Jörg

[447] Ein schwäbisches Bauernlied.


Wie wohl ist mir in meinem Sinn!

Kein Mädel gibt's wie mein's;

Guck hin, guck her, guck her, guck hin,

So findst in Schwaben keins.


So jung und hübsch, und doch so gut

Wie Engel Gottes sind,

Und mir so treu, bei meinem Blut

Möcht' weinen, wie ein Kind.


Hat Haar, kein Flachs ist traun so fein.

Wie süß ihr Mündchen lacht!

Es blinken ihre Aeugelein

Wie Sternlein in der Nacht.[447]


Sie schafft dir früh, und schafft dir spät;

Das gibt einmal ein Weib.

Wenn sie die runde Spindel dreht,

So hüpft mir's Herz im Leib.


Und ist dir doch so gut dabei,

So fromm und tugendsam –

Und doch so heimlich, meiner Treu!

So heimlich wie ein Lamm.


Sie weiß dir nichts von Bauernstolz;

Und hört sie Dudeldum,

So dreht sie sich als wie ein Bolz

Mit mir im Ring herum.


Wollt' gestern auf die Kirchweih gehn;

Da blieb das Mädel fein

Mit mir vor einer Hütte stehn

Und sprach: Jörg, komm herein.


Da lag ein Armer auf der Streu

Und kaute schimmlich Brod,

Ein Krüglein Wasser stand dabei;

Sie fühlte seine Noth,


Und sprach: O Jörg, gib ihm dein Geld,

Und hilf dem Armen nun;

Nichts Liebers ist mir auf der Welt,

Als Armen Gutes thun.


Da griff ich nach dem Beutel schnell,

Und gab's dem Armen hin.

Des Mädels Augen wurden hell,

Und mir ward wohl im Sinn.


An Tanz und Kirchweih dacht' ich nicht.

Der arme Kranke sprach

Mit hellen Thränen im Gesicht

Uns Gottes Segen nach.[448]


Und als ich auf die Wiese kam,

War mir's im Herzen warm,

Und, ach, mein liebes Mädel nahm

Mich weinend in den Arm.


Seitdem denk' ich in meinem Sinn:

Kein Mädel gibt's wie mein's.

Guck hin, guck her, guck her, guck hin,

So findst in Schwaben keins.

Quelle:
Christian Friedrich Daniel Schubart: Gedichte. Leipzig [o.J.], S. 447-449.
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