Achter Period.

[75] Der berühmte Schulmann, jeziger Archidiakonus Bökh in Nördlingen, dessen Schriften so viel Religion und Menschenliebe athmen, wurde durch die Bande des Blutes mit mir verbunden. Ich besuchte ihn in Eßlingen, wo er Rektor war, und als Prediger und Lehrer der Jugend sich gleichgrossen Beifall erwarb. Seine Dienstfertigkeit, Liebe zu den Wissenschaften, gerade einfältige Herzensstellung, Stimmung zur Bruderliebe und heitre frohe Laune kündigten mir in ihm einen der redlichsten Menschen an.

Er nahm mich auch brüderlich auf, gab mir viel gute Räthe, brachte mich in die besten Gesellschaften, öfnete mir seine schöne Bibliothek zur Benuzung, und schenkte mir seine ganze Zuneigung. Auch dann, wenn ichs in der Folge nicht verdiente, liebte er mich, und die Klage seiner Freundschaft scholl bis in meinen Kerker.[75]

O Tag des lauten Jubels! und des ewigen Wiedersehens! auch ihn meinen Bökhen und sein tieffühlendes Weib, meine Schwester Juliana will ich in deinen Stralen wiederfinden!! Indessen stürzt die stumme Träne der Sehnsucht aufs Blatt, und dankt euch ihr Lieben, für eure Treue, eure Unterstüzung, Fürbitte, Entschuldigung und – ach für eure Schrekken und Tränen, um meinetwillen gezittert und geweint!

Der noch lebende gesalbte Lehrer, Senior Köstlen ließ mich seine Kanzel besteigen, und als ich ihn nach diesem selbst predigen hörte, so fühlt' ichs mit Beschämung, welch ein geistloser Plauderer ich gegen diesen kraftvollen Prediger der Wahrheit war. Ich fand an ihm weder den grossen Redner, noch den gelehrten Sprecher, aber den Mann fand' ich, der im Sinne Christus und seiner Apostel zu predigen wußte, und dem es also nie an siegendem Nachdrukke fehlen konnte. Sein Leben entsprach seinen Predigten; denn es stralte die volle Würde eines erleuchteten Gottesgesandten herunter. Ob er gleich kein Schriftsteller ist[76] – denn dies Talent ist ihm, wie er selbst sagte, zu seiner Demüthigung versagt; – so predigt er doch durch Lehr und Leben mit dem lautesten Autor in die Wette.

An dem Kanzleidirektor Ramsler traf ich den ersten gefühlvollen Samler von Kupferstichen an, dessen Geschmak den meinigen in vielen Stükken berichtigte; und eine Stunde von Eßlingen hört' ich auf einem Würtembergischen Dorfe einen Magister, Namens Engelhard, auf dem Flügel spielen, und bewunderte seine ausnehmende Fertigkeit und starke Nerven, die durch Tagelanges Spielen nicht ermüdet werden konnten. Ich habe wenig grössere Flügelspieler in meinem Leben gehört, so geizig ich sie auch belauschte. – Nur Schade, daß ihn der Opernstil zu oft aus der Sfäre des Klavierstils herausriß.1 Auf einer kleinen Reise nach Altdorf lernt' ich an einem Beispiele die Gewalt der Eitelkeit kennen, die auch durch Büchersammlungen[77] auf der Menschen Herz würkt. So ein Enthusiast ich für Manches war, so schien mir doch die Begeisterung etwas fremde, mit der der dasige Pfarrer uns in seinen Büchersal führte, und seine Bücher, alle blau mit weissen Schilden, wie ein Fürst seine Garde vor uns paradiren ließ. »Was ich auf der Welt am schwersten verlasse, sagt' er, das sind meine Bücher.« Er starb bald darauf in seinen besten Jahren. O Menschenherz, wie anhängig bist du! Leichter entwischt der Vogel der Leimruthe, als du dem Koth und den Lumpen der Eitelkeit.

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Er ist nun gestorben, als Tonverehrer bis ins Grab; doch blieb sein grosses Talent unausgebildet. So sah ich manchen köstlichen Funken verlöschen, der eine Sonne werden konnte.

Quelle:
Christian Friedrich Daniel Schubart: Schubartߣs Leben und Gesinnungen. Erster Theil, Stuttgart 1791, S. 79.
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