Der sterbende Indianer an seinen Sohn

[361] Ich sterbe, Sohn! Nimm diesen Kranz;

Von Christenhaaren flocht' ich ihn;

Statt Diamanten spielen drin

Erschlagner Christen Zähne. Sohn,

Ich sterbe arm; der Christen Geiz

Ließ mir dieß Stroh, worauf ich sterbe,

Und dort den Bogen – Ha, den Pfeil,

Der fliegt und singt und trifft und tödtet!

O Sohn, sieh deinen Vater an

Und schwöre, mir ihm gleich zu sein!

Sei kalt und keck und frei und gut,

Und hasse den, der seinen Gott

Entehrt! Dort unter jenem Baum

Ist ein Altar, dort bete an!

Des Cocusbaumes Wipfel säuselt

Dein Flehn zum Vater der Natur

Dem Himmel vor! Ich sterbe gern;

Nun wirft kein Sturm den Fischerkahn

Auf hohen Wogen hin und her.

Ein ew'ger Frühling blühet dort.[361]

Mein Weib, ach, deine Mutter reicht

Auf goldner Schal' mir Ananas.

Aus Christenschädeln trink' ich dort

Der Götter Wein! O Sachuset,

Der große Kapak winkt mir schon!

Leg' deine Hand auf meine Brust,

Und schwöre mir! Begrabe mich,

Wo deine Mutter liegt! Leb' wohl!

Quelle:
Christian Friedrich Daniel Schubart: Gedichte. Leipzig [o.J.], S. 361-362.
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