Erster Period.

Ohne Grundsäze leben, oder in den Fesseln verderblicher Grundsäze durchs Leben rasseln, ist eine gleich erbärmliche Existenz. Jenes ist zweiflendes Schweben zwischen Seyn und Nichtseyn, und dieses ein beständiges Aechzen der Seele nach Freiheit – denn falsche Grundsäze tirannisiren die zur Wahrheit geschafne Seele mehr, als die Tirannen der Erde den Leib. – Sieh, Leser, die vom Sturm gejagte Wolke; – dort in der Wüste zerfließt sie in unbefruchtenden Tropfen!! Ach, ein Bild von meinem Leben, das ich dir mir wankender Hand vorzeichnen will. – Nur Gott kan das ganze Leben des Menschen vom ersten zitternden Punkt an, der in der Mutter schwimmt, biß hin lezten Herzschlag, darstellen; – ein Gott, der die Geister, die er schuf, kennt, und also allein wissen kann, was sie aus sich selbst wirken, oder was sie durch fremden Zug, Druk und Stoß gethan haben. Daher sind menschliche Lebensbeschreibungen, sonderlich die man von sich selbst macht, kaum mehr, als agonisirende Körper, die nur einige matte Odemzüge von würklichen Leichen unterscheiden. –

So Leser, beurtheile mein Leben und diesen Trümmer auf meinem Grabe!

Ich bin 1739 den 26sten Merz zu Obersontheim in der Grafschaft Limpurg gebohren.

Mein Vater, Johann Jacob Schubart,1 war daselbst Kantor, Präzeptor,[2] und Pfarrvikar, gleichgeschikt für die Orgel, den Sang, den Schulkatheder, und die Kanzel. Er war auf der Universität Altdorf gebohren, in Nürnberg erzogen, studirte in seinem Geburthsort, und erhielt den erstgedachten Ruf nach Obersontheim. Mein Vater rang von[3] Jugend auf mit der bittersten Armuth, er konnte also keine andere Bildung erwarten, als die ihm Mutter Natur gab. Er sang mit Empfindung und Geschmak, eine Baßstimme, dergleichen ich in meinem Leben in dieser Tiefe, Höhe, und mit dieser Anmuth[4] nie gehört habe; spielte ein gutes Klavier, war zum Schulmann gebohren, enthusiastisch für die lateinische Sprache eingenommen, und hatte die treflichste Anlage zum Redner. Die Schönschreibekunst verstand er als Meister und war daher ein Todfeind vom Sprichworte der Sudler:[5] »Gelehrte schreiben schlecht.« Sein Zeitvertreib bestand im Schach und Bretspiele, worinn er ebenfalls wenige Seines gleichen fand; denn was er treiben wolte, das trieb er biß zur Meisterschaft. Er blieb bis aus Ende seines Lebens Verehrer und Förderer der Tonkunst und sein Haus war – sonderlich in seinen jüngern Jahren – ein beständiger Konzertsaal, drinn Choräle, Motetten, Klaviersonaten und Volkslieder wiedertönten. Seine Phisiognomie war edel, Seelenfeuer verkündend, und seine ganze Person stellte den gesunden, kühnen, deutschen Mann dar, der weder vom Siechthum, noch weicher Pflege was zu verraten schien. Dabei war sein Geist frei, heiter und zu einer Jovialität gestimmt, die, zumal in seinen jungen Jahren, seinen Umgang äuserst angenehm machte. Sein Herz ergoß sich in Mitleiden und Wohlthun gegen die Armen; oft entzog er sich selbst die dürftigsten Erfrischungen (denn sein Einkommen war immer sehr eingeschränkt) um sich am Anblike des erquikten Elenden zu weiden.2[6] Sonst war mein Vater ein großer Freund der Ordnung und Reinigkeit, und Schade, daß ich mir ihn nicht auch hier zum Muster wählte, wie in seinem Wohlwollen gegen das Menschenelend. Kurz, daß ich meines guten Vaters Zeichnung vollende: hätt' er nicht von Jugend auf sich durch Armuth und Mangel durchkämpfen müssen, und wär er in nicht so ganz enge und geschnürte Lebenslagen gekommen; er würde ein wichtiger und berühmter Mann geworden seyn; dann er hatte Schnellkraft, Muth, deutschen Sinn, Mark in Worten und Thaten Naturgeschmak, und Gefühl für alles, was gut, groß, edel und schön ist. Er ruht nun auf[7] dem Kirchhofe zu Aalen, mitten im Schose seiner Beichtkinder, die ihn wie ihren Vater liebten; denn manchen Schlummernden um ihn hat sein geistvoller Zusprach im Tode erquikt. Friede über deiner Asche, du lieber Mann, und mit deinem Geiste die himmelvollen Ahndungen einer seeligen Urständ!!

Meine noch lebende Mutter ist Helena, die älteste Tochter des rechtschaffenen Forstmeister Hörners zu Sulzbach am Kocher, der 1764 umringt und geseegnet von sieben Kindern, zweiundsiebzig Enkeln und acht Urenkeln, und beklagt von seinem Vaterlande im achtzigsten Jahre seines Alters starb. Einfalt und Mütterlichkeit zeichnet meine Mutter in einem hohen Grade aus. – Seegne sie, Gott, denn sie ist es werth! Erbarme dich über ihre grauen Haare, und lohn' ihr die Thränen, die sie über mich – ihren Liebling (ich verdient' es nie ihr Liebling zu seyn) zu Tausenden hingoß! –

Mit diesen Eltern kam ich als Säugling 1740 nach Aalen, wohin mein Vater als Präzeptor und Musikdirektor berufen wurde,[8] aber schon 1744 diese Stelle mit dem dasigen Diakonat vertauschte.

In dieser Stadt, die verkannt, wie die redliche Einfalt, schon viele Jahrhunderte im Kocherthale genügsame Bürger nährt – Bürger von altdeutscher Sitte, bider, geschäftig, wild und stark wie ihre Eichen, Verächter des Auslands, trotzige Vertheidiger ihres Kittels, ihrer Misthäufen und ihrer donnernden Mundart – wurd' ich erzogen. Hier bekam ich die ersten Eindrüke, die hernach durch alle folgende Veränderungen meines Lebens nicht ausgetilgt werden konnten. Was in Aalen gewöhnlicher Ton ist, – scheint in andern Städten Trazischer Aufschrei und am Hofe Raserei zu seyn.3 Von diesen ersten Grundzügen[9] schreibt sich mein derber deutscher Ton, aber auch mancher Unfall her, der mir hernach in meinem Leben aufstieß.

Im Jahr 1744 muß' ich die Dolchschnitte[10] eines Wundarztes aushalten, der mich nach vielen Martern von einem Leibschaden heilte. In meinen jungen Jahren ließ ich wenig Talent bliken, dagegen destomehr Hang zur Unreinigkeit,[11] Unordnung und Trägheit. Ich warf meine Schulbücher in Bach, schien dumm und troken, schlief beständig, ließ mich schafmaßig führen, wohin man wollte, und konnte im siebenten Jahre weder lesen noch schreiben. Plötzlich sprang die Kinde, die mich einschloß, und ich hohlte nicht nur meine Mitschüler in weniger Zeit, und meist durch eigne Anweisung – ein, sondern übertraf sie auch alle. Sonderlich äuserte sich in mir ein so glückliches musikalisches Genie, daß ich einer der großesten Musiker geworden wäre, wenn ich diesem Naturhange allein gefolgt hätte. Im achten Jahre übertraf ich meinen Vater schon im Clavier, sang mit Gefühl, spielte die Violin, unterwieß meine Brüder in der Musik, und sezte im neunten und zehnten Jahre Galanterie- und Kirchenstüke auf, ohne in all diesen Stüken mehr, als eine flüchtige Anweisung genossen zu haben. Auch im Lateinischen, Griechischen und andern Elementarkenntnissen nahm ich durch den Unterricht des damaligen Präzeptor Rieders – Ausschweifungen der Wollust haben ihn an Bettelstab gebracht, ich beklag'[12] ihn mit dankbaren Thränen – so schnell und sichtlich zu, daß mein Vater den Entschluß faßte, mich den Studien zu widmen, ohnerachtet ihn meine Blutsverwandte drangen, mich ganz der Tonkunst aufzuopfern, und in dieser Absicht nach Stuttgard, oder Berlin zu schiken, wo damals die Musik beinah ihren Hochpunkt erreicht hatte.

Im Christenthum genoß ich nächst den täglichen religiosen Ermahnungen meines Vaters, der ein eifriger Jesusjünger war, den Unterricht des damaligen Stadtpfarrer Koch, eines christlichgesinnten Mannes, dem es auch gelang, mir die ersten Empfindungen für die Religion einzuflösen, die niemals ganz verloschen sind.

Ich glaubte in Himmel zu bliken, als ich das erstemal zum heiligen Abendmal gieng; aber – ach! mich pakte die Welt, und Gott ließ den Vorhang fallen. –

Im Jahr 1749 schüzte mich mein Engel vor dem Brudermorde. Mein Großvater, obgedachter Forstmeister, besuchte meine Eltern, legte zwei geladene Pistolen aufs Clavier, und gieng mit meinem Vater auf eine Hochzeit.[13] Ich ergrif eine mit zwo Kugeln geladene Pistol, sezte sie meinem jüngsten Bruder, dem jezigen Stadtschreiber in Aalen, auf die Brust, – »Soll ich schießen?« sagt' ich lachend – »Schieß!« erwiedert' er – losdonnerts, und Gott weiß, welche unsichtbare Hand die Kugeln von der Brust meines Bruders ableitete, daß sie durch seine Taschen und durch die Wand hinter ihm durchschlugen, und drausen in den Pfosten einer Bettstadt steken blieben. Ich rannte wie wüthend, aus der Stadt, riß mein Wams vom Leibe, trat auf eine Anhöhe und wollte mich ins Wasser stürzen; als mich die derbe Faust eines Bürgers pakte und nach Hauße führte, wo ich mich in der Angst meines Herzens vierundzwanzig Stunden im Heu verbarg. – Wie preiß ich dich Vater im Himmel, daß du mich in zwei fürchterlich an einander stossenden Augenbliken vor dem Bruder- und Selbstmorde bewahrtest! –

Mein Herz öfnete sich von Tag zu Tag mehr, je nachdem es Schönheit und Wahrheit anstrahlte, und aus seinen tausend Oefnungen sprang unter dem trüben Sumpfgemische auch[14] mancher reiner Wasserstral. Ich empfand die Schönheiten der Natur biß zur ausgelassensten Begeisterung. Vergangenheit und Zukunft schwand mir, wenn ich an einem Maientage in meinem Garten wandelte, und meine Seele mit dem summenden Kafer im Dufte der Aepfelblüte, so ganz Genuß war. Aalen liegt in einer schönen Gegend und bietet durch seine Flüsse, Weiher, Wälder, Gebürge, kunstlose Gärten dem Gefühlvollen reichen Stoff zum Genusse der Natur.

Ich liebte meine Gespielen zärtlich erfand manches drollichte Märchen zu ihrer Belustigung, theilte alles was ich hatte mit ihnen, war zum Mitleiden und Barmherzigkeit von Natur gestimmt, und hatte sehr oft, wie Hölty, schauerliche Anwandlungen. Daher besuchte ich oft heimlich die Gräber meiner toden Freunde und Bekannten, um dem schwülen dumpfen Gefühle meines Herzens unter schwarzen Kreuzen, Todenkränzen und morschen Gebeinen, Luft zu machen. So wechselten in meiner Seele die Farben der Nacht und des Tages, die Bilder der Schwermuth und der[15] Freude beständig, und daher läßt sichs psychologisch erklären, wie ich nachher bald Todengesänge, bald Trink und Freudenlieder machen konnte.

Sehr früh fand ich Geschmak an der Lektür, und verschlang sonderlich die altdeutsche Romanen und Rittergeschichten. Luthers derber Ton gefiel mir schon damals, weil er mit meinem und meiner Mitbürger Geist so innig simpathisirte. Einer der süßesten mir ewig unvergeßlichen Augenblike meines Lebens war dieser, als 1751 Herr von Maltiz, ein auf Werbung liegender Preußischer Offizier,4 die fünf ersten Gesänge des Messias zu meinem Vater, dessen Freund er war, brachte, und mir die rührende Episode von Samma, Joel und Benoni vorlaß. – Eine Saite meines Herzens, von keinem Finger noch berührt, tönte da zuerst, und klang überlaut. Von diesem Augenblik wandelte mich die gröste Ehrfurcht[16] an, wenn man den Namen Klopstok nur nannte. Ich glaubte, ein Engel hätte sich auf unsre Welt verirt und nenne sich so. Den Messias lernt' ich fast auswendig, und weinte, zitterte, schauerte vor Freuden, wenn ich Stellen draus deklamirte. Lange wagte ichs nicht, dem großen Manne schriftlich zu gestehen, welchen Antheil er an meiner Bildung und an den süssesten Freuden meines Lebens hätte. Mit ihrem eisernen Arme winkte mir stets die strenge Bescheidenheit, und ich schwieg.


So schweigt der Jüngling lange,

Dem wenige Lenze verwelken

Und der dem Thatenumgebenen Manne,

Wie sehr er ihn liebe! das Flammenwort hinströmen will.


Ungestüm fährt er auf um Mitternacht,

Glühend ist seine Seele!

Die Flügel der Morgenröthe wehen, er eilt

Zu dem Mann, und sagt es nicht.


So schwieg auch ich. –[17]

Diese gutartige Achtung für große Männer behielt ich in meinem Leben bei, und nie war ich so vermessen, mich wie ein Roßkäfer auf den Schweif eines Hypogriphen zu sezen, und mich so in Olimpos tragen zu lassen.

Mein Vater schikte mich, seinem Plane gemäß, im Jahre 1753 nach Nördlingen in das dasige Lyzäum, unter die Aufsicht des damaligen Rektor Thilo. Unbevestigt im Guten, unwissend wie Lichtwehrs Reh, nur die Wuth des Tiegers und nicht seine täuschende bunte Fleken kennend, voll Durst nach Genuß, von tausend süssen Ahndungen durchzittert und voll edler Anlagen kam ich nach Nördlingen, beinahe gleich fähig, ein Engel oder ein Teufel zu werden.

1

Man erlaube mir nur in einer Note beizufügen, daß ich manchen wichtigen Blecs und Namensverwandten (wiewohl die Schubarte sämtlich aus der Lausniz abstammen, von da aus sie sich in verschiedenen Zweigen durch ganz Deutschland verbreitet haben) zu zählen das Glük habe. Mein Urgrosvater war: Andreas Christoph Schubart, Doktor der heiligen Schrift, unter dem großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm, Kirchenrath, Inspektor der Kirchen und Schulen im Herzogthum Magdeburg, zu seiner Zeit ein durch ganz Deutschland angesehener und gesuchter Mann. Er schlug zwölf der wichtigsten Vokazionen aus, und starb zu Halle im 60sten Jahre seines Alters, nachdem er den Tag und die Stunde seines Todes ganz genau zum Voraus bestimmt hatte. Er war für seine Zeit ein hochgepriesner Redner. In seinem Leichenprogramm sagt Prätorius von diesem Summo Halensium Theologo, wie er ihn nennt, sehr parenthyrsisch: »Quis audeat loqui, postquam Eloquentia obmutuit? Et illa quidem, quæ divino animata sensu et plena spiritu, cum inusitato verborum flumine et fulmine traheret homines ad cœlestium amorem, aut a malo repelleret, ipsum cœlum sæpissime summo commovit gaudio et simul infernum panico terrore concussit.«

Er schrieb vieles, das aber nicht mehr für unsre Zeiten ist. Noch einer von meinen ältern Vorfahren, Georg Schubart, hat sich zu seiner Zeit durch seine Gelehrsamkeit und trefliche Gaben, in und ausserhalb Deutschland berühmt gemacht. Stolle zeugt in seiner gelehrten Geschichte: »Schubart hatte viel Besonderes an sich. Er wußte sehr spitzig zu satyrisiren, und eine Sache ungemein lebhaft darzustellen. Den Franzosen war er gar nicht gut.« Er schrieb köstliches Latein, war seinem Vaterlande mit feurigem Ungestüm ergeben, wie sonderlich die sehr schöne Schrift erweißt: »De literaturæ apud Germanos primordiis et incrementis, nec non de veteribus nonnullis Germanis scriptoribus, qui sermone vernaculo ingenii monumenta reliquerunt.« Vid. Miscell. Lips. Tom. V. Observ. 4.

Seine Fragmente über die Geschichte der Gothen, sein Kaiser Heinrich IV, und seine Abhandlung über die Ritterspiele der Deutschen, zeugen von seinem richtigen historischen Geschmake. Er arbeitete auch an einer Ausgabe des Tazitus, der sein Liebling war, brachte aber nur das Leben des Agricola zu Stande. Er machte mit einem Herrn von Stetten eine Reise durch ganz Europa, mit dem seltensten Scharfblike. Man lese den Panegyr auf ihn, den selbst Fabricius für ein Meisterstuk hielt: In funere Viri clarissimi, Georgii Schubarti, Oratoris & Historici Jenensis, Oratio M. Georg. Nic. Kriegkii, recitata in Templo Paulino ac Academico. Jenæ PR. CL. Octobr. MDCCI. 4.

Auch hat sich eine Linie meines Geschlechtes ins Dänische gezogen, und sich durch Verdienste zum Adelstande aufgeschwungen, worunter ich nur den Generalmajor von Schubart zu neunen brauchte. Diß sag ich meinen ziemlich zahlreichen Anverwandten hiemit zur Nachricht; aber ohn' alle Eitelkeit, der Wahrheit wohl eingedenk, daß es wenig fromme, wenn man edle und gute Anverwandte hat; man muß selbst edel und gut seyn.

2

Ich gieng einmal mit dem edlen Manne den Brief hinunter, einem lachenden Spaziergange bei Aalen. Er wollte in Gesellschaft ein Glas Wein trinken. Da begegnete uns aber eine arme Wittfrall, die ihre und ihrer Kinder Nothdurft aufs rührendste darstellte. Freudig grief mein Vater zu, gab der Wittwe all sein Geld, wandte sich, sah gen Himmel, gieng nach Hause, und – trank Wasser. »Christian,« sagte er damals zu mir, »gieb den Armen, so wirst du einen Schaz im Himmel haben.« Mit freudigem Thränenschauer denk ich noch an diese Worte. Denn diese Ermahnung meines Vaters ist die Einzige, die ich nie wissentlich übertretten habe.

3

Wiewohl auch hier durch die Wanderungen der jungen Bürgerschaft und den täglich mehr überhandnehmenden Lesegeist, seitdem große Verändekungen vorgegangen sind. Die alten Aalemer, die wie Felsenquater aus den Steinbrüchen der Natur genommen zu seyn schienen, sinken allmälig ins Grab, und machen ihnen Söhnen und Enkeln Platz, die weit weniger rauhe Eken, aber auch weniger innere und äussere Stärke haben. Und nun noch zwei Worte von der mir so unaussprechlich theuren Stadt Aalen, von der die Erdbeschreiber nur weniges, und die Reisbeschreiber, biß auf Sanders paar Worte, gar nichts melden. Der Ursprung dieser Stadt verliert sich in den grausten Zeiten. Man hat häufige Spuren, daß die Römer lange Zeit daselbst siedelten. Man findet noch jezt zuweilen römische Munzen aus den Zeiten der ersten römischen Kaiser. Auch sind beim Kirchhofe sehr deutliche Spuren eines römischen Baades zu sehen. Die Stadt Ola, wie sie vor Zeiten hieß, war ehmals von ansehnlichem Umfange. Sie erstrekte sich eine starke Viertelstunde weit, biß nach Wasseralfingen. Kaiser Barbarossa errichtete dicht vor der Stadt eine Burg, noch jezt der Burgstel genannt, und hielt sich einige Zeit daselbst auf. In den Rauffereien der finstern Zeiten, wo sich die aufstrebende Städte und Städtchen, beständig mit Fürsten, Grafen und Herren herumbalgten, zeichneten sich auch die knochenvesten Aalemer aus, und die Stadt erhob sich bald durch ihren urdeutschen Freiheitssinn, zu einer freien Reichsstadt. Sie war eine der Ersten, die der Reformation beitrat, und seitdem vest und mannlich ob Luthers Glauben hielt. Der schrekliche dreißigjährige Krieg wirbelte die arme Stadt von ihrem Wohlstande ins Verderben herunter. Biß auf einen Thurn wurde sie ganz abgebrannt. Die Einwohner zerstreuten sich in andere Weltgegenden, oder wurden niedergewürgt, oder starben den Hungertod. Neun Familien blieben übrig, die sich auf einen benachbarten Berg retteten, und den Ostergottesdienst unter einer Buche hielten, an welchem Orte nun ein Hof steht, der der Osterbuch genannt wird. Von diesen wenigen Siedlern wurde hernach die Stadt wieder erbaut, und erhob sich allmählig wieder zu einem ziemlichen Wohlstande. Zwar mußte sie im Drange den Zehenten an Elwang, und ihre Eisenbergwerke an Wirtemberg verkaufen; doch erhielt sie sich bißher noch immer durch die weise Oekonomie des Magistrats aufrecht, und ihr Wohlstand vermehrt sich merklich. Die Stadt zählt etwas über 300 Einwohner. Es verdient angeführt zu werden, daß diß kaum bemerkte Städtchen, schon vor zehen Jahren, ohne allen Widerstand, ein neues Gesangbuch einführte, das unter die besten in Deutschland gehört. Die dasigen Einwohner haben vorzugliches Geschik und Lust zur Musik; auch diß hatte auf meine Bildung einen merklichen Einfluß gehabt.

4

Er blieb in der Schlacht bei Zorndorf, nachdem er vorher schon zwölf Wunden im Dienste seines großen Königs erhielt, und einige Jahre zu Stuttgart gefangen saß.

Quelle:
Christian Friedrich Daniel Schubart: Schubartߣs Leben und Gesinnungen. Erster Theil, Stuttgart 1791, S. 1-19.
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