Yorik

[362] Als Yorik starb, da flog

Sein Seelchen auf gen Himmel,

So leicht, wie ein Seufzerchen

Der Liebe himmelan fliegt.

Es standen schon in goldnen Kreisen

Die Engelein um ihn herum.

Auf ihren Wangen glänzte

Des himmlischen Lächelns Morgenroth.

»Komm doch, du sanftes Seelchen du,

Erzähl' uns! bringst du gute Botschaft?«

Und Yoriks Seele hauchte: »Ach,

Dort unten ließ ich meine Brüder

Im Staub zurück. O säht ihr sie

Erziehungslos und ohne Führer

In Büschen wandeln, wo die Hyder,

Die Sünde zischt. Wie sie sich mühen,

Die Schlange zu zerreißen,

Die sie umflicht! Es fällt

Der Jugend Blume, ach! vom Sturm gebrochen!

Es schlägt der graue Sünder

Verzweiflungsvoll an seinen Schädel, daß es hallt!

Und Ate schüttelt Seuch' und Tod herab.

Sie röcheln, sehn mit wildverrückten Mienen

Gen Himmel. Ach, dann strecken ihre Glieder

Sich fürchterlich dem Tode aus,

Die Decke ihres Sarges breitet

Graunvolle Nacht und Stille über'n Leichnam.

Es poltert hinab der Sarg;[362]

Die Stricke schnellen unter ihm hinweg,

Und Schädel und Gebein und Staub

Fällt von der Schaufel dumpf hinab.«

Der Freundschaft und der Liebe Thränen

Rieseln in den Sand; hinabgebückt

Erschallt der Heulenden entsetzenvolle Klage:

»O Vater, Mutter, Bruder,

O Freund, Geliebte, gute Nacht!«

Sie aber liegen stumm

Und fühllos, wenn der Wurm

Zu ihrer Leiche kriecht.

Und Yorik schwieg. – Es weinten

Die Engelein; und ihre Thränen fielen

Im Morgenduft herab und zitterten

Wie Thau auf junge Palmen

Und halb offne Veilchen,

Die dem Schoße

Des werdenden Frühlings entstiegen.

Quelle:
Christian Friedrich Daniel Schubart: Gedichte. Leipzig [o.J.], S. 362-363.
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