[390] Edler Welmar, als dich wonnelächelnd
Deine Mutter auf die Arme nahm,
Und dein Engel, Himmelslüfte fächelnd,
Auf die Erde dich zu schützen kam;
Ach, da hat aus seines Lichtes Klarheit
Dich der Wesen Urgeist angeblickt,
Und in deine sanfte Seele Wahrheit
Und Gefühl des Schönen eingedrückt.
Darum glänzt von deinem Aug' herunter
So viel Menschenwürde. Darum glüht
Dir der Denkerblick, wenn er die Wunder
Seines großen Bilders strahlen sieht.
Darum seufzt dein Herz in seinen Tiefen
Ach! nach Wahrheit, Wahrheit seufzt es nur.
Und mit Tritten, die die Pfade prüfen,
Wanderst du auf hoher Weisheit Spur.
Darum schaurst du Wonne, wenn das Schöne
Deine reingestimmte Seele rührt,
Und durch Dichtung, Säulen, Farben, Töne
Dich zum Urbild aller Schönheit führt.
Darum näßt das Mitleid deine Wangen,
Wenn du Menschen um dich elend siehst,
Arm, verachtet, elend und gefangen,
Und um sie vergebens dich bemühst.
Welmar! ha zu gut für diese Erde,
Wo die Wahrheit kümmerlich gedeiht,
Wo der Schönheit himmlische Geberde
Jeder Krüppel Galliens bespeit;[390]
Ha, zu gut für theurerkaufte Gnaden,
Viel zu edel für ein höfisch Fest,
Wo der Fürst an einem seidnen Faden
Seine Pantin's vor sich tanzen läßt;
Auch zu gut für eine Welt, wo Spötter
Höhnisch lachen der Religion,
Und wo Könige zum Gott der Götter
Trotzend sehn von ihrem Leimenthron;
Wo die Tonkunst, deine traute Schwester,
Jammert unter welscher Tyrannei,
Wo so manches schallende Orchester
Harmonie verkennt und Melodei.
Guter Himmel, hast du keine Hütte
Für den theuren, auserwählten Freund,
Dessen Auge beim Verderb der Sitte
Und beim weibischen Geschmacke weint?
Keine Hütte, drinn er Wahrheit finden
Und getreu der Wahrheit leben kann,
Und, beweht vom Silberduft der Linden,
Wandeln auf der Schönheit Rosenbahn?
Ach, die Hütt' ist, Welmar, nicht hienieden;
Droben, Welmar, ist die Hütte nur.
Dorten erst, dort wandeln wir im Frieden
Auf der Wahrheit und der Schönheit Spur.
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