Der Arme

[392] Gott, wie lange muß ich darben!

Ewig glücklich sind die nun,

Die vor mir in Frieden starben,

Um vom Elend auszuruhn.[392]


Hülfe, willst du lange säumen?

Halb verschmachtet steh' ich hier;

Goldne Früchte an den Bäumen,

Reicher Herbst, was helft ihr mir?


Bauern sammlen in die Scheune

Korn und Waizen auf, wie Sand:

Aber wenn ich Armer weine,

So verschließen sie die Hand.


Reiche rasseln mit dem Wagen,

Fett vom Haber ist ihr Pferd;

Rasselt nur, daß ihr die Klagen

Eines armen Manns nicht hört.


Knabe, den mir Gott gegeben,

Der sein Elend noch nicht fühlt,

Seh' ich dich im Herbstwind beben,

Der mit deinen Lumpen spielt:


O! dann gräm' ich mich am Stabe,

Höre dein Geschrei nach Brod,

Seufz' im Stillen: armer Knabe,

Wärst du todt; ach wärst du todt!


Menschen, ist denn kein Erbarmen,

Kein Erbarmen unter euch?

Sind die Dürftigen, die Armen,

Euch an Fleisch und Blut nicht gleich?


O so werft, wie euren Hunden,

Mir nur einen Bissen zu!

Doch wer Armuth nie empfunden,

Weiß es nicht, wie weh' sie thu'.


Gott, so muß ich ewig darben,

O wie glücklich sind die nun,

Die vor mir im Frieden starben,

Um vom Elend auszuruhn!

Quelle:
Christian Friedrich Daniel Schubart: Gedichte. Leipzig [o.J.], S. 392-393.
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