Erster Akt

[216] Zimmer Fritzens. Elegant und behaglich.

Fritz, Theodor. Theodor tritt zuerst ein, er hat den Überzieher auf dem Arm, nimmt den Hut erst nach dem Eintritt ab, hat auch den Stock noch in der Hand.


FRITZ spricht draußen. Also es war niemand da?

STIMME DES DIENERS. Nein, gnädiger Herr.

FRITZ im Hereintreten. Den Wagen könnten wir eigentlich wegschicken?

THEODOR. Natürlich. Ich dachte, du hättest es schon getan.

FRITZ wieder hinausgehend, in der Tür. Schicken Sie den Wagen fort. Ja ... Sie können übrigens jetzt auch weggehen, ich brauche Sie heute nicht mehr. Er kommt herein. Zu Theodor. Was legst du denn nicht ab?

THEODOR ist neben dem Schreibtisch. Da sind ein paar Briefe. Er wirft Überzieher und Hut auf einen Sessel, behält den Spazierstock in der Hand.

FRITZ geht hastig zum Schreibtisch. Ah! ...

THEODOR. Na, na! ... Du erschrickst ja förmlich.

FRITZ. Von Papa ... Erbricht den anderen. von Lensky ...

THEODOR. Laß dich nicht stören.

FRITZ durchfliegt die Briefe.

THEODOR. Was schreibt denn der Papa?

FRITZ. Nichts Besonderes ... Zu Pfingsten soll ich auf acht Tage aufs Gut.

THEODOR. Wäre sehr vernünftig. Ich möchte dich auf ein halbes Jahr hinschicken.

FRITZ der vor dem Schreibtisch steht, wendet sich nach ihm um.

THEODOR. Gewiß! – Reiten, kutschieren, frische Luft, Sennerinnen –

FRITZ. Du, Sennhütten gibt's auf Kukuruzfeldern keine!

THEODOR. Naja also, du weißt schon, was ich meine ...

FRITZ. Willst du mit mir hinkommen?

THEODOR. Kann ja nicht!

FRITZ. Warum denn?

THEODOR. Mensch, ich hab' ja Rigorosum zu machen! Wenn ich mit dir hinginge, wär' es nur, um dich dort zu halten.

FRITZ. Geh, mach dir um mich keine Sorgen!

THEODOR. Du brauchst nämlich – das ist meine Überzeugung –[216] nichts anderes als frische Luft! – Ich hab's heute gesehen. Da draußen, wo der echte grüne Frühling ist, bist du wieder ein sehr lieber und angenehmer Mensch gewesen.

FRITZ. Danke.

THEODOR. Und jetzt – jetzt knickst du natürlich zusammen. Wir sind dem gefährlichen Dunstkreis wieder zu nah.

FRITZ macht eine ärgerliche Bewegung.

THEODOR. Du weißt nämlich gar nicht, wie fidel du da draußen gewesen bist – du warst geradezu bei Verstand – es war wie in den guten alten Tagen ... – Auch neulich, wie wir mit den zwei herzigen Mäderln zusammen waren, bist du ja sehr nett gewesen, aber jetzt – ist es natürlich wieder aus, und du findest es dringend notwendig Mit ironischem Pathos. – an jenes Weib zu denken.

FRITZ steht auf, ärgerlich.

THEODOR. Du kennst mich nicht, mein Lieber. Ich habe nicht die Absicht, das länger zu dulden.

FRITZ. Herrgott, bist du energisch! ...

THEODOR. Ich verlang' ja nicht von dir, daß du Wie oben. jenes Weib vergißt ... ich möchte nur, Herzlich. mein lieber Fritz, daß dir diese unglückselige Geschichte, in der man ja immer für dich zittern muß, nicht mehr bedeutet als ein gewöhnliches Abenteuer ... Schau Fritz, wenn du eines Tages »jenes Weib« nicht mehr anbetest, da wirst du dich wundern, wie sympathisch sie dir sein wird. Da wirst du erst drauf kommen, daß sie gar nichts Dämonisches an sich hat, sondern daß sie ein sehr liebes Frauerl ist, mit dem man sich sehr gut amüsieren kann, wie mit allen Weibern, die jung und hübsch sind und ein bißchen Temperament haben.

FRITZ. Warum sagst du »für mich zittern«?

THEODOR. Du weißt es ... Ich kann dir nicht verhehlen, daß ich eine ewige Angst habe, du gehst eines schönen Tages mit ihr auf und davon.

FRITZ. Das meintest du? ...

THEODOR nach einer kurzen Pause. Es ist nicht die einzige Gefahr.

FRITZ. Du hast recht, Theodor, – es gibt auch andere.

THEODOR. Man macht eben keine Dummheiten.

FRITZ vor sich hin. Es gibt andere ...

THEODOR. Was hast du? ... Du denkst an was ganz Bestimmtes.

FRITZ. Ach nein, ich denke nicht an Bestimmtes ... Mit einem Blick zum Fenster. Sie hat sich ja schon einmal getäuscht.[217]

THEODOR. Wieso? ... Was? ... ich versteh' dich nicht.

FRITZ. Ach nichts.

THEODOR. Was ist das? So red' doch vernünftig.

FRITZ. Sie ängstigt sich in der letzten Zeit ... zuweilen.

THEODOR. Warum? – Das muß doch einen Grund haben.

FRITZ. Durchaus nicht. Nervosität – Ironisch. schlechtes Gewissen, wenn du willst.

THEODOR. Du sagst, sie hat sich schon einmal getäuscht –

FRITZ. Nun ja – und heute wohl wieder.

THEODOR. Heute – Ja, was heißt denn das alles –?

FRITZ nach einer kleinen Pause. Sie glaubt, ... man paßt uns auf.

THEODOR. Wie?

FRITZ. Sie hat Schreckbilder, wahrhaftig, förmliche Halluzinationen. Beim Fenster. Sie sieht hier durch den Ritz des Vorhanges irgend einen Menschen, der dort an der Straßenecke steht, und glaubt – Unterbricht sich. Ist es überhaupt möglich, ein Gesicht auf diese Entfernung hin zu erkennen?

THEODOR. Kaum.

FRITZ. Das sag' ich ja auch. Aber das ist dann schrecklich. Da traut sie sich nicht fort, da bekommt sie alle möglichen Zustände, da hat sie Weinkrämpfe, da möchte sie mit mir sterben –

THEODOR. Natürlich.

FRITZ kleine Pause. Heute mußte ich hinunter, nachsehen. So gemütlich, als wenn ich eben allein von Hause wegginge; – es war natürlich weit und breit kein bekanntes Gesicht zu sehn ...

THEODOR schweigt.

FRITZ. Das ist doch vollkommen beruhigend, nicht wahr? Man versinkt ja nicht plötzlich in die Erde, was? ... So antwort' mir doch!

THEODOR. Was willst du denn darauf für eine Antwort? Natürlich versinkt man nicht in die Erde. Aber in Haustore versteckt man sich zuweilen.

FRITZ. Ich hab' in jedes hineingesehen.

THEODOR. Da mußt du einen sehr harmlosen Eindruck gemacht haben.

FRITZ. Niemand war da. Ich sag's ja, Halluzinationen.

THEODOR. Gewiß. Aber es sollte dich lehren vorsichtiger sein.

FRITZ. Ich hätt' es ja auch merken müssen, wenn er einen Verdacht hätte. Gestern habe ich ja nach dem Theater mit ihnen[218] soupiert – mit ihm und ihr – und es war so gemütlich, sag' ich dir! ... lächerlich!

THEODOR. Ich bitt' dich, Fritz – tu mir den Gefallen, sei vernünftig. Gib diese ganze verdammte Geschichte auf – schon meinetwegen. Ich hab' ja auch Nerven ... Ich weiß ja, du bist nicht der Mensch, dich aus einem Abenteuer ins Freie zu retten, drum hab' ich dir's ja so bequem gemacht und dir Gelegenheit gegeben, dich in ein anderes hineinzuretten ...

FRITZ. Du? ...

THEODOR. Nun, hab' ich dich nicht vor ein paar Wochen zu meinem Rendezvous mit Fräulein Mizi mitgenommen? Und hab' ich nicht Fräulein Mizi gebeten, ihre schönste Freundin mitzubringen? Und kannst du es leugnen, daß dir die Kleine sehr gut gefällt? ...

FRITZ. Gewiß ist die lieb! ... So lieb! Und du hast ja gar keine Ahnung, wie ich mich nach so einer Zärtlichkeit ohne Pathos gesehnt habe, nach so was Süßem, Stillem, das mich umschmeichelt, an dem ich mich von den ewigen Aufregungen und Martern erholen kann.

THEODOR. Das ist es, ganz richtig! Erholen! Das ist der tiefere Sinn. Zum Erholen sind sie da. Drum bin ich auch immer gegen die sogenannten interessanten Weiber. Die Weiber haben nicht interessant zu sein, sondern angenehm. Du mußt dein Glück suchen, wo ich es bisher gesucht und gefunden habe, dort, wo es keine großen Szenen, keine Gefahren, keine tragischen Verwicklungen gibt, wo der Beginn keine besonderen Schwierigkeiten und das Ende keine Qualen hat, wo man lächelnd den ersten Kuß empfängt und mit sehr sanfter Rührung scheidet.

FRITZ. Ja, das ist es.

THEODOR. Die Weiber sind ja so glücklich in ihrer gesunden Menschlichkeit – was zwingt uns denn, sie um jeden Preis zu Dämonen oder zu Engeln zu machen?

FRITZ. Sie ist wirklich ein Schatz. So anhänglich, so lieb. Manchmal scheint mir fast, zu lieb für mich.

THEODOR. Du bist unverbesserlich, scheint es. Wenn du die Absicht hast, auch die Sache wieder ernst zu nehmen –

FRITZ. Aber ich denke nicht daran. Wir sind ja einig: Erholung.

THEODOR. Ich würde auch meine Hände von dir abziehen. Ich hab' deine Liebestragödien satt. Du langweilst mich damit. Und wenn du Lust hast, mir mit dem berühmten Gewissen[219] zu kommen, so will ich dir mein einfaches Prinzip für solche Fälle verraten: Besser ich als ein anderer. Denn der Andere ist unausbleiblich wie das Schicksal.


Es klingelt.


FRITZ. Was ist denn das? ...

THEODOR. Sieh nur nach. – Du bist ja schon wieder blaß! Also beruhige dich sofort. Es sind die zwei süßen Mäderln.

FRITZ angenehm überrascht. Was? ...

THEODOR. Ich habe mir die Freiheit genommen, sie für heute zu dir einzuladen.

FRITZ im Hinausgehen. Geh – warum hast du mir's denn nicht gesagt! Jetzt hab' ich den Diener weggeschickt.

THEODOR. Um so gemütlicher.

FRITZENS STIMME draußen. Grüß Sie Gott, Mizi! –


Theodor, Fritz, Mizi tritt ein, trägt ein Paket in der Hand.


FRITZ. Und wo ist denn die Christin'? –

MIZI. Kommt bald nach. Grüß' dich Gott, Dori.

THEODOR küßt ihr die Hand.

MIZI. Sie müssen schon entschuldigen, Herr Fritz; aber der Theodor hat uns einmal eingeladen –

FRITZ. Aber das ist ja eine famose Idee gewesen. Nur hat er eines vergessen, der Theodor –

THEODOR. Nichts hat er vergessen, der Theodor! Nimmt der Mizi das Paket aus der Hand. Hast du alles mitgebracht, was ich dir aufgeschrieben hab'? –

MIZI. Freilich! Zu Fritz. Wo darf ich's denn hinlegen?

FRITZ. Geben Sie mir's nur, Mizi, wir legen's indessen da auf die Kredenz.

MIZI. Ich hab' noch extra was gekauft, was du nicht aufgeschrieben hast, Dori.

FRITZ. Geben Sie mir Ihren Hut, Mizi, so – Legt ihn aufs Klavier, ebenso ihre Boa.

THEODOR mißtrauisch. Was denn?

MIZI. Eine Mokkacremetorte.

THEODOR. Naschkatz'!

FRITZ. Ja, aber sagen Sie, warum ist denn die Christin' nicht gleich mitgekommen? –

MIZI. Die Christin' begleitet ihren Vater zum Theater hin. Sie fährt dann mit der Tramway her.[220]

THEODOR. Das ist eine zärtliche Tochter ...

MIZI. Na, und gar in der letzten Zeit, seit der Trauer.

THEODOR. Wer ist ihnen denn eigentlich gestorben?

MIZI. Die Schwester vom alten Herrn.

THEODOR. Ah, die Frau Tant'!

MIZI. Nein, das war eine alte Fräul'n, die schon immer bei ihnen gewohnt hat – Na, und da fühlt er sich halt so vereinsamt.

THEODOR. Nicht wahr, der Vater von der Christin', das ist so ein kleiner Herr mit kurzem grauen Haar –

MIZI schüttelt den Kopf. Nein, er hat ja lange Haar'.

FRITZ. Woher kennst du ihn denn?

THEODOR. Neulich war ich mit dem Lensky in der Josefstadt und da hab' ich mir die Leut' mit den Baßgeigen angeschaut.

MIZI. Er spielt ja nicht Baßgeige, Violin' spielt er.

THEODOR. Ach so, ich hab' gemeint, er spielt Baßgeige. Zu Mizi, die lacht. Das ist ja nicht komisch; das kann ich ja nicht wissen, du Kind.

MIZI. Schön haben Sie's, Herr Fritz – wunderschön! Wohin haben Sie denn die Aussicht?

FRITZ. Das Fenster da geht in die Strohgasse, und im Zimmer daneben –

THEODOR rasch. Sagt mir nur, warum seid ihr denn so gespreizt miteinander? Ihr könntet euch wirklich du sagen.

MIZI. Beim Nachtmahl trinken wir Bruderschaft.

THEODOR. Solide Grundsätze! Immerhin beruhigend. – – Wie geht's denn der Frau Mutter?

MIZI wendet sich zu ihm, plötzlich mit besorgter Miene. Denk' dir, sie hat –

THEODOR. Zahnweh – ich weiß, ich weiß. Deine Mutter hat immer Zahnweh. Sie soll endlich einmal zu einem Zahnarzt gehen.

MIZI. Aber der Doktor sagt, es ist nur rheumatisch.

THEODOR lachend. Ja, wenn's rheumatisch ist –

MIZI ein Album in der Hand. Lauter so schöne Sachen haben Sie da! ... Im Blättern. Wer ist denn das? ... Das sind ja Sie, Herr Fritz ... In Uniform!? Sie sind beim Militär?

FRITZ. Ja.

MIZI. Dragoner! – Sind Sie bei den gelben oder bei den schwarzen?

FRITZ lächelnd. Bei den gelben.

MIZI wie in Träume versunken. Bei den gelben.

THEODOR. Da wird sie ganz träumerisch! Mizi, wach' auf![221]

MIZI. Aber jetzt sind Sie Leutnant der Reserve?

FRITZ. Allerdings.

MIZI. Sehr gut müssen Sie ausschaun mit dem Pelz.

THEODOR. Umfassend ist dieses Wissen! – Du, Mizi, ich bin nämlich auch beim Militär.

MIZI. Bist du auch bei den Dragonern?

THEODOR. Ja. –

MIZI. Ja, warum sagt Ihr einem denn das nicht? ...

THEODOR. Ich will um meiner selbst willen geliebt werden.

MIZI. Geh, Dori, da mußt du dir nächstens, wenn wir zusammen wohingehen, die Uniform anziehn.

THEODOR. Im August hab' ich sowieso Waffenübung.

MIZI. Gott, bis zum August –

THEODOR. Ja, richtig – so lange währt die ewige Liebe nicht.

MIZI. Wer wird denn im Mai an den August denken. Ist's nicht wahr, Herr Fritz? – Sie, Herr Fritz, warum sind denn Sie uns gestern durchgegangen?

FRITZ. Wieso ...

MIZI. Na ja – nach dem Theater.

FRITZ. Hat mich denn der Theodor nicht bei euch entschuldigt?

THEODOR. Freilich hab' ich dich entschuldigt.

MIZI. Was hab' denn ich – oder vielmehr die Christin' von Ihrer Entschuldigung! Wenn man was verspricht, so halt man's.

FRITZ. Ich wär' wahrhaftig lieber mit euch gewesen ...

MIZI. Is' wahr? ...

FRITZ. Aber, ich konnt' nicht. Sie haben ja gesehen, ich war mit Bekannten in der Loge, und da hab' ich mich nachher nicht losmachen können.

MIZI. Ja, von den schönen Damen haben Sie sich nicht losmachen können. Glauben Sie, wir haben Sie nicht gesehen von der Gallerie aus?

FRITZ. Ich hab' euch ja auch gesehn ...

MIZI. Sie sind rückwärts in der Loge gesessen. –

FRITZ. Nicht immer.

MIZI. Aber meistens. Hinter einer Dame mit einem schwarzen Samtkleid sind Sie gesessen und haben immer Parodierende Bewegung. so hervorgeguckt.

FRITZ. Sie haben mich aber genau beobachtet.

MIZI. Mich geht's ja nichts an! Aber wenn ich die Christin' wär' ... Warum hat denn der Theodor nach dem Theater Zeit? Warum muß der nicht mit Bekannten soupieren gehn?[222]

THEODOR stolz. Warum muß ich nicht mit Bekannten soupieren gehn? ...


Es klingelt.


MIZI. Das ist die Christin'.

FRITZ eilt hinaus.

THEODOR. Mizi, du könntest mir einen Gefallen tun.

MIZI fragende Miene.

THEODOR. Vergiß – auf einige Zeit wenigstens – deine militärischen Erinnerungen.

MIZI. Ich hab' ja gar keine.

THEODOR. Na du, aus dem Schematismus hast du die Sachen nicht gelernt, das merkt man.


Theodor, Mizi, Fritz, Christine mit Blumen in der Hand.


CHRISTINE grüßt mit ganz leichter Befangenheit. Guten Abend. Begrüßung. Zu Fritz. Freut's dich, daß wir gekommen sind? – Bist nicht bös?

FRITZ. Aber Kind! – Manchmal ist ja der Theodor gescheiter als ich. –

THEODOR. Na, geigt er schon, der Herr Papa?

CHRISTINE. Freilich; ich hab' ihn zum Theater hinbegleitet.

FRITZ. Die Mizi hat's uns erzählt. –

CHRISTINE zu Mizi. Und die Kathrin' hat mich noch aufgehalten.

MIZI. O jeh, die falsche Person.

CHRISTINE. Oh, die ist gewiß nicht falsch, die ist sehr gut zu mir.

MIZI. Du glaubst auch einer jeden.

CHRISTINE. Warum soll denn die gegen mich falsch sein?

FRITZ. Wer ist denn die Kathrin'?

MIZI. Die Frau von einem Strumpfwirker und ärgert sich alleweil, wenn wer jünger ist wie sie.

CHRISTINE. Sie ist ja selbst noch eine junge Person.

FRITZ. Lassen wir die Kathrin'. – Was hast du denn da?

CHRISTINE. Ein paar Blumen hab' ich dir mitgebracht.

FRITZ nimmt sie ihr ab und küßt ihr die Hand. Du bist ein Engerl. Wart', die wollen wir da in die Vase ...

THEODOR. Oh nein! Du hast gar kein Talent zum Festarrangeur. Die Blumen werden zwanglos auf den Tisch gestreut ... Nachher übrigens, wenn aufgedeckt ist. Eigentlich sollte man das so arrangieren, daß sie von der Decke herunterfallen. Das wird aber wieder nicht gehen.[223]

FRITZ lachend. Kaum.

THEODOR. Unterdessen wollen wir sie doch da hineinstecken.


Gibt sie in die Vase.


MIZI. Kinder, dunkel wird's!

FRITZ hat der Christine geholfen, die Überjacke auszuziehen, sie hat auch ihren Hut abgelegt, er gibt die Dinge auf einen Stuhl im Hintergrund. Gleich wollen wir die Lampe anzünden.

THEODOR. Lampe! Keine Idee! Lichter werden wir anzünden. Das macht sich viel hübscher. Komm, Mizi, kannst mir helfen. Er und Mizi zünden die Lichter an; die Kerzen in den zwei Armleuchtern auf dem Trumeau, eine Kerze auf dem Schreibtisch, dann zwei Kerzen auf der Kredenz.


Unterdessen sprechen Fritz und Christine miteinander.


FRITZ. Wie geht's dir denn, mein Schatz?

CHRISTINE. Jetzt geht's mir gut. –

FRITZ. Na, und sonst?

CHRISTINE. Ich hab' mich so nach dir gesehnt.

FRITZ. Wir haben uns ja gestern erst gesehen.

CHRISTINE. Gesehn ... von weitem ... Schüchtern. Du, das war nicht schön, daß du ...

FRITZ. Ja, ich weiß schon; die Mizi hat's mir schon gesagt. Aber du bist ein Kind wie gewöhnlich. Ich hab' nicht los können. So was mußt du ja begreifen.

CHRISTINE. Ja ... du, Fritz ... wer waren denn die Leute in der Loge?

FRITZ. Bekannte – das ist doch ganz gleichgültig, wie sie heißen.

CHRISTINE. Wer war denn die Dame im schwarzen Samtkleid?

FRITZ. Kind, ich hab' gar kein Gedächtnis für Toiletten.

CHRISTINE schmeichelnd. Na!

FRITZ. Das heißt, ... ich hab' dafür auch schon ein Gedächtnis – in gewissen Fällen. Zum Beispiel an die dunkelgraue Bluse erinner' ich mich sehr gut, die du angehabt hast, wie wir uns das erste Mal gesehen haben. Und die weiß-schwarze Taille, gestern ... im Theater –

CHRISTINE. Die hab' ich ja heut auch an!

FRITZ. Richtig ... von weitem sieht die nämlich ganz anders aus – im Ernst! Oh, und das Medaillon, das kenn' ich auch!

CHRISTINE lächelnd. Wann hab' ich's umgehabt?

FRITZ. Vor – na, damals, wie wir in dem Garten bei der Linie spazieren gegangen sind, wo die vielen Kinder gespielt haben ... nicht wahr ...?[224]

CHRISTINE. Ja ... Du denkst doch manchmal an mich.

FRITZ. Ziemlich häufig, mein Kind ...

CHRISTINE. Nicht so oft, wie ich an dich. Ich denke immer an dich ... den ganzen Tag ... und froh kann ich doch nur sein, wenn ich dich seh'!

FRITZ. Sehn wir uns denn nicht oft genug? –

CHRISTINE. Oft ...

FRITZ. Freilich. Im Sommer werden wir uns weniger sehn ... Denk' dir, wenn ich zum Beispiel einmal auf ein paar Wochen verreiste, was möchtest du da sagen?

CHRISTINE ängstlich. Wie? Du willst verreisen?

FRITZ. Nein ... Immerhin wär' es aber möglich, daß ich einmal die Laune hätte, acht Tage ganz allein zu sein ...

CHRISTINE. Ja, warum denn?

FRITZ. Ich spreche ja nur von der Möglichkeit. Ich kenne mich, ich hab' solche Launen. Und du könntest ja auch einmal Lust haben, mich ein paar Tage nicht zu sehn ... das werd' ich immer verstehn.

CHRISTINE. Die Laune werd' ich nie haben, Fritz.

FRITZ. Das kann man nie wissen.

CHRISTINE. Ich weiß es ... ich hab' dich lieb.

FRITZ. Ich hab' dich ja auch sehr lieb.

CHRISTINE. Du bist aber mein Alles, Fritz, für dich könnt' ich ... Sie unterbricht sich. Nein, ich kann mir nicht denken, daß je eine Stunde käm', wo ich dich nicht sehen wollte. So lang ich leb', Fritz – –

FRITZ unterbricht. Kind, ich bitt' dich ... so was sag' lieber nicht ... die großen Worte, die hab' ich nicht gern. Von der Ewigkeit reden wir nicht ...

CHRISTINE traurig lächelnd. Hab keine Angst, Fritz ... ich weiß ja, daß es nicht für immer ist ...

FRITZ. Du verstehst mich falsch, Kind. Es ist ja möglich, Lachend. daß wir einmal überhaupt nicht ohne einander leben können, aber wissen können wir's ja nicht, nicht wahr? Wir sind ja nur Menschen.

THEODOR auf die Lichter weisend. Bitte sich das gefälligst anzusehen ... Sieht das nicht anders aus, als wenn da eine dumme Lampe stünde?

FRITZ. Du bist wirklich der geborene Festarrangeur.

THEODOR. Kinder, wie wär's übrigens, wenn wir an das Souper dächten? ...[225]

MIZI. Ja! ... Komm, Christin'! ...

FRITZ. Wartet, ich will euch zeigen, wo ihr alles Notwendige findet.

MIZI. Vor allem brauchen wir ein Tischtuch.

THEODOR mit englischem Akzent, wie ihn die Clowns zu haben pflegen. »Eine Tischentuch.«

FRITZ. Was? ...

THEODOR. Erinnerst dich nicht an den Clown im Orpheum? »Das ist eine Tischentuch« ... »Das ist eine Blech.« »Das ist eine kleine piccolo.«

MIZI. Du, Dori, wann gehst denn mit mir ins Orpheum? Neulich hast du mir's ja versprochen. Da kommt die Christin' aber auch mit, und der Herr Fritz auch. Sie nimmt eben Fritz das Tischtuch aus der Hand, das dieser aus der Kredenz genommen. Da sind aber dann wir die Bekannten in der Loge ...

FRITZ. Ja, ja ...

MIZI. Da kann dann die Dame mit dem schwarzen Samtkleid allein nach Haus gehn.

FRITZ. Was ihr immer mit der Dame in Schwarz habt, das ist wirklich zu dumm.

MIZI. Oh, wir haben nichts mit ihr ... So ... Und das Eßzeug? ... Fritz zeigt ihr alles in der geöffneten Kredenz. Ja ... Und die Teller? ... Ja, danke ... So, jetzt machen wir's schon allein ... Gehn Sie, gehn Sie, jetzt stören Sie uns nur.

THEODOR hat sich unterdessen auf den Diwan der Länge nach hingelegt; wie Fritz zu ihm nach vorne kommt. Du entschuldigst ... Mizi und Christine decken auf.

MIZI. Hast du schon das Bild von Fritz in der Uniform gesehn?

CHRISTINE. Nein.

MIZI. Das mußt du dir anschaun. Fesch! ... Sie reden weiter.

THEODOR auf dem Diwan. Siehst du, Fritz, solche Abende sind meine Schwärmerei.

FRITZ. Sind auch nett.

THEODOR. Da fühl' ich mich behaglich ... Du nicht? ...

FRITZ. Oh, ich wollte, es wär' mir immer so wohl.

MIZI. Sagen Sie, Herr Fritz, ist Kaffee in der Maschin' drin?

FRITZ. Ja ... Ihr könnt auch gleich den Spiritus anzünden – auf der Maschin' dauert's sowieso eine Stund', bis der Kaffee fertig ist ...

THEODOR zu Fritz. Für so ein süßes Mäderl geb' ich zehn dämonische Weiber her.[226]

FRITZ. Das kann man nicht vergleichen.

THEODOR. Wir hassen nämlich die Frauen, die wir lieben – und lieben nur die Frauen, die uns gleichgültig sind.

FRITZ lacht.

MIZI. Was ist denn? Wir möchten auch was hören!

THEODOR. Nichts für euch, Kinder. Wir philosophieren. Zu Fritz. Wenn wir heut mit denen das letzte Mal zusammen wären, wir wären doch nicht weniger fidel, was?

FRITZ. Das letzte Mal ... Na, darin liegt jedenfalls etwas Melancholisches. Ein Abschied schmerzt immer, auch wenn man sich schon lange darauf freut!

CHRISTINE. Du, Fritz, wo ist denn das kleine Eßzeug?

FRITZ geht nach hinten, zur Kredenz. Da ist es, mein Schatz.

MIZI ist nach vom gekommen, fährt dem Theodor, der auf dem Diwan liegt, durch die Haare.

THEODOR. Du Katz', du!

FRITZ öffnet das Paket, das Mizi gebracht. Großartig ...

CHRISTINE zu Fritz. Wie du alles hübsch in Ordnung hast!

FRITZ. Ja ... Ordnet die Sachen, die Mizi mitgebracht, – Sardinenbüchse, kaltes Fleisch, Butter, Käse.

CHRISTINE. Fritz ... willst du mir's nicht sagen?

FRITZ. Was denn?

CHRISTINE sehr schüchtern. Wer die Dame war?

FRITZ. Nein; ärger' mich nicht. Milder. Schau', das haben wir ja so ausdrücklich miteinander ausgemacht: Gefragt wird nichts. Das ist ja gerade das Schöne. Wenn ich mit dir zusammen bin, versinkt die Welt – punktum. Ich frag' dich auch um nichts.

CHRISTINE. Mich kannst du um alles fragen.

FRITZ. Aber ich tu's nicht. Ich will ja nichts wissen.

MIZI kommt wieder hin. Herrgott, machen Sie da eine Unordnung – Übernimmt die Speisen, legt sie auf die Teller. So ...

THEODOR. Du, Fritz, sag', hast du denn irgend was zum Trinken zu Hause?

FRITZ. Oh ja, es wird sich schon was finden. Er geht ins Vorzimmer.

THEODOR erhebt sich und besichtigt den Tisch. Gut. –

MIZI. So, ich denke, es fehlt nichts mehr! ...

FRITZ kommt mit einigen Flaschen zurück. So, hier wäre auch was zum Trinken.

THEODOR. Wo sind denn die Rosen, die von der Decke herunterfallen?[227]

MIZI. Ja, richtig, die Rosen haben wir vergessen! Sie nimmt die Rosen aus der Vase, steigt auf einen Stuhl und läßt die Rosen auf den Tisch fallen. So!

CHRISTINE. Gott, ist das Mädel ausgelassen.

THEODOR. Na, nicht in die Teller ...

FRITZ. Wo willst du sitzen, Christin'?

THEODOR. Wo ist denn der Stoppelzieher?

FRITZ holt einen aus der Kredenz. Hier ist einer.

MIZI versucht, den Wein aufzumachen.

FRITZ. Aber geben Sie das doch mir.

THEODOR. Laßt das mich machen ... Nimmt ihm Flasche und Stoppelzieher aus der Hand. Du könntest unterdessen ein bißchen ... Bewegung des Klavierspiels.

MIZI. Ja, ja, das ist fesch! ... Sie läuft zum Klavier, öffnet es, nachdem sie die Sachen, die darauf liegen, auf einen Stuhl gelegt hat.

FRITZ zu Christine. Soll ich?

CHRISTINE. Ich bitt' dich, ja, so lang schon hab' ich mich danach gesehnt.

FRITZ am Klavier. Du kannst ja auch ein bissel spielen?

CHRISTINE abwehrend. Oh Gott.

MIZI. Schön kann sie spielen, die Christin' ... sie kann auch singen.

FRITZ. Wirklich? Das hast du mir ja nie gesagt! ...

CHRISTINE. Hast du mich denn je gefragt?

FRITZ. Wo hast du denn singen gelernt?

CHRISTINE. Gelernt hab' ich's eigentlich nicht. Der Vater hat mich ein bissel unterrichtet – aber ich hab' nicht viel Stimme. Und weißt du, seit die Tant' gestorben ist, die immer bei uns gewohnt hat, da ist es noch stiller bei uns wie es früher war.

FRITZ. Was machst du eigentlich so den ganzen Tag?

CHRISTINE. Oh Gott, ich hab' schon zu tun! –

FRITZ. So im Haus – wie? –

CHRISTINE. Ja. Und dann schreib' ich Noten ab, ziemlich viel. –

THEODOR. Musiknoten? –

CHRISTINE. Freilich.

THEODOR. Das muß ja horrend bezahlt werden. Wie die andern lachen. Na, ich würde das horrend bezahlen. Ich glaube, Notenschreiben muß eine fürchterliche Arbeit sein! –

MIZI. Es ist auch ein Unsinn, daß sie sich so plagt. Zu Christine. Wenn ich so viel Stimme hätte wie du, wär' ich längst beim Theater.[228]

THEODOR. Du brauchtest nicht einmal Stimme ... Du tust natürlich den ganzen Tag gar nichts, was?

MIZI. Na, sei so gut! Ich hab' ja zwei kleine Brüder, die in die Schul' gehn, die zieh' ich an in der Früh'; und dann mach' ich die Aufgaben mit ihnen –

THEODOR. Da ist doch kein Wort wahr.

MIZI. Na, wennst mir nicht glaubst! – Und bis zum vorigen Herbst bin ich sogar in einem Geschäft gewesen von acht in der Früh' bis acht am Abend –

THEODOR leicht spottend. Wo denn?

MIZI. In einem Modistengeschäft. Die Mutter will, daß ich wieder eintrete.

THEODOR wie oben. Warum bist du denn ausgetreten?

FRITZ zu Christine. Du mußt uns dann was vorsingen!

THEODOR. Kinder, essen wir jetzt lieber, und du spielst dann, ja? ...

FRITZ aufstehend, zu Christine. Komm, Schatz! Führt sie zum Tisch hin.

MIZI. Der Kaffee! Jetzt geht der Kaffee über, und wir haben noch nichts gegessen!

THEODOR. Jetzt ist's schon alles eins!

MIZI. Aber er geht ja über! Bläst die Spiritusflamme aus. Man setzt sich zu Tisch.

THEODOR. Was willst du haben, Mizi? Das sag' ich dir gleich: Die Torte kommt zuletzt! ... Zuerst muß du lauter ganz saure Sachen essen.

FRITZ schenkt den Wein ein.

THEODOR. Nicht so: Das macht man jetzt anders. Kennst du nicht die neueste Mode? Steht auf, affektiert Grandezza, die Flasche in der Hand, zu Christine. Vöslauer Ausstich achtzehnhundert ... Spricht die nächsten Zahlen unverständlich. Schenkt ein, zu Mizzi. Vöslauer Ausstich achtzehnhundert ... Wie früher. Schenkt ein, zu Fritz. Vöslauer Ausstich achtzehnhundert ... Wie früher. An seinem eigenen Platz. Vöslauer Ausstich ... Wie früher. Setzt sich.

MIZI lachend. Alleweil macht er Dummheiten.

THEODOR erhebt das Glas, alle stoßen an. Prosit!

MIZI. Sollst leben, Theodor! ...

THEODOR sich erhebend. Meine Damen und Herren ...

FRITZ. Na, nicht gleich!

THEODOR setzt sich. Ich kann ja warten. Man ißt.[229]

MIZI. Das hab' ich so gern, wenn bei Tisch Reden gehalten werden. Also ich hab' einen Vetter, der redt immer in Reimen.

THEODOR. Bei was für einem Regiment ist er? ...

MIZI. Geh, hör' auf ... Auswendig redt er und mit Reimen, aber großartig, sag' ich dir, Christin'. Und ist eigentlich schon ein älterer Herr.

THEODOR. O, das kommt vor, daß ältere Herren noch in Reimen reden.

FRITZ. Aber, ihr trinkt ja gar nicht. Christin'! Er stößt mit ihr an.

THEODOR stößt mit Mizi an. Auf die alten Herren, die in Reimen reden.

MIZI lustig. Auf die jungen Herren, auch wenn sie gar nichts reden ... zum Beispiel auf den Herrn Fritz ... Sie, Herr Fritz, jetzt trinken wir Bruderschaft, wenn Sie wollen – und die Christin' muß auch mit dem Theodor Bruderschaft trinken.

THEODOR. Aber nicht mit dem Wein, das ist kein Bruderschaftswein. Erhebt sich, nimmt eine andere Flasche – gleiches Spiel wie früher. Xeres de la Frontera mille huit cent cinquante – Xeres de la Frontera – Xeres de la Frontera – Xeres de la Frontera.

MIZI nippt. Ah –

THEODOR. Kannst du nicht warten, bis wir alle trinken? ... Also, Kinder ... bevor wir uns so feierlich verbrüdern, wollen wir auf den glücklichen Zufall trinken, der, der ... und so weiter ...

MIZI. Ja, ist schon gut! Sie trinken.


Fritz nimmt Mizis, Theodor Christinens Arm, die Gläser in der Hand, wie man Bruderschaft zu trinken pflegt.


FRITZ küßt Mizi.

THEODOR will Christine küssen.

CHRISTINE lächelnd. Muß das sein?

THEODOR. Unbedingt, sonst gilt's nichts ... Küßt sie. So, und jetzt à place! ...

MIZI. Aber schauerlich heiß wird's in dem Zimmer.

FRITZ. Das ist von den vielen Lichtern, die der Theodor angezündet hat.

MIZI. Und von dem Wein. Sie lehnt sich in das Fauteuil zurück.

THEODOR. Komm nur daher, jetzt kriegst du ja erst das Beste. Er schneidet ein Stückchen von der Torte ab und steckt's ihr in den Mund. Da, du Katz' – gut? –

MIZI. Sehr! ... Er gibt ihr noch eins.[230]

THEODOR. Geh, Fritz, jetzt ist der Moment! Jetzt könntest du was spielen!

FRITZ. Willst du, Christin'?

CHRISTINE. Bitte! –

MIZI. Aber was Fesches!

THEODOR füllt die Gläser.

MIZI. Kann nicht mehr. Trinkt.

CHRISTINE nippend. Der Wein ist so schwer.

THEODOR auf den Wein weisend. Fritz!

FRITZ leert das Glas, geht zum Klavier.

CHRISTINE setzt sich zu ihm.

MIZI. Herr Fritz, spielen S' den Doppeladler.

FRITZ. Den Doppeladler – wie geht der?

MIZI. Dori, kannst du nicht den Doppeladler spielen?

THEODOR. Ich kann überhaupt nicht Klavier spielen.

FRITZ. Ich kenne ihn ja; er fällt mir nur nicht ein.

MIZI. Ich werd' ihn Ihnen vorsingen ... La ... La ... lalalala ... la ...

FRITZ. Aha, ich weiß schon. Spielt aber nicht ganz richtig.

MIZI geht zum Klavier. Nein, so ... Spielt die Melodie mit einem Finger.

FRITZ. Ja, ja ... Er spielt, Mizi singt mit.

THEODOR. Das sind wieder süße Erinnerungen, was? ...

FRITZ spielt wieder unrichtig und hält inne. Es geht nicht. Ich hab' gar kein Gehör. Er phantasiert.

MIZI gleich nach dem ersten Takt. Das ist nichts!

FRITZ lacht. Schimpfen Sie nicht, das ist von mir! –

MIZI. Aber zum Tanzen ist es nicht.

FRITZ. Probieren Sie nur einmal ...

THEODOR zu Mizi. Komm, versuchen wir's. Er nimmt sie um die Taille, sie tanzen.

CHRISTINE steht am Klavier und schaut auf die Tasten. Es klingelt.

FRITZ hört plötzlich auf zu spielen; Theodor und Mizi tanzen weiter.

THEODOR UND MIZI zugleich. Was ist denn das? – Na!

FRITZ. Es hat eben geklingelt ... Zu Theodor. Hast du denn noch jemanden eingeladen?

THEODOR. Keine Idee – du brauchst ja nicht zu öffnen.

CHRISTINE zu Fritz. Was hast du denn?

FRITZ. Nichts ...


Es klingelt wieder.
[231]

FRITZ steht auf, bleibt stehen.

THEODOR. Du bist einfach nicht zu Hause.

FRITZ. Man hört ja das Klavierspielen bis auf den Gang ... Man sieht auch von der Straße her, daß es beleuchtet ist.

THEODOR. Was sind denn das für Lächerlichkeiten? Du bist eben nicht zu Haus.

FRITZ. Es macht mich aber nervös.

THEODOR. Na, was wird's denn sein? Ein Brief! – Oder ein Telegramm – Du wirst ja um Auf die Uhr sehend. um neun keinen Besuch bekommen.


Es klingelt wieder.


FRITZ. Ach was, ich muß doch nachsehn – Geht hinaus.

MIZI. Aber ihr seid auch gar nicht fesch – Schlägt ein paar Tasten auf dem Klavier an.

THEODOR. Geh', hör jetzt auf! – Zu Christine. Was haben Sie denn? Macht Sie das Klingeln auch nervös? –

FRITZ kommt zurück, mit erkünstelter Ruhe.

THEODOR UND CHRISTINE zugleich. Na, wer war's? – Wer war's?

FRITZ gezwungen lächelnd. Ihr müßt so gut sein, mich einen Moment zu entschuldigen. Geht unterdessen da hinein.

THEODOR. Was gibts denn?

CHRISTINE. Wer ist's?!

FRITZ. Nichts, Kind, ich habe nur zwei Worte mit einem Herrn zu sprechen ... Hat die Tür zum Nebenzimmer geöffnet, geleitet die Mädchen hinein, Theodor ist der letzte, sieht Fritz fragend an.

FRITZ leise, mit entsetztem Ausdruck. Er! ...

THEODOR. Ah! ...

FRITZ. Geh hinein, geh hinein. –

THEODOR. Ich bitt' dich, mach' keine Dummheiten, es kann eine Falle sein ...

FRITZ. Geh ... geh ... – Theodor ins Nebenzimmer. Fritz geht rasch durchs Zimmer auf den Gang, so daß die Bühne einige Augenblicke leer bleibt. Dann tritt er wieder auf, indem er einen elegant gekleideten Herrn von etwa fünfunddreißig Jahren voraus eintreten läßt. – Der Herr ist in gelbem Überzieher, trägt Handschuhe, hält den Hut in der Hand.


Fritz, der Herr.


FRITZ noch im Eintreten. Pardon, daß ich Sie warten ließ ... ich bitte ...[232]

DER HERR in ganz leichtem Tone. Oh, das tut nichts. Ich bedaure sehr, Sie gestört zu haben.

FRITZ. Gewiß nicht. Bitte wollen Sie nicht – Weist ihm einen Stuhl an.

DER HERR. Ich sehe ja, daß ich Sie gestört habe. Kleine Unterhaltung, wie?

FRITZ. Ein paar Freunde.

DER HERR sich setzend, immer freundlich. Maskenscherz wahrscheinlich?

FRITZ befangen. Wieso?

DER HERR. Nun, Ihre Freunde haben Damenhüte und Mantillen.

FRITZ. Nun ja ... Lächelnd. Es mögen ja Freundinnen auch dabei sein ... Schweigen.

DER HERR. Das Leben ist zuweilen ganz lustig ... ja ... Er sieht den andern starr an.

FRITZ hält den Blick eine Weile aus, dann sieht er weg. ... Ich darf mir wohl die Frage erlauben, was mir die Ehre Ihres Besuches verschafft.

DER HERR. Gewiß ... Ruhig. Meine Frau hat nämlich ihren Schleier bei Ihnen vergessen.

FRITZ. Ihre Frau Gemahlin bei mir? ... ihren ... Lächelnd. Der Scherz ist ein bißchen sonderbar ...

DER HERR plötzlich aufstehend, sehr stark, fast wild, indem er sich mit der einen Hand auf die Stuhllehne stützt. Sie hat ihn vergessen.

FRITZ erhebt sich auch, und die beiden stehen einander gegenüber.

DER HERR hebt die Faust, als wollte er sie auf Fritz niederfallen lassen; – in Wut und Ekel. Oh ...!

FRITZ wehrt ab, geht einen kleinen Schritt nach rückwärts.

DER HERR nach einer langen Pause. Hier sind Ihre Briefe. Er wirft ein Paket, das er aus der Tasche des Überziehers nimmt, auf den Schreibtisch. Ich bitte um die, welche Sie erhalten haben ...

FRITZ abwehrende Bewegung.

DER HERR heftig, mit Bedeutung. Ich will nicht, daß man sie – später bei Ihnen findet.

FRITZ sehr stark. Man wird sie nicht finden.

DER HERR schaut ihn an. Pause.

FRITZ. Was wünschen Sie noch von mir? ...

DER HERR höhnisch. Was ich noch wünsche –?

FRITZ. Ich stehe zu Ihrer Verfügung ...

DER HERR verbeugt sich kühl. Gut. – Er läßt seinen Blick im Zimmer umhergehen; wie er wieder den gedeckten Tisch, die Damenhüte usw.[233] sieht, geht eine lebhafte Bewegung über sein Gesicht, als wollte es zu einem neuen Ausbruch seiner Wut kommen.

FRITZ der das bemerkt, wiederholt. Ich bin ganz zu Ihrer Verfügung. – Ich werde morgen bis zwölf Uhr zu Hause sein.

DER HERR verbeugt sich und wendet sich zum Gehen.

FRITZ begleitet ihn bis zur Türe, was der Herr abwehrt. Wie er weg ist, geht Fritz zum Schreibtisch, bleibt eine Weile stehen. Dann eilt er zum Fenster, sieht durch eine Spalte, die die Rouleaux gelassen, hinaus, und man merkt, wie er den auf dem Trottoir gehenden Herrn mit den Blicken verfolgt. Dann entfernt er sich vom Fenster, bleibt, eine Sekunde lang zur Erde schauend, stehen; dann geht er zur Türe des Nebenzimmers, öffnet sie zur Hälfte und ruft. Theodor ... auf einen Moment.


Fritz, Theodor.

Sehr rasch diese Szene.


THEODOR erregt. Nun ...

FRITZ. Er weiß es.

THEODOR. Nichts weiß er. Du bist ihm sicher hineingefallen. Hast am Ende gestanden. Du bist ein Narr, sag' ich dir ... Du bist –

FRITZ auf die Briefe weisend. Er hat mir meine Briefe zurückgebracht.

THEODOR betroffen. Oh ... Nach einer Pause. Ich sag' es immer, man soll nicht Briefe schreiben.

FRITZ. Er ist es gewesen, heute Nachmittag, da unten.

THEODOR. Also was hat's denn gegeben? – So sprich doch.

FRITZ. Du mußt mir nun einen großen Dienst erweisen, Theodor.

THEODOR. Ich werde die Sache schon in Ordnung bringen.

FRITZ. Davon ist hier nicht mehr die Rede.

THEODOR. Also ...

FRITZ. Es wird für alle Fälle gut sein ... Sich unterbrechend. – aber wir können doch die armen Mädchen nicht so lange warten lassen.

THEODOR. Die können schon warten. Was wolltest du sagen?

FRITZ. Es wird gut sein, wenn du heute noch Lensky aufsuchst.

THEODOR. Gleich, wenn du willst.

FRITZ. Du triffst ihn jetzt nicht ... aber zwischen elf und zwölf kommt er ja sicher ins Kaffeehaus ... vielleicht kommt ihr dann beide noch zu mir ...[234]

THEODOR. Geh, so mach' doch kein solches Gesicht ... in neunundneunzig Fällen von hundert geht die Sache gut aus.

FRITZ. Es wird dafür gesorgt sein, daß diese Sache nicht gut ausgeht.

THEODOR. Aber ich bitt' dich, erinnere dich, im vorigen Jahr, die Affäre zwischen dem Doktor Billinger und dem Herz – das war doch genau dasselbe.

FRITZ. Laß das, du weißt es selbst – er hätte mich einfach hier in dem Zimmer niederschießen sollen, – es wär' aufs Gleiche herausgekommen.

THEODOR gekünstelt. Ah, das ist famos! Das ist eine großartige Auffassung ... Und wir, der Lensky und ich, wir sind nichts? Du meinst, wir werden es zugeben – –

FRITZ. Bitt' dich, laß das! ... Ihr werdet einfach annehmen, was man proponieren wird.

THEODOR. Ah, –

FRITZ. Wozu das alles, Theodor. Als wenn du's nicht wüßtest.

THEODOR. Unsinn. Überhaupt, das Ganze ist Glückssache ... Ebenso gut kannst du ihn ...

FRITZ ohne darauf zu hören. Sie hat es geahnt. Wir beide haben es geahnt. Wir haben es gewußt ...

THEODOR. Geh, Fritz ...

FRITZ zum Schreibtisch, sperrt die Briefe ein. Was sie in diesem Augenblick nur macht. Ob er sie ... Theodor ... das mußt du morgen in Erfahrung bringen, was dort geschehen ist.

THEODOR. Ich werd' es versuchen ...

FRITZ.... Sieh auch, daß kein überflüssiger Aufschub ...

THEODOR. Vor übermorgen früh wird's ja doch kaum sein können.

FRITZ beinahe angstvoll. Theodor!

THEODOR. Also ... Kopf hoch. – Nicht wahr, auf innere Überzeugungen ist doch auch etwas zu geben – und ich hab' die feste Überzeugung, daß alles ... gut ausgeht. Redet sich in Lustigkeit hin ein. Ich weiß selbst nicht warum, aber ich hab' einmal die Überzeugung!

FRITZ lächelnd. Was bist du für ein guter Kerl! – Aber was sagen wir nur den Mädeln?

THEODOR. Das ist wohl sehr gleichgültig. Schicken wir sie einfach weg.

FRITZ. Oh nein. Wir wollen sogar möglichst lustig sein. Christine darf gar nichts ahnen. Ich will mich wieder zum Klavier setzen; ruf du sie indessen herein. Theodor wendet sich, unzufriedenen[235] Gesichts, das zu tun. Und was wirst du ihnen sagen?

THEODOR. Daß sie das gar nichts angeht.

FRITZ der sich zum Klavier gesetzt hat, sich nach ihm umwendend. Nein, nein –

THEODOR. Daß es sich um einen Freund handelt – das wird sich schon finden.

FRITZ spielt ein paar Töne.

THEODOR. Bitte, meine Damen. Hat die Tür geöffnet.


Fritz, Theodor, Christine, Mizi.


MIZI. Na endlich! Ist der schon fort?

CHRISTINE zu Fritz eilend. Wer war bei dir, Fritz?

FRITZ am Klavier, weiterspielend. Ist schon wieder neugierig.

CHRISTINE. Ich bitt' dich, Fritz, sag's mir.

FRITZ. Schatz, ich kann's dir nicht sagen, es handelt sich wirklich um Leute, die du gar nicht kennst.

CHRISTINE schmeichelnd. Geh, Fritz, sag' mir die Wahrheit!

THEODOR. Sie läßt dich natürlich nicht in Ruh' ... Daß du ihr nichts sagst! Du hast's ihm versprochen!

MIZI. Geh, sei doch nicht so fad, Christin', laß ihnen die Freud'! Sie machen sich eh' nur wichtig!

THEODOR. Ich muß den Walzer mit Fräulein Mizi zu Ende tanzen. Mit der Betonung eines Clowns. Bitte, Herr Kapellmeister – eine kleine Musik.

FRITZ spielt. Theodor und Mizi tanzen; nach wenigen Takten.

MIZI. Ich kann nicht! Sie fällt in einen Fauteuil zurück.

THEODOR küßt sie, setzt sich auf die Lehne des Fauteuils zu ihr.

FRITZ bleibt am Klavier, nimmt Christine bei beiden Händen, sieht sie an.

CHRISTINE wie erwachend. Warum spielst du nicht weiter?

FRITZ lächelnd. Genug für heut ...

CHRISTINE. Siehst du, so möcht' ich spielen können ...

FRITZ. Spielst du viel? ...

CHRISTINE. Ich komme nicht viel dazu; im Haus ist immer was zu tun. Und dann, weißt, wir haben ein so schlechtes Pianino.

FRITZ. Ich möcht's wohl einmal versuchen. Ich möcht' überhaupt gern dein Zimmer einmal sehn.

CHRISTINE lächelnd. 'S ist nicht so schön wie bei dir! ...

FRITZ. Und noch eins möcht' ich: Daß du mir einmal viel von dir erzählst ... recht viel ... ich weiß eigentlich so wenig von dir.[236]

CHRISTINE. Ist wenig zu erzählen. – Ich hab' auch keine Geheimnisse – wie wer anderer ...

FRITZ. Du hast noch keinen lieb gehabt?

CHRISTINE sieht ihn nur an.

FRITZ küßt ihr die Hände.

CHRISTINE. Und werd' auch nie wen andern lieb haben ...

FRITZ mit fast schmerzlichem Ausdruck. Sag' das nicht ... sag's nicht ... was weißt du denn? ... Hat dich dein Vater sehr gern, Christin'? –

CHRISTINE. O Gott! ... Es war auch eine Zeit, wo ich ihm alles erzählt hab'. –

FRITZ. Na, Kind, mach' dir nur keine Vorwürfe ... Ab und zu hat man halt Geheimnisse – das ist der Lauf der Welt.

CHRISTINE.... Wenn ich nur wüßte, daß du mich gern hast – da wär' ja alles ganz gut.

FRITZ. Weißt du's denn nicht?

CHRISTINE. Wenn du immer in dem Ton zu mir reden möchtest, ja dann ...

FRITZ. Christin'! Du sitzt aber recht unbequem.

CHRISTINE. Ach laß nur – es ist da ganz gut. Sie legt den Kopf aufs Klavier.

FRITZ steht auf und streichelt ihr die Haare.

CHRISTINE. O, das ist gut.


Stille im Zimmer.


THEODOR. Wo sind die Zigarren, Fritz? –

FRITZ kommt zu ihm hin, der bei der Kredenz steht und schon gesucht hat.

MIZI ist eingeschlummert.

FRITZ reicht ihm ein Zigarrenkistchen. Und der schwarze Kaffee!


Er schenkt zwei Tassen ein.


THEODOR. Kinder, wollt Ihr nicht auch schwarzen Kaffee haben?

FRITZ. Mizi, soll ich dir eine Tasse ...

THEODOR. Lassen wir sie schlafen ... – Du, trink übrigens keinen Kaffee heut. Du solltest dich möglichst bald zu Bette legen und schauen, daß du ordentlich schläfst.

FRITZ sieht ihn an und lacht bitter.

THEODOR. Na ja, jetzt stehn die Dinge nun einmal so wie sie stehn ... und es handelt sich jetzt nicht darum, so großartig oder so tiefsinnig, sondern so vernünftig zu sein als möglich ... darauf kommt es an ... in solchen Fällen.

FRITZ. Du kommst noch heute Nacht mit Lensky zu mir, ja? ...

THEODOR. Das ist ein Unsinn. Morgen früh ist Zeit genug.[237]

FRITZ. Ich bitt' dich drum.

THEODOR. Also schön ...

FRITZ. Begleitest du die Mädeln nach Hause?

THEODOR. Ja, und zwar sofort ... Mizi! ... Erhebe dich! –

MIZI. Ihr trinkt da schwarzen Kaffee –! Gebt's mir auch einen!

THEODOR. Da hast du, Kind ...

FRITZ zu Christine hin. Bist müd', mein Schatz? ...

CHRISTINE. Wie lieb das ist, wenn du so sprichst.

FRITZ. Sehr müd'? –

CHRISTINE lächelnd. – Der Wein. – Ich hab' auch ein bissel Kopfweh ...

FRITZ. Na, in der Luft wird dir das schon vergehn!

CHRISTINE. Gehn wir schon? – Begleitest du uns?

FRITZ. Nein, Kind. Ich bleib' jetzt schon zu Haus ... Ich hab' noch einiges zu tun.

CHRISTINE der wieder die Erinnerung kommt. Jetzt ... Was hast du denn jetzt zu tun?

FRITZ beinahe streng. Du Christin', das mußt du dir abgewöhnen! – Mild. Ich bin nämlich wie zerschlagen ... wir sind heut, der Theodor und ich, draußen auf dem Land zwei Stunden herumgelaufen –

THEODOR. Ah, das war entzückend. Nächstens fahren wir alle zusammen hinaus aufs Land.

MIZI. Ja, das ist fesch! Und ihr zieht euch die Uniform dazu an.

THEODOR. Das ist doch wenigstens Natursinn!

CHRISTINE. Wann sehen wir uns denn wieder?

FRITZ etwas nervös. Ich schreib's dir schon.

CHRISTINE traurig. Leb' wohl. Wendet sich zum Gehen.

FRITZ bemerkt ihre Traurigkeit. Morgen sehn wir uns, Christin'.

CHRISTINE froh. Ja?

FRITZ. In dem Garten ... dort bei der Linie wie neulich ... um – sagen wir, um sechs Uhr ... Ja? Ist's dir recht?

CHRISTINE nickt.

MIZI zu Fritz. Gehst mit uns, Fritz?

THEODOR. Die hat ein Talent zum Dusagen –!

FRITZ. Nein, ich bleib' schon zu Haus.

MIZI. Der hat's gut! Was wir noch für einen Riesenweg nach Haus haben ...

FRITZ. Aber, Mizi, du hast ja beinah' die ganze gute Torte stehen lassen. Wart', ich pack' sie dir ein – ja?

MIZI zu Theodor. Schickt sich das?[238]

FRITZ schlägt die Torte ein.

CHRISTINE. Die ist wie ein kleines Kind ...

MIZI zu Fritz. Wart', dafür helf' ich dir die Lichter auslöschen. Löscht ein Licht nach dem andern aus, das Licht auf dem Schreibtisch bleibt.

CHRISTINE. Soll ich dir nicht das Fenster aufmachen? – es ist so schwül. Sie öffnet das Fenster, Blick auf das gegenüberliegende Haus.

FRITZ. So, Kinder. Jetzt leucht' ich euch.

MIZI. Ist denn schon ausgelöscht auf der Stiege?

THEODOR. Na, selbstverständlich.

CHRISTINE. Ah, die Luft ist gut, die da hereinkommt! ...

MIZI. Mailüfterl ... Bei der Tür, Fritz hat den Leuchter in der Hand. Also, wir danken für die freundliche Aufnahme! –

THEODOR sie drängend. Geh, geh, geh, geh ...

FRITZ geleitet die andern hinaus. Die Tür bleibt offen, man hört die Personen raußen reden. Man hört die Wohnungstür aufschließen.

MIZI. Also pah! –

THEODOR. Gib acht, da sind Stufen.

MIZI. Danke schön für die Torte ...

THEODOR. Pst, du weckst ja die Leute auf! –

CHRISTINE. Gute Nacht!

THEODOR. Gute Nacht!


Man hört, wie Fritz die Türe draußen schließt und versperrt. – Während er hereintritt und das Licht auf den Schreibtisch stellt, hört man das Haustor unten öffnen und schließen.


FRITZ geht zum Fenster und grüßt hinunter.

CHRISTINE von der Straße. Gute Nacht!

MIZI ebenso, übermütig. Gute Nacht, du mein herziges Kind ...

THEODOR scheltend. Du, Mizi ...


Man hört seine Worte, ihr Lachen, die Schritte verklingen. Theodor pfeift die Melodie des »Doppeladler«, die am spätesten verklingt. Fritz sieht noch ein paar Sekunden hinaus, dann sinkt er auf den Fauteuil neben dem Fenster.

Vorhang.


Quelle:
Arthur Schnitzler: Die Dramatischen Werke. Band 1, Frankfurt a.M. 1962, S. 216-239.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Liebelei
Schnitzler, Arthur; Fliedl, Konstanze: Werke in historisch-kritischen Ausgaben / Liebelei: Historisch-kritische Ausgabe
Schnitzler, Arthur; Fliedl, Konstanze: Werke in historisch-kritischen Ausgaben / Liebelei: Historisch-kritische Ausgabe
Liebelei Reigen
Reigen / Liebelei: 2 Theaterstücke
Liebelei

Buchempfehlung

Reuter, Christian

L'Honnête Femme oder Die Ehrliche Frau zu Plißine

L'Honnête Femme oder Die Ehrliche Frau zu Plißine

Nachdem Christian Reuter 1694 von seiner Vermieterin auf die Straße gesetzt wird weil er die Miete nicht bezahlt hat, schreibt er eine Karikatur über den kleinbürgerlichen Lebensstil der Wirtin vom »Göldenen Maulaffen«, die einen Studenten vor die Tür setzt, der seine Miete nicht bezahlt.

40 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon