(XI.)

[285] Ein neu aufgerichtetes Füsilier Bataillon, wovon mein Kommandant der Chef wurde, verursachte eine abermalige Veränderung in den Zimmern. Ich kam den dritten Februar in einen andern Flügel, und wieder – wie beschüzt Gott die tugendhafte Freundschaft! – dicht neben meinen lieben Sch****** zu wohnen. Mein Schlaf ist noch so süß, wenn er mich mit der Empfindung überfällt: dein armer Freund schläft neben dir, von eben dem allmächtigen Flügel beschirmt, der über dir schattet: – Ueberhaupt wächst die Freude und der Trost an der Vorsehung Gottes fühlbar in mir; sie ist der Gurt, womit ich mich morgens gürte, und das Kissen, worauf ich des Nachts entschlummere. Jeder Mensch, denk' ich hat seine Seite, seinen Lichtpfad ins Vaterherz Gottes hinauf. Wenn mein Flehen für das Heil der[285] Brüder und aller meiner Lieben auf diesem Pfade hinaufsteigt; so, denk ich im Glauben, wandelt es Gott in Segen, und gießt es auf demienigen Lichtweg herunter, an den meine Lieben gränzen. Auf diese Art wird mir begreiflich, wie zwei liebende Herzen, in der weitesten Entfernung, zu gleicher Zeit, in gleichem Augenblike, in himmlisch süßen Mitgefühlen einander entgegen klopfen können: denn Seufzer und Erhörung ist oft Ein Bliz, der hier aufsteigt, droben seine Richtung bekömmt, und dort entzündet. –

Mein Zimmer ist lustig, ziemlich helle, und hat Aussicht auf meine liebe Menschen. Der Hauptmann, welcher die Aufsicht über die Gefangenen hatte, war ein Christ, zum reinsten Wohlwollen gestimmt – auch eine Gnade, für die ich Gott danke! –

Den 13sten Merz war Hahn wieder bei mir. Der gute Mann wollte Anfangs alle acht Tage eine Stunde weit zu Fuße zu mir[286] gehen, und mich stärken, trösten, befestigen, gründen; aber es wurde ihm nicht verstattet. Mein Herz flog ihm entgegen, als er kam. Die tiefe Ehrfurcht vor ihm, verbietet mir's noch, ihm mit traulicher Bruderliebe zu begegnen. Er erzählte mir, daß seine Schriften vom Königreich Jesu verfolgt würden. – »Gieng es dem besser,« sagt' ich, »der diese Lehre zuerst gepredigt hat?« –

Wegen meines Gnadenstandes ließ er mich noch immer im Zweifel: er hielt es blos für ein gutes Kennzeichen, daß mir Gott ein Ohr, ein Auge, einen Geruch für das Göttliche gegeben hätte. »Es gehört beständiger Kampf, daurender Ernst, fortstrebender Eifer dazu, wenn man überwinden will,« das sagte er, und verlies mich mit den Segnungen seiner Blike. – Welcher Mann, dacht' ich, als ich ihn mit bestaubten Schuhen, altväterischem Ueberroke, fliegenden kurzabgeschnittnen Haaren, den Stab[287] in der Rechten, über den Vestungsplaz in Apostolischer Einfalt wandeln sah! welcher Mann! und wie verkannt von den meisten! – denn den Ruhm, den er sich durch sein großes mechanisches Genie in der Welt erworben, achtet er für nichts. »Es kostet mich allemal einen Tod,« schrieb er an meinen Kommandanten, »wenn ich den Fremden meine Maschinen zeigen, und ihre Lobsprüche einärndten muß.« Welche Stufe der Herrlichkeit wird er einnehmen, wann die Wage des Richters Entscheidung tönt! – Er empfal mir Oetingers Epistelpredigten, womit mir mein General ein Geschenk machte, aufs nachdrüklichste. »Wo dieser schon ist, dahin muß ich erst kommen.« sagte er. Ein Zeugnis, das mich zum Studium dieses Buchs wie hinzauberte. Ich empfand bald, daß man dem Verstande eines Menschen nicht wenig zutraut, wenn man ihm Oetingers Schriften empfielt. Wen Hahns Schriften nicht vorbereitet haben, der hält Oetingers Predigten meist für Unsinn, wie es[288] auch die deutschen Kunstrichter in ihren schiefen Urteilen über diesen großen, etwas seltsamen Mann, darthun. – Wie aufgehäuft sind die tiefsten Geistesresultate in den Schriften, sonderlich in den Epistelpredigten dieses Mannes! weh dem, der sich einigen Erdstaub hindern läßt, die Pracht dieser Krone, voll der reichsten Steine, zu bewundern! Sein Styl ist nicht immer troken, sondern zuweilen stark, kraftvoll, und meist original. Seine Schriftauslegungen sind vom ganzen Plane des Geheimnisses Gottes abgezogen. Seine Sittenlehre ist nicht so ängstlich, so furchtbarstrenge, wie Hahns seine; sondern frei, gemildert, durch tausend Kunstgriffe des Geistes erleichtert, und so ganz der Natur des Menschen angemessen. Das Geheimnis vom Opfer Jesu, sein ewiges Hohepriestertum, von der obern Mutter, dem heiligen Geiste, den verschiednen Zuständen nach dem Tode, den Höllenstrafen, der massiven Herrlichkeit der künftigen Welt; vom Blute Jesu auf Erden und[289] im Himmel, – und unzähliche andere tiefe, noch von niemand so begreiflich dargestellte Warheiten, findet man beinah auf allen Blättern dieser Predigten. Freilich wer nicht Mut genug hat, seine Metaphysik hinauszuwerfen, der wird die Lehre von der Seele, als einem aus verschiedenen Kräften zusammengesezten Wesen, vom Geiste, dessen Theile oder μερισμες, nach Oetingers treflicher Definition, wieder ein Ganzes sind; seine Meinungen von der Magie, Geisterseherei, Scheidungskunst auf die Psychologie angewandt; und mehrere dem Schulschlendrian entgegenstrebende Ideen für Schwärmerei und Unsinn halten. – Wer muß nicht die Arme nach diesem Manne ausstreken, und ihn fest ans Herz zu drüken wünschen, wenn er folgende Stelle von den Höllenstrafen bei ihm liest?


»Schreklich ists, in die Hände des lebendigen Gottes fallen. Inzwischen muß man denken, daß dies Erschrekliche nicht[290] kann zunichtmachen; daß Gott die Liebe selbst sei, dem der Zorn etwas fremdes ist; und daß sein Zorn gegen der Liebe nur einen Augenblik währe. Weil nun Gott die Liebe ist; so wird Er auch wissen, die Gerichte über die Sünder so einzurichten, daß – so schreklich die Strafen sind, so hart es klingt, daß Er in der Hölle Leib und Seele auseinander sezt, und zur Verderbnis bringt, so schreklich es anzuhören, daß der Rauch ihrer Qual aufsteige von einer Ewigkeit zur andern, wie der Rauch zu Sodom von einer Ewigkeit zur andern bis diese Stunde, nach den Zeugnissen der Reisebeschreiber aufsteigt; so erträglich müssen doch die Höllenstrafen seyn, so, daß sie solche Feuerverzehrende Schmerzen, wie wir, nicht fühlen können, weil ihre Leiber nicht verbrennen, sondern, daß sie noch zurükdenken können, und ihre Knie beugen und bekennen, daß Jesus Christus der Herr sei, zur Ehre Gottes, des Vaters![291] – Wenn sonst kein Wort in der heiligen Schrift stünde, als Davids: ›Es werden dir danken, Herr, alle deine Werke;‹ so wäre es genug, das Allzuschrekliche in der Abbildung der Hölle zu mäsigen.«


Ich habe schon oben bemerkt, daß solche Mäßigungen der Höllenstrafen den Menschen nicht sicher und leichtsinnig18 sondern vielmehr eifriger zum Guten machen müssen. Denn wer sollte einem so lieben Gott nicht alles zu Gefallen thun? – Und ist das[292] nicht Hölle genug – auch Hölle, wenn man im Himmel wäre, – das Misfallen seines so unaussprechlich gütigen Vaters lange Jahrhunderte tragen zu müssen? –

18

Doch gibts leider Beispiele, daß diese himmlische Lehre unverschuldet geschadet habe. Ein Wirtembergischer General erzählte mir, daß er kürzlich auf der Jagd einen Bauren angetroffen, der im Zorn zu seinem Gegner sagte: »Kerl, an dich wend' ich auch tausend Jahr!« – der General, dem dieses auffiel, fragte den Bauren: wie er dies meine? »Mein Pfarrer« erwiederte der Bauer, »hat mir gesagt, daß die Höllenstrafen zwar lang, aber nicht ewig dauren – und um meine Rache zu kühlen, verwend' ich tausend Jahre an diesen Kerl.« – Der Bauer war ein Schurke; und doch scheint sein Beispiel darzuthun, daß sühe Entdekungen gewisser Wahrheiten unvorbereiteten Seelen so gewiß schaden, als jähes Licht dem lang gewesenen Blinden. Der weise Okulist führt diesen durch allmähliche Stufen, bis er das volle Licht der Sonne wieder ertragen kann. – Sollt' es der Lehrer mit gewissen Warheiten nicht eben so machen? – Die Aufgabe der Berliner Akademie: »Ob Täuschung einem Staate nüze oder schade?« ist so geringfügig und lächerlich nicht, als sie der herzlose Rösonneur Linguer auszuschreien für gut fand.

Der Verfasser.

Quelle:
Schubart, Christian Friedrich Daniel: Schubart’s Leben und Gesinnungen. Zweiter Theil, Stuttgart 1793, S. 285-293.
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