Siebenter Period.

[71] Ich überließ einem meiner Brüder, der sich ganz dem Unterrichte der Jugend gewidmet hatte, meine bisherige Stelle, um in Aalen und in den angränzenden Dörfern den Geistlichen im Predigen beizustehen. Bei dieser Gelegenheit fand' ich, daß wir Deutsche so gut als die Britten, unsre Adams und Wakefieldsche Landprediger haben; es fehlt uns nur an Fieldings Smollets, Goldschmidts die sie kopiren. Da so viel Mangel, Elend, Verachtung, die Landprediger drukt; da sie in der Entfernung von städtischer Kultur, mit Halbmenschen umgeben, beinahe verwildern müssen: so verdient diese ehrwürdige Volksklasse nicht Hohnblik und Verachtung, sondern Mitleiden – und selbst Bewundrung und Ehrfurcht, wenn sie sich durch die ungünstigsten Umstände zur wahren Aufklärung emporschwingt. – Auch mir sind auf[71] meiner Wallfart trefliche Landprediger aufgestossen, die in Lehre und Leben manchen aufgedunsnen Stadtprediger beschämten.

Als ich nach einer feurigen Rede die Kanzel zu Neubronn verließ: so sagte der damalige Geistliche: »Seelig seid ihr, die ihr das wißt, wenn ihrs thut.« – Der Tod röchelte ihm auf der Brust, und gab seiner Bestrafung ein feierliches, herzdurchschneidendes Ansehen. Er starb bald darauf; und sein Bild schwebt mir noch für Augen, wie ein Geisterbild, das der irrende Wandrer in der Nacht sah. Meinen ehemaligen Sokrates Schülen traf ich sehr verwandelt an. Statt Haller und Young nannte er mir nun Bengel und Storr, und alle seine lieben Philosophen wurden von der Bibel, und ihren reinen Auslegern verdrungen. »Ich habe viel Erdstaub auszuschütteln,« sprach er mit seiner gewöhnlichen pathetischen Stimme. »Erdenweisheit ist nicht viel mehr, als Erdstaub. In ihrem Labirynthe verlor die Einfalt, nun bin ich im Begrife sie wieder aufzufinden.« Meine Predigt, die ich zu Lauterburg vor dem prüfenden Weisen[72] hielt, nannt' er ein Gemälde voll hoher Lakfarben, aber ohne Geist und Kraft: und er hatte Recht; meine Predigten warens alle. Die Sternkunde war noch immer die Gefärtin seiner müßigen Stunden. Auch damals beschauten wir wieder, von einem Waldhügel aus, die Welten Gottes – um – unsre Seelen groß zu wiegen. Ausser der Natur und Menschengeschichte aber opfert' er nun alles der Religion auf, und ich habe sichre Nachricht, daß er sich seitdeme noch mehr entladen hat, um einzudringen durch die enge Pforte, wohin das beständige Bestreben seines Geistes geht. Wir sprachen viel vom einreissenden Unglauben in unserm Vaterlande und den überhandnehmenden Zweiflern, Rottenmachern, Spöttern in und ausser Deutschland – »sie sind nur Schmeisfliegen« sagt' er, »die grossen Raubvögel kommen erst nach.1 Aber Jesus und seine Gemeinde wird über Alle triumfiren.« – So bleiben mir die Worte dieses Weisen unvergeßlich,[73] nur Schade, daß ich diese kostbare Perlen unter die Eicheln der Scheinweisheit und Thorheit warf, und im Unsinn diese oft höher, als jene schäzte. Doch muß ich zum Preise des Schöpfers sagen, daß ich das Wahrheitsgefühl, sein kostbarstes Geschenk, nie ganz verlor, sondern es nur mit dikkem Staub bedekte; so bald sich dieser verzog, so bald leuchtete es wieder empor. Ich kann auch nicht glauben, daß man den von Gott in unsern Geist eingesenkten Wahrheitsfunken ganz und gar verlieren könne. Das Licht verbirgt sich nur, löscht aber nie ganz aus – denn wie kan das verlöschen, was Gottes Hauch einblies? Wenn diß möglich wäre, so könnten die vernünftigen Geschöpfe in ein Verderbnis versenken, aus dem keine Rettung mehr möglich wäre; und so was Gräßliches zu glauben, verhindern mich meine Begriffe von Gottes Weisheit und Liebe – und die in Christo getroffene grosse Anstalt.

1

Sie schlugen seit diesem hier und da ihre rauschenden Flügel – diese Raubvögel, diß Nachtgefieder!

Quelle:
Christian Friedrich Daniel Schubart: Schubartߣs Leben und Gesinnungen. Erster Theil, Stuttgart 1791, S. 75.
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