Des Fremden Königreich

[170] Der König feiert am Meer das Spiel,

Es nahen Ritter und Fürsten viel,

Die Flut sie rufet und rauschet,

Die Sonne lächelt und lauschet.


Der König sprach: »Einst rang ich so gut,

Einst fühlt' ich mein junges Königsblut

Von Kraft und von Liebe schäumen,

Heut möcht' ich von Jugend träumen!


O säh' ich Einen kämpfen, wie mich!

Wallt' Einem das Blut so königlich!

Auf setzt' ich ihm wohl die Krone,

Wie einem leiblichen Sohne!


Schaut her, wie stralt mein Purpurgewand,

Wie leuchtet das Kind an meiner Hand! –

Ich gäb' ihm den Mantel vom Leibe,

Dazu die Tochter zum Weibe.«


Da huben sich alle vom Fürstengeschlecht,

Sie warfen den Speer, sie kämpften gerecht,

Doch so ist's Keinem gelungen,

Wie einst der Alte gerungen.


Der Jungfrau Blick irrt auf der Flut,

Der Greis erschaut sich nicht Jugendmut,

Da kommt auf den wallenden Wogen

Ein Schifflein herangeflogen.


Drin rudert mächtig ein einz'ger Mann,

Als hätt' er die Wellen in seinem Bann,

Den Kahn hat an's Land er geschwungen,

Ist rüstig herausgesprungen.


Ein Jüngling ist's im leichten Rock,

Mit barem Haupt und gelbem Gelock,

Er trägt kein ritterlich Waffen,

Ist doch zum Kampfe geschaffen.
[171]

Die Ritter standen im Harnisch blank,

Da war doch keiner so stark und schlank,

Die Augen waren, die blauen,

So blitzend an keinem zu schauen.


Und kecklich tritt er in den Kreis,

Das Haupt er neigt vor dem König leis,

Doch vor der Maid, der süßen,

Da beugt er es tief, zu grüßen.


Dem König er gefiel so sehr,

Er ließ ihm reichen Schild und Speer:

»Du bist ein herrlicher Knabe,

In kühnem Kampfe dich labe.«


Da warf er den Speer mit leichtem Schwung,

Da rang er mit Fürstensöhnen jung,

Mit seinen Armen, wie Schlangen,

Hielt er die Gegner umfangen.


Wohl hat er getroffen das ferne Ziel,

Hat niedergerungen der Ritter viel,

Vor seiner Stärk' und Schöne

Verbleichten die Heldensöhne.


Und rosig rot die Jungfrau ward,

Und dem König däucht' er von rechter Art,

Er zog von Schulter und Rücken

Den Mantel ab, ihn zu schmücken.


Er hieß ihn treten zum hohen Thron:

»So sprich, von wannen du bist, o Sohn!

Dein Arm und dein Blick und die Thaten,

Die haben dich mir verraten!«


Der Knabe schaut an sein Purpurkleid,

Anschaut' er die rosige, lächelnde Maid,

Nichts hat er auf weiter Erden –

Denkt doch ein König zu werden.
[172]

Er sprach: »Mein Reich liegt fern so sehr,

Weit drüben im tiefen, dunkeln Meer,

Dort steigt es aus dem Schaume.«

Der Jüngling sprach, wie im Traume.


Doch ragt sein Haupt aus dem Purpur hehr,

Als ob er darin geboren wär',

Es steht dem lockigen Sohne,

Als fehlt' ihm schon lang' die Krone.


Da rief der König: »Dein Blut ist echt,

Fürwahr du bist von Fürstengeschlecht,

Ich geb' dir den Purpur vom Leibe,

Nimm hin die Tochter zum Weibe!«


Ja, setze sie nur in deinen Kahn,

Du ruderst mächtig, so rudre voran,

Beginnt der Morgen zu grauen,

So folg' ich, dein Reich zu schauen!


Sie springen in's Schiff wohl Hand in Hand,

Der Kahn, er flieget hinaus vom Strand,

Es rudert durch Tag' und Nächte

Des Knaben gewalt'ge Rechte.


Die Jungfrau liegt ihm am Herzen weich,

Sie forscht und forscht nach des Buhlen Reich:

Sein Blick der sinket zu Grunde,

Als sucht' er es tief im Sunde.


Was hebet sich dort im Abendlicht?

Ein Fels ist's, dran sich die Woge bricht!

Was schaut herab in die Welle?

Eine Burg mit öder Schwelle.


»O schiffe vorüber am Eiland grau,

Vorüber schnell am verfallenen Bau,

Wo, beid' einander zum Grausen,

Nur Räuber und Geister hausen!«
[173]

Da spricht er: »Lieb, was wirst du bleich?

O Lieb, das ist mein Königreich!

Hier mußt du Königin werden,

Kein andres hab' ich auf Erden!


Mein Vater war wohl stolz und reich,

Jetzt liegt er unter dem Hügel bleich,

Erschlagen, nicht sanft gestorben,

Sein Hab und Gut verdorben.«


Und sicher lenkt der Buhle den Kahn

Durch brandende Wogen die wilde Bahn,

Durch der Felsen ragende Zinken,

Wo moosige Thürme winken.


»O Knabe, wo ist das Brautgemach?« –

Dort zwischen den Mauern ohne Dach!

»Wo harren die Edelknaben?« –

Dort fliegen und krächzen die Raben!


Da schaut er sie an, der Knabe spricht:

»O Maid, es kann dir gefallen nicht,

Nicht kann dich mein Reich ergötzen,

Du siehst es an mit Entsetzen!


Und eh' du verfluchest das Leben dein,

Eh' laß uns zusammen begraben sein,

Eh' laß zu den Felsenriffen

In den Strudel nieder uns schiffen!«


Er hält sie im Arme bleich und stumm,

Er dreht das Schiff in den Wellen um

Tief zwischen den steinernen Rippen;

Dann schleudert er's an die Klippen. –


Mit Segeln voll, mit Masten lang,

Mit froher Flagge, mit Freudengesang

Heranzieht ohne Sorgen

Des Königs Schiff am Morgen.


Der Greis sucht seiner Tochter Reich,

Er sieht nicht an das Eiland bleich,

Er schifft im Hauch des Windes

Wohl über das Grab des Kindes.

Quelle:
Gustav Schwab: Gedichte. Leipzig [um 1880], S. 170-174.
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