Josefine Weninger an Helene Beier in Paris

[186] Meine liebe Helene!

Du fragst mich, was es Neues gibt? Nun, seit ich den letzten Brief an Dich geschrieben, bin ich überhaupt kaum vor die Tür gekommen. Ich bin ein paarmal spazierengefahren, und auch im Theater war ich, sogar gestern erst. Weißt wo? Balkon, erste Reihe, wo man doch eigentlich weniger geniert ist als unten. Und die Komödie hat so eine große Zugkraft, und obwohl sie's schon sechs Wochen geben, war's noch ausverkauft. Ja, sogar nobles Publikum. Viele Bekannte, unten in der ersten Reihe einige nette Leute, und bei der Gelegenheit hab' ich mich geprüft, wie's eigentlich mit mir steht. Weißt, ich hab' sie so Revue passieren lassen, die ganze erste Reih'. Und das war ganz merkwürdig. In der letzten Zeit vom Emil hat mir doch ab und zu der oder jener gut gefallen; einmal sogar, wie ich Dir heut im Vertrauen sagen kann, einer Deiner Einstigen, der Karl Zabelberger, der wirklich ein nettes Gesicht hat, wenn auch sonst nicht viel an ihm ist. Und unter anderem war im Parkett auch der Zabelberger Karl, welcher mich aber kalt ließ, wie ich Dir gar nicht schildern kann. Neben ihm ist ein Freund von ihm gesessen, den ich auch gekannt hab', weiß aber seinen Namen nicht, sehr chic, chicer als der Karl[186] eigentlich, dann ein Dragonerfreiwilliger, nicht übel, dann der Baron Zenger, lang, fad, hat geschlafen während dem Stück; dann zwei Fremde, offenbar Rumänen oder Italiener, schwarz mit sehr weißen Zähnen und sehr elegant. Dann auch noch ein älterer Herr, den ich vom Sehen kenne und der mir auch sonst ganz gut gefallen hat. Aber was soll ich Dir viel erzählen! Ich hab' mir die Frage vorgelegt: Wer von den allen hätt' jetzt eine Chance bei dir? Und die Antwort, zu meiner eigenen Verwunderung, war: keiner.

Und mit dem Logenpublikum ist es mir auch nicht besser ergangen.

Ich sag' Dir, ich hab' mich so gefreut auf mein Nachtmahl, zu Haus, allein, das ich mir bestellt gehabt hab', mit dem einen Gedeck und dem ruhigen Einschlafen darauf.

Der Girardi war großartig, mir ist übrigens vorgekommen, er hat mich heraufgegrüßt. – Sonst bin ich ziemlich unbemerkt geblieben. Also wie's aus war, geh' ich hinunter, wie alle, und es war ein schöner, warmer Abend! Und da hab' ich mich wieder so deutlich erinnern müssen, wie ich aus dem Bühnentor hinten herausgekrochen bin vor so – na vor etlichen Jahren und wie der Anton mich abgeholt hat. Es ist überhaupt unglaublich, was einem alles einfällt an diesen Abenden, wenn man so in die frische Luft kommt, heraus aus dem Theatergeruch. So gut kann ich mir so ein Abenteuer aus der damaligen Zeit denken, wo ich sogar vor Glück hab' weinen können. Ich bin bei Gott nicht zu alt dazu. An mir kann's nicht liegen. Es muß halt was Neues kommen; das ist klar, so ein Jugenderlebnis, dann werd' ich schon wieder jung und nehm's mit allen Flitscherln von sechzehn und siebzehn auf. Ein interessanter Mensch müßt's sein. Einen hat der Emil vor ein paar Monaten mitgebracht, das heißt einen sogenannten interessanten Künstler, aber der war fad! – Hat genau so ausgeschaut wie die andern, nur daß er weniger geredet und immer gesagt hat, er hat Kopfweh. So einen Künstler mein' ich auch nicht, sondern ich denk' mir einen wirklichen, ohne Kopfweh, ungeheuer lebendig, meinetwegen mit sehr langen Haaren und ohne Geld. Kurzum ein Künstler, wie in den früheren Romanen, ja, so einer hätte gestern abend Chancen gehabt, aber frag die Künstler, wo sie gestern abend waren! Und wer weiß, ob sich einer an mich herangetraut hätt', einer von denen, wie ich sie meine, wenn er mich gesehen hätt', mit meinem ganzen Putz, und die blauen Steiner in die Ohren. Und gepudert war ich auch und sogar ein[187] bissel geschminkt. Und wie ich mich so anschau', im Spiegel, jetzt, wo ich im Negligé bin, so muß ich mir selbst zugestehen, daß ich gar nicht so ohne bin, auch ohne Schmink' und Puder. – Wär' ein hübscher Versuch, einmal so auf Eroberungen auszugehen, wie? Es ist mir auch im Ernst weniger ums Bravsein. In Wirklichkeit sehne ich mich nach irgendeiner großartigen Abwechslung. Weißt, daß ich schon daran gedacht hab', nach Paris zu kommen? Aber allein! – wie schauet das aus! Und den Nächstbesten, nein, nein! Und wahrhaftig, auf die Leut', die nach Paris reisen können, grad auf die hab' ich jetzt gar keine Schneid.

Hast Du den Roman gelesen, den Dir die Lina eingepackt hat? Schreibe dies und noch viel anderes

Deiner treuen

Pepi

Quelle:
Arthur Schnitzler: Gesammelte Werke. Die erzählenden Schriften, 2 Bände, Band 1, Frankfurt a.M. 1961, S. 186-188.
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