Das Opfer

[184] In einem Reich gen Morgen da glühte der Sonne Brand,

Da schaut in schweren Sorgen der König auf sein Land:

»Es lechzen alle Felder, versiegen geht der Fluß,

Es dorren ab die Wälder, weh, daß ich es schauen muß!


Was hilft mir Scepter tragen? Kann ich zum Strome: Fleuß!

Kann ich zur Wolke sagen: Die kühle Flut ergeuß?«

So hat er lang in Kummer von Tag' zu Tage gedacht,

So seufzt' er, ohne Schlummer, von Nacht zu heißer Nacht.


Und als nun ohne Wolke sechs Monden glänzte die Luft,

Tritt er hinaus zum Volke, das zu den Göttern ruft.

Es schallten Trauerpsalme, davon kein Strauch genas,

Und welk stand jede Palme, als wäre sie junges Gras.
[184]

Die fetten Aecker darben, kein Dampf steigt aus dem Kraut,

Verblüht stehn, ohne Farben, die Blumen, wohin er schaut.

Nicht weht ein Strom von Düften aus den Gewürzen mehr,

Nicht singt mehr in den Lüften der bunten Vögel Heer.


Und unter den Zelten lagen die Menschen krank und matt,

Von glüh'nder Pest geschlagen auf schwüler Lagerstatt.

Und war die Sonne gesunken nach langem, heißem Lauf,

So sprühten die trüben Funken der Scheiterhaufen auf.


Da deckte mit beiden Händen der König sein Gesicht:

»Ihr Götter, kann ich wenden vom Volke den Jammer nicht?

Gebt mir ein gnädig Zeichen, vor keiner Last will ich,

Vor keiner Schmach erbleichen, nur, eh'rner Himmel, sprich!«


Da sprachen zu ihm die Götter durch seiner Priester Mund:

»Du wirst des Landes Retter, und schleußst mit uns den Bund,

Wenn zu des Volkes Heile das Opfer du gestellt,

Das unter des Priesters Beile uns recht willkommen fällt!«


Er läßt Altäre zieren, der Hundert führt man drei

Von Schafen und von Stieren, die stattlichsten herbei.

Kein Hauch vom Berge wehet, keine Wolk' am Himmel stand,

Mit lautem Schalle flehet der König und sein Land.


Doch als die Priester hoben den blanken Opferstahl,

Die Thiere begannen zu toben und starben in Wut und Qual.

Es schaut auf das Gewimmel und auf das Blut, das floß,

Mit blauem Auge der Himmel hernieder erbarmungslos.


Der König in tiefer Trauer ging wieder in sein Haus,

Durchwachte die Nacht in Schauer, und trat früh Morgens heraus.

»Ich weiß,« sprach er mit Stöhnen, »nicht anders kommt uns Heil,

Eh' von des Landes Söhnen zween fallen von dem Beil!«


Zween Knaben, widerstrebend, bringt man, der Jugend Licht –

»Weh!« ruft der König bebend, »der Himmel will sie nicht!

Die Opferflamme dunkelt, der Rauch verhüllt sie ganz!

Da droben aber funkelt die Sonn' in hellerem Glanz!«
[185]

Den König faßt ein Grauen, doch spricht er aus das Wort:

»So bringt mir drei Jungfrauen, die Knaben führet fort!«

Drei Mägdlein, jung, unschuldig, führt man herbei bekränzt,

Sie neigen sich geduldig, nur ihre Thräne glänzt.


»Laßt ab, laßt ab!« ruft wieder der König zagend aus:

»Die Flamme sinket nieder, erlischt in Dampf und Graus!«

Und gräßlich tönt die Klage des Volkes in die Luft,

Der König verschließt drei Tage sich in der Väter Gruft.


Und an dem vierten Morgen tritt er an's Tageslicht,

Gewichen sind die Sorgen von seinem Angesicht.

Dem Purpur und der Krone hat er den Glanz erlaubt,

Er sitzt auf seinem Throne mit hohem, frohem Haupt.


Er spricht: »Ich hab' ein Zeichen, ich weiß, was ich soll thun;

Mir sagten's der Väter Leichen, so in der Halle ruhn.

Es liegt in Balsamdüften jung, fröhlich von Gestalt,

Dort Mancher in den Grüften, und ich bin grau und alt!«


Er stieg von seinem Throne, zu Boden warf er sich,

Bleich wurde da die Krone, der Sonne Schimmer wich;

Und wie er vor dem Volke inbrünstig betend fleht,

Da flog empor als Wolke sein heiliges Gebet.


Er sprach: »Ihr Götter! funden hab' ich das Opfer gut.

Man heilt des Volkes Wunden nicht mit des Volkes Blut.

Empfangt, empfangt mein Leben, und laßt von eurem Sitz

Die Wolken segnend beben, mir aber schickt den Blitz!«


Und als er aufstand, fertig, den Tod erfleh'nd als Gunst,

Umarmt' allgegenwärtig den Himmel dunkler Dunst.

Kein Blitz zuckt ihm entgegen, es legt sich nur der Staub,

Es säuselt nur der Regen, still durch der Bäume Laub.


Die Menge staunt und lauschet, der Wind kühlt ab die Glut,

Der Regen strömt und rauschet, er wird zu Guß und Flut,

Durch Bart und graue Locken der Strom dem König quillt,

Sein Auge bleibt nicht trocken, von sel'ger Thrän' es schwillt.


Die Vögel fangen zu singen, die Kräuter zu duften an,

Der Fluß sich zu schwellen, zu schlingen in seiner alten Bahn.

Es tönen der Priester Lieder, der Dichter Harfe klingt,

Das Volk, es wirft sich nieder, den Scepter der König schwingt.

Quelle:
Gustav Schwab: Gedichte. Leipzig [um 1880], S. 184-186.
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