Vierter Period.

[45] Also 1758. im Herbste reiß' ich, von meinen Eltern begabt und geseegnet, von Aalen ab, um, wie man zu sagen pflegt, in Jena den Kurs der Wissenschaften zu absolviren, den noch nie ein Weiser, vom grösten Genius geführt, durch sein ganzes Leben hin, wenn er auch Fontenells hundert Jahr' erreichte, absolviren konnte. Ich besuchte in Nürnberg meine Freunde, und kam nach Erlang, wo mich bald eine lustige Studentengesellschaft, und sonderlich die damals schwere Gefahr zu reisen, daselbst zu bleiben bestimmte. Da fast alle deutsche Universitäten unter Kriegslast und Durchzügen seufzten; so war diese etwas ferner liegende hohe Schule mit einer reichen Anzahl Studirender, aus allen Provinzen Deutschlands besezt, obgleich die damalige innere Einrichtung der Universität ihrem iezigen vollkommnerem[45] Zustande bei weitem nicht gleich kam.

Ich war hier in meinem Elemente. Frei, ungebunden, durchstreift ich tobender Wildfang, Hörsäle, Wirthshäuser, Konzertsäle, Saufgelage – studierte, rumorte, ritt, tanzte, liebte und schlug mich herum.

Anfangs war' ich ungemein fleißig, lernte hebräisch bei Hofmann, hörte Logik, Metaphysik und Moral bei dem vortreflichen Sukkov, Naturrecht bei dem nachmaligen Reichshofrath Braun, Geschichte bei Reinhard, schöne Wissenschaften bei Wiedeburg, und hernach die Theologie nach allen ihren Theilen bei Chladenius, Pfeiffern, und Huth. Die Weltweisheit hatte unter allen diesen Wissenschaften damals die meisten Reize für mich, welches wohl mehr von dem ernsten und überzeugenden Vortrage Sukkov's, als vom innern Gehalt der Philosofie herrühren mochte. Denn ausser der Logik, Mathematik und Naturlehre – wer wollte diesen goldnen Zweig von der Weltweisheit trennen – ist sie dem Christen, dessen Metaphysik und Moral[46] die Bibel ist, mehr schädlich als nüzlich. Der trokne Ton, mit dem man Theologie lehrte, schrekte mich, und ich wähnte, es wäre die Natur der Wissenschaft, was doch ein Fehler des Vortrags war. Dieser Wahn schwächte schon damals in mir das Interesse der Religion, und artete nach und nach in todtkalte Gleichgültigkeit gegen sie, oder vielmehr gegen den schulmässigen Vortrag des Christenthums aus. Erst spät hab' ich erkennen lernen, daß die wahre Theologie oder Theosophie die einzige Wissenschaft ist, die in ihrem Lichtkreise alles beisammen hat, was Wahrheit ist, und deren reines Feuer alles verzehrt, was Nichtwahrheit oder Scheinwahrheit ist, womit Erdmenschen ihre Seelen lasten, und sie beinahe ganz und gar unfähig machen, die Stralen der himmlischen Weisheit einzusaugen. Man hat in den neusten Zeiten eingesehen, wie wahr es sei, was Klopstok sagt:

»Die Religion ist in der Offenbahrung ein gesunder männlicher Körper, unsre Lehrbücher aber haben ein Gerippe daraus gemacht.« Daher schütteln unsre Jerusaleme,[47] Herder, Nösseit, Leß, Miller, Danov, Dathe, Seiler, Storr und andre der neusten Gottesgelehrten den Staub der alten Method' ab, und bahnten sich dadurch, gleich den Lehrern der ersten Kirche, den geraden sichern Weeg in ihrer Schüler Herz.

Huths Ton, der die Kirchengeschichte und Predigerkunst lehrte, war voll Feuer; er donnerte sonderlich gewaltig gegen das Pabstthum loß, dessen geschworner Feind er war. Predigen konnte er gut, nur waren seine Predigten zu lang für seine Zuhörer, und für seine eigne Gesundheit; denn man trug ihn nach einer eifrigen Predigt halbtodt nach Haus, wo er bald darauf sein edles und gemeinnüziges Leben endigte. –

Ich war damals der beste Flügelspieler und Dichter in Erlang; ein Talent, das mir manchen Beifall und Geldverdienst zuzog. Krausenek kam zwar hernach – seine Muse aber sang meist im Verborgenen, nur wenig Auserwählten, und entweihte sich nie, oder doch selten mit Gelegenheitsgedichten. Wir[48] errichteten einen Freundschaftsbund, den weder lange daurende Trennung, noch wechselseitige traurige Schiksale in der Folge zerrissen. – Seine Gedichte, die er lange hernach gesammelt hat, sind schön, und voll warmen Menschengefühls, – so ganz das Nachgebild einer guten Seele. Ich hoff' ihn einst im grossen Tempel Gottes unter den Sängern zu finden, die sich Gott von der Erde ausgewählt hat. Unter meinen übrigen Freunden sind mir Großgebauer aus Schweinfurt und Graf von Augsburg unvergeßlich, wovon lezterer Brukkers Verlust ersezt haben würde, wenn ihn nicht der Tod mitten auf seiner rühmlichen Laufbahn abgefodert hätte. Die meisten meiner übrigen Universitätsfreunde seh' ich jezt an, wie der Duellant den blutigen Degen, womit er seinen Freund in der Trunkenheit verwundete. Die akademische Freundschaft ist zwar sehr heiß und innig; wenn sie aber nicht von Tugend und heitrer Weisheit gelenkt wird, und das wird sie selten, so ist sie nicht Freundschaft mehr – sie ist Verschwörung.

Erlang hatte damals bei weitem die trefliche[49] Verfassung nicht, wie jezt. – Der akademische Fond war äusserst geringe, folglich die Besoldungen der Lehrer weder ihren Arbeiten, noch ihren Verdiensten angemessen. Ueber manche höchstnothwendige Wissenschaft war nicht einmal ein Lehrer aufgestellt. So konnte man z.B. damals keinen Lehrer finden, der über Aesthetik – denn Windheim war wohl ein gelehrter, aber geschmakloser Mann – oder über die klassische Litteratur der Alten Vorlesungen gegeben hätte. Auch verursachte der damalige leidige siebenjährige Krieg, der sämtliche deutsche Akademien drükte, einen solchen Zusammenflus von Studenten, die die verderbtesten Sitten, und alle Purschengreuel dahin brachten, daß es höchstgefahrlich für einen feuerfangenden Jüngling war, daselbst zu studiren. Ich hab auch die traurigen Folgen davon mit Augen angesehen; habe gesehen, wie mancher Jüngling von den herrlichsten Anlagen, fortgerissen vom gelben Regenstrome, für seine ganze Lebenszeit zu Grunde gieng. Schulden, oder ein Duell jagten ihn aus Erlang; da er sich nicht unterstand, seinen[50] Eltern unter die Augen zu tretten, gieng er unter die Soldaten, oder wurde Komödiant – oder Vagabund. Beinahe hatt' ich gleiches Schiksal.

Da ich – mit Angst meines Herzens schreib' ichs nieder – Gott aus den Augen sezte, dem Rufe der himmlischen Weisheit nicht folgte, alles Feuer ins Aeussere jagte, und seine Zentralkraft schwächte, da ich tumultuarisch studirte, die Anstrengung scheute, und nur das ergrif, was ich ohne viele Mühe haschen konnte: so erreicht' ich den Zwek meines akademischen Studirens beinahe gar nicht. Ich war ein Bach, vom Sturme kraus, auf dessen Fläche sich Wahrheit, Wissenschaft und Tugend nicht spiegeln konnten. Von Leidenschaften gepeitscht, braußt' ich unter meinen Freunden sinnlos einher, ohne Ordnung, ohne Klugheit, ohne Fleiß, ohne Sparsamkeit,1[51] häufte Schulden auf Schulden, und ward von meinen Glaubigern ins Karzer geworfen, worinn ich vier Wochen lag, und bei den Besuchen meiner Freunde, einer zärtlichen, mich mit Thränen beklagenden Freundin, bei einem guten Klaviere, von Schüttmaier, und in der Gesellschaft meines luftigen Leichtsinnes die Schande des Gefängnisses beinahe vergaß, und das Gewimmer der Weheklagen nicht hörte, die ich Strudelkopf meinen fernen Freunden auspreßte. – Meine Glaubiger liessen mir kein Bett; – aber ein Burger aus Erlang, mit dem ich kaum mehr als zwei Worte wechselte, der als Herrnhuther im Rufe stand, im übrigen aber ein stilles, von der Welt abgesondertes Leben führte – schikte mir ein Bett, und versprach mir seinen Beistand. Ich war kaum los, als ich zu diesem meinem Wohlthäter flog, und ihm herzlich dankte. Er lächelte[52] und sagte: »Herr Schubart, sie sind krank, und dieser Mann könnte Sie kuriren!« – Er wiß auf Steinhofers Predigten, die offen vor ihm lagen. Ich merkte diß, drükte ihm dankbar die Hand, und gieng, von seinem Seufzer begleitet: »Gott wird sich ihrer erbarmen!« – Noch steht der Mann in der Würde vor mir, die ihm die Frömmigkeit gab; und erst jezt empfind' ich, wie wichtig des Christen Seegen sey, da ein Stral jenes heiligen Lichtes, das seiner Seele leuchtete, auch mich traf.

Ich verfertigte im Gefängnisse manches Gedicht, das der Aufbewahrung werth gewesen wäre. Es ist auch, lange nachher, in mancher Gedichtesammlung, unter fremdem – oder ohne Nahmen, ein solches Gedicht erschienen, ohne daß ich es vindizirte, oder dem Kindlein des Vaters Namen gab. Leider sind die meisten erotischen oder bacchantischen Innhalts[53] – zwar mit Wiz und Leichtigkeit gemacht, aber voll unbeschreiblichen Leichtsinns, daher ich mich ihrer jezt schäme. Schöne, leichte Poesie ist nicht der Dichtkunst Zwek, sondern moralische Güte.


Lüpfe den Schleier der Schönheit, sieh ihr olympisches Lächeln;

Aber, wisse Besizer der goldenen Harfe: Schönheit

Ist nur Aussenseite der Tugend, ist Hülle der Güte.


Eine tödtliche Krankheit, die ich bald darauf in Erlang ausstand, konnte mir nur flüchtige Entschlüsse zur Tugend entloken; sobald ich genaß, und eine Schaar tapfrer Preussen sah, für die ich, wie die ganze Universität, im wilden Enthusiasmus brannte; so war ich wieder mitten in der Welt, und Dank und Gelübde wurden in ihrem fliegenden Strome ersäuft. Meine Eltern, die die Last solcher Ausgaben nicht mehr bestreiten konnten, riefen mich nach Hause.[54]

Doch eh' ich Erlang verlasse, so muß ich noch den musikalischen Geist preisen, der damals daselbst wehte. Es gab trefliche Musiker unter den Studenten, worunter ich nur den gegenwärtigen Kammervirtuos Steinhardt in Weimar zu nennen brauche, unter dessen Anführung öftere Konzerte gegeben wurden. Ich aber übte mich zu Hause und in musikalischen Gesellschaften auf dem Flügel, der Violine, dem Gesange; reißte einmal nach Bayreuth zu einem Freunde meines Vaters, Thomas, und hörte da – in meinem Leben das erstemal – ein sehr gebildetes Orchester, und einige welsche Sänger und Sängerinnen, die mich gen Himmel rißen. Haße und Graun waren damals die Tongeber am Bayreuthischen Hofe, die, wie bekannt, deutsche Gründlichkeit mit welschem Gesange treflich zu verbinden wusten. Ich zog mitten durch einen Haufen preußischer Krieger, ohne von ihnen angefochten zu werden, weil ich sie durch meine preußische Begeisterung für mich einnahm, auch damals schon Gleims Kriegslieder in Musik sezte, und sie ihnen vorsang.[55]

– So kam ich in Aalen an – mit einem brausenden Studentenkopfe, einer Seele voll wissenschaftlicher Trümmer, und einem beinah ganz verwüsteten Herzen. Marder und Geier, Feldteufel und Kobold liefen nach des grossen Sehers Zeichnung, in mir, wie unter Babels Ruinen durcheinander. Ich empfand zwar einige Beängstigungen des wiederkehrenden verlohrnen Sohnes; der Anblik meines Vaters durchschnitt mir das Herz, der eben von einer schweren Krankheit aufgestanden war: aber das Mitleiden meiner Mutter über meine blasse hagre Gestalt – denn meine Gesundheit hatte durch Ausschweifungen sehr gelitten, und ich habe mich seitdeme niemals gänzlich erholen können – kam der Bestrafung meines Vaters und meinen Beängstigungen zuvor. Mein Vater war zufrieden, daß ich predigen konnte, ziemlich fertig Latein sprach, und kühn und verwegen über die Revoluzionen in der Weltweisheit zu räsonniren wußte. Etliche neue Sonaten, die ich mit Ausdruk und Fertigkeit auf dem Klaviere spielte, erwarben mir wieder seine volle Gunst. Meine Predigten[56] – Cramer war damals mein einziges Muster – gefielen allgemein. Ich hatte würklich Anlage zum geistlichen Redner; – Feuer, Ton, Stellung, und eine in meiner Gegend damals äusserst seltene Fertigkeit in der ausgebildetern deutschen Sprache, weil ich in dasigen Gegenden der erste war, der Aesthetik studirt hatte. Auch die Poesie half mir, meinen Beifall zu vermehren. Hätt' ich Fleiß und Salbung gehabt, so würd' ich es in der Kanzelberedsamkeit sehr weit gebracht haben. Aber ich zerstreute mich in zu viel Nebendinge, studirte die Bibel zu wenig, predigte auf die Lezt meist aus dem Stegreife, und wurde statt eines kraftvollen Kanzelredners, ein süsser Schwäzer, der zwar die Einbildungskraft seiner Zuhörer zu erschüttern wußte, aber niemals bleibende Ueberzeugung zurükließ. Und wie konnt' es wohl anders seyn! Ich sprach von Dingen, die ich selbst nicht empfand, nicht in ihrem weiten Umfange einsah; und wenn ich auch etwas Gutes sagte, so war ich bloß Sprachrohr, durch welches der Wächter dem an der fernen Klippe schwindlenden Wandrer[57] ein Warnungswort zuruft – das Sprachrohr bleibt nach diesem kalt und tod, sobald es der Odem des Sprechers nicht mehr beseelt.

Ueber diß war ich zu sehr Poet, um guter Kanzelredner zu seyn – nicht, als wenn nicht auch Dichter trefliche Prediger seyn könnten, wie Cramer, Schlegel, Giseke erweisen – allein, meine feurige Einbildungskraft zeigte sich oft zur Unzeit. Ja, ich war gar einmal so unsinnig, und hielt eine ganze Predigt in Versen. Nachher erfuhr ich, daß ich in diesem Unsinn schon einen Vorgänger hatte, den Bruder der grossen Baumgarten – Nathanael, der Predigten in Schmolkischem Klingklang hielt, und einige drukken ließ.

1

Leider hab' ich die köstliche Tugend der weisen Sparsamkeit nie ausüben lernen. Und ach! welchen Unruhen, Zerstreuungen, Sorgen, Vergehungen, welcher Schande und Schmach sezet man sich oft aus, wenn man diese Tugend nicht übt!

Ὡς τεϑνηζόμενος τῶν σῶν ἀγαϑῶν ἀπόλαυε.

Ως δὲ βιωσόμενος, Φέιδεο σῶν κτεάνων.

Εσι δ᾽ἀνήρ σοφὸς ὁυτος, ὅς, ἅμφω ταῦτα νοήσας,

Φειδεῖ καὶ δαπάνη μέτρον ἐφαρμόσατο.

Als Sterbender geniesse deine Güter,

Und spare sie als Immerlebender.

Der ist ein weiser Mann, der dies erkennend

Das Maas der Sparsamkeit so wie des Aufwands braucht.

Quelle:
Christian Friedrich Daniel Schubart: Schubartߣs Leben und Gesinnungen. Erster Theil, Stuttgart 1791, S. 59.
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