Neunter Period.

[79] Ich war kaum von Eßlingen nach Aalen wieder zurükgekommen, als mich das Verlangen meiner mütterlichen Blutsverwandtschaft und meine eigne Neigung bestimmte, das Limpurgische zu durchstreifen. Das Land lag wegen der beständigen Zänkereien seiner verschiedenen Besizzer seit der Preußischen Invasion 1713 – wie eine Polnische Provinz unter dem Nachtschatten der Anarchie in seiner Wildniß begraben. Jeder Beamte war beinah ein Woiwod, der ferne vom Regenten in seinem Amt und Forst hauste, wie's ihm behagte. Und doch gabs mitten in dieser Verwirrung biderbe redliche Männer, die so gewissenhaft handelten, als würden sie von politischen Argusaugen bewacht. Unter diese Redliche sezt das ganze Land meinen seeligen Großvater Hörner, der seinem weitläufigen Amte und Forst – als Oberamtmann und Jägermeister bis in sein[79] achtzigstes Jahr mit dem rühmlichsten Eifer vorstand. Mein Eintritt in dieses Land war mit dem traurigsten Anblike begleitet, denn ich fand zu Obergröningen den Rath Wolff, der meine Tante hatte, an der Seite des Hofrath Michaelis tödtlich verwundet, neun Baurenleichen auf dem Schragen liegen und Wundärzte und Doktoren in ihren Eingeweiden wühlen. Eine Gränzstreitigkeit mit Hochstatt hatte diesen blutigen Scharmüzel veranlaßt. Mein Vetter, ein Mann von vieler Einsicht und Rechtschaffenheit blieb zwar am Leben, trägt aber die schmerzhaften Spuren seiner Wunden bis jezt an seinem Leibe. Sulzbach, der Aufenthalt meines Großvaters, liegt von Bergen umgürtet in einem Steinthale, wie in einem Kessel, von Reisenden nur in der Ferne, oder wie durch ein Wunder besucht. Seine Bewohner kündigen in ihrer armseligen Gestalt eine Kolonie von Kamtschadalen an, die ihre Töne aus grosen Kröpfen heraus, mehr gurgeln als sprechen. Und doch sind sie die zufriedensten und genügsamsten Leute, unter denen mein Großvater ein wirklich patriarchalisches[80] Leben lebte. Ich wurde von ihm sehr zärtlich bewillkommt; Thränen entflossen dem rechtschaffenen Greißen, als er mich predigen hörte, und er vergaß aus Gefälligkeit die grossen Kosten, die ihm mein Studieren verursachte. Ich durchritt und durchkletterte seine Wälder, und reißte nach Oberroth, Michelbach, Schwäbisch Hall, Gaildorf, und sonderlich Obersontheim, wo ich in der Kirche predigte, in der ich getauft wurde, nicht ohne Rührung und Gefühl der dadurch erlangten Gnade. Auf dieser Reise lernt' ich unter vielen edlen Menschen auch manchen Priester kennen, den ich in diesen Felsenklüften nicht gesucht hätte. Glaser, Pfarrerin in Michelfeld ist ein Mann voll filologischer und theologischer Kenntnisse, die jeden Stadtprediger schmüken würden. Sein Umgang, wie hernach sein Briefwechsel war mir ungemein lehrreich, und kurz ich hab' auf meinen fast beständigen Wanderschaften erfahren, daß es allenthalben edle, fromme, auch geschikte Menschen giebt, wenn man nur ein Aug hat sie aufsuchen, und ein Herz, sie fühlen zu können.[81]

Quelle:
Christian Friedrich Daniel Schubart: Schubartߣs Leben und Gesinnungen. Erster Theil, Stuttgart 1791, S. 79-82.
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