Vorrede

»Αρισα οιμαι ζην τους αρισα επιμελομενους τουσ ὡς βελτισους γιγνεϑαι, ἡδισα τε τους μαλιστα αιϑανομενους, οτι βελτιους γιγνονται.«

ΣΟΚΡΑΤΗΣ.


»Die führen das beste Leben, die sich mühen, die Besten zu werden, am angenehmsten aber leben diejenigen, die es fühlen, daß sie besser geworden.«

Sokrates in Xenophon's

Denkwürdigkeiten.


Ob ich gleich von dem Nutzen solcher Lebensbeschreibungen überzeugt bin, die mit Wahrheit und Herzlichkeit abgefaßt sind – wo der Erzähler[5] gleichsam mit Zerknirschung vor das Publikum, wie vor einen Beichtstuhl tritt, und aufrichtig bekennt, was er besser gemacht haben sollte; so würde ich doch nie mit meiner eigenen Lebensbeschreibung hervorgetretten seyn, wenn nicht so gar viel Falsches, das von mir in die Welt geschrieben wurde, mir diese Arbeit gleichsam zur Pflicht gemacht hätte. Zwar kam 1778. zu Mannheim bei Bender mein »Leben und Karakter« heraus, wo der mir noch zur Stunde unbekannte Verfasser mehr Gutes von mir sagt, als ich in dieser meiner Lebensbeschreibung von mir ahnden lasse.[6] Ich danke dem Menschenfreunde für seine Güte, daß er mich zur Zeit meiner bittern Verwerfung mit diesem günstigen Zeugnisse vor der Welt rechtfertigen wollte. Auch hat Archenholz, der Mann hohen Sinnes und edlen Herzens, so wie der Verfasser der »Biographien aus dem achtzehenden Jahrhundert,« die in Bern heraus kamen, manches Gute und Schlimme von mir gesagt, wovon ich doch das wenigste auf meine Rechnung sezen kann. Der weite Kreis meiner Bekanntschaft, und die Liebe zu meinem Vaterlande fordert mich also auf, diese Beschreibung meines Lebens, meiner[7] Meinungen und Gesinnungen, dem Publikum mitzutheilen, und zwar mit derjenigen Offenherzigkeit, die der vorspringendeste Zug in meinem Karakter ist. Ich bin zwar nicht so stolz wie Rousseau, meine Bekenntnisse gen Himmel zu heben, und zu sprechen: »Gott, mit diesem Büchlein will ich vor deinen Gerichtsstuhl treten!« – Dort fleht man nur um Gnade, rühmt sich keiner Tugend, und verzweifelt – um Jesus Christus willen – um keiner Sünde wegen. Ader wahr ist's, was ich hier geschrieben habe, wie die Hunderte, die Tausende aufzeugen mögen, die mir auf[8] der Laufbahn meines Lebens begegnet sind.


Ich habe dies mein Leben bis zum Schlusse des zweiten Theils in der traurigsten Lage verfertigt, in die ein Mensch kommen kann, der mit diesem brennenden Freiheitsgefühle gebohren ist. Ich lag, gleich einem Todten in der Grube, die kein Wasser giebt – als Thränen. Ich hatte kein Buch, kein Papier, keine Schreibtafel, keine Feder, keinen Bleistift, keinen polirten Nagel – und habe doch diese meine Lebensbeschreibung verfertigt. Denn mir zur Seite lag[9] ein Mitgefangner, der mehrere Freiheiten hatte, als ich: dem diktirte ich dies mein Leben durch eine dike Wand in die Feder. Da mir das Schreiben aufs strengste verbotten war; so verbarg ich dies mein Leben mehrere Jahre unter dem Boden, wo es beinahe vermoderte. Jetzt, nachdem mich wieder die Lust der himmlischen Freiheit umsäuselt, erscheint es öffentlich, mit dem herzvollsten Wunsche seines Verfassers, daß es Männern eine angenehme Stunde gewähren, und den Jünglingen meines Vaterlandes zuweilen die ernste Weisung geben möchte, was sie zu vermeiden haben,[10] wenn sie weise und glückliche Menschen – glücklich für Zeit und Ewigkeit werden wollen. Basilius, der grose Kichenvater, sagt gar schön: »Du Mensch mußt dein eigner Kampfrichter seyn. Dein Gewissen muß schon hier deiner Tugend die Krone flechten, und deinen Lastern die Gerichtsmiene zeigen.«1 Noch stärker sagt Paulus: »So ihr öfters eure eigne Richter wäret, so würdet ihr dort nicht gerichtet werden.«[11]

Ich schliesse mit der Einigen Bitte: Dein Urtheil, Leser, über mein Buch so lange zurükzuhalten, bis es vollendet ist. Die zween übrigen Theile sollen in möglichster Eile nachfolgen.


Stuttgart, im Merz

1791.


Schubart.

1

»Αγωνοϑετης – αρετη πλεκων σεφανους, κακιας δε τροπω ευτρεπιζων την κρισιν.«

Quelle:
Christian Friedrich Daniel Schubart: Schubartߣs Leben und Gesinnungen. Erster Theil, Stuttgart 1791, S. V5-XII12.
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