XX.

[137] Da flog ich nun an der Seite meines Führers über beschneite Gefilde weg; – weg von Freunden, die ich viele dunkle Monde lang nicht mehr sehen sollte – mit dem Dolche der Ahndung in der Seele. Ich hatte Mühe Tränen abzuhalten. »Es wird dir doch kein Unglük begegnen?« Das war alles was ich dachte, was mir wie ein geflügelter Feuerpfeil in der Seele brannte. Mein Führer, ganz in seinen schwarzen Entwurf versunken, und vielleicht die Vortheile berechnend, die ihm ein Fang dieser Art verschaffen konnte, sprach nur sehr wenig; – und ich sonst so redseliger Pilger war zur Bildsäule erstarrt. Zwei auf Gebürgen stehende zerstörte Schlösser, dicht bei Blaubeuren, wekten meine Fantasie, und ich streifte eben in den heroischen Zeiten des alten Deutschlands herum, als der Schlitten[137] hielt und ich von meinem Begleiter in sein Zimmer geführt wurde. Der erste Eintritt ins Zimmer weissagte schon nichts Gutes; da war niemand, der mich bewillkommte, war alles so stille, wie in einem Leichenhause. Selbst mein Führer verließ mich, und ich war nun bei einem Mädchen alleine, die traurig an der Kunkel saß, und mir, so oft die Spindel auf dem Boden kreißte, mit stillem Mitleid in die Augen sah. Ich nahm ein Buch vom Gesimse – es war Sebaldus Nothanker; da fielen mir Chodowiekis Pfaffenphisiognomieen mit neuem widrigem Eindruke ins Gesicht. – Und nun öffnete sich plözlich die Thüre. Der Major von Varenbühler trat an der Spize des Grafen von Sponek, des Blaubeurischen Oberamtmanns, und meines – Führers herein, und kündigte mir auf Befehl seines Durchlauchtigsten Herzogs Arrest an. Ich hielt es für Scherz, weil ich den Herrn von Varenbühler noch von Ludwigsburg her sehr genau kannte. Aber seine betroffene Miene und[138] einige bestimmtere Ausdrüke bewiesen mir bald den vollen Ernst seines Auftrags. »Ich hoffe, der Herzog werde mich nicht ungehört verdammen, noch weniger mich im Kerker verfaulen lassen.« Das sagt' ich, mit einer Fassung, die für einen so flüchtigen Menschen, wie ich war, nicht stärker und männlicher seyn konnte. Der Major zeigte viel unverstelltes Mitleiden im Antliz. Scholl aber gieng mit seinem Weibe im Zimmer herum und wimmerte: »Mir ists leid! Gott weiß, mir ists leid!« Ob sein Mitleid unverstellt war, mag Gott entscheiden – der Seelenbliker. Das erwähnte Mädchen fuhr von der Kunkel auf und barg ihr tränendes Gesicht in die Schürze. Graf Sponek blieb kalt; als Oberforstmeister war ihm ein Fang nichts Neues. – – – Des Mitleids ganzen, vollen Trost sprach das Angesicht des Blaubeurischen Oberamtmanns Oetinger. Er drükte mir brüderlich die Hand, sprach mir Mut zu, und[139] gab mir seine Handschuhe auf die Reise mit einem Blike, der von werdenden Zähren schimmerte .. O welch ein Trost ists, im Elende gute Menschen zu finden! – Er ist nun eingegangen in seine Ruhe, und dieser Rosmarinstengel duftet auf seinem Grabe.

Man erlaubte mir an mein Weib zu schreiben, aber meine Hand war gelähmt. Ich aß nichts zu Mittag, und stieg, wie ein Missethäter vom gaffenden Pöbel umflutet, in den Reisewagen. Der Major saß bei mir und war stummer als ich. »O mein Weib und meine Kinder!« nur dieß dacht' ich, seufzt' ich, stammelte ich. »Sie sind am Bettelstab,« sagt' ich zum Major, »ich habe ihnen kaum für ein paar Tage Bedürfnisse hinterlassen. Was werden sie sagen, wenn die Nachricht auf sie hindonnert: Dein Mann, euer Vater ist gefangen?« – Der Major tröstete mich, und versprach mir, meine Familie dem Herzog aufs nachdrüklichste[140] zu empfehlen. Er hat hernach Wort gehalten, und ich weiß, daß es ihm Gott lohnen wird. –

Die ganze Reise rauchte ich fast beständig Tabak, eine Gewohnheit, mit der ich oft manchen Kummer zu verdampfen suchte. Unser Nachtlager nahmen wir in Kirchheim, wo ich im Zimmer von ledernen Philistern bewacht wurde, die sich heimlich einander ins Ohr raunten: »Das ist der Schubart! der Malefizkerl! Man wird ihm 'nmal den Grind herunterfegen.« Das hört' ich und schlief kaum Minuten. Man schikte von da aus eine Staffete an den Herzog, um seine weitern Befehle zu erwarten. Er war anfangs entschlossen, mich auf die Festung Hohentwiel zu sezen; aber Gott lenkte sein Herz anderst, und gleich mit dem grauenden Morgen des 24sten Jenners wurde mir angezeigt: daß ich auf den Asberg in sehr enge Verwahrung genommen werden sollte. Ich war verstokt, und fühlte nichts[141] mehr. Den Mittag speiste ich in Kanstatt mit einigem Appetit, und zitterte zwei Zeilen an Millern in Ulm aufs Papier. »Nimm dich meines Weibes und meiner Kinder an! ich kann es nicht mehr, denn ich bin gefangen.« Das war alles was ich schrieb; der Brief kam aber nicht an seine Behörde.

Nichts hat mich auf der ganzen Reise so innig gerührt, als ein Schulmeister zu Kanstatt, der mich von Ludwigsburg aus kannte. Er hatte kaum gehört, daß ich angelangt wäre, als er zu mir kam, und mit Tränen im Auge mein Schiksal beklagte. Aufs demütigste bat er den Major, ob er mir nicht eine Flasche Wein bringen dürfte; er hätte sogar einen guten, einen rothen; und möchte mich gerne zu guter Lezt damit erquiken. Der Major schlug es ihm ab, weil wir zu trinken genug hatten. Und nun trat mein guter Schulmeister wehmütig vor mich hin, und alle Fülle seiner Trostsprüche quoll aus seinem Munde! »O der allmächtige[142] Gott sei mit Ihnen! Er wird Sie nicht zu Grund gehen lassen, denn er ist gnädig, barmherzig, geduldig, von groser Treu' und Güte! Es hat kein Unglük je solang gewähret, es hat auch wieder aufgehöret.« So entquoll's seinem Herzen; er segnete mich, und ging mit Wangen, die inniges Mitleiden trofen, hinweg. –

Schauer fuhr durch mein Gebein, als sich der Asberg vor mir aus seinem blauen Schleier enthüllte. »Was wird dich dort erwarten?« – so dacht' ich, als der Wagen bereits vor der Festung stille hielt. Der Herzog war selbst zugegen und bezeichnete den Kerker, in dem man mich verwahren sollte. – Wem man mit eiskalter Hand ins Herz greift, und es ihm quetscht, daß blutige Tropfen in beeden Augenwinkeln hangen; dem ist's nicht bänger als mir. Der Kommendant Rieger, ein durch seine rasche Thätigkeit, süße und bittre Schiksale, gute und böse Gerüchte in Deutschland sehr[143] bekannter Nahme, kam sogleich zu mir; ich empfahl mich seinem Mitleid; mein Führer nahm Abschied, und ich wurde in Thurm geführt, dicht am Zimmer vorbei, von dem der Herzog und seine Gemahlin herunterschauten. Ich empfahl dem Kommandanten mein Weib und meine Kinder aufs dringendste zur Fürsprache bei dem Fürsten; er ging, kam in wenigen Augenbliken wieder, und brachte mir die fröliche Kunde: »daß der Herzog meinem Weibe ein Jahrgehalt von zweihundert Gulden ausgemacht, und meine Kinder in die Akademie zu Stuttgart aufgenommen hätte.« Ha, welch ein Berg war da von mir gewälzt! Und um wie viel gestärkter konnt' ich nun die züchtigenden Leiden tragen, die über mich verhangt waren! –

Jezt rasselte die Thüre hinter mir zu, und ich war allein – in einem grauen, düstern Felsenloche allein. – Ich stand und starrte vor Entsezen, wie einer, den die[144] donnernde Wooge verschlang und dessen Seele nun im schaurigen Scheol erwacht. – Hier in dieser Schauergrotte, in diesem Jammergeklüfte sollt' ich dreihundert siebenundsiebzig Tage verächzen! – Die Mandarins sagen: »es gibt nur eine Hölle – das Gefängniß.« Diese Hölle schlug nun ihre Flügel über mir zusammen; hüllte mich ein in ihre schrekliche Nacht, und geisselte mich mit ihren Flammen! –[145]

Quelle:
Schubart, Christian Friedrich Daniel: Schubart’s Leben und Gesinnungen. Zweiter Theil, Stuttgart 1793, S. 137-146.
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