Den Naturforschern

[114] Stuttgart, im Herbste 1834.


Ihr fragt, warum die Sonn' erschien

Auf einem goldnern Wagen,

Und sich den Wolkenhermelin

Der Herbst nicht umgeschlagen?


Nicht hat vergessen die Natur,

Daß ihre Freunde kommen;

Sie hat ihr Festkleid von Azur

Längst freudig umgenommen.


Durch unsre Gärten wogt ein Licht

Mit überird'schen Flügeln,

Und ein geheimes Feuer bricht

Aus unsern Rebenhügeln.
[114]

Die Traube dieses Jahres quoll

Zum Ruhm der Wissenschaften,

Und unsrer Gäste Name soll

An diesem Weine haften.


Wenn er als Jüngling gärend braust,

Geschieht's zu ihrem Preise,

Und wenn als Mann im Keller haust,

Und wenn als Greis labt Greise.


Ja, bricht des Lebens Nacht herein,

Wird unsre Hütte morscher:

So schenkt uns noch ein Enkel ein

Vom starken Wein der Forscher.


Doch in den Gästen wird er erst

Gelangen ganz zu Ehren,

Und sich in ihrem Dienst zumehrst

Zum Zauberwein verklären.


Dort wirkt er mit Erweckungen

Lang als Gedankenzunder,

Dort schafft er in Entdeckungen

Gar manches neue Wunder.


Doch jetzo seht ihn schlummerstill

Noch hinter Blättern träumen,

Und wer den Knaben küssen will,

Der thu' es ohne Säumen.


Jetzt reicht er nur noch zarte Kost

Für unsrer Gäste Frauen;

Inzwischen soll vom alten Most

Das Herz der Männer thauen!

Quelle:
Gustav Schwab: Gedichte. Leipzig [um 1880], S. 114-115.
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