Sechster Period.

[64] Die Scene verändert sich, und ich erscheine als Hauslehrer in Königsbronn. Das geringe Einkommen meines Vaters machte mir diesen Ausflug nothwendig. Blezinger, ein Mann von dem unternehmendsten Geiste, der unter günstigen Umständen der Kolbert eines deutschen Fürsten hätte werden können, und dessen ganze Person, bis auf die Miene der Schlauheit, die den grossen Pachtern, wie allen Männern von weitgreifenden Unternehmungen beinahe eigen zu seyn scheint – den vollen Charakter des deutschen Mannes ausdrükt,1 hatte kurz vorher seinen Brechter[64] verloren, den er wie aus dem Schlamme hob, und für sein Vaterland rettete. Brechter gerieth, ich weiß nicht durch welchem Zufall, unter die Truppe eines herumziehenden Wundarztes, und ward genöthiget, den Hanswurst bei ihm zu machen; aber eben daher leit' ich seine grosse Einsicht in die physische Erziehung der Kinder, die seine nachherige Schriften den Ballexerts, Zükerts, und andrer medizinischen Erziehern an die Seite stellten. Blezinger entriß unsern Brechter seiner schimpflichen Erniedrigung, nahm ihn in sein Haus auf, und förderte ihn auf die Universität.

Als hernach Brechter nach Biberach zum Diakonate empfohlen wurde, und eben seine Probpredigt that: so mußte es sich fügen, daß der obgedachte Marktschreier mit seinem Wirthe in die Kirche gieng – »warum weinen sie?« fragte der Wirth den unter der Predigt schluchzenden Wundarzt. »Ach,« erwiederte er, »der Herr da, war ehmals mein Hanswurst; o, so einen bekomm' ich mein Lebtag nicht wieder.« Dieser ärgerliche Zufall brachte den guten Brechter um den Dienst, bis er bald darauf[65] nach Schweiggern kam, wo man minder skrupulös war, und durch sein edles, mustermäßiges Leben zeigte, wie man Jugendfehler verbessern soll. Ich selbst lernte ihn hernach kennen, als er lange schon der Freund des grossen Stadians, Wielgnds, der ersten deutschen Schriftstellerin La Roche, und von ganz Deutschland geschäzt war. Er starb – eben, als er noch so manche goldne Garbe in die Scheuer sammeln wollte. – Der Weise ruht in Gottes Schoos! – Er war so gut!

Die Didaktik war mir ein ganz fremdes Feld, in das ich mich so gut schikte, als ich konnte. Erst jezt seh' ich mit der vollkommensten Klarheit ein, daß unter allen Erziehern: er mag so gelehrt seyn, als er will, derjenige der Schlimmste ist, der selbst keine Erziehung genoß. Blezinger behandelte mich als Freund, ich brachte bei ihm meine Zeit meist nüzlich und angenehm zu. Ich gab den benachbarten Provisoren Unterricht auf dem Klavier, genoß in Heidenheim des öftern Umgangs mit den dasigen Ehrenmännern – Pistorius,[66] Brodbek, und sonderlich dem verdienten auf richtigem Wahrheitssteige wallenden Christlieb, der nun auch zu seiner Vollendung eingegangen ist. Tonkunst, und helle frische Laune machte mir auch hier überall Eingang. – Damals lag das Bouwinghausische Husarerregiment im Heidenheimer Amte, wodurch ich Gelegenheit bekam, mit manchem braven Offizier Bekanntschaft zu machen. Sonderlich war mir der damalige Oberstleutnant von Pöllniz sehr geneigt; er dachte, mich durch seine Empfehlungen zu versorgen; aber er starb, und ich blieb – wo ich war.

Die blühende Muse Haugs lokte mich damals auch nach Stozingen, wo ich den Grund unsrer nachherigen Bekanntschaft legte. Ich predigte auch öfters auf dem angränzenden Dorfe Bartholomäi: wo ich an dem damaligen Pfarrer Baumann den heitern Freund der Schönheit und Wahrheit, zu jedem Guten gestimmt, schäzzen lernte. Bei diesen ländlichen Predigten lernte ich einsehen, daß Saurin, Cramer; und meine Lieblingshomileten nicht überall Muster seyn können. Ich sah[67] also, wie der kräftige Luther sagt, den Leuten auf die Mäuler, lernte Weisheit auf der Gasse! predigte volksinnig, ohne pöbelhaft und kindisch zu werden, wie diß einige Herren so verstehen wollen; und so gefiel ich.

Auch hat' ich hier so ernste Anwandlungen von Andacht und Frömmigkeit, daß nur ein führender Freund gefehlt hätte, mich zu den Füssen Christus zu werfen, und mich zu seinem Jünger zu machen. Die vielen Frommen – herzlich frommen Menschen, die ich da und dort auffand, würkten diß Wunder. –

Ich betete wieder, las gerne in der Bibel und in geistreichen Schriften, sonderlich in Skrivers Seelenschaz,2 lag oft auf den Knieen und weinte zu Gott, oder blikte vom freien Feld gen Himmel und fühlte die Seligkeit,[68] ein Mensch zu seyn, durch meine ganze Seele schauern. – So bald mich aber die Welt wieder zum Tanz aufforderte: so stürzt ich leichtsinnig in ihre Reigen, und vergaß in der Trunkenheit die fieberhaften Erschüttrungen der Andacht. Meine damalige fromme Stimmung schrieb sich vorzüglich von einer hektischen Anwandlung her – denn ich rang lange schon mit einem durch Ausschweifungen zerstörten Körper. – Allein, wenig lichte Augenblikke söhnten mich wieder mit der Welt aus, und ein Weiler auf Erden war mir lieber, als die fernleuchtende Stadt des lebendigen Gottes. Daher wurde oder Stral des in mich fallenden Lichts gemeiniglich wieder von der alten Nacht verschlungen. Ein Umstand, der mich hernach von Stufe zu Stufe, bis an die Gränze der Verstokung brachte. Wer sich dem Lichte von Gott oft widersezt, verliert endlich aus einem gerechten Gerichte die Lichtesempfänglichkeit, und wächst als eine unselige Pflanze in die dikste Finsterniß hinein. Eine schauderhafte Wahrheit, die tausendmal gesagt, stark und fürchterlich gesagt werden sollte!![69] – Hier steht die fürchterliche Leiter der Verdammniß: Leichtsinn, Gleichgültigkeit, Vernunftstolz, Empörung gegen das Licht, Verstokung – ewiger Tod!! –

1

Wenn dieser Mann ein Engländer oder Franzos wäre, so würde sein erfinderischer Geist, dessen Glut im Alter noch zündet und leuchtet; so würden seine Gewerke, seine originellen Erfindungen, seine Fabriken, seine Wassergebäude hoch und weit umher geposaunt werden; aber Blezinger – ist ein Deutscher!!

2

Die größte Erbauung hab ich immer – nie aus hochgepriesnen von der Welt angebeteten geistlichen Rednern geschöpft, sondern aus Schriften, die niedrig und schlecht und verachtet von der Welt waren. Das Selig wer sich nicht an mir ärgert, scheint bei allen Lehrern des Neuen Bundes einzutreffen.

Quelle:
Christian Friedrich Daniel Schubart: Schubartߣs Leben und Gesinnungen. Erster Theil, Stuttgart 1791, S. 71.
Lizenz:
Kategorien: