Leben angefangen, mein Dichten und Trachten auf beständige wahre Busse gerichtet, stehe auch, GOtt Lob, noch täglich darinnen, und zweiffele nicht im geringsten an Göttlicher[160] Vergebung der grossen Sünden und Fehler meiner Jugend. Andere Specialia von meiner heutigen summarischen, jedoch ziemlich lange gewährten Erzehlung, werde, wie schon gemeldet, zu anderer Zeit kund zu machen Gelegenheit haben, vorjetzo aber schliesse dieselbe mit meinem jederzeit im Hertzen tragenden Gedenck-Spruche:


O quam fausta viro labuntur sidera, tali,

Qui tempestivis crimina delet aquis!


Wie glücklich steht es nicht um einen solchen Mann,

Der seine Sünden läst, wenn er noch sünd'gen kan!


* * *


Wir danckten allerseits dem guten Mons. Litzberg, vor das, durch seine mühsame Erzehlung, uns gemachte Vergnügen, wünschten ihm in folgenden Lebens-Jahren alle ersprießliche Gemüths- und Leibes Ruhe, wolten hierauff von Herrn Wolffgangen und seiner geliebten Wöchnerin Abschied nehmen, und auf die Burg zurück fahren, allein dieselben hatten so wohl vor den Altvater als vor uns, in einem andern Gemache, das trefflichste Nacht-Lager zubereiten lassen; weßwegen sich der Altvater zum dableiben bereden ließ, und erstlich folgenden Tages, nach eingenommenen Früh-Stücke wiederum zurücke fuhr, so dann fast alle Tage von Morgen an biß gegen Abend, den fleißigen fortsatz des Kirchen-Baues betrachtete. Weilen aber die hauptsächlichsten Anstallten desselben, meines erachtens, oben zur gnüge beschrieben habe, unnöthige Weitläuffigkeiten[161] zu machen Bedencken trage, und von damahliger Zeit, keine besonders merckwürdige Sachen zu erinnern weiß, so will ohne weitere Umstände melden, daß unser neues Gottes-Hauß accurat in derjenigen Woche fertig wurde, in welcher wir Europäer nunmehro vor einem vollen Jahre, dieses Land betreten hatten. Zwar will nicht läugnen, daß an den Zierathen und einigen andern, zu besserer Beqvemlichkeit gereichenden Stücken noch verschiedenes auszubessern übrig geblieben, allein solches alles war eben so besonders nöthig nicht, und konte mit guter Musse vollends zugerichtet werden. Genung, daß nicht die geringste Hinderniß mehr im Wege lag, den Gottes-Dienst aufs ordentlichste darinnen abzuwarten. Nun hatte zwar der Altvater mit Herr Mag. Schmeltzern verabredet: daß die Einweyhung biß auf den 1. Advent ausgestellet seyn solte, allein folgender Umstand veranlassete sie, selbige 8. Tage früher anzustellen, denn am 17den Novembr. Sonntags den 22. post Trinitatis, da gegen Abend nach verrichteten Gottes-Dienste der Altvater, Herr Mag. Schmeltzer, Herr Wolffgang, Mons. Litzberg und ich nach der Kirche zu spatzirten, kam ein frischer, Alberts-Raumer Junggeselle, hinter uns her gelauffen, und brachte an: Wie Monsieur Kramer nebst seinen Europäischen Cameraden und einigen andern, sich die Erlaubniß ausbitten liessen: dem Altvater und Herr Mag. Schmeltzern einen besondern Vortrag zu thun. Es wuste niemand von uns zu errathen was sie damit haben wolten, da aber der Altvater den Jungen-Gesellen mit lächlenden Munde und der Antwort[162] abgefertiget: daß sie in GOttes Nahmen kommen und ihr Verlangen zu verstehen geben möchten; selbiger auch kaum bey dem Trouppe angelanget war, kam Mons. Kramer, mit einem Frauenzimmer an der Hand, voran gezogen, dem die andern Europäer und noch etliche Felsenburgische Junggesellen auf gleiche Art, jeder ein Frauenzimmer an der Hand führend, in richtiger Ordnung folgeten. Hinter ihnen her, kam auch noch ein grosser Hauffe von alten und jungen Leuten, ebenfalls gantz ordentlich gezogen. Herr Mag. Schmeltzer sagte lachend: Ich wolte fast rathen, daß diese 22. Paar, so ich zehle, ebenfalls so viel ehelige Verbindungen zu stifften, Erlaubniß suchen werden. GOtt gebe, versetzte hierauff der Altvater mit einer frölichen Geberde, daß es wahr ist, und daß ein jedes von ihnen wohl gewehlt habe. Mittlerweile kamen die 22. Paar heran, und schlossen einen Kreyß um uns herum, Mons. Kramer, trat nach gemachten Reverenz etwas näher zum Altvater, und gab mit wohlgesetzten Worten ohngefähr folgendes zu vernehmen: Nachdem nehmlich die Fügung des Himmels und kluge Führung des Herrn Wolffgangs sie auf diese unvergleichliche Insul gebracht, welches ihre Hertzen nunmehro binnen Jahr und Tag als eine gantz besondere Glückseeligkeit zu erwegen gnungsame Gelegenheit, nur aber allzuwenig Vermögen gehabt ihre Danckbarkeit dagegen vollkommen abzulegen; der theure Altvater auch, nebst allen seinen werthen Angehörigen, ihnen nicht nur bißhero alle unbeschreibliche Liebe und Treue erzeiget, sondern über dieses bey allen Umständen mercken lassen: wie[163] ihm zum sonderbaren Vergnügen gereichen würde, wenn die sämmtlichen vor Jahres-Frist angekommenen Europäer, beständig auf der Insul Felsenburg verbleiben wolten, so wären sie nun allhier gegenwärtig, nicht nur selbst nochmahls um dasjenige zu bitten: was ihnen so guthertzig angebothen worden, und da es verlangt würde einen heiligen Eyd zum Pfande ihrer beständigen Liebe, Treue und Redlichkeit abzulegen, sondern ausserdem, von dem lieben Altvater als dem Ober-Haupte dieser Insul, gütige Erlaubniß zu bitten: daß sich ein jedweder mit demjenigen Frauenzimmer, welches er an der Hand führete, durch ihren allgemeinen Seelsorger Herrn Mag. Schmelzern öffentlich und ehelich dürffe zusammen geben lassen. Immassen biß auf diese Condition, die Bräute, deren Eltern und Verwandte, ihr Ja-Wort bereits von sich gegeben hätten. Wird nun unser Suchen (setzte er hinzu) vor billig erkandt, so getrösten wir uns baldiger geneigter Willfahrung, und zwar noch vor Eintritt der Heil. Advents-Zeit, in welcher man bey den Lutheranern, löblicher Gewohnheit gemäß, nicht leichtlich zu heyrathen pflegt; Ist aber an einem oder dem andern unter uns etwas auszusetzen, so bitten wir ihm seine Fehler in Liebe und Güte zu entdecken, denn in dem Stücke sind wir alle eines Sinnes: unser Leben immer tugendhaffter anzustellen, damit wir desto eher den frommen eingebohrnen Felsen-Bürgern gleich werden mögen.

Der gute Altvater, fieng unter Mons. Kramers wohlgegebenen Reden, vor Freuden hertzlich an zu weinen, und gab hernach zur Antwort: Lieben[164] Freunde, ich finde an eurer keinem eintzigen, seinem Verstande und Wesen nach, nicht das geringste auszusetzen. Habet Danck vor alle Liebe, Treue und Redlichkeit, so ihr mir bißhero erwiesen, und Zeit Lebens zu erweisen versprechet, doch erlaubet, daß ich vorhero, eines jeden gethane Wahl etwas genauer betrachte. Hiermit gieng er von einem Paare zum andern, und da er jedes sehr wohl zusa en treffend befand, Küssete er alle im gantzen Creyse herum, und sagte nach ausgesprochenen Väterlichen Seegen: Es soll geschehen, meine Kinder, was ihr wünschet, machet euch diese Woche geschickt, heute über 8. Tage geliebtes GOtt, wird euch Herr Mag. Schmelzer ehelich zusammen geben, und Tages darauff sollet ihr euer Hochzeit-Fest ingesammt auf Herrn Wolffgangs darzu bestimmten Platz celebriren. Hierauff stattete Mons. Kramer in einer abermahligen wohl gesetzten doch kurtzen Rede, im Nahmen aller, verbindliche Dancksagung ab, und nachdem sie den Altvater auf die Burg begleitet, einen Trunck Wein zu sich genommen und sich beuhrlaubt hatten, führete ein jeder seine Braut in Gesellschafft ihrer Befreundten nach Hause.

Herr Wolffgang blieb nebst seiner liebsten Sophie und kleinen Sohne noch in etwas bey uns, und weiln er sonderbare Lust zu schertzen hatte, brach er in diese belachens-würdigen Reden aus: Wenn alle Jahre eine Anzahl solcher dreusten Europäer auf diese Insul käme, dürfften die Jungfrauen bald rar werden, mein Rath wäre: Herr Mag. Schmeltzer, Mons. Litzberg und Mons. Eberhard suchten sich bey zeiten etwas Liebes aus, damit sie nicht hernach[165] etwa das Nachsehen haben müssen. Herr Mag. Scmeltzer muste selbst über dessen Worte lachen, sagte aber: Mein Herr Wolffgang! eure treuhertzige Sorgfalt solte mich fast dahin verleiten, euch zu meinem Vorsprecher bey der artigen Christiana Virgilia anzunehmen, denn ich bin in Liebes-Sachen sehr blöde, über dieses weiß auch nicht, ob ich es wagen dürffte, dem werthen Altvater seine klügste Hauß-Wirthin abspenstig zu machen. Der Altvater lächelte hierzu, Herr Wolffgang aber fragte gantz dreuste: Ob es Ernst wäre? so wolte er die Commission mit Freuden auff sich nehmen, indem er sich zum voraus versichert hielte, dabey nicht un glücklich zu seyn. Ja, ja! Antwortete der Herr Magister, es ist der wahrhaffte Ernst, Ernst Gottlieb Schmeltzers, die schöne und tugendhaffte Christiana Virgilia zu heyrathē, daferne sich dieselbe darzu entschliessen will, und gegenwärtiger werthe Altvater, nebst ihren leiblichen Eltern darein consentiren. Auf diese Worte reichte der Altvater Herr Mag. Schmeltzern, die Hand, und sagte: Mein liebster Herr! Christiana ist euch seiten meiner zugesagt, welche sich nicht wegern wird, einen solchen schätzbaren Ehe-Gatten anzunehmen, morgen geliebtes GOTT will ich, nebst Herr Wolffgangen, bey ihren Eltern so wohl, als bey ihr selbst, vor euch werben, daferne sie sonsten von eurer keuschen Liebe noch keine nähere Kundschafft hat. Daß nun dieses letztere unmöglich seyn könne, versicherte Herr Mag. Schmeltzer sonderlich, indem, wie er sagte: auch seine Augen so behutsam gewesen, ihr nicht das geringste mercken zu lassen. Da aber hierauff Herr Wolffgang[166] seinen Schertz mit Mons. Litzbergen fortsetzte, brach der letztere endlich unverhofft freymüthig heraus: daß er sich in die, ihm vor allen andern gefällige Helena, der Sophien ältesten Bruders, zweyte Tochter verliebt, auch bereits ihrer Gegengunst versichert wäre, in so ferne es ihre Eltern, der Großvater Christian, und vornehmlich der liebe Altvater Albertus erlauben würden. Des Altvaters Consens erhielt also Mons. Litzberg gleich auf der Stelle, demnach reichte ihm Herr Wolffgang die Hand und sagte: So seyd mir demnach willkommen mein lieber Herr Schwager, Vetter und guter Freund, ich mercke fast, daß ihr auf der Christians-Raumer-Erde meine Schliche gefunden, und fein selbst auf die Heyrath gegangen seyd, damit euch nicht etwa der Bothe betrügen möchte. Was aber, fuhr Herr Wolffgang fort, werden wir uns nun von unsern lieben Eberhard zu getrösten haben? Alles guts mein Herr! antwortete ich, meine Geliebte ist bereits nicht allein in die Augen, sondern auch ins Hertze gefasset, jedoch wegen ihrer an noch ziemlich zärtlichen Constitution, werde mich noch 3. oder 4. Jahr gedulden, denn mittlerweile wird mein Ansehen vielleicht auch etwas männlicher, zu dem so rathen die Physici, daß es nicht allezeit wohl gethan sey, wenn zwey gar zu junge Leute einander heyrathen, allermassen selbige der hitzigen Liebe nicht allemahl mit behörigen Verstande Einhalt zu thun wissen. Ich habe wieder eure vernünfftigen Reden nichts einzuwenden, versetzte Herr Wolffgang, allein verzeyhet meiner Curiositeé, welche unmöglich ruhen kan, biß sie den Nahmen eurer Geliebten erfahren. Wiewohl[167] ich nun anfänglich nicht Willens war, selbige heutigen Abend zu befriedigen, so quäleten mich doch alle Anwesenden so lange: biß ich endlich ausbeichten muste: daß es die niedliche kleine Cordula, aus dem Robertischen Geschlechte sey, mit welcher ich mich in ein tugendhafftes Liebes-Versprechen eingelassen, jedoch da wir uns beyderseits beredet, die Vollziehung desselben wenigstens noch 3. oder 4. Jahr hinaus zu setzen, hätten wir auch aus Schamhafftigkeit, bißhero noch nicht um den Consens unserer Vorgesetzten Ansuchung thun können. Der Altvater tadelte meine getroffene Wahl so wenig als Herr Wolffgang und Mons. Litzberg, welche mich vor einigen Tagen mit meiner Schöne am Canal spatzieren gehend angetroffen hatten, und bekräfftigten sonderlich, daß man nicht leichtlich ein Frauenzimmer von angenehmer Gesichts-Bildung und netteren Gewüchse antreffen könne, ja der Altvater gab hierbey zu vernehmen: daß sie daß vollkommene Bildniß ihrer Großmutter, nehmlich seiner überaus schön gewesenen, nunmehro aber seel. Stief-Tochter, der jüngern Concordia, in ihren Gesichts-Lineamenten vorstellete. Wie denn Cordula auch erstlich von ihrer Aelter-Mutter, der ältern Concordia, biß in ihr 4tes Jahr, so dann von der Großmutter, nehmlich der jüngern Concordia, biß in ihr siebendes Jahr wohl erzogen worden, ehe beyde die Schuld der Natur bezahlet hätten.

Unter solchen Gesprächen ruckte endlich die Nacht heran, weßwegen Herr Wolffgang nebst seiner Liebste, und Mons. Litzbergen nach Hause, wir aber bald darauff zur Ruhe giengen. In folgender Woche[168] wurden nicht allein alle Anstallten zu Beruhigung der Verliebten Hertzen, sondern hauptsächlich zu Einweyhung des Gottes-Hauses gemacht, so daß Sonnabends vor dem 23. Sonntage p. Trinit. noch mehr aber des darauff folgenden Sonntags, mit der solennen Einweyhung selbst, unser aller Arbeit und sorgfältige Bemühung den höchst gewünschten Endzweck erreichte.

Es ist nicht zu beschreiben was des Herrn Mag. Schmeltzers religieuse Anordnung und selbst eigenes andächtiges Bezeugen beym Altar und auf der Cantzel, vor gantz ausserordentlichen Eindruck in aller gegenwärtigen Hertzen that. Ich und viele andere musten offenhertzig bekennen, daß wir die geistlichen Lieder: Komm heiliger Geist HErre Gott etc. Allein GOtt in der Höh sey Ehr etc. O HERRE Gott dein Göttlich Wort etc. den christlichen Glauben etc. Das Te Deum laudamus und dergleichen noch niemahls bedachtsamer und auffmerksamer gesungen hätten, als in dieser, gegen andere, gantz einfältig aussehenden Kirche, ja es kam mir vor, als wenn ich nunmehro erstlich zu erkennen anfienge, was ein rechtschaffener Gottes-Dienst sey. Herr Mag. Schmeltzer verlaß und erklärete nebst dem gewöhnlichen Sonntags-Evangelio, das 6te Cap. des 2. Buchs der Chron. worinnen das Gebeth enthalten, welches Salomo bey der Tempel-Weyhe zu GOtt abgeschickt, anbey wuste derselbe das Capitel und Evangelium ungemein erbaulich und gelehrt zu vereinigen, denn er nahm zu:


[169] Propos. Den Zins-Groschen welchen ein jeder Mensch dem höchsten GOtte zu geben schuldig ist.

Hierbey wurde gezeigt:


1.) Das Metall, woraus selbiger geprägt sey.

2.) Das Gepräge welches darauff befindlich sey.

3.) Die Art und Weise wie er zu geben sey.


Die Ausführung und Application, auf unsern gegenwärtigen Stand und Wesen, war dergestallt wohl elaborirt daß ich mich nicht erinnern konte, zeit Lebens eine herrlichere Predigt gehört zu haben. Nachdem aber der Vormittägliche GOttes-Dienst mit dem Liede: Es woll uns GOtt genädig seyn etc. welches des Altvaters alltäglicher Gesang war, beschlossen worden, begab sich die gantze Versa lung, auf den, von Herrn Wolffgang angelegten Speise-Platz, der von neuen ausgeputzt und mit frischen grünen Laubwerck umzäunet war. Hieselbst hatte der Altvater die Veranstalltungen gemacht: daß alle Einwohner, groß und klein, nothdürfftige Speisen und Geträncke zu sich nehmen konten. Da nun auch dieses mit gröster Mäßigkeit geschehen, wurde das Zeichen gegeben, wiederum in die Kirche zu gehen, allwo nach einigen abgesungenen Liedern, und kurtzem Sermone, Herr Mag. Schmeltzer erstlich ein Töchterlein aus dem Stephans-Raumer Geschlechte tauffte, worbey Jacob Bernhard Lademann nebst seiner Braut und deren Groß-Mutter [170] Sabina, gebohrne Fleuters, zu Gevattern stunden. Nach diesem Heil. Actu, machte sich Herr Mag. Schmeltzer vor dem Altare fertig, die Trauung der bereits in Ordnung sitzenden Verlobten vorzunehmen, demnach wurde erstlich Mons. Litzberg von Herr Wolffgangen und mir, dessen Braut (a) Helena aber von ihrem leiblichen Vater und dem Groß-Vater Christian Julio zum Altar geführet, und auf Evangelisch-Lutherische Art zusammen gegeben. Hierauff folgete der Chirurgus, Herr Johann Ferdinand Kramer, der ebenfalls von Herr Wolffgangen und mir, dessen Braut (b) Maria Albertina aber, von ihrem leiblichen Vater und Groß-Vater Alberto II. geführet wurde. Mons. Plager ließ sich von Mons. Litzbergen und mir begleiten, dessen Braut (c) Dorothea Jacobine aber von ihrem Vater und dessen eintzigen leiblichen Bruder. In folgender Ordnung wurden demnach weiter von abwechselenden Personen herbey geführt, Mons. Philipp Harckert mit seiner Liebste (d) Anna Robertina, die meiner Liebsten Cordula Vaters, Bruders Tochter war. Andreas Kleemann mit seiner Braut (e) Catharina Johanna. Willhelm Herrlich mit (f) Magdalenen. Peter Morgenthal[171] mit seiner (g) Susanna. Lorentz Wetterling mit seiner (h) Blandina. Philipp Andreas Krätzer und Lademann, welche beyde zwey Schwestern und zwar der erste die älteste (i) Rosinen der andere aber (k) Margaretham erwehlet. Johann Melchior Garbe mit (l) Maria Elisabeth. Und Nicolaus Schreiner mit (m) Eva Christinen.1

Auf diese nunmehro völlig vergnügten 12. Paar, folgten annoch 11. Paar aus den eingebohrnen Geschlechtern, daß also Herr Mag. Schmeltzer über 4. Stunden Zeit zu bringen muste, ehe er mit diesen 23. Copulationen fertig werden konte, zuletzt aber vollzohe er auch sein eigenes eheliches Verbündniß mit der tugend vollen Christiana Virgilia, welche auf der IV. Tabelle unter der andern Linie bezeichnet stehet. Der Altvater Albertus, verrichtete zwar eigentlich den Haup-Actum der Copulation, gab auch beyden seinen Stamm-Väterlichen Seegen, jedoch die übrigen andächtigen Gebräuche, hielt Herr Mag. Schmeltzer selbst, u. zwar auf eine recht bewegliche Art, so daß den meisten Anwesenden die Thränen in den Augen stunden, und endlich wurde der gantze heutige, höchst wichtige Actus, mit dem Liede: Nun dancket alle GOtt etc. und nachherigen hertzlichen Glückwünschen beschlossen.

In gleich darauff folgender Nacht wurden aus allen Pflantz-Städten gnugsame Victualien herbey[172] geschafft, so daß wir ingesammt, drey Freuden-Tage mit ungemeiner Ergötzlichkeit, so wohl bey guten Speisen und Geträncke, als andern vergnügten Zeit-Verkürtzungen, recht ergötzlich hinbringen konten. Jedoch sahe und hörete man im geringsten nichts von einiger Unmäßigkeit und andern ärgerlichen Bezeugen, sondern wir genossen dasjenige Vergnügen, welches GOtt seinen Kindern auf der mühseeligen Welt nicht mißgönnet, als gute Christen, danckten dem Höchsten davor, bedachten hernach auch: daß nach der Lehre Salomonis, alles seine Zeit, und ein jedes Vornehmen unter der Sonnen seine gewissen Stunden habe; weßwegen sich mit Ablauff des dritten Tages, ein jeder an seinen gehörigen Ort verfügte, und nicht allein seine eigene nöthige Hauß-Arbeit, sondern auch dasjenige nach allen Kräfften besorgen halff, was zu Verbesserung des gemeinschafftlichen Wesens, hier und dar am nöthigsten zu seyn, erachtet wurde.

Mit dem ersten Advent-Soñtage des nunmehro sich zum Ende neigenden 1726ten Jahres, wurde zugleich der Eintritt eines neuen christl. Kirchen-Jahres mit eiffriger Andacht celebriret, Herr Mag. Schmeltzer hatte seinen neuen Jahr-Gang aus den Worten Pauli, 1 Corinth. 3. v. 16. 17. genommen, die also lauten: Wisset ihr nicht, daß ihr GOttes Tempel seyd etc. und wolte hinfüro in allen Predigten von Stück zu Stück zeigen: Wie man den geistl. Tempel GOttes in seinem Hertzen nicht nur erbauen, sondern auch im baulichen Stande und Wesen erhalten solle; welches gewiß bey damahligen Zeiten[173] eine sehr feine Materie war. Nach der Predigt empfiengen etliche 60. Personen das Heil. Abendmahl und solchergestallt wurde auch dieses mahl der GOttes-Dienst in gebührlicher Andacht beschlossen.

Jedoch ich erinnere mich, oben versprochen zu haben, eine Specification, von der Vermehrung des Felsenburgl. Geschlechts, auf das Jahr 1726. beyzufügen, derowegen will, um vielleicht die Curiositeé einiger, obschon nicht aller Leser zu vergnügen, mein Wort, vermittelst einer Tabelle erfüllen, die ich aus Herrn Mag. Schmeltzers Kirchen-Register extrahirt habe.


Mons Litzbergs Lebens-Geschicht

[174] Solchem nach befanden sich um selbige Zeit auf der Insul Felsenburg, an Jungen und Alten, Einheimischen und Ausländischen lebendigen Menschen: 394. nehmlich 203. Manns- und 191. Weibs-Personen, die in aller Frömmigkeit, Liebe und Einigkeit mit einander lebten, und nach dem Exempel der ersten christl. Kirche eine treuhertzige Gemeinschafft der zeitlichen Güter untereinander hielten, keinen Eigennutz, auch im allergeringsten Dinge zeigten, sondern ihren Nächsten und sich selbst zu dienen, alles mit Lust verrichteten, worzu sie sich geschickt befanden. Man sage mir welcher vernünfftiger Mensch Scheu tragen und nicht vielmehr hertzlich wünschen solte, seine gantze Lebens-Zeit an dergleichen ergötzlichen Orte zu zu bringen.

Jedoch ich bin nicht gesonnen, hiervon viel zu philosophiren, sondern erkenne mich schuldig, die fernern Geschichte vorzutragen: Nach nunmehro glücklich vollbrachten Kirchen-Bau, machten sich die allermeisten und besten Holtz-Arbeiter über die Auffrichtung einer Mehl-Mühle her, welche allererst Philipp Krätzer auf dem Stephans-Raumer Grund und Boden, mit Beyhülffe Mons. Litzbergs, Lademanns, Plagers, Herrlichs und Morgenthals angelegt hatte. Der Altvater sahe diesem Baue nebst mir fast alle Tage zu, wenn die Lufft gegen Abend etwas kühle zu werden begunte, besuchte auch dann und wann seine Kinder in den andern Pflantz-Städten. Eines Tages aber, da uns Herr Kramer eine Menge vortrefflich grosser Zucker-Schoten gesendet hatte, kam dem Altvater die Lust an, dieses guten Haußwirths wohl angelegten Küchen- und[175] Lust-Garten in genauern Augenschein zu nehmen, derowegen reisete er nebst Mons. Wolffgangen, Litzbergen, mir und andern hinnunter nach Alberts-Raum in dessen Wohnung, und traffen denselben bey seiner Maria Albertina in einer schönen mit grossen Kürbis-Rancken bedeckten Laub-Hütte sitzend an, allwo sie den Safft aus etlichen guten Kräutern und Blumen presseten, um solchen seiner Kunst gemäß, zur Artzeney zu gebrauchen. Es war so zu sagen fast in einem Augenblicke alles bereit, uns, als seine angenehmsten Gäste aufs Beste zu tractiren. Sein Geträncke schmeckte sonderlich sehr angenehm, und hatte darbey die Tugend, daß es keine Incommoditée im Leibe oder im Kopffe machte, derowegen sassen wir sehr vergnügt beysammen. Endlich aber bezeugte der Altvater ein besonderes Verlangen, des Chirurgi Monsieur

Fußnoten

1 Alle Bräute dieser unserer mitgebrachten Europäer sind in den beygefügten Genealog-Tabellen des ersten Buchs, genau bemerckt, und nach Belieben aufzuschlagen: als (a) vid. Tab. VI. Litzbergs Fr. (b) Tab. II. J.F. Kramers Ehe-Fr. (c) Tab. VII. Plagers Frau. (d) Tab X. Harckerts Fr. (e) Tab. IV. A.K. Fr. (f) Tab. VIII. Herrlichs Fr. (g) Tab. VII. Morgenthals Fr. (h) Tab. V. Wetterl. Fr. (i. und k.) sab. III. P.K. Fr. und J.B.L. Fr. (l) Tab. VIII. Garbens Fr. (m) Tab. IX. Schreiners Fr.


Quelle:
Johann Gottfried Schnabel: Wunderliche Fata einiger Seefahrer absonderlich Alberti Julii, [...], Vier Theile, Teil 2, Nordhausen 1732, S. 176.
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