Fünfter Period.

[59] Die Musik ist der durch Weisheit geordneten Seele Labung; sie wekt Empfindungen, die unter dem Ernst der Geschäfte entschlummern – und doch wurde sie für mich eine Sirene, die mich durch ihren Zaubergesang oft in verschlingende Strudel lokte. Ich floh den Ernst und den Schweiß wichtigerer Geschäfte, und gieng der Zauberin nach, die mich längst als ihren Günstling betrachtete. Theils aus Zeitvertreib, theils aus Neigung, sezt' ich Kirchenstükke, Sinfonien, Sonaten, Arien und andere Kleinigkeiten in Menge auf, die hernach unter meinem und fremden Namen in alle Welt ausflogen, ihr Schmetterlingsleben lebten, und starben. Ich bildete auch die jezige Stadtmusik in Aalen, die zwar aus lauter Handwerksleuten besteht; aber doch, durch guten Vortrag und Fertigkeit im Lesen[59] schon oft die Bewunderung der Fremden war. Meine Spielart war ganz und gar von mir geschaffen – ich spielte des grossen Hamburger Bachs, auch seines Vaters schwersten Stükke mit Fertigkeit, und machte dadurch die Faust stark und rund, bis ich sie durch den damals einreisenden Albertischen Geschmak mit gebrochnen Akkorden und durch das noch verderblichere Tokato, das vom Jomellischen Opernstil ins Klavier kam, wohin es ganz und gar nicht gehört, in etwas entkräftete. So werden auch die Künste durch die Gauklerin Mode tirannisirt, und Wenige haben, wie Bach, Seelenstärke genug – ihr nicht nachzugeben.

Ich spielte um diese Zeit – denn der Musiker hat seine Perioden, sein Akme, Perihelium, wie der Dichter und Maler – mit geflügelter Geschwindigkeit, las sehr schwere Stükke, fürs Klavier oder ein anders Instrument gesezt, mit und ohne Baß, vom Blate weg, spielte in allen Tönen mit gleicher Fertigkeit, fantasirte mit feuriger Erfindungskraft, und zeigte die volle Anlage zu einem[60] grossen Organisten. Ich konnte mich so ins Feuer spielen – der Hauptzug des musikalischen Genies – daß Alles um mich schwand, und ich nur noch in den Tönen lebte, die meine Einbildungskraft schuf. Bei aller Geschwindigkeit hatt' ich doch volle Deutlichkeit – eine Eigenschaft, die so vielen Spielern mangelt. Zufrieden, wenn ihnen ein Todensprung gelingt, kümmern sie sich nicht, ob der Hörer auch verstehe, was sie haben wollen. Jedes Stük muß ein Ganzes bilden; seinen eignen Charakter haben, nicht flekigt von Kaprizen seyn, und rund und deutlich vorgetragen werden. Daher bleiben der verewigte Schubart, (nicht Schubert, Schobert oder Schober, wie ihn die Franzosen verstümmeln,) Vogler, Ekardt, Beeke, sonderlich Mozardt, noch lange Originale, an welchen sich der aufkeimende Virtuos hinauf messen kann. – Geschwindigkeit thut zwar meistens der Anmuth Abbruch, und doch sucht' ich leztere durch treue Nachahmung unsrer herzerhebenden Nationallieder mir immer mehr zu eigen zu machen, bis der welsche Gesang in wollüstigen[61] Tönen mich umfloß, und meiner Spielart, zwar mehr von der Süßigkeit des Modegeschmaks gab, aber zugleich die Faust schwächte, und indem ich manierter spielte, manche Eigenthümlichkeit verwischte. Ein Klavierspieler thut sehr übel, wenn er sich andre, als deutsche Muster wählt – denn was sind die Ausländer, selbst die Marchands, Skarlatti und Jozzi,1 gegen unsere Bach, Händels, Wagenseil, Schubart, Beeke, Ekardt, Vogler, Fleischer, Müthel, Kozeluch, Mozardt – kaum kann man unsre Menatseachs2 alle zählen! – Um meine Komposizionen einigermassen aufführen zu können; so bildete ich mein kleines[62] Orchester in Aalen immer mehr aus, übte mich auch in dem benachbarten Ellwang, wo es herrliche Musiker – sonderlich Orgelspieler gab.

Man halte diese Schilderung meiner musikalischen Talente ja nicht für Eitelkeit: ich bin sie denjenigen schuldig, die sich aus einigen fremden Schildereien, von mir einen zu grossen – oft auch einen zu kleinen Begrif gemacht haben. Im übrigen beklag' ich es jezt, daß ich auch diß Talent nicht gehörig benuzt, sondern es vielmehr unter allen am meisten mißbraucht habe. Ich that hierinnen zu viel und zu wenig. Zu viel, weil ich die Wissenschaften vernachlässigte; zu wenig, weil ich die Tonkunst nicht genug – nicht in all ihren Tiefen studirte.

1

Clementi macht doch eine gewaltige Ausnahme.

2

חצנמל der Sänger, Uebersänger. – Mit diesem Worte drukten die Hebräer den Charakter des musikalischen Virtuosen, oder Kraftmanns sehr eigentlich aus; denn es heißt einer, der den Gesang oder ein Instrument so lange treibt, bis er – überwunden hat, bis er triumfirt auf den Höhen der Kunst.

Quelle:
Christian Friedrich Daniel Schubart: Schubartߣs Leben und Gesinnungen. Erster Theil, Stuttgart 1791, S. 64.
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