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[679] Innerhalb dieser vierzehn Tage kamen drei Briefe von ihm. Der erste war höflich und galant, der zweite in lustigerem Ton gehalten, er nannte Therese »Prinzessin« und »Eure Hoheit« und unterschrieb sich Kasimir, großer Trommler, Flötist und patentierter Handwerksbursche. Der dritte Brief aber hatte schon einen Hauch von Zärtlichkeit, und unterschrieben war er, wie in Zerstreutheit, mit den Initialen C.v.T.

Sie trafen einander, wie bestimmt war, am Praterstern. Es regnete in Strömen. Kasimir erschien ohne Schirm, im romantischen Faltenwurf eines Radmantels. Er hatte Billetts für die Nachmittagsvorstellung des Karltheaters in der Tasche. Oh, sie kosteten nichts, er war gut bekannt mit dem Direktor, auch mit einigen Mitgliedern. Man traf zuweilen in Restaurants, auf Atelierfesten zusammen. Nun, Fest, das mußte man nicht so wörtlich nehmen. Aber die Wahrheit zu sagen, es ging manchmal recht fidel dabei zu, wenn auch lange nicht so fidel wie zum Beispiel in Paris bei ähnlichen Gelegenheiten, zum mindesten nicht so ungeniert. Dort gab es einen Künstlerball, bei dem die Modelle völlig unbekleidet tanzten, manche, was vielleicht noch schlimmer war, nur in durchsichtige, rote, blaue, grüne Schleier gehüllt. – So unterhielt er sie auf dem kurzen Weg zum Theater. Dann saßen sie dritte Galerie, zweite Reihe; man gab eine Operette, wie Therese solche auch in Salzburg nicht viel besser oder schlechter aufgeführt gesehen hatte. Auf der Bühne geriet manches ganz lustig, aber was ihr Kasimir dazwischen ins Ohr flüsterte, machte sie bald lachen, bald erröten, und als er in dem verdunkelten Zuschauerraum allzu zärtlich wurde, mußte sie sich's endlich verbitten. Nun war er wie ausgewechselt und hielt sich anständig und still auf seinem Sitze bis zum Schluß, antwortete nicht einmal auf ihre Fragen, was freilich wieder nur eine Art von Spaß war.

Als sie am Schluß der Vorstellung auf die Straße traten, war es noch hell, und der Regen dauerte fort. Sie begaben sich in ein naheliegendes Kaffeehaus, saßen in einer Fensternische; Therese blätterte in illustrierten Zeitungen, Kasimir sah interessiert einer Billardpartie zu, gab den Spielern Ratschläge und versuchte selber einen Stoß, der mißglückte, woran er dem schlechten Queue Schuld gab. Therese fand es sonderbar, daß er sich so wenig um sie kümmerte, und als er sich doch wieder einmal ihr zuwandte,[680] bemerkte sie, daß man nun eigentlich gehen könnte. Er half ihr in die Jacke, schlug seinen Radmantel verwegen um die Schultern, auf der Straße spannte er den Schirm über sie, aber nahm nicht ihren Arm. Er war zurückhaltend, fast melancholisch, und sie hatte ein wenig Mitleid mit ihm. Als sie vor einem hell erleuchteten Restaurant vorbeikamen, warf er einen so hungrigen Blick durch die hohen Spiegelscheiben, daß Therese beinahe Lust bekam, ihn zu einem Souper an einem der lockenden, weiß gedeckten Tische einzuladen, doch sie fürchtete, daß sie ihn damit verletzen, und vielleicht noch mehr, daß er ihre Einladung annehmen könnte. Schweigend gingen sie nebeneinander her, doch beim Abschied, an einer Straßenecke, erklärte er mit plötzlicher Lebhaftigkeit, daß er bis zum nächsten Wiedersehen unmöglich ganze vierzehn Tage warten könne. Sie zuckte die Achseln. Es ginge nun einmal nicht anders. Er gab nicht nach. Sie sei doch keine Sklavin. Warum sollte man einander nicht an irgendeinem der nächsten Abende auf ein Stündchen sehen dürfen? – Sklavin sei sie freilich nicht, erwiderte sie, aber sie sei in Stellung, habe Pflichten. – Pflichten? Gegen wen? Gegen fremde Leute, die sie ausnützten! Es sei doch um nichts besser als Sklaverei. Nein, er wollte unter keiner Bedingung vierzehn Tage warten. Einen freien Abend, ausnahmsweise, auch in der Woche, den dürfte man ihr doch nicht verweigern! Sie blieb äußerlich fest, aber innerlich gab sie ihm recht.

Am nächsten Abend schon schickte er ihr ein Zettelchen hinauf, daß er an der Straßenecke warte, er müsse sie dringend sprechen. Die Frau des Hauses war zugegen und sah Therese rot werden. Es sei keine Antwort nötig, bedeutete Therese dem Boten. Nun ließ Kasimir bis zum Tage des schon verabredeten Stelldicheins nichts von sich hören.

Quelle:
Arthur Schnitzler: Gesammelte Werke. Die erzählenden Schriften, 2 Bände, Band 2, Frankfurt a.M. 1961, S. 679-681.
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